Montag, 31. Oktober 2011

Predigt taun Reformationsdaag op Platt

Predigt an Reformationsfest, 31. Oktober 2011 Klock Sembe in de Klosterkerke Riddagshusen över Matthäus 10,26b-33:
Jesus seggt to sien Jüngers: Nist is verstecket, wat nich an’t Lichte kümmt. Un nist is sau heimlich, dat et nich bekannt wart. Wat ick jück segge in’t Dustern, dat schallt ji in’t Lichte vertelln. Un wat ji in’t Ohr seggt wart, dat schüllt ji von’t Daake raupen. Ji bruket nich bang to sien för den, die den Liew dootmaken künn, man de Seele künn se nist dauhn. Ji schullt jück awwer dulle vorseihn för den, de Seel un Liew to schann maken künn in de Höll. Kunnt ein nich twei Sparlinge um ein Groschen köpen? Man kein fällt op de Eerd, ohn dat ji Vadder dat wett odder will. Man jüch Haare op’n Koppe sinn alle geteelt. Darum bruket ji nich bange to sien: ji siet veel mehr wert as de Sparlinge! Jeden nu, de mick kennt för de Lüe, de will ick ock kennen vor mien Vadder in Himmel. Man jeden, de mick nich kennt för de Lüe, de will ick ock nich kennen vor mien Vadder in Himmel.


Leiwe Gemeinde,
geiht ji dat ok mannigmal sau, dat ji wat verget?
Wenn ein öller wart, denn is dat ganz normal, dat sick ein nich op alles besinnen kann. De Saken von fräuer, de fallt ein all wedder in, man, wat gestern ween is, dat is all wedder wech.
Sau geiht dat nich blots de öllere Lüe. Ick kann mick ock all nich mehr op alles besinnen. Sunders op Saken, de ick nich gern dau odder keen Lust dartau hebbe. De möt ick mick opschriewen.
Man, wat wi all licht vergeten, ob wi junge Lüe sind odder öldere, dat is: Dat Lewen is kein Zuckerschlecken.

Ach, denket se, dat is nist niet. Dat kennt wi all. Man, kennt wi dat wirklich? Wi wett, dat ein mannigmol krank ward, dat nich jeden
Daag schön is, un dat ein Dag dat Lewen to end geiht. Man den groten Rest von use Tied mögt wie nist weten von Krankheit un Sorgen und Doot. Wi meent, dat use Lewen ein gute Lewen sien möt, dat dat gar nich anners sien kann. Frieden, un genuch tau äten, Geld op’n Konto, un een Daak over usen Kopp, un gesund sien - dat mot alles so sien. Da hebbet wi en Recht oppe. Dafor hebbet wi gearbeitet un betaalt, dat wi gemütlich in use Stube sitten künnt.

So is dat ock: Wi sünt Stubenhockers worn. Fräuer weer dat’n Schimpwort ween, “Stubenhocker”. Man, hüte, wenn wi vonne Arbeit na Huuse koomt, odder wenn wi use Rente hebbt, denn sitt wi inne Stube. Denn willt wi för üsch sien, un use Ruhe hebben. Dat is dat Schönste. Un wiel alle Lüe so gern inne Stube sittet, gifft dat ok nich mehr veel, de sick um anneres, odder um annere, kümmern wullt: De Parteien find’ kein mehr, de da mitmaken willt, de Vereine ock nich - vun’ Schützenverein to’n Gesangverein. De Friewillige Füerwehr findt’ kein Friewillige mehr, un ock in de Kerke gaht de Minsche nich. De Lüe klaget, dat nist mehr los is in’t Dörpe, dat se de Füerwehr los wart, wenn se nich nauch Friewillige findt’, un dat keen mehr in de Kerke kümmt - man sülms rutgahn, sülms wat dauhn, dat willt se ock nich.

De Reformation, de wi hüte fiert, hett ‘n beten mit Schuld dar an. De Reformation mit ehr’ Entdeckung, dat de Minsch nüst to siehn Heil dauhn kann. Et kümmt alles von Gott - de Minsch mot alleen glöben. Wat hei süs deiht odder nich deiht, dat is nich so wichtig. Hei schall nist Unrechts dauhn; man ok denne mach he Gott bitten, dat hei jüm vergewen deiht. De Reformation hett den Unterschied maakt twischen den Globen as mien eigen, private Angelegenheit, un de Welt, die dormit nist tau dauhn hett. Dorum is dat för mien Globen ok egal, wat ick dauh odder nich dauh.
Man för Jesus is dat nich egal. Jesus will von sien Jüngers, dat se wat dauhn. Hei will, dat se em kennen vor de Lüe, un dat se bekennen schalln, wat em sülms seggt weer. Sei schallt sick in’t Lichte stellen, dat sei seihn wart, un von de Dääkers raupen, dat de Lüe sei hörn künnt. Sei schallt sick nich in de Stube versteeken, sünders na buten gahn, wo jeder seihn kunn, wat ein Christenminsche deiht. So hebbt dat de eersten Christen oke maket. Sei sünn opstaan för eern Globen un sei hett eer Muul nich holen, als dat um eer Lewen ging. Sei hebbt sick för eern Globen dootslaan laten. Sei sünn Bekenner woorn, “Märtyrer”, seggt man dartau, von dat Greek’sche Wort för “bekennen”.

Ok Martin Luther hett sick tau sien Globen bekannt. Hei is opstaan gegen de Fürsten, gegen den Kaiser un ok gegen den Papst. “Hier steih ick, ick kann nich anners, Gott helpe mick. Amen”, hett he seggt.

Bet in use Dage hett dat sonne Minschen gewen. Wi hebbt de dunklen Johr twischen dreiundrittig und fiefenfürzig nich vergeten, wo ein Minsche nich seggen künn, wat he denket, un wo Mitminschen dootslaan weern, blots wiel se den jödschen Globen hett. Da weern ok’n paar Lüe ween, de eer Muul nich holen künnt. Dietrich Bonhoeffer weer so ein ween. De bliew nich in de Stube sitten, de ging rut und wullt wat dauhn un hett sien Globen bekannt. Daför hebbet se em oppehänget.

Möt wi nu all för usen Globen dat sülms dauhn, möt wi uns all dootslan laten? Wi lewet inne annere Tied, da ward keiner mehr so liecht dootslan för sien Globen, för sien Hautfarw odder sien politische Ansichten. Darum künnt wi nu all usen Globen bekennen un möt nich Angst hebben, dat wi dadurch Schaden hebbt. Man wi sün trotzdem bange - bange, dat de Lüe över uns lacht, wenn wi över usen Globen redet. Dat beholt wi lieber för üsch. De Globe, dat is en persönliche, private Angelegenheit, da möt keen annere Minsch wat von weten.

Man de Globe is nich blots wat för dat Gefühl, de is nich blots en innere Angelegenheit. Jesus seggt: “Wat ick jück segge in’t Dustern, dat schallt ji in’t Lichte vertelln. Un wat ji in’t Ohr seggt wart, dat schüllt ji von’t Daake raupen.” De Globe mot sick wiesen, de Lüe
mot wat hörn un seihn von Globen. Nich blos mit vertelln un raupen, ok mit dat, wat wi dauht. “Wat ji ein von düsse mine mindste Brüder un Schwestern dauhn hebbt, dat hebbt ji mi dauhn!” (Matthäus 25,40), seggt Jesus. De Globe is nist, wenn hei nist mit use Lewen to dauhn het. Un dat meent: De Globe sitt nich bloß in use Harten, hei will ok mit use Hännen emaket wern. Wi möt nich all Pastöre weern, wi möt ock nich op’t Daak stiegen un dor runder bölken. Jeder, seggt Martin Luther, schall da wat dauhn, wo ein dat Lewen hinnestellt hett. Jeder schall dat dauhn, wat hei odder sei künnt.

Mannigmal möt wi runder von’ Sofa un ruut ut use warme Stube, weil de annere Minsche üsch bruket, weil hei odder sei use Hülpe bruket. De Welt ward nich besser, wenn wi in use Stube bliwet. Man, sei mot besser warn. So veel is nich gut, so veele Minsche geiht dat schlecht. Un ok wenn üsch dat hüte gut geiht - morgen kann dat all anners warn. In een amerikanischen Speelfilm, “Forrest Gump”, seggt de Hauptdarsteller: “Life is a box of chocolates: You never know, what you’re getting.” Op düütsch: Dat Lewen is en Pralinenschachtel: Ji künnt nich wetten, wat ji krieget.

Ick wett nich, ob dat Lewen blots Pralinen för üsch hett. Mannigmal sin da bestimmt ok’n paar fule twischen. De mot man ok sluuken. Dat Lewen is mannigmal seut wie Schokolade, un mannigmal gifft et ok veel uttauholen. Wenn wi meint, et schall immer seut sien, denn komt wie nich runter von’ Sofa. Denn so schön wie op’n Canepee is et buten nich, un annere Minschen to hülpen is ok nich sau liecht. Et is unbequem, sick intausetten för annere, tau’n Verein tau gahn odder sündags morgens inne Kerke. Man, wenn wi nich geiht, geiht bald kein mehr, un denn gifft’ dat bald alles nich mehr.

Un da is noch wat anners: Wenn wi annere helpt, denn wett wi ok, wat wi dauhn möt, wenn wi sülms watt utholen möt. Un wi lernt, dat man dat överstaan kann. Dat man Hülpe find’t von sien Mitminschen, Hülpe in sien Globen, Hülpe von Gott.

Wenn wi rutgaht ut use Stube un dauht, wat wi künnt, denn dauht wi dat, wat Jesus von üsch will. Denn alles wat wi för use Mitminschen dauht is wie en Predigt von’t Daake: De Minsche künnt doran seihn, wat Globen is, nämlich: Datt Gott üsch leiw hett.

Dat wull ock Martin Luther de Minschen wiesen, und Johannes Bugenhagen, datt Gott üsch leiw hett. Darüm hett sei de Reformation maket. Un sau maket wi hüte noch Reformation, wenn wi in dit Spor bliebet. Amen.

Un Gott sin Frieden, de weit över dat ruutgeiht, wat ein Minsche sick utdenken kann, schall ji Harten un Gedanken bewahren durch dat, dat ji Christus Jesus tauhört.


Bei dieser Predigt hat mir mein Vater, Friedhelm Schmidt, geholfen. Ich danke ihm sehr dafür.

Sonntag, 30. Oktober 2011

Predigt zur Goldenen und Diamantenen Konfirmation

Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis, 30.10.2011 (Goldene und Diamantene Konfirmation) über Epheser 4,22-32:

Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen, und gebt nicht Raum dem Teufel. Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören. Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem anderen, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.


Liebe Goldendene und Diamantene Konfirmanden,
liebe Gemeinde,

50 oder 60 Jahre ist es her, dass Sie so in der Kirche saßen, viel nervöser und aufgeregter als heute. Damals stand Pastor Fröse vor Ihnen. Was er Ihnen wohl damals gepredigt hat?
Man kann in solchen Situationen nicht so gut zuhören wegen der Aufregung, in der man sich befindet, wegen all der Gedanken, die einem durch den Kopf gehen und wegen all der Leute, die einen beobachten. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand nach 50 oder 60 Jahren noch etwas von seiner Konfirmationspredigt weiß. Aber zwei Dinge haben Sie mitbekommen damals, trotz aller Nervosität, ein handfestes und ein flüchtiges Ding, und beide wurden Ihnen per Hand gegeben: Die Konfirmationsurkunde mit Ihrem Konfirmationsspruch, und der Segen bei der Einsegnung.

Gestern beim Kaffeetrinken kam kurz die Frage auf, wer seinen Konfirmationsspruch noch weiß. Nach so langer Zeit sollte man nicht erwarten, dass jemand seinen Konfirmationsspruch noch kennt - so viele andere Bibelworte sind inzwischen dazu gekommen: Der Trauspruch, Taufsprüche für die Kinder, deren Konfirmations- und Trausprüche, und die Taufsprüche der Enkelkinder. Man hat an vielen Trauerfeiern teilnehmen müssen; auch da stand ein Bibelwort über dem Abschied.

Wozu braucht man eigentlich einen Konfirmationsspruch?
Früher wurde er oft nicht von den Konfirmanden ausgesucht, sondern vom Pastor, der damit den Konfirmanden etwas "für's Leben" mitgeben wollte.
Auch auch ein Konfirmand, der sich einen Bibelspruch aussucht, denkt dabei wohl an ein Motto für das, was vor ihr oder ihm liegt: Woran soll, woran will ich mich halten, wenn ich jetzt aufbreche in das aufregende Abenteuer Leben, von dem ich erst so wenig kenne, und das ich nun mehr und mehr allein bestehen muss?

Sie, die Goldenen und Diamantenen Konfirmanden, blicken heute auf einen großen Teil des Lebens zurück: auf Schule, Ausbildung oder Studium, und Beruf. Auf's Kennenlernen und die Hochzeit, auf Glück und Leid in der Beziehung, auf Kinder und Enkelkinder, auf Abschiede und Neuanfänge, auf den Tod der Eltern, aber auch von Freunden, Verwandten, Bekannten. Sie haben das Leben kennengelernt in seiner ganzen Schönheit und in seinem ganzen Leid. Ihnen braucht heute kein Pastor mehr etwas zu erzählen vom Leben, Sie brauchen keine Ratschläge und keine Ermahnungen mehr. - Und trotzdem kam gestern die Frage auf, ob es wohl heute noch mal einen Konfirmationsspruch gibt.

Um gar nicht erst Hoffnungen aufkommen zu lassen - oder Befürchtungen: Es gibt keinen neuen Konfirmationsspruch. Der alte - und die Bibelworte, die sich auf Ihrem Lebensweg angesammelt haben - reichen für ein ganzes Leben. Aber trotzdem gibt es auch heute ein Bibelwort für Sie: den Predigttext aus dem Epheserbrief, den wir gerade gehört haben.

Ich weiß nicht, ob Sie, liebe Goldene und Diamantene Konfirmanden, oder Sie, liebe Gemeinde, viel mitbekommen haben, als Georg Renz den Predigttext vorgelesen hat. Das liegt nicht an Georg Renz' Fähigkeiten - die sind über jeden Zweifel erhaben -, sondern am Predigttext selbst. Man versteht ihn nicht beim ersten Hören oder Lesen, und auch beim Zweiten und Dritten nicht. Da folgt eine Mahnung auf die andere, es ist wie eine Sammlung von Konfirmationssprüchen, die man aneinandergereiht hat. Man hört darüber weg, man hört nicht richtig zu, weil es keinen roten Faden, keinen Zusammenhang gibt.

Ich will Ihnen jetzt nicht erklären, was es mit diesem Bibeltext auf sich hat.
Ich möchte vielmehr zwei Sätze aus ihm herausgreifen, zwei Sätze, die Konfirmationssprüche für die Goldene und Diamantene Konfirmation, die aber auch bedenkenswerte Worte für jede und jeden von uns sein könnten. Der erste lautet:
Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel. Erneuert euch in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Den alten Menschen ablegen, wie man abends seine Kleidung ablegt, wenn man zu Bett geht, und den neuen anziehen, so, wie man morgens frische Wäsche anzieht - das kann man sich richtig gut vorstellen, und es ist ein verlockendes Bild. Wenn das doch so ginge, dass man einfach ablegen kann, was einen oder andere an einem selbst stört, was einem selbst oder anderen zu schaffen macht, und ein neuer, ein anderer Mensch wird!

Aber will man das eigentlich wirklich, ein anderer, ein neuer Mensch werden? Jedes graue Haar, jede Falte im Gesicht, jede Narbe ist schwer erkämpft und erzählt eine Geschichte - die Geschichte einer überstandenen Krankheit, eines Verlustes, den man erlitten hat und mit dem man zu leben lernte. Erzählt die Geschichte glücklicher Tage, von Blödsinn, den man machte, von Festen und Feiern, von dem, was man geschafft und geschaffen hat im Leben. Das gehört zu einem, das will man nicht ablegen und aufgeben.

Und das ist auch nicht verlangt. Es geht nicht darum, seine Erfahrungen, seine Lebensgeschichte wegzuwerfen. Sondern es geht darum, offen zu bleiben für neues Denken und neues Empfinden. Nicht jeder hat noch Lust oder ist noch fähig dazu, sich auf all die technischen Neuerungen einzulassen, die unseren Alltag heute prägen, auf iPad und iPhone, auf Facebook und Twitter und was es da alles gibt.
Aber jeder lebt in Beziehungen zu anderen Menschen, zu Kindern und Enkelkindern, zu Nachbarn und Freunden. Wir alle leben in einer Gemeinde zusammen - der politischen wie der Kirchengemeinde -, wir alle leben in einer Gesellschaft. Damit das Zusammenleben glückt, muss man bereit sein, sich auf neues Denken einzulassen, im Kleinen wie im Großen. Statt "das haben wir immer schon so gemacht" überlegen, ob es nicht auch anders geht. Statt "komm du erst mal in mein Alter!" zuhören, was die Jüngeren zu sagen haben.
Um des Zusammenlebens und um des Zusammenbleibens willen müssen wir manchmal Altes ablegen - manchmal auch lieb gewordene Gewohnheiten, Einsichten und Ansichten, und uns an Neues gewöhnen.

Jetzt möchte ich mit Ihnen noch den zweiten Satz ansehen:
Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann.
Sie fragen sich vielleicht, warum ich gerade auf diesen Satz komme. Es hat doch niemand von Ihnen, niemand von uns etwas gestohlen - höchstens die Äpfel vom Lehrer. Die wanderten aus dem Keller der neuen Schule, indem mit einer langen Stange, an der vorn ein Nagel oder eine Gabel befestigt war, einer nach dem anderen aufgespießt und herausgezogen wurde. Auch ein Karpfen wurde mal aus dem Kreuzteich gestohlen und schwamm für ein paar Tage in der Regentonne. Aber weil ihn keiner schlachten mochte, wanderte er zurück in den Teich. Und natürlich war der Gutshof mit seinen Äpfeln und Birnen ein beliebtes Ausflugsziel, und der Acker, auf dem die Erbsen wuchsen, die so süß schmecken, wenn man sie frisch aus den Schoten pahlt ...

Ich finde den Satz nicht deshalb bemerkenswert, weil es darin ums Stehlen geht, sondern deshalb, weil er ganze anders lautet, als wir erwarten würden. Es heißt nicht: Wer gestohlen hat, ist ein Schweinehund und muss bestraft werden! Wer gestohlen hat, soll sich schämen. Sondern es heißt nur ganz einfach: Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr. Es wird nicht mit dem moralischen Zeigefinger gefuchtelt, sondern schlicht darum gebeten, etwas Falsches nicht mehr zu tun - ohne, dass der, der das Falsche getan hat, deshalb verurteilt wird.
Die Voraussetzung dafür, den alten Menschen abzulegen und den neuen anzuziehen, ist, dass das, was früher war, nicht mehr zählt. Die Fehler, die man früher machte, sagen nichts über den Menschen aus, der ich heute bin. Sie sollen nicht das belasten, was ich heute tue.

Das würde man gern ablegen: Die Irrtümer und Fehler, die Peinlichkeiten, die Streitereien und Kränkungen, durch die man sich mit Freunden oder Angehörigen überworfen hat. Das wäre man gerne los, was früher einmal war, was einem aber heute immer noch und immer mal wieder aufs Butterbrot geschmiert wird.

Bei Gott ist das abgelegt. Gott interessiert sich nicht dafür, wer wir früher mal waren, was wir früher mal getan oder nicht getan haben. Gott interessiert sich dafür, was wir heute tun. Er befreit uns von unserer Vergangenheit, damit wir heute das tun können, was getan werden muss. Damit wir heute nicht dieselben Fehler begehen müssen, die wir gestern gemacht haben.

Und weil Gott das für uns tut, sollen wir auch neu werden. Und das heißt zu lernen, dass wir uns selbst nicht immer die alten Fehler und Versäumnisse vorrechnen und vorhalten, sondern uns abwenden vom Alten und nach vorn schauen, uns auf das Neue einlassen und uns darauf freuen.
Neu werden heißt, sich selbst nicht kritisch, sondern mit liebevollen Augen anzusehen, heißt zu lernen, sich selbst zu mögen.

Und das heißt schließlich auch, dass wir unsere Mitmenschen so ansehen lernen, wie Gott uns ansieht. Ihnen nicht die Fehler und Versäumnisse von früher vorhalten, sondern ihnen die Chance geben, es anders zu machen. Nicht schon zu wissen, was der andere gleich sagen wird, sondern hören, was er oder sie wirklich sagt. Es bedeutet, hinzunehmen, dass Gott jede und jeden so liebt wie uns, auch wenn wir mit diesem Menschen nichts mehr zu tun haben wollen.

Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel. Erneuert euch in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Das ist das Bibelwort, der Konfirmationsspruch, den ich Ihnen heute mitgeben möchte. Im "Mitgeben" schwingt die Gabe mit, das Geschenk. Damals, bei Ihrer Konfirmation, bekamen Sie etwas geschenkt. Auch wenn es nicht so viel gab wie heute, die Geschenke sind, da mache ich mir nichts vor, das Wichtigste an der Konfirmation.

Ich habe am Anfang davon gesprochen, dass Sie damals, bei Ihrer Konfirmation, zwei Dinge mitbekommen haben, Ihren Konfirmationsspruch - und den Segen. Der Segen ist das größte Geschenk, das wir einander geben können. Denn er bedeutet, dass Gott mit dem Menschen einverstanden ist, den er segnet, er bedeutet unbedingtes Wohlwollen und unbedingte Solidarität. Wenn wir einem Menschen Gottes Segen zusprechen - das kann jede und jeder, der getauft ist -, dann heißt das: Wir stehen hinter ihm, wir sind einverstanden mit ihm und wir wollen ihm nur Gutes. Das wäre doch ein Anfang, ein erster Schritt zum Neuwerden, wenn wir den Segen Gottes nicht nur für uns behalten würden, sondern ihn an andere weitergeben. Das muss nicht so geschehen, wie es der Pastor am Ende des Gottesdienstes macht. Es kann auch dadurch geschehen, dass man dem anderen, der anderen die Hand auf die Schulter legt und sie dabei ansieht - durch jede Geste des Wohlwollens, der Freundschaft, der Solidarität.

Heute wird Ihnen noch einmal der Segen Gottes zugesprochen: Gottes Liebe und Freundlichkeit. Sein Wohlwollen, und dass er zu Ihnen steht und hinter Ihnen steht, komme, was wolle. Gottes Segen begleitet Sie und uns auf unseren Wegen. Er gibt Ihnen und uns die Kraft, den alten Menschen abzulegen, wenn wir das möchten, und es mit uns und miteinander neu zu versuchen.
Amen.