Freitag, 23. Mai 2014

Gott lässt mit sich reden

Predigt am Sonntag Rogate, 25. Mai 2014, über 2.Mose 32,7-14

Der Herr sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat. Und der Herr sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen. Mose aber flehte vor dem Herrn, seinem Gott, und sprach: Ach Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.
(Luther 1984)


Liebe Gemeinde,

früher war es manchmal so: Wenn unsere Tochter etwas ganz besonders gut gemacht oder aus der Schule eine gute Note mit nach Hause gebracht hatte, dann war es "mein Kind". Wenn es aber Ärger gab oder sie nicht so wollte wir wir, dann war es jeweils "dein Kind" - je nachdem, wer sich über sie ärgerte. 
Sie kennen das sicherlich auch. Statt des Kindes kann es auch ein Haustier sein: "mein Hund", wenn er auf's Wort gehorcht oder ihm ein Kunststück gelungen ist, "dein Hund", wenn er Gassi geführt werden muss oder etwas ausgefressen hat.
Selbst mit Dingen machen wir das hin und wieder so: "mein Auto" ist es, wenn es fährt und sauber ist, "dein Auto", wenn es in die Werkstatt oder in die Waschanlage muss.
Allgemein kann man sagen: Wenn Menschen, Tiere, Dinge uns Freude machen, dann betonen wir gern, dass sie uns gehören, dass wir für sie verantwortlich sind. Wenn sie dagegen Ärger machen oder Probleme bereiten, dann betonen wir gern, dass es ja nicht meine, sondern deine sind; dass der Partner dafür verantwortlich ist und sich kümmern muss.

Etwas Ähnliches passiert im Predigttext in der Unterhaltung zwischen Moses und Gott.
Erinnern wir uns:
Moses war auf den Sinai, den Gottesberg, gestiegen, um dort die beiden Steintafeln mit den 10 Geboten von Gott zu erhalten. Doch so schnell, wie wir etwas einkaufen oder abholen, ging das nicht. Gott und Moses unterhielten sich ausführlich miteinander - so lange, dass die Israeliten sich zuerst wunderten, wo Moses blieb, dann sich Sorgen um ihn machten und es schließlich aufgaben, auf seine Rückkehr noch länger zu warten. Ihr "Kontaktmann" zu Gott kam nicht zurück. Wie sollten sie jetzt mit Gott in Verbindung treten? Würde Gott sie ohne Moses führen können? Besser war es doch, einen eigenen Gott vor Ort zu haben. Also bestimmten sie Aaaron, Moses' Bruder, dazu, ihnen ein Goldenes Stierbild zu machen, das in Zukunft an Gottes Stelle stehen sollte.

Gott war zornig darüber, dass Israel sich einen eigenen Gott gemacht und so schnell vergessen hatte, wem es die Rettung aus der Knechtschaft in Ägypten zu verdanken hatte. "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir" ist das erste der 10 Gebote, die Moses vom Gottesberg mitbringen sollte.
Gott ist zornig und enttäuscht über sein Volk. Da passiert etwas, das wir aus unserem Alltag kennen. Gott sagt zu Moses: "dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt."
Sonst wird überall in der Bibel betont, dass Israel Gottes Volk ist, das er aus der Knechtschaft in Ägypten befreite. Hier aber verhält sich Gott Moses gegenüber wie eine Mutter oder ein Vater, der sich über sein Kind ärgert und zu seinem Partner sagt: "Kümmere du dich darum, schließlich ist es dein Kind!"

Wenn ein Partner dem anderen so die Verantwortung für das Kind, den Hund oder das Auto zuschiebt, entsteht manchmal Streit, wenn der andere zurückgibt: "Warum ich? Es ist auch dein Kind!", und beide darüber debattieren, wer "schuld" ist oder wer an der Reihe ist, sich zu kümmern.
Meistens aber hat sich eine gute Familie so eingespielt, dass der eine Partei für das Kind ergreift, wenn der andere sich ärgert. Nicht so, dass er dem Partner offen widerspricht. Aber wenn Vater schimpft, stellt sich die Mutter hinter das Kind, drückt es an sich, und das Kind weiß: Mutter steht hinter mir, auch wenn Vater gerade gegen mich ist. Oder wenn Mutter die Türen knallt, zwinkern Vater und Kind sich zu, als wollten sie sagen: "Ist nicht so schlimm, das gibt sich wieder."
In einer guten Familie ergreift der eine Partei, wenn der andere sich über das Kind ärgert. Nicht, um dem Partner in den Rücken zu fallen, seine Erziehung zu torpedieren oder ihn zu verletzen. Sondern weil beide ihr Kind über alles lieben und wissen, dass ihr Kind es braucht, Grenzen aufgezeigt zu bekommen, ein Nein zu hören, den Zorn und die Strafe auszuhalten, wenn es einen Fehler gemacht hat. Ebenso braucht es die Gewissheit, dass die Liebe seiner Eltern größer ist als aller Ärger, und dass selbst der größte Wutausbruch nicht bedeutet, dass diese Liebe verloren ist. Dazu verbündet sich der andere Elternteil mit dem Kind und sagt damit: Wir stehen hinter dir und haben dich lieb.

Etwas Ähnliches passiert zwischen Gott und Moses. Moses ergreift Partei für das Volk Israel. Er spricht Gott nicht seinen Zorn und seine Enttäuschung ab. Aber er erinnert ihn auch daran, was er für Israel getan hat, wie sehr er sein Volk liebt und welche Zukunft er ihm versprochen hat. Und so, wie Mutter oder Vater sich von ihrer Partnerin beschwichtigen lassen, so lässt Gott sich bei allem berechtigten Zorn an seine Liebe zu Israel, seine Verantwortung und sein Versprechen erinnern. Moses lenkt Gottes Blick zurück auf Israel, indem er ihm sagt, dass es sein Volk ist, das er aus Ägypten befreit hat.

So weit, so gut - aber was hat das mit dem Beten, dem Motto dieses Sonntages, zu tun?
Auch das Beten geschieht in einer Beziehung. Und wie das Eintreten für den, der einen Fehler gemacht hat, die Beziehung und das Gespräch aufrecht erhält, so tritt auch im Gebet Gott für den ein, der einen Fehler gemacht hat und hilft uns so, die Beziehung zu unseren Mitmenschen oder zu uns selbst nicht zu verlieren, mit den Mitmenschen und mit uns selbst in Kontakt und im Gespräch zu bleiben.

Wenn uns ein anderer enttäuscht oder verletzt hat, sind wir zu recht wütend darüber, und dürfen das auch sein und sagen. In den Psalmen, die ja auch Gebete sind, finden wir viele Beispiele für solche Wutausbrüche - bis dahin, dass der Psalmbeter seinen Feinden eine Krankheit an den Hals wünscht, oder schlimmeres. Aber wenn wir mitten am Fluchen und Schimpfen sind, meldet sich eine leise Stimme, die uns daran erinnert, dass der andere, den wir in Grund und Boden verdammen, ein Mensch ist. Ein Mensch, den Gott über alle Maßen liebt, genau wie uns. Vielleicht erkennen wir dann, dass es nicht ums Rechthaben oder Recht behalten geht, sondern um Barmherzigkeit und Liebe.

Das gilt auch für uns selbst.
Wenn wir uns schuldig fühlen, wenn wir von uns selbst enttäuscht oder zornig auf uns sind, meldet sich eine leise Stimme, die uns daran erinnert, dass wir Menschen sind. Menschen, die Gott über alle Maßen liebt. Vielleicht erkennen wir dann, dass es Gott nicht ums Rechthaben oder Recht behalten geht, sondern um Barmherzigkeit und Liebe.

Nach dem berechtigten Zorn über meinen Gegner kommt die Reue darüber, dass ich ihm die Pest an den Hals gewünscht habe.
Nach der Enttäuschung über mich selbst kommt die Reue darüber, dass ich mit mir selbst ungeduldig bin, mir selbst nicht vergeben und mich selbst nicht so lieben kann, wie Gott micht liebt und mir vergibt.

Die leise Stimme meldet sich aber nicht von selbst.
Sie spricht zu uns, wenn wir mit Gott im Gespräch bleiben.
Gott, das zeigt uns die heutige Geschichte, lässt mit sich reden. Ebenso möchte er, dass wir mit uns reden lassen. Dass wir mit unseren Mitmenschen und mit uns selbst im Gespräch bleiben. Das gelingt uns, wenn wir Gott ein Wörtchen mitreden lassen. Wenn wir auf seine leise Stimme zu hören versuchen, die uns an seine Liebe erinnert.

Das ist: Beten. Es geschieht nicht nur in der Kirche. Nicht nur, wenn wir uns still hinsetzen und die Hände falten. Es gibt so viele Arten, auf Gottes leise Stimme zu hören, wie es Menschen gibt; jede und jeder hat oder findet seine oder ihre eigene. Alles, was man dazu braucht ist, dass wir uns ab und zu daran erinnern lassen, wie sehr Gott uns und jeden Menschen liebt.
Wenn wir versuchen, dass zu begreifen und uns zu Herzen zu nehmen, geht das Beten ganz von allein.
Amen.