Dienstag, 9. Januar 2018

„daneben“ gepredigt

Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias, 14.1.2018, über 1.Korinther 2,1-10:

Als ich zu euch kam, liebe Geschwister,
kam ich nicht, um euch das Geheimnis Gottes 
mit überlegener Beredsamkeit oder Weisheit zu verkündigen.
Denn ich bildete mir nicht ein, bei euch etwas zu wissen
außer Jesus Christus, und den als Gekreuzigten.
Ich war bei euch in Schwäche, Furcht und Zittern.
Und mein Reden und Predigen geschah nicht mit überzeugenden Worten,
sondern durch den Beweis des Geistes und der Kraft,
damit euer Glaube sich nicht menschlicher Weisheit,
sondern Gottes Kraft verdanke.

Für die Vollkommenen ist es Weisheit, was wir sagen.
Nicht die Weisheit dieser Welt,
noch der Herren dieser Welt, die abtreten.
Sondern wir reden von Gottes Weisheit im verborgenen Geheimnis.
Gott hat es vor aller Zeit zu unserer Verherrlichung bestimmt.
Keiner der Herren dieser Welt erkannte es.
Denn hätten sie es erkannt, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
Aber es geschah, wie die Schrift sagt:
     „Was kein Auge je sah und kein Ohr je hörte
     und niemandem je in den Sinn kam,
     das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben.“ (Jesaja 64,3)
Uns aber hat Gott es durch den Geist offenbart.
Denn der Geist erforscht alles, sogar die Tiefen der Gottheit.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

die Worte des Paulus klingen wie ein Rückblick.
Wie der Rückblick eines Pfarrers auf seine Tätigkeit in der Gemeinde,
speziell auf seine Predigten.

Auf eigenartige Weise passt dieser Text zu den heutigen Situation:
Hier steht ein Pfarrer, der im Begriff ist, zu gehen.
Unwillkürlich blickt man in einem solchen Moment zurück:
Was ist gewesen, was hat man getan, was hat man erreicht?

Aber wie um solch notgedrungen wehmütigem Rückblick einen Riegel vorzuschieben,
spricht Paulus nicht von sich, sondern vom Geheimnis.
Es geht auch beim Rückblick auf seine Tätigkeit in Korinth nicht um ihn.
Es geht nicht um mich, was ich getan und geleistet,
was ich versäumt, wo ich versagt habe.
Immer und zu jeder Zeit geht es nur um das Geheimnis Gottes.

I. Dieses Geheimnis hat nur insofern etwas mit Paulus zu tun,
als er davon gesprochen, es gepredigt hat.
Aber hier kommt schon die nächste Einschränkung:
Von einem Geheimnis kann man nicht sprechen.
Sonst wäre es ja kein Geheimnis.
Es liegt in der Natur eines Geheimnisses,
dass man nicht davon reden kann.
Weder durch überlegene Beredsamkeit noch durch überlegene Weisheit
lässt sich das Geheimnis erklären.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat am Ende, sozusagen als Resumeé,
eines grundlegenden Buches den Satz geschrieben:
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (Tractatus, Satz 7)
Bedeutet das, dass die wirklich wichtigen Dinge unaussprechbar sind?
Aber was man nicht sagen, nicht aussprechen kann,
das kann auch nicht zu Erfahrung werden,
das kann man nicht wissen
und auch nicht verstehen.
Wir brauchen Worte, um zu begreifen, was geschehen ist – auch beim Glauben.

Andererseits gibt es Momente, da ist jedes Wort zuviel.
Mir fällt eine Filmszene ein, wo er ihr seine Liebe gestehen will.
Aber sie legt ihm den Finger auf die Lippen,
und dann küssen sie sich.
Ein Kuss sagt mehr als tausend Worte.
Aber mit einem Kuss kann man nicht alles sagen, nur: Ich liebe dich.

Doch dieses Beispiel zeigt auch, dass da, wo unsere Worte enden,
unsere Möglichkeiten noch nicht am Ende sind.
Wovon man nicht sprechen kann, das kann man vielleicht tun.
Irgendwann endet das Nachdenken des Philosophen.
Dann steht er auf, streckt sich und kocht sich einen Kaffee,
gießt die Blumen oder geht eine Runde mit dem Hund.
Irgendwann endet jede Predigt.
Dann wird wieder etwas getan – gesungen, gebetet oder nach Hause gegangen.

II. Wenn man gesprochen hat, muss man etwas tun.
Denn die Worte dessen, der predigt, werden an seinen Taten gemessen.
Nicht umsonst gibt es das Sprichwort von den Pfarrern,
die Wasser predigen und Wein saufen.
Das, was man anderen predigt, 
muss mit dem Leben des Predigenden in Zusammenhang stehen.
Man kann nicht von anderen verlangen,
was man selbst nicht zu tun bereit ist.

Paulus legt da die Latte ganz besonders tief.
Er war nicht nur kein beeindruckender Redner,
sondern auch noch schwach, ängstlich und nervös.
Nicht gerade ein Pfarrer, zu dem man aufblicken, den man bewundern kann.
Gerade bei den Pfarrerinnen und Pfarrern zeigen sich Schwächen besonders deutlich.
Kein Wunder – sie stehen wenigstens einmal in der Woche vor der Gemeinde,
ihren kritischen Blicken und Ohren ausgesetzt.
Und auch sonst verfolgt man aufmerksam und kritisch,
was die Pfarrerin, der Pfarrer tut oder nicht tut.
Und da, wo es möglich ist, stimmt die Gemeinde „mit den Füßen ab“:
Man geht eben lieber zu einer Pfarrerin, die gut predigt,
die etwas zu sagen hat, freundlich und sympathisch ist.
So wird der Gottesdienst zu einer Veranstaltung,
einer Veranstaltung der Pfarrerin oder des Pfarrers,
statt Sache der ganzen Gemeinde zu sein.
Dann ist es auf einmal nicht entscheidend, 
dass zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind.
Man schaut plötzlich auf die Zahlen und vergleicht:
Wie viele waren es voriges Jahr, wie viele sind es dieses Jahr?
Wie viele sind es bei der, wie viele bei dem?
Wie viele kommen an Weihnachten, wie viele am 19. nach Trinitatis?

Paulus aber ist klein, macht sich klein, damit ein anderer groß werden kann: Gott.
Denn Glaube kommt nicht durch Überlegung oder Überzeugung zustande.
Und wenn der Glaube an den Worten oder der Person einer Pfarrerin oder eines Pfarrers hinge,
wäre es schlimm und ihn bestellt, sobald dieser Pfarrerin oder dieser Pfarrer -
was unweigerlich geschehen muss – jemanden enttäuscht.

III. Glaube verdankt sich nicht menschlicher Weisheit oder Predigtkunst,
sondern Gottes Kraft.
Aber wie geht das?
Wie kommt es dazu, dass ein Geheimnis, über das man nicht sprechen kann,
einem plötzlich einleuchtet, er-leuchtet und ergreift?

Eben das kann man nicht „machen“.
Es widerfährt einem als einzigartiges und einmaliges Ereignis.
Es ist ein Wunder oder, wie Paulus sagt,
ein „Beweis des Geistes und der Kraft“ Gottes.

Wenn wir uns an den Filmkuss erinnern,
lässt sich vielleicht eine Ähnlichkeit herstellen 
zwischen dem Kuss und dem Wunder des Glaubens.
Ein solcher Kuss „passiert“.
In Wirklichkeit ist er nicht geplant und inszeniert wie der Filmkuss,
sondern er ist ganz plötzlich da:
Der Moment, wo zwei sich einen Kuss schenken möchten,
weil er allein sagen kann, was jetzt zu sagen ist.

Wie für einen Kuss, so sind auch für den Glauben zwei nötig:
Gott und die, die glaubt.
Wann und wo die zwei sich begegnen, kann man nicht wissen.
Er ist ganz plötzlich da, der Moment,
in dem der Glaube eine ergreift und dann nicht mehr loslässt,
auch durch Ungewissheit und Zweifel hindurch nicht loslässt.

Es ist der Moment, in dem einer das Geheimnis einleuchtet.
Denn das Geheimnis ist ja gar kein Geheimnis.
Es liegt offen zutage:
„Wir verkünden Jesus Christus,
und den als Gekreuzigten“.
Weil es der Gekreuzigte ist, ist es ein offenes Geheimnis:
Jeder kann es sehen, aber niemand sieht hin.
Weil es einfach zu blöd ist, an so jemanden zu glauben.
Weil Vernunft und jegliche Überlegung lehren,
dass Schwäche keine Stärke ist
und ein Opfer – selbst das Opfer Jesu am Kreuz – niemandem nützt.
Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt oder kommt an den Herd,
wird jedenfalls niemals etwas erreichen.

Auf der anderen Seite kann es ja nicht sein,
dass der bloße Glaube an Jesus genügt.
Es können doch nicht alle gerettet werden,
jedenfalls nicht alle Verbrecher und Ungläubigen und die, die man nicht leiden kann.
Glaube kann doch nicht so kinderleicht,
Gnade kann doch nicht so billig sein!
Etwas kosten muss es schon, Christin oder Christ zu sein.
Wenn schon keine Kirchensteuer,
dann wenigstens Zeit und Engagement,
wunde Knie vom Beten, wunde Füße vom Pilgern.

IV. Das Geheimnis Gottes bleibt für die meisten Geheimnis,
weil es so offensichtlich allem widerspricht,
was man denkt, für gut und vernünftig hält.
Es bleibt auch darum für die meisten Geheimnis,
weil es von Leuten verkündigt wird,
die selten vorbildlich und überzeugend,
dafür so oft so enttäuschend menschlich sind:
Von Pfarrerinnen und Pfarrern.
Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich allsonntäglich mühen
mit ihrer Predigt und ihrem Gottesdienst,
und die Sonntag für Sonntag damit scheitern,
weil man über das Geheimnis Gottes dummerweise nicht sprechen kann.
Und die gerade in ihrem Scheitern und ihrem menschlich- allzu-menschlich-Sein
dem Geheimnis die Möglichkeit geben, sich zu enthüllen.

Douglas Adams, der Autor einer sechsbändigen Science-Ficiton-Trilogie,
hat das Fliegen einmal beschrieben als „daneben-Fallen“:
Wenn man zu tolpatschig zum Fallen ist und, sozusagen, beim Fallen stolpert,
hebt man plötzlich ab und – fliegt.
Dieses absurde Bild soll zeigen,
dass Wunder nicht machbar, aber möglich sind.
Voraussetzungen sind, dass etwas Unwahrscheinliches eintritt
und dass man mit seinen Gedanken gerade woanders ist.

So ereignet sich auch der Glaube nicht wegen,
sondern trotz derer, die ihn verkündigen.
Er ist, um im Bild zu bleiben, das Ergebnis des daneben-Verkündigens,
oder, auf Seiten der Gemeinde, des daneben-Hörens:
Mit einem Mal ergeben die Worte einen Sinn,
man hebt ab und – fliegt.

V. Paulus blickt zurück.
Dieser Rückblick ist zugleich ein Ausblick.
Denn Paulus spricht nicht davon, was er alles geleistet hat
und was den Korinthern nun, wo er nicht mehr bei ihnen ist, fehlt.
Sondern er erklärt ihnen,
wie der Glaube funktioniert
und dass er ohne Paulus funktioniert.
Er erklärt ihnen, dass sie in Glaubensdingen Vollkommene sind,
die verstanden haben, was Paulus ihnen sagen wollte,
und es nun selbst weitersagen können.

Hier ist nicht ein Glaubensexperte und soundsoviele Dummies,
denen man das mit dem Glauben erst erklären muss.
Sondern wir sind alle Vollkommene in unserer Unvollkommenheit und Unfähigkeit,
weil unsere Unvollkommenheit und Unfähigkeit die Voraussetzung dafür ist,
dass Gottes Kraft in uns mächtig werden kann.
Gottes Kraft zeigt sich uns als Gottes Geist,
durch den Gott uns sein Geheimnis offenbart:
Jesus Christus, und der als Gekreuzigter.

Amen.