Montag, 26. Dezember 2011

Das erste Wort - Predigt am 2. Weihnachtstag

Predigt am 2. Weihnachtstag, 26.12.2011, über Johannes 1,1-5.15:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in die Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.


Liebe Gemeinde,

ein Kind malt auf einem Blatt Papier.
"Sieh mal, eine Katze" sagt es und zeigt auf sein Bild.
Ich sehe es mir an. Da sind viele bunte Kringel,
und ich bemühe mich, darin eine Katze zu erkennen.
"Ist das vielleicht der Schwanz?"
"Nein!" Das Kind schüttelt den Kopf. "Das ist doch der Kopf!"

Das Kind hat etwas gemalt, und das ist eine Katze,
weil das Kind sagt, dass es eine Katze ist.
Was für mich aussieht wie Gekringel, ist also eine Katze.
Das Kind hat aus den formlosen Kringeln eine Katze erschaffen.
Indem es gesagt hat: "Katze" sind die Kringel nicht mehr formlos.
Sie sind jetzt eine Katze, auch für mich.

Im Anfang war das Wort.
Im Anfang steht ein Wort, das deutet und benennt
und aus Kringeln eine Katze erschafft.
Am Anfang unseres Lebens steht ein Wort,
auch wenn wir am Anfang unseres Lebens
noch keine Worte hervorbringen, sondern nur Geräusche.
"Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen",
heißt es deshalb auch im Weihnachtsoratorium.
Das kindliche Lallen, noch ohne Form,
wird von Gott gehört und verstanden.

Am Anfang unseres Lebens steht ein Wort,
und wenn wir es auch noch nicht verstehen,
wissen wir doch, dass dieses Wort uns meint,
weil wir dabei angesehen werden,
liebevoll, oder voller Stolz.
Es ist unser Name.

Im Anfang war das Wort.
Und das erste Wort, das wir hören, ist unser Name.
Der Name, der uns zu einem besonderen,
unverwechselbaren Menschen macht.
Der mir, wenn ich ihn höre, immer wieder sagt,
dass ich ich bin, dass ich gemeint bin.

II
Im Anfang war das Wort.
Welches Wort spricht Gott im Anfang?
Welches war das erste Wort?
Das Wort, das bei Gott war,
und Gott war dieses Wort?

Das Wort im Anfang ist ein Name,
wie am Anfang unseres Lebens ein Name steht.
Der Name Jesus.
Jesus, auf hebräisch: Jehoschua, bedeutet: Gott hilft.
Gottes Wort im Anfang ist ein Name,
der bedeutet: Gott hilft.
Gott ist dieses Wort:
Gott ist ein helfender Gott.
Ein Gott in Beziehung.
Gott ist seiner Schöpfung, ist uns Menschen
freundlich und helfend zugewandt.
Gott ist mit diesem Namen ansprechbar
auf sein Wohlwollen. Seine Hilfe. Seine Barmherzigkeit.

Jehoschua, dieser Name im Anfang
kommt bereits an anderer Stelle in der Bibel vor.
Es ist die hebräische Form des Namens,
den wir als "Josua" kennen.
Josua, der Helfer des Mose,
nach dem ein eigenes Buch der Bibel benannt ist.
Josua, der das Volk Israel,
das 40 Jahre unter Moses' Führung durch die Wüste zog,
über den Jordan ins verheißene Land führt.

Jesus, der Josua des neuen Testaments,
ist auch ein Helfer des Mose.
Am Anfang seines Weges steht ebenfalls der Jordan,
in dem er sich von Johannes taufen lässt.
Er ist auf die Welt gekommen, um das Gesetz,
das Mose dem Volk Israel gab, zu erfüllen:
"Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin,
das Gesetz oder die Propheten aufzulösen"
, sagt er.
"Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen."
(Matthäus 5,17)

III
"Das Wort wurde Fleisch".
Jesus - Gott hilft - wurde im Stall von Bethlehem geboren.
Gott wird mit diesem Namen für uns ansprechbar.
Der Name Jesus wird für uns zum Schlüssel,
mit dem wir die Worte der Bibel lesen und verstehen.
So, wie das Kind zu den Kringeln auf dem Papier sagte:
Das ist eine Katze,
so schließt der Name Jesus uns die Schrift auf.
Wir lernen von ihm,
dass Gott für uns ist, nicht gegen uns.
Dass Gott Leben für uns will, nicht den Tod.
Dass Gott uns glücklich sehen will,
nicht leidend, voller Zweifel, mit schlechtem Gewissen.

Paulus war der erste, der diesen Jesus-Schlüssel benutzt hat.
Er, der das Gesetz des Mose ernst genommen hatte,
todernst sogar, verstand auf einmal,
dass Jesus der Helfer des Mose ist,
indem er uns hilft, das Gesetz zu erfüllen.
Er hilft uns, weil er das ganze Gesetz auf sich genommen
und es dadurch erfüllt hat.
Wir müssen es nicht wortwörtlich befolgen,
um Gottes Kinder zu sein.
Das Gesetz verurteilt uns nicht mehr,
das Gesetz macht uns nicht mehr zu Sündern
und trennt uns dadurch von Gott.
Das Gesetz ist ein Geländer, an dem wir gehen können.
Wir dürfen es befolgen,
weil es uns den Weg zum Leben,
den Weg in die Freiheit der Kinder Gottes zeigt.

Auch Martin Luther hat den Jesus-Schlüssel verwendet.
Er war auf der verzweifelten Suche nach Gottes Liebe.
Aber er hatte gelernt, die Worte "Gottes Gerechtigkeit" so zu verstehen, dass Gott allein gerecht ist.
Kein Mensch kann vor Gott gerecht sein,
jeder Mensch ist eine Sünderin, ein Sünder
- wie sollte ihn Gott da lieben, wie sollte er Gottes Kind sein können?
Da schloss ihm der Jesus-Schlüssel diese Worte auf.
"Gottes Gerechtigkeit", entdeckte er,
bedeutet nicht nur, dass Gott gerecht ist,
sondern auch, dass er uns diese Gerechtigkeit schenkt.
Weil Gott uns hilft, und weil er möchte, dass wir seine Kinder sind,
lässt er uns nicht in Versagen, Irrtum und Schuld,
sondern befreit uns davon und macht uns durch Jesus gerecht.

IV
Im Anfang war das Wort.
Das Wort steht am Anfang, ohne Worte geht es nicht.
Wir brauchen Worte, um unsere Welt, unser Leben
zu deuten und zu verstehen.

Zwar gibt es auch die Musik,
die uns wortlos ergreift,
die uns ins Blut geht, in den Bauch, in die Beine.
Aber ohne Worte verstehen wir nicht,
was die Musik da mit uns tut.
Ohne Worte können wir nicht schwärmen vom Zauber der Musik,
können wir nicht mitteilen, was wir da fühlen, wie sie uns ergreift.

Es gibt die Kunst,
Bilder, die uns unmittelbar ansprechen,
die uns nicht loslassen,
die in eine Form bringen, was wir fühlten, erlebten, dachten.
Aber um zu sagen, was das genau ist,
dazu fehlen uns die Worte, wenn wir nur das Bild haben.
Manchmal schließen uns Worte erst ein Bild auf;
es braucht Worte, um in den Kringeln die Katze zu erkennen.

Es gibt auch Blicke, es gibt Gesten.
Es gibt das wunderbare Gefühl von Haut auf Haut.
Aber um zu verstehen, dass das Liebe ist,
muss es ausgesprochen werden, das Wort,
müssen wir angesprochen werden mit unserem Namen.
Es gibt kein schöneres Wort als den Namen des geliebten Menschen,
und es gibt nichts schöneres,
als unseren Namen aus seinem oder ihrem Mund zu hören.

V
Im Anfang war das Wort.
Ein Name. Jesus. Gott hilft.
Auf diesen Namen sind wir getauft.
Dieser Name wurde über uns ausgerufen.
Unter diesen Namen stellen wir uns in jedem Gottesdienst,
den wir im Namen Gottes beginnen.
Unser ganzes Leben steht unter der Zusage,
dass Gott uns hilft.
Unser ganzes Leben ruft Gott uns bei unserem Namen.
So, wie unsere Mutter, unser Vater uns liebevoll gerufen haben,
so, wie unser Name aus dem Mund der Liebsten, des Liebsten klingt,
so ruft Gott uns:

"Fürchte dich nicht.
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.
Du bist mein."

(Jesaja 43,1)

Wir brauchen uns vor nichts zu fürchten.
Gott hilft.
Gott ist da.
Wir gehören zu ihm.

Amen.