Freitag, 13. Oktober 2017

Ein Kamel sein

Predigt zum Kirmesgottesdienst in Wiegleben am 13.10.2017, über Markus 10,17-25

Liebe Kirmesgemeinde,

würden Sie sich als „reich“ bezeichnen?
Ich denke, keiner von uns würde sagen, dass er reich ist
- jedenfalls nicht öffentlich, und nicht laut.
Die Reichen, das sind immer die anderen.

Wann ist man überhaupt reich?
Wenn man mehr Geld hat, als man zum Leben braucht?
Wenn man mehr besitzt, als man ausgeben kann?
Oder wenn man so viel hat,
dass man es im Leben nicht ausgeben kann?
Aber selbst wenn man 65 Millionen besitzt,
wie Boris Becker sie besaß
(mehr Geld, als man beim besten Willen
und mit größter Mühe je ausgeben kann)
ist es möglich, pleite zu gehen.

Es gibt auch Menschen, die haben 65 Millionen auf einem Konto,
sind aber offiziell arm wie eine Kirchenmaus.
Das sind dann wohl die wirklich Reichen.

Die Reichen, soviel kann man wohl sagen,
die Reichen sind immer die anderen.

Von den Reichen sagt Jesus das schreckliche Wort,
dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht,
als dass ein Reicher in den Himmel kommt.

Der Dichter Christian Morgenstern hat sich diesen Vorgang ausgemalt:

Zu einem seltsamen Versuch
erstand ich mir ein Nadelbuch. 
Und zu dem Buch ein altes zwar,
doch äußerst kühnes Dromedar. 
Ein Reicher auch daneben stand,
zween Säcke Gold in jeder Hand. 
Der Reiche ging alsdann herfür
und klopfte an die Himmelstür. 
Drauf Petrus sprach: Geschrieben steht,
dass ein Kamel weit eher geht 
durchs Nadelöhr, als du, du Heid,
durch diese Türe groß und breit! 
Ich, glaubend fest an Gottes Wort
ermunterte das Tier sofort, 
ihm zeigend hinterm Nadelöhr
ein Zuckerhörnchen als Douceur. 
Und in der Tat! Das Vieh ging durch,
obzwar sich quetschend wie ein Lurch. 
Der Reiche aber sah ganz stier
und sagte nichts als: Wehe mir!

Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr,
als dass ein Reicher in den Himmel kommt.
Viele empfinden dieses Wort von Jesus als schrecklich,
ja, geradezu unerträglich.
Jesus war doch wohl nicht etwa Kommunist!?

Ich frage mich, warum dieses Wort eine solche Herausforderung darstellt,
wenn doch die Reichen immer die anderen sind
und die meisten von uns sagen würden,
dass sie nicht reich sind?

Vielleicht kommt das Zusammenzucken,
das Erschrecken angesichts des Wortes,
dass eher ein Kamel durchs Nadelöhr geht,
als dass ein Reicher in den Himmel kommt,
daher, dass wir insgeheim den Verdacht haben,
dass wir doch ziemlich reich sind.

Wir würden das zwar nie zugeben.
In unserem Land gehört Jammern zum guten Ton.
Aber wenn wir ehrlich sind,
ist der Grund zum Jammern oft nur der Neid.
Der Neid auf andere, denen es scheinbar besser geht als uns.
Der Neid auf die, die scheinbar nichts tun müssen,
und trotzdem angeblich das Geld vorn und hinten hineingestopft bekommen.
Der Neid auf die, die nicht so schwer arbeiten wie wir,
und trotzdem angeblich viel mehr verdienen.

Wenn wir uns mal nicht mit anderen vergleichen,
sondern auf das schauen, was wir sind und haben,
gibt es für die meisten von uns keinen Grund zum Klagen.
Schon gar nicht heute, bei der Kirmes.
Wir lassen es uns gut gehen,
und wir können es uns gut gehen lassen.
Heute sowieso, aber auch sonst.

Das Erschrecken über das Wort vom Kamel und dem Nadelöhr
könnte auch noch einen anderen Grund haben:
Vielleicht erschrecken wir auch deshalb,
weil wir im Grunde unseres Herzens fühlen,
dass wir gar nicht so anders sind als der reiche Jüngling,
auch wenn wir uns selbst nicht für reich halten.
Auch wir halten sehr fest an dem, was wir besitzen.
Und unser Neid auf andere zeigt,
dass uns dieser Besitz sehr wichtig ist:
Das Auto oder das Motorrad.
Das Smartphone.
Das Haus oder die Wohnung.

Das ist mal wieder typisch Kirche!
Wenn man jammert, dass es einem schlecht geht,
zeigt sie auf die, denen es noch schlechter geht als einem selbst
und dass man eigentlich gar keinen Grund zum Jammern hat.
Und wenn es einem gut geht,
macht sie einem ein schlechtes Gewissen,
dass man sich an die falschen Dinge hängt:
Geld, Besitz, Anerkennung.
Muss Kirche einem immer ein schlechtes Gewissen,
muss sie einem alles madig machen,
sogar die Kirmes?

Der christliche Glaube ist eigentlich eine ziemlich fröhliche Angelegenheit.
Jesus hat gern gefeiert.
Er wurde deshalb von seinen Gegnern als „Fresser und Weinsäufer“ beschimpft.
Das heißt doch wohl, dass er nichts gegen Ausgelassenheit und Feste gehabt hat, ganz im Gegenteil.
Aber Jesus war auch Realist.
Er hat sich und anderen nichts vorgemacht.
Er wusste, was mit ihm geschehen würde.
Er wusste, dass die, die ihn als „Fresser und Weinsäufer“ denunzierten,
ihn früher oder später ans Messer liefern würden.

Zum Realismus, den Jesus lebte und lehrte,
gehört auch, zu fragen, was trägt im Leben.
Was nach der Feier kommt.

Nach der Feier kommt der Kater,
kommen das Aufräumen und der Alltag.
Nach der Feier kommt die Frage,
wie sich dieses Gefühl durchtragen lässt in den Alltag:
Diese Gemeinschaft in der Kirmesgesellschaft.
Die Fröhlichkeit, Unbeschwertheit und Ausgelassenheit.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Ob man das nur einmal im Jahr haben kann, zur Kirmes.
Oder ob das etwas ist, das das Fundament des Lebens bildet.

Jesus möchte, dass wir uns nicht nur einen Moment,
nicht nur einmal im Jahr freuen können,
sondern dass wir aus dieser Freude leben.
Dazu gehört es, der Realität ins Auge zu sehen.
Das haben wir getan, als wir auf dem Friedhof waren.

Und dazu gehört, dass wir uns klar darüber werden,
worauf es ankommt im Leben, was wirklich wichtig ist.
Wirklich wichtig ist nicht, was ich verdiene,
wie oft ich in Urlaub fahren kann,
ob ich mir den neuesten Fernseher,
das neue iPhone oder ein großes Auto leisten kann.
Wichtig ist, dass ich Freundinnen und Freunde habe.
Dass es eine Gemeinschaft im Dorf gibt,
die trägt und auf die man sich verlassen kann.
Damit es eine solche Gemeinschaft gibt,
muss man selbst verlässlich sein.

An diesem Wochenende pfeifen wir auf alle Kamele:
Sie können uns mal den Buckel runterrutschen.
Aber nächste Woche denken wir daran,
dass Kamele ziemlich schlaue Tiere sind,
die lange Durststrecken überstehen
und vielleicht sogar durch ein Nadelöhr passen,
wenn man sie mit einem Zuckerhörnchen lockt.

Durch dieses Nadelöhr müssen wir auch durch:
Es ist die Überwindung,
vom eigenen Sofa aufzustehen und zu anderen zu gehen.
Es ist der Mut,
nicht das nachzuplappern, was alle sagen,
nicht das zu machen, was alle tun,
auch, wenn man dafür als „Kamel“ beschimpft wird.
Es ist die Kunst,
auf das zu vertrauen, was wirklich trägt:
Der Glaube an das Gute im Menschen.
Die Liebe zu allen Geschöpfen.
Die Hoffnung darauf, dass diese Welt ein Paradies sein könnte,
wenn wir nur wollten.

Mit Gottes Hilfe ist das Nadelöhr nicht so winzig,
wie es uns erscheint.
Gott lässt uns hindurchflutschen wie das Kamel,
und lässt uns die andere Seite sehen.
Da werden wir Augen machen!
Amen.