Sonntag, 7. April 2013

Betriebssystem: Bibel - eine Konfirmationspredigt


Predigt zur Konfirmation am Sonntag Quasimodogeniti, 7. April 2013 über Jesaja 40,26-31:

Seht doch nur in die Höhe! Wer hat die Sterne da oben geschaffen? Gott lässt sie alle aufmarschieren, das ganze unermessliche Heer. Jeden Stern ruft er einzeln mit Namen, und keiner bleibt fern, wenn er, der Mächtige und Gewaltige, ruft.
Ihr Leute von Israel, ihr Nachkommen Jakobs, warum klagt ihr: "Gott kümmert sich nicht um uns; unser Gott lässt es zu, dass uns Unrecht geschieht"? Habt ihr denn nicht gehört? Habt ihr nicht begriffen? Der Herr ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, seine Macht reicht über die ganze Erde; er hat sie geschaffen! Er wird nicht müde, seine Kraft lässt nicht nach; seine Weisheit ist tief und unerschöpflich. Er gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark. Selbst junge Leute werden kraftlos, die Stärksten erlahmen. Aber alle, die auf Gott vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft, es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und brechen nicht zusammen.
(Gute Nachricht)

Liebe Gemeinde,
liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

heute werden Eure Eltern und Großeltern,
Eure Onkel und Tanten ab und zu ein bisschen wehmütig sein.
Denn heute, mit Eurer Konfirmation,
wird Ihnen - und vielleicht auch Euch - endgültig bewusst,
dass Ihr keine Kinder mehr seid.
Ihr seid nun endgültig und unwiderruflich dabei, "groß" zu werden.
Das sollt Ihr auch.
Das wollt nicht nur Ihr, das wollen auch Eure Eltern.
Aber sie erinnern sich vielleicht gerade heute daran,
wie es war, als Ihr noch klein wart und sie an Eurem Bett saßen
und Euch z.B. "Weißt du, wieiviel Sternlein stehen" vorsangen.
Ihr wisst das nicht mehr. Ist schon zu lange her.
Und doch könnt Ihr Euch vielleicht noch
an das Gefühl der Geborgenheit damals erinnern.
Daran, wie schön es war,
wenn Mama oder Papa an Eurem Bett saßen,
Euch eine Geschichte vorlasen oder Euch in den Schlaf sangen.
Und vielleicht seid auch Ihr ein kleines bisschen traurig,
dass Ihr keine Kinder mehr seid -
nicht mehr unbeschwert in den Tag hinein leben,
selbstvergessen spielen könnt -, sondern Pflichten habt:
Ihr müsst vieles tun.
Zur Schule gehen, lernen, üben;
den Müll rausbringen, den Rasen mähen,
die Spülmaschine ausräumen.
Ihr müsst zum Sport, zur Tanzstunde ...
- vorbei die Zeit, wo das alles nur Spaß war.
Jetzt ist das meiste sehr ernst, und es hängt viel davon ab,
dass Ihr gut in der Schule seid.
Dass Ihr intensiv lernt, übt, trainiert.
Dass Ihr Verantwortung für Euch und Euer Leben übernehmt.

I
"Weißt du, wieviel Sternlein stehen
an dem blauen Himmelszelt?"
Diesen Satz aus dem alten Kinderlied
haben wir so ähnlich eben schon mal gehört.
In der Lesung heißt es:
"Seht doch nur in die Höhe! Wer hat die Sterne da oben geschaffen?"
Was hat der Blick in die Sterne mit der Konfirmation zu tun?
Oder, um Euch und Ihnen einen Tipp zu geben,
was hat das Firmament, ein altertümlicher Name für den Himmel,
mit der Kon-firma-tion zu tun?

"Seht doch nur in die Höhe!", fordert die Lesung auf,
die wir eben gehört haben.
Also gut - machen wir das doch einfach mal:
Schauen wir nach oben - was sehen wir?
Das Gewölbe der Klosterkirche.
Zur Zeit des Propheten Jesaja, zur Zeit Jesu,
aber auch noch im Mittelalter, als diese Kirche gebaut wurde,
stellte man sich den Himmel als Gewölbe vor,
als eine feste Schale, wie eine überdimensionierte Eierschale.
Vielleicht nicht gemauert, wie das Gewölbe der Klosterkirche,
aber jedenfalls fest: als Firmament,
an dem die Sterne sozusagen angeklebt sind.
In manchen alten Kirchen sind deshalb auf das Gewölbe Sterne gemalt.
In der Kirche in Rautheim gibt es sogar einen ganzen Sternenhimmel.
Firmament - in diesem Wort steckt das lateinische Wort firmus.
Es bedeutet "fest".
Dieses Wort steckt auch in Eurer Konfirmation.

II
Heute wird etwas festgemacht.
Und heute macht Ihr etwas fest.

Festgemacht wird ein Einschnitt in Eurem Leben.
Gestern wart Ihr noch Kinder. Heute seid Ihr es nicht mehr.
Früher begann nach der Konfirmation die Lehre.
Schülerinnen und Schüler wurden gesiezt.
Jungs trugen zum ersten Mal Anzug und Krawatte,
und die Mädchen schnitten ihre langen Kinderzöpfe ab.
Erste Schritte hinein in eine andere Welt,
in die man als Kind nicht schnell genug kommen kann
und von der man später, wenn man älter ist, wünscht,
sie wäre nicht so schnell gekommen:
Die Welt der Erwachsenen.

Was Ihr heute fest macht, ist Euer Glaube.
Es ist Euch wahrscheinlich gar nicht bewusst,
und es ist Euch nicht so wichtig wie all das andere,
das mit der Konfirmation zusammenhängt.
Das ist in Ordnung so. Der Glaube hängt nicht an der Konfirmation,
sondern an der Tatsache, dass Ihr getauft seid.
Aber der Grund, warum wir überhaupt Konfirmation feiern,
ist, dass Ihr heute Euren Glauben festmacht:
Ihr sagt heute, dass Ihr Christinnen und Christen sein wollt.
Bei den meisten von Euch haben Eure Eltern das für Euch entschieden,
indem Ihr schon als kleine Kinder getauft wurdet.
Nun entscheidet Ihr Euch dafür.

Habt Ihr Euch das auch wirklich gut überlegt?

Christsein, das klingt ja erst einmal harmlos.
Das klingt sogar richtig gut, wenn man bedenkt,
dass Ihr jetzt Patinnen und Paten werden könnt,
Gemeindeglieder mit fast allen Rechten seid -
aber habt Ihr auch das Kleingedruckte gelesen?

III
Das am meisten nicht gelesene Kleingedruckte sind die EULAs,
die Endbenutzer-Lizenzverträge,
die man bei der Installation von Software abnicken muss.
Bei jedem Spiel, das man installiert, bei jedem Update muss man
"Ich stimme zu" anklicken.
Aber ich kenne kaum einen, der auf den Link darüber geklickt hätte,
der zum seitenlangen Lizenzvertrag führt.
Und ich kenne niemanden,
der sich das Ungetüm mal in Ruhe durchgelesen hätte.
Man nickt ihn ab, weil es alle so machen
und weil es sowieso keine Konsequenzen hat. Hofft man wenigstens.

Das Christentum ist gottseidank lizenzfrei.
Es ist "Public Domain", freie Software, sozusagen.
Jede und jeder kann mitmachen.
Man muss allerdings, wenn man Geld verdient,
eine Nutzungsgebühr zahlen: die Kirchensteuer.
Es ist also nicht völlig frei, sondern Shareware:
Wie die Shareware im Internet lebt das Christentum davon,
dass Menschen, die das können, es finanziell unterstützen,
damit es weiterentwickelt werden kann
und damit andere, die kein oder zu wenig Geld haben,
es kostenlos nutzen können.

Aber dennoch kennt auch das Christentum das Kleingedruckte.
Es hat sogar ziemlich viel davon,
und es ist manchmal so klein gedruckt,
dass manche es ohne Brille gar nicht mehr lesen können.
Gegen unser Kleingedrucktes sehen selbst die längsten Lizenzverträge aus dem Internet geradezu mickrig aus.
Ich spreche natürlich von der Bibel.
Da steht drin, worauf Ihr Euch einlasst.
Aber wie den EULAs, so geht es auch der Bibel:
Sobald man sich das Christentum heruntergeladen hat,
nickt man die Bibel ab,
aber kaum einer schaut mal wirklich nach,
was er da abgenickt hat.
Und ich kenne niemanden,
der sich das Ungetüm mal in Ruhe durchgelesen hätte.
Man nickt sie ab, weil es alle so machen
und weil es sowieso keine Konsequenzen hat. Hofft man wenigstens.

IV
Mit Eurer Konfirmation schließt Ihr keinen Vertrag.
Der Vergleich zwischen Christentum und Software hinkt natürlich:
Die Bibel ist keine EULA, kein Lizenzvertrag.
Man muss auch nicht alles, was in ihr steht,
wörtlich befolgen - auch wenn manche das meinen -
und dann doch wieder Ausnahmen machen,
weil die Bibel eben so nicht funktioniert.
Die Bibel ist selbst eine Art Software, ein Betriebssystem,
das in seinen alten Teilen weit über 2.000 Jahren auf dem Buckel hat
und immer noch läuft und, so Gott will,
auch in den nächsten 2.000 Jahren noch laufen wird.

Die Bibel ist ein freies Betriebssystem wie LINUX,
nur, dass es keine Updates mehr gibt.
Der Code liegt seit langer, langer Zeit schon fest.
Die Kirche ist der Computer,
der mit diesem Betriebssystem Bibel läuft.
Man kann damit nicht zocken, keine Mails verschicken.
Aber Musik gibt's hier zu hören.
Vor allem ist Kirche eine Art Facebook, das man live erleben kann.
Die Kirche ist das Soziale Medium schlechthin.
Und Ihr seid dabei.
Wie gut dieser Computer "Kirche" funktioniert
und wie schick er aussieht,
das liegt jetzt auch in Eurer Hand.
Ihr gestaltet ihn mit.

Dazu hilft es,
wenn man ab und zu mal in das Betriebssystem "Bibel" schaut.
Aber vor allem hilft es, wenn man hinkommt und mitmacht.
Denn der Computer Kirche ist kein Gebäude wie diese Klosterkirche,
er ist nichts Festes, sondern besteht aus Menschen.
Aus den Menschen, die eine Gemeinde bilden
und darin versuchen, zusammen zu leben,
Gottesdienste zu feiern und das Leben zu gestalten und zu begleiten,
von der Taufe bis zur Beerdigung.

V
Über uns wölbt sich der Himmel.
Früher dachten die Menschen, die es nicht besser wussten,
er sei fest, wie ein gemauertes Gewölbe: das Firmament.
Heute wissen wir: da ist weitgehend nichts,
jedenfalls nichts Festes, abgesehen von den paar Planeten und Sternen.

Die Bibel spricht noch einmal ganz anders vom Himmel:
"Seht doch nur in die Höhe!", sagt sie.
"Wer hat die Sterne da oben geschaffen? 
Gott lässt sie alle aufmarschieren, das ganze unermessliche Heer. 
Jeden Stern ruft er einzeln mit Namen."

Das ist natürlich nicht wirklich so.
Aber Ihr habt durch die Konfirmandenzeit
vielleicht eine Ahnung davon bekommen,
oder werdet sie eines Tages bekommen,
dass es nicht nur eine Wirklichkeit gibt.
Die Bibel lässt uns die Dinge anders sehen, als wir es gewohnt sind.
Dabei geht es, wie gesagt, nicht darum,
was wir tun oder lassen sollen.
Die Bibel will uns nicht die Welt erklären.
Aber sie hilft uns, unser Leben noch einmal anders zu verstehen:
Ihr seid bei Eurem Schritt in die Welt der Erwachsenen nicht allein.
Eure Eltern, Eure Familien begleiten Euch dabei.
Und es geht auch der mit, von dem die Bibel sagt,
er habe die Sterne geschaffen.

Gott, der jeden Stern beim Namen kennt,
der kennt vor allem Eure Namen: Sie sind in seine Hand geschrieben.
Gott ist auf Eurer Seite, seit Eurer Taufe schon.
Seit Eurer Taufe ist er mindestens so stolz auf Euch,
wie Eure Eltern es heute sind.
Und er wird es immer sein, komme, was wolle.

Die Konfirmation soll und wird euch vor allem daran erinnern:
dass man die Dinge, dass man diese Welt auch anders sehen kann.
Dass man beim Blick in den Himmel nicht nur in unendliche Weiten schaut, in denen weitgehend nichts ist.
Sondern dass man in ein freundliches Gesicht schaut:
in Gottes Gesicht.
Man kann es zwar nicht sehen, aber man kann wissen.
Es leuchtet über mir, wie ein Stern.
Es leuchtet vor Freude, dass es mich gibt,
dass ich der Mensch bin, der ich bin.
Es leuchtet vor Freude, dass es Euch gibt
und dass Ihr so seid, wie Ihr seid.
Darin soll Euch die Konfirmation fest machen:
Dass Gott für Euch ist und an Eurer Seite steht
heute, morgen und an allen Tagen, die kommen.

Amen.

Montag, 1. April 2013

Wer wird denn weinen? Eine Predigt zum Abschied


Predigt am Ostermontag, 1. April 2013, zur Verabschiedung als Pfarrer an der Klosterkirche Riddagshausen, über Jesaja 25,8-9

"Ach!", sagte der Fuchs, "ich werde weinen."
"Das ist deine Schuld", sagte der kleine Prinz,
"ich wünschte dir nichts Übles,
aber du hast gewollt, dass ich dich zähme ..."
"Gewiss", sagte der Fuchs.
"Aber nun wirst du weinen!", sagte der kleine Prinz.
"Bestimmt", sagte der Fuchs.
"So hast du also nichts gewonnen!" [1]

Liebe Gemeinde,

die Aussicht, sein Freund könnte weinen,
erschreckt den kleinen Prinzen.
Für ihn sind Tränen etwas Fremdes, Bedrohliches.
Das geht wohl allen Kindern so,
die Erwachsene weinen sehen.
Weil Erwachsene so selten und nur heimlich weinen,
- und, wenn sie es gar nicht verhindern können,
dabei ihr Gesicht verbergen -, erschrecken sich Kinder,
wenn sie ihre Eltern doch einmal weinen sehen und befürchten,
dass etwas Schlimmes, etwas Ungewöhnliches geschehen sein muss.

Auch wir erschrecken, wenn wir jemanden weinen sehen.
Man ist ganz verdattert und hilflos
und reagiert entweder mit sofortigem Mitleid und dem Wunsch,
zu trösten und zu helfen, die Tränen zu vertreiben,
oder mit sofortiger Ablehnung und Verachtung vor so wenig Selbstbeherrschung.
So oder so: Tränen, wenn sie nicht vor Freude geweint werden,
wenn sie einem nicht beim Zwiebelschneiden
oder vor Lachen in die Augen schießen,
Tränen sind etwas Schlimmes.
Denn sie deuten darauf hin, dass etwas Schlimmes passiert ist.

I
So denkt offenbar auch der Predigttext für den Ostermontag,
der beim Propheten Jesaja im 25. Kapitel steht.
Ich lese eine eigene Übersetzung:

Gott wird den Tod vernichten für immer,
und abwischen wird er die Tränen von allen Gesichtern.
Und die Schmähung seines Volkes wird er aufheben von der ganzen Erde, denn er hat es versprochen.
Und man wird sagen an diesem Tag:
"Sieh, das ist unser Gott.
Wir haben auf ihn gehofft, und er hat uns geholfen.
Das ist der Herr, auf ihn haben wir gewartet.
Lasst uns jubeln und fröhlich sein über seine Hilfe!"

Tod und Tränen in einem Satz, in einem Atemzug.
Hier werden keine Krokodilstränen vergossen,
hier ist den Menschen großes Leid widerfahren.
Einen ganz ähnlichen Satz lesen wir oft bei Trauerfeiern und Beerdigungen vor,
aus dem Buch der Offenbarung des Johannes:
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, 
und der Tod wird nicht mehr sein.

Ich finde dieses Bild sehr tröstlich:
Gott, der wie eine Mutter, wie ein Liebender
behutsam die Tränen aus dem Gesicht wischt.
Da ist Gott ganz auf der Seite der Trauernden, der Leidenden.
Teilt ihre Fassungslosigkeit, ihre Verzweiflung,
und hat keine Antworten auf die Frage nach dem Warum parat,
keinen höheren Sinn, der den Tod dieses Menschen rechtfertigt,
sondern nur Mitgefühl und Trost.

Aber so bange einem um Trost sein kann,
frage ich mich doch:
Was ist so schlimm an Tränen,
dass man sie nicht zeigen darf
und, kaum sind sie geweint, wieder abwischen muss?

II
Am dritten Tage auferstanden von den Toten,
so sprechen wir im Glaubensbekenntnis.
Und tatsächlich sind es von Karfreitag bis Ostersonntag drei Tage.
Aber schon als Kind habe ich das nicht verstanden
und immer wieder nachgezählt.
Denn wenn man die Zeit von der Kreuzigung am Freitag Nachmittag
bis zur Auferstehung am Ostermorgen misst
und nicht die Anzahl der Wochentage zählt,
dann sind es bestenfalls zwei Tage - eigentlich nur anderthalb.
Nicht, dass ich hier zum Pfennigfuchser werden will oder meine,
Jesus hätte längere Zeit im Reich des Todes verbringen müssen.
Aber auffällig ist es doch,
dass wir die Grabesruhe Jesu offenbar nur schwer aushalten können
und deshalb abkürzen müssen.
Schon der Karfreitag ist für viele eine Zumutung.
Aber am eigentlichen Tag der Grabesruhe, dem Karsonnabend,
da muss schnell wieder eingekauft werden,
da muss das Leben wieder seinen gewohnten Gang gehen.
Dieser eine Tag Unterbrechung ist genug.
Es kann nicht schnell genug Ostern werden,
wir können nicht früh genug
die erlösende Botschaft von der Auferstehung hören.
Wir können die Totenstille nicht aushalten.

So ist es auch mit den Tränen.
Wenn jemand weint, dann ist es schwer,
das mit anzusehen, ihn oder sie weinen zu lassen.
Hilflos versuchen wir, den Tränenfluss zu stoppen,
sagen: "Du musst doch nicht weinen", reichen Taschentücher.
Dabei hilft es doch,
wenn die Trauer mit den Tränen herausgeschwemmt wird,
wenn die Gefühle, die einem wie ein Kloß im Hals sitzen,
sich Bahn brechen können
und man - vielleicht zum ersten Mal - spürt,
was einem fehlt, was einem so weh tut.

Tränen, Krankheit, Leid, Schmerz und am Ende der Tod
gelten als schrecklich, als etwas, das man nicht verdient hat.
Und so ist es: Niemand hat verdient, zu leiden.
Niemand verdient es, krank zu sein,
einen geliebten Menschen zu verlieren.
Niemand verdient es, zu sterben.
Und doch kann dem niemand entgehen.
Es gehört zu unserem Menschsein, zu unserem Leben dazu,
dass wir Leid und Schmerz erleben und empfinden,
dass wir Abschied nehmen müssen und anderswo neu anfangen,
dass wir krank werden und alt,
dass wir geliebte Menschen durch den Tod verlieren
und eines Tages selbst sterben müssen.
Niemandem bleibt das erspart.
Niemand hat einen Anspruch, ein Recht auf ein Leben,
das von all dem unbeschwert ist,
das nur Gesundheit kennt, Erfolg und glückliche Tage
und an dessen Ende ein sanfter Tod steht.
Aber wir alle träumen davon und, wenn wir ehrlich sind,
erwarten wir, dass es uns genau so ergeht.
Wenn es aber nicht so kommt - und das ist die Regel -,
dann hadern wir mit Gott und fragen,
warum er so grausam zu uns ist,
warum er uns dieses schwere Schicksal nicht erspart,
warum er uns leiden lässt.

III
Gott wird den Tod vernichten für immer,
und abwischen wird er die Tränen von allen Gesichtern.
Und die Schmähung seines Volkes wird er aufheben von der ganzen Erde, denn er hat es versprochen.
Dieses Versprechen Gottes bezieht sich nicht auf unsere Gegenwart.
Es bezieht sich auf einen Tag, von dem Jesus sagt,
dass er kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.
Ein Tag, den viele Fromme sehnlichst erwartet haben,
der immer wieder berechnet wurde und doch nicht angebrochen ist.

Ich bin ganz froh darüber, dass er noch nicht angebrochen ist.
Denn das würde ja das Ende, den Untergang der Welt bedeuten.
Ich bin froh, dass ich in dieser Welt leben darf -
auch, wenn das bedeutet, dass ich leide,
dass ich Schmerz empfinde, krank und alt werde,
Menschen verliere, die ich liebe und eines Tages selbst sterben werde.

Aber diese Welt ist die schönste aller Welten,
weil ich sie mir "gezähmt" habe, wie Saint-Exupery es nennt:
Ich habe mir Bäume, Blumen, Wasser und Wolken vertraut gemacht;
ich habe Menschen kennen gelernt und mich mit ihnen angefreundet;
ich habe die wunderbarsten Eltern und Geschwister, die es gibt;
die schönste und klügste aller Frauen
und die zauberhafteste Tochter,
die man sich nur vorstellen kann.
Ich durfte in dieser so anrührend schönen und erhabenen Kirche arbeiten
in einem Team von engagierten und professionellen Mitarbeitern, die auch noch ganz wunderbare Menschen sind;
mit einem Kantor, der ein großer Künstler ist;
mit Menschen, die unglaubliche Mengen an Zeit und Kraft und Herzblut in diese Gemeinde, in diese Kirche investieren.
Ich bin über die Maßen begnadet und beschenkt worden.

Und Sie sind es auch.

Denn auch Sie haben wunderbare Partnerinnen und Partner,
auch Ihre Kinder lieben Sie über alles,
auch Ihre Kirche, Ihre Gemeinde ist die beste und schönste der Welt.

Aber - wenn alle so besonders sind:
dann ist niemand besonders.

Nein, so ist es nicht.
Sondern:
man erkennt das Wunder, das jeder einzelne Mensch ist,
erst dann, wenn man sie "gezähmt",
sich mit ihnen vertraut gemacht hat:
Wenn man sie oder ihn zu sehen lernt, wie sie ist,
und wenn man sie oder ihn dafür zu lieben lernt,
dass sie genau so ist, wie sie ist,
und sie nicht anders haben will.

Wer die Einmaligkeit eines Menschen entdeckt,
die Schönheit eines Ortes, der Pflanzen und Tiere,
indem er sie "zähmt", sich mit ihnen vertraut macht,
zahlt einen hohen Preis: die Tränen beim Abschied.

Menschen, die wir lieben, verletzten oder verlassen uns.
Orte verändern sich. Tiere sterben. Bäume werden gefällt.
Wir verändern uns. All das ist schmerzhaft, tut weh.

Irgendwann müssen wir das,
was wir uns vertraut gemacht haben, zurücklassen.
Das tut sehr weh.
Denn wir wissen nicht, wie das Neue sein wird.
Ob da überhaupt noch etwas kommt.

IV
Man wird sagen an diesem Tag:
"Sieh, das ist unser Gott.
Wir haben auf ihn gehofft, und er hat uns geholfen.
Das ist der Herr, auf ihn haben wir gewartet.
Lasst uns jubeln und fröhlich sein über seine Hilfe!"

Heute feiern wir die Auferstehung.
Wir jubeln und sind fröhlich darüber,
dass noch etwas gekommen ist.
Dass unser Warten nicht enttäuscht wurde.
Gott hat versprochen, eines Tages den Tod zu vernichten
und alle Tränen abzuwischen.
An diesem Tag werden wir sagen, dass Gott uns geholfen hat.
Noch ist es nicht so weit.
Noch leben wir in dieser Welt,
die keinesfalls die beste aller Welten ist.
Aber so schön, so wunderbar,
dass sie für jede und jeden von uns ein Paradies sein könnte,
wenn wir nur wollten.

"Sieh, das ist unser Gott.
Wir haben auf ihn gehofft, und er hat uns geholfen.
Das ist der Herr, auf ihn haben wir gewartet.
Lasst uns jubeln und fröhlich sein über seine Hilfe!"
Diese Hilfe Gottes hat einen Namen.
Hilfe heißt nämlich auf Hebräisch "Jeschua".
Jeschua - bei diesem Namen klingelt etwas:
Es ist der hebräische Name dessen, den wir "Jesus" nennen
und der an Ostern auferstanden ist.
Gottes Hilfe hat einen Namen,
eine Gestalt und ein Gesicht.
Und weil Jesus auferstanden ist,
ist sie tatsächlich, leibhaftig da.

V
"Ach!", sagte der Fuchs, "ich werde weinen."
"Das ist deine Schuld", sagte der kleine Prinz,
"ich wünschte dir nichts Übles,
aber du hast gewollt, dass ich dich zähme ..."
"Gewiss", sagte der Fuchs.
"Aber nun wirst du weinen!", sagte der kleine Prinz.
"Bestimmt", sagte der Fuchs.
"So hast du also nichts gewonnen!"
"Ich habe", sagte der Fuchs, "die Farbe des Weizens gewonnen."

Viele Menschen, viele Dinge begegnen uns auf unserem Lebensweg.
Sie begleiten uns ein kurzes oder langes Stück unseres Weges,
dann müssen wir sie zurücklassen und ohne sie weiter gehen.
Wenn wir sie uns vertraut gemacht haben, werden wir weinen.
Es wird schmerzhaft sein, uns von ihnen zu trennen.
Aber wir nehmen etwas mit, das sie uns geschenkt haben.
Die Farbe des Weizens bedeutet uns etwas,
weil der, den wir liebten, weizenblondes Haar hatte.
Wir haben Farben gewonnen, Töne;
mit allen Sinnen, mit unserem Herzen sind wir berührt worden,
und diese Berührung wirkt noch lange fort und verändert uns.

Sie verändert die Welt.
Ein Weizenfeld ist nicht mehr nur ein Weizenfeld,
sondern eine anfangs schmerzliche,
später immer glücklichere Erinnerung an den Menschen,
den wir lieben.

Sterne sind nicht nur einfach Sterne,
sondern Schellen, aus denen das silberhelle Lachen tönt,
das wir so sehr vermissen;
wir haben Sterne, die lachen können.

Brot ist nicht nur einfach Brot,
und Wein ist nicht nur einfach Wein.
Sie sind Zeichen der Gegenwart dessen,
der in Brot und Wein unter uns, lebendig bei uns ist
und der eines Tages behutsam die Tränen von unseren Augen abwischen wird.

Das ist wohl der Tränen wert.

____________________
[1] Antoine de Saint-Exupery, Der kleine Prinz, in: Gesammelte Schriften, Bd. I, München (DTV), 1985, S. 554