Samstag, 26. Januar 2013

Erwartungen


Predigt am Sonntag Septuagesimae, 27. Januar 2013, über Matthäus 9,9-13:

Als Jesus von dort wegging, sah er jemanden im Zollamt sitzen,
Matthäus mit Namen, und sprach ihn an: folge mir!
Der stand auf und folgte ihm.

Und als er im Haus zu Tische lag, sieh,
da kamen viele Zöllner und Sünder
und legten sich zu Tisch mit ihm und seinen Jüngern.
Als die Pharisäer das sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern:
Warum isst euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern?

Der aber hörte das und sprach:
Nicht die Gesunden brauchen den Arzt,
sondern die, denen es schlecht geht.
Geht aber und lernt, was das bedeutet:
"Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer" (Hosea 6,6).
Denn ich bin nicht gekommen, die Gerechten einzuladen,
sondern die Sünder.
(Eigene Übersetzung)


Liebe Schwestern und Brüder,

wir sehen uns ständig Erwartungen ausgesetzt;
man könnte vielleicht sogar überspitzt sagen:
das Leben besteht aus erfüllten und enttäuschten Erwartungen.
Mit der frühesten Kindheit beginnt es:
Da schauen Eltern ängstlich,
ob ihr Kind sich entwickelt, wie man es von ihm erwartet:
ob die Zähnchen im richtigen Monat kommen,
ob es zur selben Zeit krabbelt, läuft und zu sprechen beginnt wie alle anderen.
Man macht sich Sorgen, wenn das Kind später dran ist -
während es eigenartigerweise gar nicht zu früh sein kann,
dass ein Kind Lesen, Schreiben, Rechnen, Englisch und Latein lernt;
am besten soll damit schon im Kindergarten begonnen werden.

Während ein Kind heranwächst, die Welt und das Leben entdeckt und kennen lernt,
wird es mit Erwartungen konfrontiert, wie es zu sein und sich zu verhalten hat.
Später richten sich die Erwartungen auf seine schulischen Leistungen,
seine Mitarbeit und sein Sozialverhalten.
Anschließend muss es möglichst schnell und möglichst gut
Ausbildung oder Studium abschließen,
damit es auf eigenen Füßen stehen, Geld verdienen kann.

Aber wer meint, mit dem Erwachsensein würden die Erwartungen aufhören, sieht sich getäuscht:
Selbstverständlich erwartet der Arbeitgeber Einiges von seinem Angestellten -
oft mehr, als man billigerweise fordern oder leisten kann.
Auch die Eltern erwarten noch Einiges,
der Freundeskreis, und irgendwann auch Partner oder Partnerin.
Und während man unter diesen ganzen Erwartungen ächzt und stöhnt,
wird einem bewusst, dass man selbst eine ganze Menge erwartet
- vom Job, vom Leben, von den Mitmenschen, vom Partner oder der Partnerin, von den Kindern.

I
Wir erwarten Einiges, und wir werden mit Erwartungen konfrontiert.
Viele dieser Erwartungen kleiden sich in das Gewand einer angeblichen Selbstverständlichkeit:
"Man" macht das so.
So war es früher selbstverständlich, dass die Frau zuhause blieb
und die Heimkehr ihres Mannes freudig erwartete;
dass sie ihm eine warme Mahlzeit bereitet
und dass sie Haus und Kinder gut im Griff hatte,
sodass Vater sich darum nicht zu kümmern brauchte,
sondern seinen wohlverdienten Feierabend genießen konnte.
Frauen, die diesen Erwartungen nicht mehr entsprechen wollten,
wurden schief angesehen oder sogar offen kritisiert;
man zeigte mit dem Finger auf sie und bemitleidete ihren Ehemann.
Wir können uns heute nicht mehr vorstellen, dass es mal so war,
dabei ist das noch gar nicht lange her.

Wir werden täglich mit Erwartungen konfrontiert,
und genauso regelmäßig enttäuschen wir sie.
Wir erwarten viel von unseren Mitmenschen
und werden oft enttäuscht.
Oft liegt das einfach daran, dass man nicht zwei Dinge zugleich tun,
an zwei Orten zugleich sein kann,
oder dass die Erwartung des anderen
und mein Bedürfnis sich widersprechen:
mein Kind will mit mir spielen
- ich möchte mich auf's Sofa legen und mich ausruhen.
Ich möchte von meiner Arbeit erzählen
- meine Partnerin ist müde von ihrer.

II
Wie geht man mit Erwartungen um?
Zwei Möglichkeiten gibt es.

Die eine Möglichkeit schildert die Geschichte vom Mann, seinem Sohn und dem Esel:
"Ein Vater geht mit seinem Sohn auf einen Viehmarkt, um dort einen Esel zu kaufen. Nachdem sie nach langer Suche einen Esel gekauft haben, machen sie sich auf den Weg nach Hause. Zunächst gehen sowohl der Vater als auch sein Sohn zu Fuß neben dem Esel her, bis sie ein entgegenkommender Wanderer auslacht und fragt: „Ihr habt einen Esel, aber warum reitet keiner auf ihm?“ Nach kurzer Überlegung setzt sich nun der Sohn auf den Esel, und so setzen sie ihren Heimweg fort, bis ihnen der nächste Wanderer entgegenkommt und zu dem Sohn sagt: „Junger Mann, du solltest dich schämen. Du hast junge Beine und reitest auf dem Esel, während dein Vater laufen muss!“ So setzt sich nun der Vater auf den Esel, und der Sohn geht zu Fuß. Nun treffen sie einen weiteren Wanderer, der zu dem Vater sagt: „Du solltest dich schämen, du mit deinen starken Beinen reitest auf dem Esel, während der zarte Junge zu Fuß gehen muss!“ – Also setzen sich beide auf den Esel, und setzen so den Heimweg fort, bis ihnen abermals ein Wanderer entgegenkommt, der sie beschimpft: „Ihr solltet euch schämen! Ihr beide sitzt faul auf dem Esel, und das arme Tier muss die ganze Strecke die schwere Last von euer beider Gewicht tragen!“ Daraufhin entschließen sich Vater und Sohn, den Esel an eine Stange zu binden, und tragen nun den Esel bis nach Hause. Als sie dort ziemlich spät und völlig erschöpft ankommen, sagt die Frau: „Ihr seid vielleicht zwei Dummköpfe! Warum lasst ihr den Esel nicht selber zu seinem neuen Stall laufen?“
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Polylemma)

Man kann versuchen, alle Erwartungen zu erfüllen.
Auf diese Weise muss man nur selten jemanden enttäuschen,
alle sind zufrieden und haben einen gern.
Viele versuchen, so zu leben,
und in ihrem Bemühen, es allen recht zu machen,
geht es ihnen wie dem Hodscha und seinem Sohn:
am Ende stehen sie als Dummköpfe da.

Das andere Extrem bezeichnet ein Ausspruch
des Psychologen Fritz Perls:
"Ich bin ich und du bist du.
Ich bin nicht dafür da, deine Erwartungen zu erfüllen,
und du bist nicht dafür da, meine Erwartungen zu erfüllen."
(Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Gestalt_prayer)

Diese Sätze wurden von vielen Menschen als befreiend empfunden:
Es ist in Ordnung, sagte Fritz Perls,
wenn man Erwartungen nicht erfüllt,
und wenn man an andere Menschen keine Erwartungen stellt.
Wer sich als Außenseiter der Gesellschaft fühlte
oder sich aus Protest gegen die an ihn gestellten Erwartungen
an den Rand der Gesellschaft begab,
wie die Hippies in den 60er oder die Punker in den 80er Jahren,
der sah sich von diesen Sätzen bestätigt.

Aber wer von anderen nichts mehr erwartet
und nicht bereit ist, Erwartungen anderer zumindest gelten zu lassen,
der verliert den Kontakt zu seinen Mitmenschen,
der kann nicht in Beziehungen zu anderen Menschen leben.
In jeder Beziehung stehen sich zwei Menschen
mit Erwartungen aneinander gegenüber,
und nur, wenn nicht alle Erwartungen enttäuscht werden,
bleibt die Beziehung bestehen.

III
Wie sieht der Mittelweg aus,
der mir auf der einen Seite die Freiheit lässt,
zu leben und zu sein, wie ich will,
ohne von den Erwartungen anderer völlig eingeengt zu werden,
und der mich auf der anderen Seite fähig zu Beziehungen macht,
indem ich spüre, was andere von mir erwarten,
und diese Erwartungen so gut ich kann erfülle?

Auf den ersten Blick sieht es so aus,
als ob Jesus eher zu den Aussteigern zu zählen ist,
die alle an sie gestellten Erwartungen boykottieren:
ein Hippie, oder ein Punker:
Jesus verhält sich keineswegs so,
wie man es von einem Menschen erwarten kann,
der fromm sein und die Gebote erfüllen will,
wie die Pharisäer es tun.
Allein schon die Gesellschaft mit Menschen,
die einen Gläubigen verunreinigen können,
so dass er nicht mehr am Gottesdienst teilnehmen darf,
müsste Jesus meiden.
Hinzu kommt aber noch, dass es sich um moralisch
höchst zweifelhafte Gestalten handelt:
Jesus isst gemeinsam mit Prostituierten;
mit Sündern - Menschen,
die aus gutem Grund wegen eines gravierenden Fehlverhaltens
aus der Gemeinde ausgeschlossen worden waren,
und mit Kollaborateuren - den Zöllnern,
die mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeiteten
und davon profitierten.

Und es sieht so aus,
als ob auch die Menschen, mit denen Jesus da zusammen ist,
zu denen gehören, die sich weigern,
die in sie gesetzten Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen.
Es sind die Hippies und Punker ihrer Zeit,
die Ausgestoßenen, die aber auch nicht dazu gehören wollen
und die vielleicht sogar stolz darauf sind, anders zu sein
als die gutbürgerliche Gesellschaft um sie herum.

IV
Jesus, so scheint es, grenzt sich selbst aus der Gesellschaft aus,
indem er sich mit diesem Gesindel zusammentut.
Er stößt die frommen Pharisäer absichtlich vor den Kopf,
indem er tut, was man als gläubiger Mensch niemals tun darf.

Gleichzeitig begründet Jesus eine neue Gemeinschaft.
Er sitzt mit denen an einem Tisch,
die aus der Gesellschaft und aus der Gemeinde ausgeschlossen sind.
Er lässt sie spüren, dass sie dazugehören
und dass er möchte, dass sie dazugehören sollen.
Und das verändert sie.
Denn Beziehung, das haben wir vorhin festgestellt,
gibt es nicht, ohne dass man von anderen etwas erwartet
und nicht, ohne dass man Erwartungen erfüllt.
Wie schnell diese Veränderung geht,
zeigt das Beispiel des Zöllners Matthäus:
Jesus, der Rabbi, spricht den Zöllner an,
für den keiner der Gläubigen ein gutes Wort hatte,
und sofort lässt er seinen Schlagbaum hinter sich und folgt Jesus.
Er gibt seinen Beruf, seinen Lebensunterhalt,
ja sein ganzes bisheriges Leben auf,
weil ihm jemand seine Freundschaft angeboten hat,
weil jemand mit ihm Gemeinschaft haben will.

V
Wir können es nicht allen recht machen.
Wir können nicht jede Erwartung erfüllen.
Abgesehen davon, dass es schon an sich unmöglich ist,
geben wir uns bei dem Versuch selbst auf;
wir gehen kaputt daran.

Wir sind aber selbst nicht ohne Erwartungen an andere,
und wenn wir mit anderen zusammenleben wollen,
müssen wir auf ihre Erwartungen eingehen
und die wichtigsten von ihnen erfüllen, wenn es uns möglich ist.

Was uns dabei leiten kann, ist das Bibelwort,
das Jesus den Pharisäern mit auf den Weg gibt:
Geht aber und lernt, was das bedeutet: 
Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.

Die Liebe ist die Richtschnur und der Mittelweg.
Aus Liebe entsteht Barmherzigkeit,
die fünf gerade sein lässt und auch den Sünder annimmt.
Die nicht fragt, ob der andere es verdient,
sondern was der andere braucht.
Die in jedem Menschen den Mensch zu entdecken versucht,
auch im Gegner, auch im Feind,
auch in dem, der mich verletzt, mir weh getan hat.

Die mich aber auch lehrt,
mich selbst zu lieben und mit mir selbst barmherzig zu sein.
Mir zu vergeben, wenn ich nicht alle Erwartungen erfüllte,
und den Mut zu finden, anders zu sein,
anders zu handeln, als man es von mir erwartet.

In der Balance der Liebe zum Nächsten wie zu sich selbst,
der Barmherzigkeit mit anderen wie mit sich selbst
liegt der rechte Umgang mit den Erwartungen.
Es ist ein lebenslanges Lernen, das man da vor sich hat.
Jesus aber, der die Sünder angenommen hat,
der nimmt auch uns an.
Auch dann, wenn wir noch nicht ganz perfekt sind.
Immer wieder sagt er uns freundlich vor:
Geht aber und lernt, was das bedeutet: 
Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.
Amen.

Ein spanischer Prinz

Traueransprache über Römer 1,16:

Ich schäme mich des Evangeliums nicht;
denn es ist eine Kraft Gottes,
die selig macht alle, die daran glauben.


Diego Velasquez, Las Meninas

Liebe Angehörige,
liebe Trauergemeinde,


als N. noch ein Kleinkind war, da war er ein unglaublich hübsches Kind. In einem Bild, an das Sie sich erinnern, sieht er aus wie ein spanischer Prinz.
Ein spanischer Prinz - aus diesem Bild spricht Ihre Liebe zu Ihrem Sohn und Ihr Stolz auf ihn. Aus diesem Bild sprechen auch all die Hoffnungen, die sie für dieses kleine Menschenkind hatten, und all ihre Pläne. (Obwohl sie noch nicht wissen, welche Gaben und Begabungen ihr Kind hat und entwickeln wird, machen Eltern sich Vorstellungen davon und Hoffnungen, was aus ihrem Kind einmal werden soll. Oft wünscht man sich, das Kind solle einmal genauso viel - oder womöglich sogar mehr - können und erreichen wie man selbst).

Ein spanischer Prinz ist aber auch ein Mensch aus einer anderen, einer uns vielleicht fremden Welt. So fremd, wie die Gemälde des spanischen Malers Diego Velasquez aus dem 17. Jahrhundert auf uns Heutige wirken. Auf einem seiner berühmtesten Portraits der königlichen Familie, Las Meninas genannt, steht nicht ein spanischer Prinz im Mittelpunkt, wohl aber eine Prinzessin. Im Hintergrund, an der Wand, kann man in einem Spiegel verschwommen die Eltern erkennen, die ihr Kind anschauen.
(So sind Kinder in gewisser Weise Spiegel der Hoffnungen und Träume ihrer Eltern. Sie enttäuschen ihre Eltern oft, wenn sie eigene Persönlichkeiten werden und eigene Pläne schmieden, die manchmal gar nicht zu den Plänen und Träumen der Eltern zu passen scheinen. Je älter Kinder werden, je mehr sie ihre eigenen Besonderheiten und Stärken erkennen und entwickeln, desto fremder werden sie den Eltern auch).

Auf dem Bild des Diego Velasquez ist neben der Prinzessin noch ein weiterer besonderer - und zugleich fremder - Mensch zu sehen: Es ist ein behindertes Mädchen, eine Zwergin, die zwar nicht im Mittelpunkt steht, aber genauso ernst wie die Prinzessin den Betrachter anblickt - und Blicke auf sich zieht, mehr noch als die Hauptperson.

Als N. in die Schule kam, wurde seine Behinderung deutlich erkennbar. Sie hatten viele Untersuchungen angestrengt, um herauszufinden, was die Ursache dafür war. Als es dann fest stand, dass N. sich nicht in gleicher Weise entwickeln würde wie seine Altersgenossen, war das ein schwerer Schlag für Sie. Und es tat Ihnen weh, dass anderen Menschen an Ihrem Sohn, Ihrem spanischen Prinzen, nur das Fremde aufzufallen schien. Sie fühlten die Blicke, hörten, was geredet wurde und erlebten, wie seine Mitschüler sich ihm gegenüber verhielten.
Und auch N. merkte, dass er das Lerntempo der anderen nicht mithalten konnte. Auch er bemerkte die Blicke, ihn verletzten die Worte und das Verhalten seiner Mitschüler.
Dass er ein besonderes Kind war, durfte er nicht als Stärke erleben, sondern musste es als Mangel erleiden, weil er nicht dasselbe leistete wie alle anderen.
Nur zuhause erlebte er es anders. (...)

Zuhause war es anders. Und auch bei den Pfadfindern, bei denen er Mitglied wurde. Hier erlebte er - zumindest als Ideal und Anspruch - ein anderes Menschenbild: eines, das sich nicht an der Norm orientierte, sondern das Besondere in jedem Menschen zu sehen bemüht war. Und eine Gemeinschaft, die sich nicht auf Herkunft und Leistung, sondern auf gegenseitigen Respekt und gegenseitige Hilfe gründen wollte.

Diese andere Seite seines Lebens und Erlebens drückt auch N.s Konfirmationsspruch aus, der als Bibelwort über dieser Trauerfeier steht:
Ich schäme mich des Evangeliums nicht;
denn es ist eine Kraft Gottes,
die selig macht alle, die daran glauben.
Ich schäme mich nicht - aus diesen Worten spricht ein Selbst­bewusstsein, das sich nicht um die Normen der Gesellschaft kümmert. Was Paulus verkündigte, das Evangelium von der Kraft Gottes, die in den vermeintlich Schwachen mächtig ist, erntete bei den Gebildeten seiner Zeit Kopfschütteln und Stirnrunzeln, während seine Glaubensbrüder entsetzt über seine Lehre waren.
Dabei ist das das wahrhaft Befreiende am Evangelium: Nicht auf eigene Leistung und Stärke zu vertrauen, sondern alles von Gott zu erwarten. Und so die Schwäche als eigentliche Stärke zu entdecken, weil sie ermöglicht, dass Gott mir helfen und nah sein kann.

Ich schäme mich nicht - um das sagen zu können, muss man seiner selbst sehr sicher sein. Gerade besonderen Menschen fällt das schwer. Denn weil sie besonders sind, ziehen sie die Blicke ihrer Mitmenschen auf sich. Weil sie besonders sind, erfüllen sie andere als die gängigen Normen, sind sie in den Augen der anderen die "Schwachen". Weil sie besonders sind, klaffen eigene Wünsche und Vorstellungen und die Wirklichkeit - das, was möglich und machbar ist - manchmal weit auseinander.

N. ist es wohl schwer gefallen, so wie Paulus "ich schäme mich nicht" zu sagen. Er hat wohl darunter gelitten, dass er seine Vorstellungen vom Leben mit dem Leben, wie es war, nur selten zusammen­bringen konnte.
Sie haben es mit ansehen und mit erleben müssen, Sie haben sich Sorgen gemacht, haben versucht, ihn zu unterstützen, und Sie haben ihm auch Grenzen gesetzt. Und ihn ermutigt, seinen Lebensweg zu finden, indem Sie ihm Vieles ermöglichten: (...)
N. konnte seinen eigenen Weg durchs Leben nicht mehr finden und gehen. Ohne jedes Anzeichen einer Krankheit ist er zuhause gestorben - auf dem Sofa sitzend. Er hat seinen Tod offenbar selbst nicht geahnt.
So blieb ihm auch keine Möglichkeit mehr, in seinen, in Ihren und in unseren Augen der spanische Prinz zu werden, der er als kleines Kind einmal war. Und das leider macht uns Menschen alle gleich: Dass wir das Bild, das andere von uns haben - und das Bild, das wir selbst von uns haben -, oft nicht mehr korrigieren können.

Gott sieht - zum Glück! - mit anderen Augen auf uns: Mit den Augen einer liebenden und stolzen Mutter oder eines Vaters sieht er auf uns, und so sah er zeitlebens N. als den spanischen Prinzen, der er war. Und das erinnert an die Worte eines anderen kleinen Prinzen: Dass man nur mit dem Herzen gut sieht, weil das Wesentliche für die Augen unsichtbar ist.

"Ich schäme mich nicht", sagt Paulus. Nein, für die Schwestern und Brüder Jesu gibt es keinen Grund, sich zu schämen, denn "er schämt sich auch nicht, sie Schwestern und Brüder zu nennen", wie es im Hebräerbrief heißt (Hebräer 2,11).
Gott hat N.s Leben angenommen so, wie es war: mit allen Schwächen - und mit allen Stärken, wie seiner Gabe, zu erzählen. Mit allen Irrtümern und Verletzungen und Fehlern - und mit allem, was schön war, allen goldenen und glücklichen Stunden. Das "Ja", das Gott bei seiner Taufe zu N. sagte, galt immer, sein Leben lang, und gilt bis heute.

Und so lebt N. jetzt bei Gott: In einem Leben, das das verwirklicht, was als Gabe in ihm war. Einem Leben, das alle Wunden heilt - die seelischen, die ihm zugefügt wurden, und auch die, die er anderen zugefügt hat.

Weil Gott ihm ewiges Leben schenkt, wird er auch in Ihnen und unter uns weiterleben. Als der Mensch, der er war und als den wir ihn erinnern. Und als der Mensch, der in ihm war, der aus ihm hervor leuchtete und der er in Gottes Augen ist: ein geliebter, stolzer spanischer Prinz.

Und wie N. es bei seiner Konfirmation vorgesprochen wurde und er es innerlich nachgesprochen hat, so dürfen auch wir es nachsprechen und glauben:
Ich schäme mich des Evangeliums nicht;
denn es ist eine Kraft Gottes,
die selig macht alle, die daran glauben.
Amen.

Untröstlich


Eine Traueransprache über Jesaja 38,17:
Siehe, um Trost war mir sehr bange.
Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,
dass sie nicht verdürbe;
denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.


Liebe Angehörige,
liebe Trauergemeinde,

"I'm moving up to Gloryland" haben wir eben gehört,
"Ich ziehe ein in das Gelobte Land",
so haben Sie es übersetzt.
Der Sänger ist fest davon überzeugt,
dass er in den Himmel kommen und dort Christus begegnen wird.
Er darf mit seinen Händen die Nagelmale berühren
wie der ungläubige Thomas
und so erfahren, dass wahr ist,
was er Zeit seines Lebens glaubte, ohne es zu sehen.
Und er freut sich darauf, die Menschen wiederzusehen,
die er geliebt hat, seine Freunde, seine Familie,
und mit ihnen über die Milchstraße zu flanieren.

Ein schönes, überwältigendes Bild.
Aber ist es nicht ein bisschen zu schön,
ist es nicht ein bisschen kitschig?
Dieses Bild vom Gelobten Land reizt dazu,
nach einem Haar in der Suppe zu suchen,
nach einem Widerspruch.

Ein Zitat des Theologen Karl Barth fällt mir dabei ein:
Er wurde einmal von einer Dame gefragt,
ob sie denn im Himmel all ihre Lieben wiedersehen würde.
"Nicht nur Ihre Lieben", antwortete Karl Barth,
"alle anderen auch!"
(Quelle: Eberhard Busch, Glaubensheiterkeit: Karl Barth, Erfahrungen und Begegnungen, Neukirchener Verlag, 1986, S. 91)

Aber auch Karl Barth war nicht frei von Schwärmerei,
was den Himmel betraf:
Er war fest davon überzeugt,
dass im Himmel nur Mozart gespielt werden würde.
Ich hoffe sehr für Ihren Bruder, Ihren Vater,
dass Karl Barth sich irrte
- oder dass wenigstens ab und zu im Himmel
auch mal etwas Southern Gospel gesungen wird.

I
"Lieber Gott, mach mich fromm,
dass ich in den Himmel komm",
war eines der Kindergebete früherer Zeiten.
Ihr Bruder, Ihr Vater hat es vielleicht auch gelernt;
vielleicht hat er es sogar mit Ihnen gebetet.
Die Sehnsucht nach dem Himmel gehört zum Glauben dazu.
Wir alle träumen davon,
dass Gott abwischen wird alle Tränen,
dass der Tod,
den Christus mit seiner Auferstehung schon überwunden hat,
endgültig besiegt sein wird,
sodass es kein Leid mehr gibt und keinen Schmerz.
Wir alle malen uns aus,
"wie wird's sein, wie wird's sein, 
wenn wir ziehn in Salem ein, 
in die Stadt der goldnen Gassen ...",
wie es in einem alten Lied heißt.

Wir träumen wohl alle davon,
ins Gelobte Land zu kommen.
Für manche erfüllt sich dieser Traum manchmal zu Lebzeiten:
dann, wenn sie einen Ort finden,
an dem sie glücklich sind und sich zuhause fühlen,
an dem es ihnen an nichts fehlt
und an dem es Menschen gibt, die sie akzeptieren und lieben.

(...)

II
(...)

Ihre Eltern trennten sich und ließen sich scheiden.
Diese Scheidung zerriss die Familie.
Ihre Mutter verletzte die Trennung so sehr,
dass sie ihrem Mann nicht mehr begegnen wollte.
Weil er sie in ihren Augen verlassen hatte,
musste er die Gemeinde verlassen.
Er war schuld, und er trug diese Schuld
in den Augen Mancher ein Leben lang.

Heute wissen wir es besser.
Heute wissen wir, dass eine Trennung niemals
die Schuld eines Einzigen ist,
sondern dass beide Partner Anteil daran haben,
auch wenn einer den ersten Schritt macht.
Aber damals war es nicht möglich, so zu denken;
es war nicht möglich, zu verstehen, zu vergeben.

Darf denn jemand, der schuldig geworden ist,
vom Himmel träumen?
Kann jemand, dem Menschen nicht vergeben können,
trotzdem auf Vergebung hoffen?

III
Beim Propheten Jesaja heißt es:
Siehe, um Trost war mir sehr bange.
Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,
dass sie nicht verdürbe;
denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.

Gott wirft unsere Sünden hinter sich,
damit sie nicht zwischen uns und Gott stehen.
Er tut das gratis, sola gratia, aus Gnade.
Nicht, weil wir es verdient hätten.
Nicht, weil wir bekannt, bereut, gesühnt hätten,
es wieder gut gemacht hätten
oder durch unseren vorbildlichen Lebenswandel bewiesen hätten,
dass wir Vergebung verdienen.
Sondern weil er uns liebt
und nicht will, dass unsere Seele verdirbt.

Wer von anderen Menschen als schuldig angesehen wird,
wem Vergebung versagt wird,
wer aus einer Gemeinschaft ausgeschlossen wird,
kann in ein tiefes Loch fallen,
aus dem er möglicherweise nicht mehr heraus findet.
Er sieht dann nur noch Dunkel und Schwärze und Hoffnungslosigkeit,
aber kein Licht am Ende dieses Tunnels,
und verzweifelt am Leben.
Gott aber hat uns unser Leben geschenkt,
damit wir uns daran freuen,
auch, wenn wir andere verletzt und weh getan haben.
Denn wir Menschen sind nun mal so;
wir können nicht anders.

Ihr Vater und Großvater hat das eines Tages für sich entdeckt.
Er hat entdeckt, dass er in den Himmel kommt,
auch wenn er in den Augen mancher Menschen
dafür nicht fromm genug war.
Ihr Vater hat entdeckt, dass Gott ihn schon längst vergeben,
sich schon längst mit ihm versöhnt hatte,
und so konnte auch er sich mit seinem Leben versöhnen
und das Schöne genießen,
das dieses Leben für ihn bereit hielt.

(...)

IV
Ach ja, die Eisenbahn.
Das war auch eine Leidenschaft von N.
Mit einer Dampflokfahrt haben Sie ihm eine riesengroße Freude gemacht.
An diese Fahrt wird er gern zurückgedacht haben,
wenn er das Lied "Glory Train" hörte,
das wir auch gleich hören werden.

In diesem Lied ist davon die Rede,
dass es ein Zug ist, der den Menschen in den Himmel bringt,
der Glory Train, der Wunderbare Zug.
In diesen Zug ist N. nun eingestiegen.
Er hatte eine Fahrkarte:
Das war sein Glaube.
Sein Glaube, dass Gott ihn annimmt, wie er ist, und ihm vergibt,
weil er ihn über alles liebt.
Es ist nicht leicht, diesen Glauben zu bewähren.
Viel leichter ist es, schlecht von sich zu denken,
sich für ungenügend, unzureichend, sündig zu halten.
Aber genau dadurch missachtet man Gottes Liebe.

Gott hat Ihren Bruder, Ihren Vater und Großvater
in seine Arme geschlossen und ihm das Ewige Leben geschenkt
- ein Leben, von dem wir nur träumen können,
von dem wir singen in etwas kitschigen Liedern,
die uns so viel Mut und Hoffnung machen.

Und die uns trösten, wenn wir traurig sind,
weil N. nicht mehr bei uns ist.
Er lebt in einem neuen Leben in Gottes Reich,
und er lebt weiter in Ihren Herzen.
Denn ihm wie uns gilt das Wort des Propheten:
Siehe, um Trost war mir sehr bange.
Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,
dass sie nicht verdürbe;
denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.
Amen.


(Der Name des Verstorbenen und persönliche Anspielungen wurden entfernt; ebenso Abschnitte zur Biografie des Verstorbenen. Die zitierten Stücke stammen vom Southern Gospel-Quartett The Cathedrals. Sie wurden auf Wunsch der Angehörigen vor bzw. nach der Ansprache gespielt; die Texte in englischer Sprache und in deutscher Übersetzung waren auf dem Liedblatt mit abgedruckt)

Sonntag, 20. Januar 2013

Kinder des Lichts


Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 20.1.2013, über Johannes 12,34-36:

Das Volk antwortete Jesus:
Wir haben aus dem Gesetz gehört,
dass der Christus in Ewigkeit bleibt,
wieso sagst du, dass der Menschensohn erhöht werden muss?
Wer ist überhaupt dieser Menschensohn?
Da sprach Jesus zu ihnen:
Noch eine kleine Weile ist das Licht bei euch.
Geht euren Weg, solange es hell ist,
damit euch die Finsternis nicht überfällt.
Wer im Finstern geht, weiß nicht, wohin er geht.
Glaubt an das Licht, solange ihr es habt,
damit ihr Kinder des Lichts werdet.
Das sagte Jesus,
dann ging er weg und verbarg sich vor ihnen.
(Eigene Übersetzung)


Liebe Gemeinde,

„wer ist dieser Menschensohn?“
Wir hören und gebrauchen eigenartige Worte im Gottesdienst.
Worte, die man auf der Straße nicht hört;
Worte, die man im Alltag nicht gebraucht.
Sonntagsworte, Gottesdienstworte, Glaubensworte, wie z.B.:
Kyrie. Christus. Reich Gottes. Sohn Gottes.
Oder eben: Menschensohn.

Wir gebrauchen sie im Gottesdienst
und schaffen damit eine Art Code,
eine Sprache, die nur für Insider, für Eingeweihte verständlich ist.
Ist es überhaupt eine Sprache?
Sind es überhaupt Worte,
wie unsere einfachen Worte, die wir normalerweise benutzen,
Worte wie „Tisch“, „Haus“, „Baum“?
Wissen wir, was wir sagen, wenn wir diese Worte aussprechen?
Sind es magische Worte, eine Art Hokuspokus,
der zum Ritual des Gottesdienstes scheinbar dazugehört?
So zumindest ist das Wort „Hokuspokus“ entstanden:
Aus den lateinisch gesprochenen Einsetzungsworten.
Das Brotwort „Dies ist mein Leib“ lautet auf Latein:
„Hoc est corpus meum“.
Wenn der Priester leise die lateinischen Einsetzungsworte murmelte,
verstand man selbst in der ersten Reihe oft nur „Hokuspokus“.

I
„Wer ist dieser Menschensohn?“
Wenn man das so einfach sagen könnte!
Bei der Prüfung zum 1.Theologischen Examen
pflegte ein Prüfer die Kandidaten damit zu erschrecken,
dass er begann:
„Erklären Sie mal Lieschen Müller in einem Satz, was Auferstehung ist!“
Diese Aufforderung machte einen so verdattert,
dass man zunächst gar nichts herausbrachte, kein einziges Wort.
Weil der christliche Glaube nicht so einfach ist.
Nicht so einfach jedenfalls,
als dass man „Lieschen Müller“ oder jemand anderem
in einem Satz erklären könnte, was Auferstehung ist.
Oder wer überhaupt dieser Menschensohn ist.
Und selbst wenn man es in einem Satz schaffte: es wäre ein Satz,
der weitere Fragen geradezu herausfordern würde.

Offenbar muss man Vieles wissen,
um Worte des christlichen Glaubens zu verstehen.
„Verstehst du auch, was du liest?“,
fragt der Apostel Philippus den Kämmerer aus Äthiopien,
der im Buch des Propheten Jesaja liest.
- „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“,
antwortet der
(Apostelgeschichte 8,30f).

Das Volk, das Jesus fragt, ist gelehrt und angeleitet, und es ist bibelfest:
„Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt“.
So steht es z.B. im Buch des Propheten Ezechiel:
„Mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein“
(Ezechiel 37,25),
oder im 89. Psalm:
„Sein Geschlecht soll ewig bestehen
und sein Thron vor mir wie die Sonne,
wie der Mond, der ewiglich bleibt.“
(Psalm 89,37f)

Das Volk ist bibelfest.
Und es hat sich eine feste Meinung gebildet über den Christus, den Messias:
Der Christus „bleibt in Ewigkeit“.
Er stirbt also nicht,
und schon gar nicht wird er „erhöht“, mit anderen Worten:
Ans Kreuz geschlagen.

II
Offenbar kann zuviel Vorwissen auch schädlich sein.
Das Volk erkennt den Christus nicht, der mit ihnen spricht,
weil sie ihn anders erwarten, als er ihnen gegenübersteht.
Denn in der biblischen Tradition wird versprochen,
dass mit dem Kommen des Messias Gottes Friedensreich anbricht.
Das Volk glaubt, dass der Messias die Welt zum Guten ändern wird.
Jesus aber ist nicht gekommen, die Welt zu ändern,
sondern die Menschen.

Die Bibel erzählt von einer Katastrophe ganz im Anfang der Schöpfung:
Weil der Mensch tut, was nicht gut ist,
vernichtet Gott die Welt, die er geschaffen hat
und fängt mit wenigen Menschen und Tieren
noch einmal ganz von vorne an.
Das ist die Sintflut, nach der Gott Noah ein Versprechen gibt:
"Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte,
Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
(Genesis 8,22)
Nie wieder, schwört Gott, soll die Welt
durch eine Katastrophe "besser" gemacht werden.
In diesen Worten schwingt die Einsicht mit,
dass der Mensch nun einmal so ist, wie er ist,
und dass selbst die Beste aller Welten
den Menschen nicht daran hindern kann,
gemein zu anderen zu sein.

III
Jesus kommt nicht, die Welt zu ändern,
sondern den Menschen.
Darum wird Gottes Sohn selbst Mensch,
er wird zum Menschensohn,
was man auch übersetzen könnte mit: Menschenkind.
Damit wird klar,
dass das nicht eine geheimnisvolle Amtsbezeichnung ist,
sondern schlicht bedeutet:
Jesus ist das Kind einer Mutter, genau wie wir alle auch.
Einer menschlichen Mutter,
keiner übermenschlichen, übernatürlichen, göttlichen.

Gott kommt auf die Welt - damit bricht Gottes Reich an.
Jesus sagt ja auch immer wieder:
"Das Reich Gottes ist mitten unter euch".
(Lukas 17,21)
Wer erwartet, dass nun alle Waffen schweigen,
die Löwen nur noch Stroh fressen
und der Mensch endlich edel ist, hilfreich und gut,
der sieht sich bitter enttäuscht.
Der Welt scheint es völlig gleichgültig zu sein,
dass Gott auf Erden wandelt.
Die Erde dreht sich ungerührt weiter,
die Sonne geht auf und unter, wie sie es jeden Tag tut,
und die Menschen gehen ihren Geschäften nach.
Nichts hat sich geändert.

Und doch ist alles anders.
Gott ist bei den Menschen,
und damit ist alles gut.
Das ist so, wie wenn früher nach längerer Abwesenheit
Mutter oder Vater endlich wieder nach Hause kamen:
dann fühlte man sich wieder sicher und geborgen,
dann konnte nichts mehr passieren, alles war gut.
So ist auch Gott in Jesus Christus
nach langer Abwesenheit endlich wieder nach Haus gekommen.

Jesus benutzt ein anderes Bild, er sagt:
Ich bin das Licht.
Solange ich da bin,
könnt ihr mit Hilfe dieses Lichtes euren Weg sehen.
Ich werde aber eines Tages nicht mehr da sein;
dann müsst ihr euren Weg im Dunkeln selbst finden.
Ohne Licht werdet ihr euch verlaufen.
Darum geht mit mir, solange ihr mich, das Licht, habt,
damit ihr, wenn ich fort bin, euren Weg auch ohne mich findet.

IV
Als Kinder waren wir froh,
wenn Mutter oder Vater endlich wieder zuhause waren,
wenn alle zusammen waren und alles gut war.
Eines Tages aber werden Kinder erwachsen und gehen aus dem Haus.
Und die ersten Tage und Wochen auf eigenen Beinen,
die erste Zeit in der eigenen, leeren Wohnung sind ungewohnt.
Plötztlich ist man ganz auf sich allein gestellt.
Aber man erinnert sich daran, wie es zuhause war.
Man hat etwas Geschirr von zuhause mitgebracht.
Man deckt den Tisch, wie man es von zuhause gewohnt ist,
isst Mutters selbstgemachte Marmelade,
übernimmt eine der zahllosen Angewohnheiten,
die man sich von seinen Eltern abgeschaut hat.
Und dadurch sind sie bei einem,
man ist mit ihnen verbunden, über die Entfernung hinweg.

Jesus geht weg, damit wir, die wir an ihn glauben,
erwachsen werden können.
Jesus will uns nicht in Abhängigkeit von sich halten.
Er möchte, dass wir auf eigenen Füßen stehen,
unsere eigenen Wege gehen können.

Damit wir unseren Weg sehen können,
brauchen wir Licht.
Wenn aber Jesus, das Licht, nicht mehr da ist,
der unser Licht auf dem Weg ist,
woher sollen wir das Licht nehmen?
Jesus sagt: wir müssen Kinder des Lichts werden.
Und weil er das Licht ist, heißt das nichts anderes als:
wir müssen seine Kinder werden.
Wie wir als Kinder von unseren Eltern lernen,
unsere eigenen Wege zu gehen,
so lernen wir es auch von ihm.

V
Wie aber wird man ein Kind des Lichts?
Jesus, das Licht, ist ja nicht mehr da.
Der heutige Predigttext steht im Johannesevangelium
unmittelbar vor den Abschiedsreden Jesu.
Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern,
bevor er seinen Weg ans Kreuz antritt -
das werden wir an den Sonntagen der nächsten Wochen bedenken.
Bei seinem Abschied verspricht er ihnen etwas:
er wird ihnen den Tröster senden, den Heiligen Geist.
Der wird sie an alles erinnern, was er gesagt hat.
Mit unserer Taufe haben auch wir den Heiligen Geist bekommen.
Er ist bei uns und macht uns zu Kindern des Lichtes.
Er spricht zu uns aus jedem Wort der Bibel.
Das ist kein Hokuspokus.
Die Worte der Bibel haben Macht,
uns zu ergreifen und zu verändern,
weil Jesus selbst Gottes Wort ist,
das er vor aller Zeit gesprochen hat
und das immer zu uns spricht.

Es spricht zu uns und sagt uns,
dass wir Gottes Kinder sind,
von Gott angenommen und geliebt.
Von Gott gerecht gesprochen und für gut befunden.
Wenn wir das glauben können,
dann sind wir Kinder des Lichts.
Dann leuchten wir in der Dunkelheit,
so dass nicht nur wir den Weg finden,
sondern viele andere durch uns sehen,
wo sie gehen können.

Wenn wir das doch annehmen und glauben könnten,
dass wir bereits Kinder des Lichtes sind
und keine komplizierten moralischen Verrenkungen,
keine mühevollen Selbskasteiungen
und keine endlosen Arbeiten auf uns nehmen müssen,
um es zu werden!

Amen.

Samstag, 12. Januar 2013

Ein Fingerzeig


Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias, 13.1.2013, über Johannes 1,29-34:

Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.
(Lutherbibel)






Liebe Gemeinde,

woher wissen wir, wer Jesus ist?
Woher wissen wir, dass er der Christus ist,
der Messias, der Sohn Gottes?
Immerhin sah Jesus damals aus 
wie jeder x-beliebige Einwohner Judäas seiner Zeit.
Die wunderbare Schwangerschaft seiner Mutter,
die Geburt in einem Stall,
der Besuch der drei Weisen aus dem Morgenland -
all das hat ihn nicht zu einem Anderen gemacht.
Jesus war äußerlich nicht als Messias zu erkennen.
Würde er heute leben, er sähe nicht anders aus als wir:
ein Typ in Jeans und Turnschuhen,
ein Herr mit Krawatte und Anzug, 
ein Arbeiter im Blaumann - wer weiß?
Es gäbe keinen Hinweis, woran man ihn erkennen könnte,
kein geheimes Zeichen, kein überirdisches Leuchten,
keine langen Haare, Bart und Jesuslatschen,
keine messiasmäßige Erscheinung.


I
Mit anderen Worten:
Jesus war und ist durchaus verwechselbar.
Wir wissen, dass er Gottes Sohn war und ist,
aber wir könnten ihn nicht aus einer Menge herausfinden.
Wir machen uns Bilder von ihm,
aber wenn er uns tatsächlich auf der Straße begegnete,
würden wir ihn nicht erkennen.
Die britische Komikertruppe Monty Python 
hat dieses Dilemma in ihrem Film 
"Das Leben des Brian" auf die Spitze getrieben:
Ein Junge, Brian, wird zur selben Zeit geboren wie Jesus
und ständig mit ihm verwechselt.
Folgerichtig wird auch Brian gekreuzigt,
zusammen mit vielen anderen.
Die Botschaft dieser Szene:
Seid ihr sicher, dass der, an den ihr glaubt,
tatsächlich der Messias ist?

Eine ähnliche Szene,
in der es um Verwechslung oder Austauschbarkeit geht, 
kommt auch bei Harry Potter vor:
Als Harry endlich erfährt, warum der Böse, Lord Voldemort,
ihm nach dem Leben trachtet, 
stellt sich heraus, dass sein Freund und Mitschüler Neville
die selben Bedingungen erfüllt wie er;
auch Neville hätte das Opfer Voldemorts werden können.
Er wurde es aber nicht - warum?
Weil Voldemort Harry wählte,
ohne zu überlegen und ohne zu wissen, warum.
Dadurch wurde Harry zum einzigen Menschen,
der Voldemort besiegen konnte, und nicht sein Mitschüler.

Also noch einmal die Frage:
Woher wissen wir, dass Jesus der lang erwartete Christus, 
dass er der Messias, ist?


II
Auf dem berühmten Isenheimer Altar von Matthias Grünwald
steht Johannes rechts vom Kreuz und zeigt mit dem Finger auf Jesus.
Es ist wie eine Illustration unseres Predigttextes,
nur, dass es hier nicht der lebendige Christus ist,
auf den Johannes zeigt, sondern der bereits am Kreuz Gestorbene.
Unten, zu den Füßen des Johannes, ist tatsächlich ein Lamm gemalt,
aus dessen Wunde Blut in einen Kelch schießt:
Jesus, das Lamm Gottes.

Ein Fingerzeig begleitet die Worte des Johannes:
Siehe, das ist Gottes Lamm.

"Man zeigt nicht mit dem Finger!",
hat mir meine Großmutter eingeschärft,
weil schon Kinder genau das tun:
Sie zeigen mit dem Finger auf andere Leute -
auf solche, die ihnen auffallen,
weil sie ungewöhnlich dick oder dünn sind,
ungewöhnlich groß sind oder klein, kurz:
weil sie anders aussehen als die Menschen,
die so ein Kind bisher kennen gelernt hat.

Wenn man mit dem Finger auf jemanden zeigt,
tut man das, damit der andere sieht, wen man meint:
Guck mal, wie der aussieht - oder wie die aussieht!
Aber den Fingerzeig sieht auch der, über den gesprochen wird.
Und weil der dann merkt, dass man über ihn spricht,
gilt das als peinlich, und darum soll man nicht mit dem Finger zeigen.
Aber man tut es natürlich trotzdem.
Wenn man älter wird, braucht man ja den Finger nicht mehr dazu.
Dann genügt es, den Gemeinten näher zu beschreiben,
damit der andere weiß, wer gemeint ist.
Man kann dann in Ruhe über sein oder ihr Anderssein sprechen,
ohne dass er oder sie überhaupt bemerkt,
dass sie gerade das Thema einer Unterhaltung ist.
Da ist das Zeigen mit dem Finger schon ehrlicher ...


III
Ein Fingerzeig hebt einen Menschen aus der Masse heraus
als eine oder einen, der anders ist.
Meistens geht es dabei darum, dass er nicht so ist wie man selbst.
Ein Fingerzeig kann aber auch jemanden
aus der Masse herausheben
und sie, ihn zu etwas bestimmen.
Wenn wir früher die Mannschaften für ein Fußballspiel zusammenstellten, 
dann zeigten die beiden Anführer,
die die Mannschaft auswählten, auf den,
den sie in ihrer Mannschaft haben wollten.
Oder beim Auszählen: Ene, mene, miste ...,
da wurde bei jedem Wort mit dem Finger auf ein Kind gezeigt,
bis bei "... und raus bist du!" ein Kind "raus" war,
das dann suchen musste, oder mit dem Kriegen dran war.

So ein Fingerzeig hat eigentlich nie etwas Gutes zu bedeuten.
Wenn es nicht um die Wahl der Fußballmannschaften geht,
muss der oder die, die durch Fingerzeig bestimmt wird,
eigentlich immer etwas Unangenehmes tun -
sie ist "dran" mit Suchen, mit Kriegen oder damit,
die Tafel abzuwischen oder den Müll herauszubringen.
Auch der Fingerzeig des Johannes,
der Jesus aus der Menge heraushebt als den,
der das Lamm Gottes ist,
bestimmt ihn zu einem bitteren Schicksal:
"Siehe, das  ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
Wohin dieses Tragen der Sünde der Welt führt,
das ist auf dem Isenheimer Altar drastisch dargestellt:
ans Kreuz führt es, zu einem grausamen, leidvollen Tod.


IV
Ist es also mit Jesus wie bei Harry Potter:
Hat Johannes der Täufer Jesus erst zum Lamm Gottes bestimmt?
Hätte es auch einen anderen treffen können -
vielleicht nicht gerade einen "Brian" -,
aber hätte auch ein anderer junger Mann sein Schicksal erleiden,
hätte da auch ein anderes Kind in der Krippe liegen können?

Johannes betont zweimal: "Ich kannte ihn nicht."
Johannes taufte Menschen im Jordan und wusste,
eines Tages würde er den Messias taufen.
Aber er wusste nicht, wer es sein würde.
Und er merkte es selbst dann nicht, 
als Jesus ihm gegenüberstand.
Dabei haben die beiden sich gekannt,
wenn man dem Evangelisten Lukas glauben darf -
ihre Mütter, Elisabeth und Maria, waren sogar miteinander verwandt.
Trotzdem sagt der Täufer hier im Johannesevangelium:
"Ich kannte ihn nicht."
Vielleicht bedeutet das:
Ich wusste nicht, dass Jesus der Messias sein sollte.
Erst im Moment der Taufe wurde es offenbar,
dass Jesus der Christus, der Messias ist:
als der Geist Gottes wie eine Taube auf ihn herabkam.

Es ist nicht die Entscheidung des Johannes,
die Jesus zum Christus macht,
sondern es ist Gott selbst, der ihn dazu bestimmt,
das wird hier besonders betont.
Jesus ist der, der den Heiligen Geist hat:
das konnte Johannes erkennen.
Und darum brauchen wir den Fingerzeig des Johannes:
Er sah den Geist Gottes kommen
und bei Jesus bleiben,
wo wir vielleicht nur eine Taube gesehen hätten.


V
Johannes macht Jesus nicht zum Messias,
aber er ist unser Zeuge dafür, dass Jesus es ist.
Er ist, wenn man so will, nicht nur der Täufer,
sondern zugleich auch der Taufpate Jesu.

Bleibt die Frage:
ist einer, der Heuschrecken und wilden Honig isst;
der wie ein Landstreicher in der Wüste lebt;
der sich selbst für damalige Zeiten recht eigenwillig kleidet
und der erzählt, dass das Reich Gottes nahe ist,
der also das nahe Weltende verkündet -
ist so einer als Zeuge glaubwürdig?

Wenn wir ehrlich sind:
So einem würden wir gar nichts glauben.
Wir würden ihn bestenfalls belächeln,
wenn wir ihn in der Stadt sehen,
und mit dem Finger auf ihn zeigen,
oder schnell weitergehen.

In einem Gedicht von Shalom Ben-Chorin heißt es:

Freunde, dass der Mandelzweig 
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?

Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.
(EG Niedersachen-Bremen, Nr. 620)
Shalom Ben-Chorin gehörte auch zu denen,
auf die mit dem Finger gezeigt wurde,
er war Jude.
Juden mussten sich Mandel- oder Rosenzweig nennen,
Mendels- oder Levinssohn.
In der Zeit des Nationalsozialismus
mussten Juden ständig mit Fingern auf sich zeigen lassen,
ja, sie mussten diesen Fingerzeig ständig bei sich tragen
in Form eines gelben Davidsterns, des "Judensterns",
den sie auf ihre Kleidung nähen mussten.

Für Shalom Ben-Chorin ist der blühende Mandelzweig
ein Fingerzeig dafür, dass das Leben über Blutvergießen,
Menschenverachtung, Krieg und trübe Zeit siegt
und dass die Liebe stärker ist als aller Hass der Menschen.
Dieser Fingerzeig ist kein Beweis,
und er kann missdeutet werden -
was ist schon ein blühender Mandelzweig?
Und was ist ein blühender Mandelzweig gegen all die Gräuel,
gegen die unvorstellbare Grausamkeit und Gewalt?
Für ihn aber, der das alles selbst erlebt und erlitten hat,
ist er ein Fingerzeig auf den Sieg der Liebe.
Und er lehrt uns, ihn ebenso zu sehen.


VI
Johannes, der verrückte und etwas zweifelhafte
Heilige aus der judäischen Wüste,
gibt uns einen Fingerzeig, in Jesus den Messias zu sehen.
Dass er es tatsächlich ist, dafür gibt es keinen Beweis.
Es gibt nur diesen Fingerzeig,
dass der Messias ganz anders ist, als wir ihn erwarten:
Kein strahlender Held, kein Supermann,
keiner, der alles gut macht, der alles richten wird.
Sondern einer wie du und ich; einer vielleicht, 
der beim Fußball nicht unbedingt als erster gewählt wird,
einer vielleicht, der öfter als andere die Tafel wischen muss,
einer vielleicht, auf den andere mit dem Finger zeigen.

So zeigt sich die Liebe:
in einem armseligen Stall,
bei einer Frau aus einfachen Verhältnissen,
durch den Sohn eines Zimmermanns,
der sich mit Fischern und irren Propheten abgibt,
mit Huren und Zöllnern und all denen,
auf die andere mit dem Finger zeigen.
Man übersieht sie leicht, die Liebe,
weil man zwar auf solche Leute mit dem Finger zeigt,
aber nicht so genau hinguckt,
weil sie so anders sind als wir.
Ebenso, wie man die zarten Blüten des Mandelzweiges übersieht,
die den Sieg des Lebens über den Tod verkünden.

Wir brauchen diese Fingerzeige.
Wir brauchen Menschen, die uns wie der Taufpate Johannes
Fingerzeige geben auf das Große im Kleinen,
auf die Macht der Liebe in der Schwachheit,
auf den Sieg des Lebens über den Tod.

Amen.

Montag, 7. Januar 2013

Comfort


Translation of my sermon for 3rd Advent, November 16th, 2012 on Isaiah 40:1-11

Comfort ye, comfort ye my people, saith your God.
Speak ye comfortably to Jerusalem, and cry unto her,
that her warfare is accomplished,
that her iniquity is pardoned:
for she hath received of the Lord 's hand double for all her sins.

The voice of him that crieth in the wilderness, 
Prepare ye the way of the Lord,
make straight in the desert a highway for our God.
Every valley shall be exalted,
and every mountain and hill shall be made low:
and the crooked shall be made straight,
and the rough places plain:
And the glory of the Lord shall be revealed,
and all flesh shall see it together:
for the mouth of the Lord hath spoken it.

The voice said, Cry.
And he said, What shall I cry?
All flesh is grass,
and all the goodliness thereof is as the flower of the field:
The grass withereth, the flower fadeth:
because the spirit of the Lord bloweth upon it:
surely the people is grass.
The grass withereth, the flower fadeth:
but the word of our God shall stand for ever.

O Zion, that bringest good tidings, get thee up into the high mountain;
O Jerusalem, that bringest good tidings, lift up thy voice with strength;
lift it up, be not afraid;
say unto the cities of Judah, Behold your God!
Behold, the Lord God will come with strong hand,
and his arm shall rule for him:
behold, his reward is with him,
and his work before him.
He shall feed his flock like a shepherd:
he shall gather the lambs with his arm,
and carry them in his bosom,
and shall gently lead those that are with young.
(King James Version)


Dear brothers and sisters,

sometimes, one needs comfort.
Sometimes, one must place their head
in the lap of mom or dad,
one must hide their face at the chest of their beloved one
and cry, and hear a familiar voice
ensuring them that everything will be all right again,
that they themselves are good and all right and loved.

Sometimes, one needs comfort.
And this need doesn't comply with the calendar.
Even shortly before Christmas,
which is so little associated with sadness and comfort,
one sometimes needs comfort.
For suffering also doesn't comply with the calendar.
We just saw scenes from Newtown, Connecticut,
where parents, pupils, teachers,
and many, many people outside this circle
who were affected by this tragedy
were looking for comfort
and asked themselves: Why?
Why does a young man shoot down 20 kids and 7 grown-ups?
Why can't 31 rampages since Columbine 
change the US-legislation on weapons,
while a single so-called "shoe-bomber" was enough 
that everybody has to take off their shoes at the airport?

I
Comfort ye, comfort ye my people, saith your God.
Speak ye comfortably to Jerusalem, and cry unto her,
that her warfare is accomplished,
that her iniquity is pardoned:
for she hath received of the Lord 's hand double for all her sins.

Besides the question Why?, 
besides the question for the motif,
many people also asked themselves 
how God could permit this to happen.
This question is also asked in Newtown.
If something incomprehensible occurs
like this rampage in a primary school,
or if one gets informed about an incurable disease
or the death of a beloved person,
this question arises all by itself:
How can God permit this to happen?

Listening to today's lesson, one nearly freezes:
She hath received of the Lord 's hand double for all her sins.
Could it be, could it be possible,
that God doesn't only permit such horrors,
but that he even provokes them,
as a punishment for - whatever?
Could it be, must it be put that way,
that God lets us suffer
because we made mistakes?

No, it can't be that way. And it isn't that way.
God doesn't punish us for mistakes we made,
God forgives us our mistakes.
The bible shows God is someone who can get very wrathful;
who is so disappointed of his mankind,
of his people Israel, that he regrets that he'd done them good;
who acts unpredictable and has dark and incomprehensible features.
But God's feature is also his forgiveness,
his mercifulness, and his pity.
God is this forgiveness, this pity.
God is love, says Jesus.
God doesn't punish. God forgives.

II
However, it may happen that one has the feeling God punishes them.

A child that is comforted by mom or dad
also experiences that his or her parents can get quite mad,
that they are sometimes moody, short-tempered, irritable.
The child asks herself, if this is her fault,
what it could have done wrong, that her parents are acting this way.
In doing so, the child forgets that her parents love her above anything else 
and that they would get very, very sad if they knew what their child is thinking just now.

It's the same with relationships:
We interpret the behaviour of our partner as a reaction on our behaviour,
we think in categories of guilt and punishment.
But it was just trouble on the job,
or the partner is mad about him- or herself.
One doesn't think of this,
but blames him- or herself - and, doing so, forgets,
that the partner loves him or her above anything else
and that he were ashamed if he knew what the other one was thinking just now.

The people of Israel thought God punished them
because it lost its home,
because Jerusalem and the temple were destroyed,
because it was exiled.
How could God permit this to happen?

God doesn't argue with his people.
God doesn't say: You're wrong,
I haven't got anything to do with this.
God accepts that he's held responsible for Israel's disaster,
that he's blamed for this calamity.
But if God's guilty, he cannot comfort.
A father who scolded his child
cannot hold her in his arms afterwards.
The child runs to her mother and seeks comfort in her arm.
Thus God asks for comfort for his people:
Comfort ye, comfort ye my people!
God looks for somebody to comfort his people,
who bears their desperate tears
and who later, when the greatest sorrow is gone by,
can show that it wasn't God's fault.

III
It isn't God's fault.
But, one could ask meanly:
if God isn't responsible for suffering and terror,
if he hasn't got anything to do with it -
can he then effect anything?
Is that talk about valleys being exalted and hills being made low other than symbolic?

Behold, the Lord God will come with strong hand,
and his arm shall rule for him.
It isn't God's fault.
But God doesn't interfere, either.
God doesn't snatch away the weapon from the assassin.
God doesn't vanquish cancer.
God doesn't prevent accident, death.
God, it seems, causes nothing.
He doesn't interfere, he doesn't change anything.

But why does the profet say that God comes with strong hand, then?
Why does Mary sing in the magnificat,
that God put down the mighty from their thrones
and exalts them of low degree?
he hath regarded the low estate of his handmaiden:
for, behold, from henceforth all generations shall call me blessed.
Had her coevals heard those full-bodied words of Mary,
they'd shaken their heads.
Mary was a simple woman until her death.
She made nothing of her life, according to human scales.
And still what she sang got true:
All generations call her blessed,
many, many churches are named after her
and her words are sung daily all over the world.

IV
Behold, the Lord God will come with strong hand,
and his arm shall rule for him.
He shall feed his flock like a shepherd:
he shall gather the lambs with his arm,
and carry them in his bosom,
and shall gently lead those that are with young.
God's force is entirely different to the force
that comes from guns and semi-automatic weapons.
It's the force of a small, helpless, newborn baby
that's lying in the straw in a manger in a stable.
One can't be more helpless, dependent, powerless.
And still, a force comes from him
that's perceived by everybody who isn't a barbarian:
a small child like this immediately releases protective instincts.
Everybody would want to help him at any rate,
would want to care for him, to comfort him.

A small child like this rouses an incredible joy -
small wonder no grown-up can restrain him- or herself from looking into a buggy 
and is as pleased as Punch if the small one in the buggy reacts, or even smiles.

The force of the child is helpless against the force of rifles.
It's easily defeated, too easily.
Still it's a force that unfolds an irresistible power.
A force that makes mountains low and exalts valleys.
Because it gives us hope and an aim.
It makes us believe in the good that man is able to do,
the good God has assigned his world to.
It gives us power to make that good come true in ever so small steps.

The rampage of Newtown was dreadful and incomprehendable.
But still in all that horror there were people 
who instantly helped, who comforted, 
who revolted against the arms lobby.
There were calls for prayer in the internet
for the victims, for their bereaved, for the teachers.
People shared their bewilderment, their sorrow
and comforted each other.

The force of love is easily conquered by the force of rifles.
It's a helpless force.
But it's stronger than any rifle,
because love touches our hearts,
makes us merciful, gives us hope.

V
Comfort ye, comfort ye my people!
Even in advent one sometimes needs comfort.
And we find it - with mom and dad,
with the beloved one.
And with the child in the manger,
that in its poverty and helplessness changed the world
and became a solace for everyone.
This child gave us power: the power of helpless love,
with which we comfort each other
and give each other hope for Christmas and beyond.
Hope for peace on earth.
Hope that man doesn't bring death to mankind
but comfort.

Amen.

Freitag, 4. Januar 2013

Hoffnung für das neue Jahr

Predigt am Sonntag Epiphanias, 6.1.2013 über Jes 60,1-6:


Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt,
und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!
Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich
und Dunkel die Völker;
aber über dir geht auf der Herr,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen
und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
Hebe deine Augen auf und sieh umher:
Diese alle sind versammelt und kommen zu dir.
Deine Söhne werden von ferne kommen
und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden.

Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen,
und dein Herz wird erbeben und weit werden,
wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren
und der Reichtum der Völker zu dir kommt.
Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken,
die jungen Kamele aus Midian und Efa.
Sie werden aus Saba alle kommen,
Gold und Weihrauch bringen
und des Herrn Lob verkündigen.



Liebe Schwestern und Brüder,

was für großartige Worte,
was für ein prächtiges Bild!
Schiffe sieht man heranfahren,
Kamelkarawanen ziehen durch die Wüste,
Abendland und Morgenland treffen sich in Jerusalem,
dem Mittelpunkt der Welt.
Die Stadt Jerusalem selbst erstrahlt im Licht
- im Licht, das Gott selbst ist.
Und es erfüllt sich die alte und immerwährende Hoffnung,
dass Gott sich den Menschen zu erkennen gibt.
Dass Gott nicht hinter Leid, Schmerz und Zweifeln verborgen ist, 
sondern als Licht jedem Menschen ins Herz scheint.
Eine Hoffnung, wie sie der Seher Johannes im letzten Buch der Bibel zum Ausdruck bringt:

Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde;
denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen,
und das Meer ist nicht mehr.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem,
von Gott aus dem Himmel herabkommen.
Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her,
die sprach:
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und Gott wird bei ihnen wohnen,
und sie werden sein Volk sein,
und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,
und der Tod wird nicht mehr sein,
noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein;
denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!

I
Ein neues Jahr hat begonnen.
Ein Jahr voller Hoffnung, voller guter Vorsätze.
Ein Jahr, das vor uns liegt wie ein weites Feld,
das bearbeitet werden will.
Die erste Furche ist gezogen.
Man kann die Aussaat gar nicht erwarten
und freut sich schon auf die reiche Ernte.

Für manche ist dieses weite Feld,
dieser Neujahrsacker,
keine Verheißung, sondern ein Grund zur Sorge und Unruhe.
Sie fürchten, dass das Unkraut vom letzten Jahr
dieses Jahr wieder hochkommt und die Saat erstickt.
Sie fühlen in sich nicht mehr die Kraft,
auch dieses Jahr wieder den Pflug anzusetzen,
den Samen auszustreuen;
sie würden das Feld am liebsten sich selbst überlassen.

Und wieder andere,
denen hat schon in der ersten Woche des neuen Jahres
ein Sturm das Feld verwüstet,
und sie wissen noch gar nicht,
wie es dieses Jahr gehen, wie es werden soll.

Ein neues Jahr hat begonnen.
Ein Jahr, das vor uns liegt wie ein weites Feld.
Was werden wir säen,
was werden wir ernten in diesem Jahr?

II
Vollmundig klingen die Worte Jesajas,
und siegessicher.
Aber hört und sieht man genauer hin,
fragt man sich: kann das denn sein?
Sind jemals Könige mit ihren Gaben nach Jerusalem gezogen,
die Völker zum Zion, dem Tempelberg, gewallfahrtet?
Haben je Kamele wie Sand am Meer die Stadt bedeckt
und Schätze sie erfüllt?

Nein, so ist es nie gewesen.
Es ist alles nur ein Traum.
Ein Traum, wie ihn Verlierer träumen.
Solch grandiosen Bilder malt sich in seiner Phantasie aus,
wer in der Wirklichkeit unterlegen ist:

Das Mädchen, das von seinen Mitschülerinnen getrietzt und gepiesackt wird, sieht sich in seinen Träumen als Albert Einstein, zu dem seine Peiniger am Ende aufsehen, den sie demütig um ein Autogramm, um einen Ratschlag bitten.

Der Junge, der nie genug Geld hatte, sich das zu leisten, was alle anderen besaßen, träumt vom Lottogewinn, vom großen Los, mit dem er sich alle Wünsche erfüllt.

Der Angestellte, den der Chef vor den Kollegen wegen eines Fehler demütigte, träumt sich in die Rolle des Chefs – und dann wird er es ihm mal richtig zeigen und ihm spüren lassen, wie das ist ...

Allmachtsträume, wie wir sie alle wohl schon einmal geträumt haben. Der Trost der Ohnmächtigen, der die peinliche Wirklichkeit ausblendet – und Kraft gibt, es wieder mit ihr aufzunehmen.

Solche Kraft geben die Worte Jesajas.
Gesprochen sind sie zu den Israeliten im Exil. Zu Menschen, die von ihrer Heimat weggerissen worden waren, weil ihr Land im Krieg unterlegen war, und die nun in der Fremde als Menschen zweiter Klasse leben müssen – ohne zu wissen, wann sie endlich wieder nach Hause gehen, wann sie endlich wieder Menschen mit Rechten und mit einer Zukunft sein dürfen.
Ihnen verspricht Jesaja nicht weniger, als dass Gott selbst sich ihnen zuwenden wird. Nicht weniger, als dass die, die sie jetzt ausbeuten und ausgrenzen, als Bittsteller mit Geschenken zu ihnen kommen werden.

III
Ist es nicht unverantwortlich, so etwas zu versprechen?
Wie kommt Jesaja dazu, Israel in seinem größten Elend eine Herrlichkeit vor Augen zu malen, die so unrealistisch ist, dass man es sofort durchschaut?

Auch Jesaja spricht seine Worte am Beginn eines neuen Jahres. Das Laubhüttenfest, zu dem diese Worte möglicherweise gesprochen wurden, beginnt zwei Wochen nach dem jüdischen Neujahr. Es geht Jesaja darum, das Feld für das kommende Jahr zu bereiten, Hoffnung zu geben, den Pflug noch einmal in die Furche zu setzen, trotz der Steine im Acker. Noch einmal mühsam den Samen auszustreuen, trotz der vielen Raben in der Luft, und trotz Dürre und heißem Wind auf die karge Ernte zu warten. Es geht ihm darum, Hoffnung zu geben auf Gott, der versprochen hat, dass nicht aufhören werden Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Gott, der angesichts des Elends seines Volkes die Distanz zu seinen geliebten Menschen aufgegeben hat, der als Licht aus dem Himmel auf die Erde kommt und seine Menschen erfüllt.
Gott, der sich an seine geliebten Menschen verschenkt, so dass sie sich fühlen wie die Fürsten. Größer noch als die Königin von Saba, die zwar unermessliche Reichtümer hatte, aber nicht Gott an ihrer Seite, Gottes Fülle in ihrem Leben.

Deshalb also der vollmundige Überschwang seiner Worte.
Deshalb also das so offensichtlich unrealistische Versprechen.
Und wir spüren es ja auch, dass diese Worte Mut machen, einfach durch ihren Klang, durch ihren Übermut, durch die Fülle, die aus ihnen spricht und strömt.

IV
„Mitten im Laubhüttenfest ging Jesus hinauf in den Tempel und lehrte. Er sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ 

Wieder ein Laubhüttenfest, wieder ein Jahresanfang, und wieder ist vom Licht die Rede. Und jetzt ahnen wir, was Jesaja meinte, als er schrieb: „über dir geht auf der Herr,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir“.

Es sind keine Könige nach Jerusalem gezogen.
Wohl aber zum ärmlichen Stall von Bethlehem,
wo sie dem Kind in der Krippe ihre Gaben brachten:
Gold, Weihrauch und Myrrhe.
In der Aufnahme der Weissagung Jesajas hat Matthäus gezeigt, wo die Herrlichkeit Gottes aufgeht, wo sie zu finden ist:
In einfachsten Verhältnissen.
Im Stall, bei den Armen, den Verlierern der Gesellschaft -
so wie auch der erwachsene Jesus sich den Außenseitern,
den Gedemütigten, den Verlierern zugewandt hat.

Gott ist sich selber treu geblieben.
So, wie er an Israel festgehalten hat
trotz aller seiner Fehler, seiner Uneinsichtigkeit.
Obwohl es seinen Feinden unterlag,
sein Land verlor -
so hält er an jeder und jedem von seinen geliebten Menschen fest.
Und so geht Jesus ganz nach unten,
um uns nah zu sein,
wenn der Jahresacker uns zu groß und zu steinig erscheint,
als dass wir ihn je würden bestellen können;
wenn der Sturm des Lebens alle unsere Arbeit zunichte,
alle Hoffnungen zerstört, allen Lebensmut genommen hat.

V
Ein neues Jahr hat begonnen.
Ein Jahr, das vor uns liegt wie ein weites Feld.
Was werden wir säen,
was werden wir ernten in diesem Jahr?
Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte,
Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
Gottes Glanz geht über uns auf auch in diesem Jahr.
Wir werden ihn entdecken
auf den Tautropfen, die auf dem Unkraut liegen,
im Schimmer der Steine auf dem Acker
und im Leuchten der Gesichter unserer Mitmenschen.
Und auch wenn wir zu kraftlos oder zu müde sind,
uns in den Pflug zu stemmen,
wieder einmal zu säen, wo doch die Raben schon kreisen,
dann will uns ein anderes Wort Jesajs Mut machen,
nach dem zu sehen, was von selbst in unserem Acker wächst:

Siehe, ich will Neues schaffen,
jetzt wächst es auf,
erkennt ihr's denn nicht?“

Amen.