Freitag, 16. Juni 2017

Anerkennung

Predigt am 1.Sonntag nach Trinitatis, 26.6.2017, über Johannes 5,39-47:

Ihr erforscht die Schriften, weil ihr glaubt, in ihnen das ewige Leben zu haben - und diese sind's, die über mich Zeugnis ablegen. Aber ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr das Leben hättet.
Anerkennung von Menschen nehme ich nicht an, aber ich kenne euch, dass ihr die Liebe Gottes nicht in euch habt.
Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer in eigenem Namen kommt, den nehmt ihr an. Wie könnt ihr glauben, wenn ihr Anerkennung von einander annehmt, aber die Anerkennung durch den einzigen Gott nicht sucht?
Glaubt nicht, dass ich euch beim Vater verklage. Es gibt einen, der euch verklagt, Mose, auf den ihr eure Hoffnung setzt. Wenn ihr Mose glauben würdet, glaubtet ihr auch mir. Denn von mir hat er geschrieben. Wenn ihr aber den Buchstaben nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?


Liebe Gemeinde,

es geht um Anerkennung.
Auf Griechisch: doxa.
Doxa bedeutet ursprünglich: das, was man meint. Die Meinung.
Die Meinung, die man hat.
Und die Meinung, die andere von einem haben.
Diese Meinung, die andere von einem haben, ist der Ruf.
Der „gute Ruf“, oder der „gute Name“.
Ist der Respekt, der einem entgegengebracht wird.
Dass man z.B. von Menschen, die man kennt, gegrüßt wird.
Dass man gekannt wird.
Dass man nicht übersehen wird, oder, besser noch:
dass man nicht übersehen werden kann.
Wenn ohne einen nichts geht,
wenn man jemand ist, den man kennen muss
und den jeder gerne kennen lernen möchte
- dann hat man's geschafft.
Dann ist man anerkannt.

Es geht um Anerkennung.
Immer geht es um Anerkennung.
Das Neugeborene sucht den Blick der Mutter.
Es will von ihr erkannt werden.
Das Kind zeigt, was es gemacht hat,
und möchte, dass Eltern oder Großeltern das sehen,
sich darüber freuen, es loben und bewundern.
Die Schülerin zeigt ihre Hausaufgabe,
zeigt ihr Interesse und wünscht sich,
dass der Lehrer sie wahrnimmt und würdigt.
Ein Mensch zeigt sich einem anderen,
und sehnt sich danach, dass der andere ihn ansieht
und ihn anerkennt, wie er ist,
ohne, dass er sich verstellen muss.

Wenn zwei Menschen sich so ansehen,
ohne dass sie sich verstellen
oder sich gegenseitig etwas vormachen müssen,
dann ist es Liebe.
Auch Liebe geht nicht ohne gegenseitige Anerkennung.
Es ist kein Wunder,
dass die Bibel die Liebe zwischen zwei Menschen damit umschreibt,
dass sie sich „erkennen“.

II
Es geht um Anerkennung,
und da erhebt sich die Frage:
Wen erkennen wir an?
Eigenartig, diese Frage.
Wahrscheinlich haben Sie sich diese Frage so noch nie gestellt.
Aber in anderer Form beantworten Sie diese Frage immer wieder,
wahrscheinlich sogar täglich.
Wenn es um Fragen geht wie:
Wer hat Ihnen etwas zu sagen?
Wem würden Sie im Zweifel blind vertrauen?
Wer bedeutet Ihnen etwas?
Auf wen hören Sie?

Wen erkennen wir an?
Als Kind ist das noch keine Frage:
Man hört auf die Erwachsenen.
Auf die Eltern, Großeltern, Lehrer.
Weil man muss. Aber auch, weil man ihnen vertraut.
Irgendwann wird dieses Vertrauen
auf das Wissen und Rechthaben der Eltern zerstört.
Das nennt man dann: Pubertät.
Von der Pubertät an fällt es immer schwerer,
jemanden anzuerkennen,
und es fällt immer schwerer,
Anerkennung zu bekommen.
Die Latte für die Anerkennung wird immer höher gelegt.
Für eine Lehrerin reicht es dann nicht mehr,
dass sie Lehrerin ist.
Wenn sie nicht gut und abwechslungsreich unterrichten kann,
wenn sie nicht etwas ausstrahlt oder hat,
was die Schüler bewundern oder respektieren,
dann wird sie bestenfalls ertragen, geduldet oder erlitten,
aber nicht anerkannt.

Ebenso ist es bei anderen Persönlichkeiten,
die möchten, dass Menschen auf sie hören:
Ärztinnen. Pfarrer. Politiker. Wissenschaftlerinnen.
Sie müssen sich gefallen lassen,
dass man einen hohen Maßstab an sie legt.
Dass man ihre Worte an ihrem Handeln misst
und an ihrer Lebensführung.
Wir können solchen Leuten gegenüber sehr kritisch sein.
Und manchmal mit unserer Kritik auch sehr verletzend.

Und dann wiederum gibt es Menschen,
denen vertraut man blind,
da lässt man alle Maßstäbe fallen,
da entschuldigt man jeden Fehler,
nimmt alles hin.
Bei einem Menschen, den man liebt, ist das so.
Aber auch bei einem Idol, das man anhimmelt.
Immer wieder gab und gibt es Führer, Gurus,
charismatische Politiker, Stars oder Persönlichkeiten,
die eine blinde Anerkennung genießen.

III
Auch beim Glauben geht es im Anerkennung.
Glaube ist Anerkennung - die Anerkennung Gottes und seiner Macht:
Anerkennung, dass Gott einer ist,
der mir im Zweifel sagt, wo's langgeht.
Glaube ist Anerkennung.
Er ist auch die Suche nach Anerkennung durch Gott.
Das Streben danach, dass Gott mich und mein Leben anerkennt.

Es gibt eine sehr erschütternde Szene
im „Hauptmann von Köpenick“ von Carl Zuckmayer,
da streitet der frisch aus dem Zuchthaus entlassene Schuster Voigt,
der spätere „Hauptmann von Köpenick“,
mit seinem Schwager über die Anerkennung,
die man seinem Schwager - wie ihm - versagt,
- seinem Schwager, weil man ihn nicht befördert,
obwohl er es verdient hätte,
und ihm, weil er als ehemaliger Zuchthäusler
keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis
und damit keine neue Chance bekommt.

Da stellt Voigt sich vor, wie er eines Tages vor Gott,
seinem Schöpfer, steht, und der fragt ihn dann:

„Willem Voigt, wat haste jemacht mit dein Leben?
Und da muss ick sagen - Fußmatte, muss ick sagen.
Die hab ick jeflochten im Jefängnis,
und denn sind se alle druff rumjetrampelt, muss ick sagen.
Und zum Schluss haste jeröchelt und jewürcht
um det bisschen Luft, und denn war's aus.
Det sagste vor Gott, Mensch.
Aber der sagt zu dir: Jeh wech! sagt er! Ausweisung! sagt er!
Dafür hab ick dir det Leben nich jeschenkt, sagt er!
Det biste mir schuldig. Wo is et? Wat haste mit jemacht?! 
Und denn is et wieder nischt mit de Aufenthaltserlaubnis.“

Manche Menschen befürchten, dass Gott so ist,
wie Schuster Voigt ihn sich ausmalt:
Dass er eines Tages unser Leben von uns einfordern wird.
Uns fragen wird, was wir daraus gemacht haben.
Oder dass er, wie Jesus, sagen wird:
„Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist.
Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt.
Ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt.
Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet.
Ich bin krank und gefangen gewesen,
und ihr habt mich nicht besucht“ (Matthäus 25,42-43).

Im Predigttext zeichnet Jesus ein ähnliches Bild:
„Glaubt nicht, dass ich euch beim Vater verklage.
Es gibt einen, der euch verklagt, Mose,
auf den ihr eure Hoffnung setzt.“

Mose tritt als Ankläger auf, wie es Abraham im Evangelium tat.
Und wie es dort hieß:
„Sie haben Mose und die Profeten. Auf die sollen sie hören“ (Lukas 16,29),
so wird auch hier auf Mose verwiesen,
der gesagt hat, was gut ist und was Gott von uns fordert.

Was Gott von uns will, liegt offen zutage.
Man muss allerdings danach fragen.
Ob Gott unser Leben anerkennt,
das liegt daran, ob wir Anerkennung durch Gott suchen.
Und das wiederum beginnt mit der Frage nach dem,
was Gott für uns will.

Für manche Menschen ist das offenbar keine Frage.
Ihnen ist nicht so wichtig, dass Gott ihr Leben anerkennt.
Ihnen geht es vielmehr darum,
dass sie von anderen anerkannt werden.
Sie fragen danach, was andere Menschen über sie denken,
nicht, was Gott über sie denkt.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eigestehen:
Uns geht es genauso.

IV
Die Zeit der Pubertät ist die Zeit der Frage nach der Anerkennung.
Die Autorität, das Wissen, das Rechthaben von Eltern und Lehrern werden hinterfragt.
Und gleichzeitg wird danach gesucht und gefragt,
wen man anerkennen kann.
Mit der Kleidung, der Haarfarbe, dem Verhalten provoziert man,
verletzt Grenzen, grenzt sich gegen die Erwachsenen ab.
Und gleichzeitig sucht man nach Anerkennung durch Freundinnen und Freunde,
durch die Clique,
und ist bereit, sich dafür Zwängen, Verhaltensregeln, einer Uniform zu unterwerfen.

Irgendwann hat man diese schwierige Zeit überstanden - und dann?
Hat man dann Anerkennung gefunden?
Hat man sein Selbst gefunden,
weiß man, wer man ist und was man will?

Die Suche nach Anerkennung,
die Sorge, was andere wohl von mir denken,
hört mit der Pubertät nicht auf.
Im Gegenteil.
Manche empfinden den Druck,
sich rechtfertigen zu müssen,
es allen recht machen zu müssen,
stärker als je zuvor.
Die pingelige Beobachtung durch die Nachbarn;
die erbarmungslose Schärfe des Tratsches;
die ehernen Gesetze des Standes und der gesellschaftlichen Klasse
sind gnadenloser, beängstigender,
als es das Jüngste Gericht je sein könnte.

Und gleichzeitig ist nichts süßer, als anerkannt und gelobt zu werden
- sogar von denen, die keine Ahnung haben;
die gar nicht beurteilen können, was man geleistet hat.
Nichts ist schöner, als sein Gesicht in der Zeitung zu sehen,
jemand zu sein, den man auf der Straße grüßt,
vor dem man den Hut zieht, Respekt hat
- und vielleicht sogar ein bisschen Angst.
Dagegen ist Gottes Liebe,
das leuchtende Antlitz Gottes,
wenn er auf uns und unser Leben sieht,
bloß ein alter Hut.

V
„Wie könnt ihr glauben, wenn ihr Anerkennung von einander annehmt,
aber die Anerkennung durch den einzigen Gott nicht sucht?“

Ja, wie können wir glauben,
wenn uns die Anerkennung anderer so viel mehr bedeutet
als die Anerkennung durch Gott?

Gar nicht.
Wir können nicht glauben.
Wir sind so heillos verloren
in unserer Sehnsucht nach Anerkennung durch andere,
dass wir niemals zum Glauben finden können.
Wir sind verloren.
Uns droht, was auch Schuster Voigt drohte:
Das Urteil:
„Ausweisung!
Dafür hab ick dir det Leben nich jeschenkt!“

Gott sei Dank müssen wir den Glauben nicht aus uns selbst hervorbringen.
Er ist uns geschenkt.
In der Taufe ist der Glauben wie ein Samenkorn in unser Herz gelegt worden,
weil wir damals, in der Taufe, Christus angezogen haben.
Wir haben ihn angenommen,
und er hat uns angenommen.
Gott hat uns in der Taufe als seine rechtmäßigen Kinder anerkannt.
Und diese Anerkennung Gottes hört nicht auf.
Sie hat kein Ende,
und sie ist hat nichts damit zu tun,
wer wir sind, was wir aus uns und unserem Leben machen,
ob wir Fußmatten knüpfen im Gefängnis
oder den Nobelpreis gewinnen.

Gottes Antlitz leuchtet über uns,
ob wir in Mathe eine 5 auf dem Zeugnis bekommen,
ob unsere Freunde uns für einen Langweiler halten,
oder ob wir im Beruf einen Reinfall nach dem nächsten erleben.
Gottes Antlitz leuchtet,
wie nur das Angesicht der Liebsten über dem des Liebsten leuchtet.
Gottes Antzlitz leuchtet,
weil er uns über alles liebt.

Gott liebt uns. Gott erkennt uns an.
Das stärkt uns den Rücken,
wenn unsere Mitmenschen uns die Anerkennung versagen.
Wenn wir es mal wieder keinem recht machen konnten.
Wenn uns niemand versteht
- oder wir uns unverstanden fühlen.

Eines Tages werden wir entdecken,
wie sehr Gott uns liebt.
Dann wird das Samenkorn des Glaubens,
das in unser Herz gelegt wurde
und dort heimlich, still und leise aufgegangen
und herangewachsen ist
- dann wird das Samenkorn des Glaubens
eine Blüte tragen.

Amen.