Predigt
am Ewigkeitssonntag, 22.11.2015, über Matthäus 25,1-13
Liebe
Gemeinde,
was
wohl dahinter liegen mag?
Das
Kind, das durch das Haus gestromert ist,
hat
eine Tür gefunden, die es noch nicht kannte.
Nun
steht es davor und würde zu gern wissen,
was
dahinter ist. Soll es sie öffnen? Darf es sie öffnen?
Was
wird es da erwarten?
Viele
von uns haben wohl schon einmal so vor Türen gestanden
- vor Keller-
und Bodentüren, vor Schränken oder Truhen -,
neugierig, was sich wohl dahinter befindet,
neugierig, was sich wohl dahinter befindet,
und
zugleich ein bisschen ängstlich.
Vor solch einer geheimnisvollen Tür spielt auch der Predigttext für den heutigen Sonntag bei
Matthäus im 25. Kapitel:
Jesus
erzählte dies Gleichnis:
Dann
wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen,
die
ihre Lampen nahmen und gingen hinaus,
dem
Bräutigam entgegen.
Aber
fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.
Die
törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.
Die
klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen,
samt
ihren Lampen.
Als
nun der Bräutigam lange ausblieb,
wurden
sie alle schläfrig und schliefen ein.
Um
Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen:
Siehe,
der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!
Da
standen diese Jungfrauen alle auf
und
machten ihre Lampen fertig.
Die
törichten aber sprachen zu den klugen:
Gebt
uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.
Da
antworteten die klugen und sprachen:
Nein,
sonst würde es für uns und euch nicht genug sein;
geht
aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.
Und
als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam;
und
die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit,
und
die Tür wurde verschlossen.
Später
kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen:
Herr,
Herr, tu uns auf!
Er
antwortete aber und sprach:
Wahrlich,
ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Darum
wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.
I
Hinter
der Tür, da feiern und tanzen sie.
Wie
schön muss es auf dieser Hochzeit sein!
Was
wohl die Brautjungfern hinter der Tür, auf der anderen Seite,
erwartet?
Wie wunderbar darf man sich das Fest vorstellen,
für
das man sich eine Nacht um die Ohren schlägt?
Für
das man Ewigkeiten lang auf den Gastgeber,
den
Bräutigam, wartet - bis er endlich kommt
und
die Tür aufschließt.
Hinter
der Tür, da feiern und tanzen sie.
Aber
nicht alle dürfen mitfeiern.
Wir
sind mit 10 Brautjungfern aus der Stadt hinausgegangen.
Hinaus aufs
freie Feld,
wo
es keine Lampen mehr gibt
und
wo man sich selbst leuchten muss.
Die
Öllampen der Brautjungfern werfen Licht auf den Weg,
auf
dem der kommen wird, den wir erwarten, der Bräutigam.
Gleich, jeden
Augenblick, oder irgendwann später,
man
weiß es nicht.
Die
Zeit wird lang, die Brautjungfern werden müde.
Sie
haben sich hingesetzt, schon fallen den ersten die Augen zu.
Sie
lehnen sich aneinander, jetzt schlafen sie.
Nur
ihre Lampen leuchten weiter,
werfen
ihr Licht auf den Weg und verzehren das Öl, das in ihnen ist.
Auf
einmal ist etwas zu hören, da ruft jemand: Er kommt!
Alles
ist plötzlich auf den Beinen,
rückt
die Kränze zurecht, greift nach den Lampen.
Aber
nun, als alle fertig sind, stellt sich heraus:
Fünf
haben nicht genug Öl. Ihre Lampen gehen bald aus,
wenn
sie nicht Öl nachfüllen,
und
sie müssen dem Bräutigam doch den Weg leuchten!
Die
anderen fünf können nichts hergeben von dem,
was
sie mitnahmen, also müssen die ersten fünf in die Stadt zurück,
neues Öl kaufen.
Wir
folgen ihnen nicht, wir lassen sie in die Stadt rennen.
Wir
bleiben bei den anderen, sehen, was passiert.
Wir
sehen den Bräutigam kommen.
Die
fünf Brautjungfern setzen sich an die Spitze des Zuges
und
ziehen mit in das Haus, wo die Hochzeit gefeiert wird.
Hinter
ihnen schließt sich die Tür, und wir bleiben außen vor.
Wie
die fünf, die gerade atemlos keuchend
mit
ihrem Öl aus der Stadt kommen - zu spät.
Sie
dürfen nicht mehr hinein.
Wozu
erzählt Jesus dieses Geschichte?
Wozu
lässt er uns, seine Zuhörerinnen und Zuhörer,
diesen
Weg mit den zehn Brautjungfern nicht wirklich mit gehen?
Wir bleiben
weder bei denen,
die
schnell noch um Öl in die Stadt laufen,
wir
dürfen aber auch nicht mit den anderen zum Fest hinein,
als
die Tür sich für sie öffnet.
Wir
dürfen nicht einmal einen Blick hinein tun.
Höchstens
einen Lichtstrahl haben wir erhascht,
ein
paar Töne der himmlischen Musik.
Das
Geheimnis bleibt gewahrt,
hinter
diese Tür können wir nicht schauen.
Das,
was wir sehen können, liegt vor dieser Tür.
II
Vor
der Tür liegt die Nacht.
Dunkelheit,
von der Jesus an anderer Stelle sagt,
dass
dort "Heulen und Zähneklappern" ist.
Heulen
und Zähneklappern vor Angst, vor Kälte oder vor Einsamkeit.
Solche
Dunkelheit kennen wir.
Jede
und jeder hat sie erlebt und erlebt sie wieder:
Dunkelheit
der Angst. Dunkelheit des Schmerzes.
Und,
heute besonders, Dunkelheit,
die
einen beim Verlust eines lieben Menschen überfällt.
Darum
ist es gut, wenn man schlafen kann wie die zehn Brautjungfern.
"Wir
sind ja Schläfer aus Furcht, uns und unsere Welt wahrnehmen zu
müssen" (Ingeborg Bachmann).
Wer
schläft, muss die Wahrheit nicht ertragen, die Angst nicht und nicht
den Schmerz.
Der Schlaf kann gnädig sein.
Aber
der Schlaf ist auch düster und bedrohlich.
"Der Schlaf der
Vernunft bringt Ungeheuer hervor" (Wolf Biermann).
An
den Schlaf liefern wir uns auch aus,
er
ist der kleine Bruder des großen Schlafes Tod.
Manchmal
wird einem das beim zu-Bett-gehen bewusst.
Kinder
haben manchmal Angst, einzuschlafen.
Angst
vor den Türen, die sich öffnen, wenn man die Augen schließt.
Angst
vor der Reise über die unendliche Tiefsee der Nacht.
"Morgen
früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt",
sang
mir die Mutter am Bett. Und ich wusste nicht:
War
es Verheißung, dass ich wieder geweckt werden würde,
oder
war es eine Drohung: "wenn Gott will"?
Gott
wollte. Am nächsten Morgen kitzelte mich die Sonne aus dem Schlaf,
oder meine Mutter kam und weckte mich.
Was
weckt uns heute - außer dem Wecker mit seinem schrillen Gebimmel,
lästigen Piepsen oder nervigen Radiogedudel?
Was
elektrisiert uns heute so wie bei den Brautjungfern der Ruf:
"Der
Bräutigam kommt!"?
Was gibt uns die Spannung, die Kraft,
aufzuspringen oder aufzustehen
und uns dem neuen Tag zu stellen?
III
Das,
was wir sehen können, liegt vor der Tür.
Aber
das, was wir sehen sollen, liegt dahinter.
Darin
unterscheiden sich die fünf klugen Brautjungfern von den fünf
törichten:
Die Klugen sahen voraus.
Das
Symbol dafür ist das Öl,
das
sie zusätzlich mitgenommen hatten.
Die
Törichten sahen nur das, was vor ihnen lag
-
im Gleichnis gesprochen: Sie hatten nicht genug Öl mit.
Das
hat nichts mit Fleiß zu tun.
Die
klugen und törichten Brautjungfern sind nicht wie Goldmarie und
Pechmarie,
so sehr sie uns daran erinnern mögen.
Sie
sind nicht fleißig oder faul - im Gegenteil:
Beide
werden vom Schlaf überwältigt.
Der
einzige Unterschied zwischen beiden ist die Menge Öl,
die
sie dabei hatten, und die im Gleichnis für die Vorausschau steht.
Mit
einem anderen Wort: Für die Sehnsucht.
Die
Sehnsucht ist das Öl,
das
die Lampen der Brautjungfern am Brennen hält.
Wenn
der Bräutigam halbe Ewigkeiten braucht, bis er kommt,
wie
hält man da die Vorfreude wach?
Die
Sehnsucht ist auch das Öl, das unserem Motor die Kraft gibt,
jeden
Morgen wieder neu anzuspringen und zu laufen
-
auch und gerade in und gegen Dunkelheit und Angst und Schmerzen.
Denn
die Sehnsucht kehrt die Blickrichtung um:
Sie
blickt von der Tür her zurück auf den dunklen Weg.
Wir
stehen schon im Licht der Hochzeit,
wir
hören schon die Musik
und
sehen zurück auf die Wegstrecke, die wir gegangen sind.
Sie war anstrengend, steinig, düster,
Sie war anstrengend, steinig, düster,
aber
das ist jetzt, wo wir am Ziel sind, nicht mehr wichtig.
Das,
was uns am Ziel erwartet,
verdrängt
die Beschwernis des Weges
- diese Erfahrung macht jeder, der schon
einmal einen Berg bestiegen hat.
Was
uns Christinnen und Christen in die Wiege gelegt ist,
ist
diese Sehnsucht nach Leben und Gerechtigkeit,
von
dem wir immer schon einen Zipfel in der Hand halten.
Mit
einem Begriff: Sehnsucht nach dem Reich Gottes.
Das
Reich Gottes - das ist die Hochzeit, von der Jesus erzählt,
zu
der die Brautjungfern sich aufmachen
und
auf der sie erwartet werden.
Leben
und Gerechtigkeit
-
diese Sehnsucht ist es,
die
wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen.
Die
Sehnsucht nach einem neuen Himmel und einer neuen Erde,
wo
Gott alle Tränen abwischt.
Wo
Leid, Geschrei und Schmerz nicht mehr sind
und
wo den Tod niemand kennt.
Die
Sehnsucht blickt vom Reich Gottes,
auf
dessen Schwelle wir schon stehen,
zurück
auf unser Leben, unsere Welt.
In
der Vorschau, in der Sehnsucht,
die
zugleich eine Rückschau ist,
schrumpfen
Angst, Sorgen und Leid.
Sie
schrumpfen auf eine Größe,
in
der wir sie ertragen können.
Und
auch der Tod, der uns liebe Menschen nahm,
schrumpft
auf das, was er ist:
Das
Ende unseres biologischen Lebens, nicht weniger
-
aber auch nicht mehr.
IV
Die
Sehnsucht nicht aufgeben.
Dazu
will uns Jesus mit seinem Gleichnis aufrufen.
Wir
sollen uns die klugen Brautjungfern zum Vorbild nehmen,
die
am Ende durch die offene Tür zum Fest gehen.
Die
Sehnsucht nicht aufgeben.
Mit
dieser Aufgabe hat Gott uns nicht allein gelassen.
Quer
über unseren Lebensweg hat er Dinge gestreut,
Zipfel
des Reiches Gottes,
die
uns daran erinnern sollen wie der Knoten in einem Taschentuch.
Gras,
das sich sanft im Wind kräuselt,
kann
solch ein Taschentuch sein
und
auch die wunderbaren Farben und tanzenden Sonnenflecken auf dem
Herbstlaub.
Ein
Brief von einem lieben Menschen
und
auch eine wundervolle Melodie, die uns berührt und ergreift.
Ein
Blick und ein Lachen eines Kindes kann es sein
und
eine Hand, die die unsere drückt und hält,
ein
Gesicht, das unseren Blick erwidert und davon aufleuchtet.
All
das sind Taschentücher,
die
Gott über unseren Lebensweg gestreut hat.
Und
wenn man genau hinsieht,
erkennt
man das Monogramm des Eigentümers in der Ecke.
Es
sind vier griechische Buchstaben:
Alpha
und Omega, der Anfang und das Ende,
und
Chi und Rho, die Anfangsbuchstaben des Namens,
der
über alle Namen ist: Christus.
Und
diese vier Buchstaben ergeben ein griechisches Wort:
ἌΡΧΩ
(archo), ich herrsche.
Ich
herrsche, sagt Christus,
nicht
die Gewalt und nicht der Tod,
sondern
ich herrsche im Himmel und auf Erden.
Denn
"ich lebe", sagt Jesus, "und ihr sollt auch
leben."
Amen.