Montag, 28. März 2016

Schwerer als der Glaube an die Auferstehung

Predigt am Ostermontag, 28. März 2016, über 1.Korinther 15,12-20:

Wenn aber Christus verkündigt wird, dass er von den Toten auferstanden ist, wieso sagen einige bei euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferstanden. Wenn aber Christus nicht auferstanden ist, dann ist auch unsere Verkündigung inhaltsleer, leer auch euer Glaube. Außerdem stehen wir als falsche Zeugen Gottes da, weil wir im Widerspruch zu Gott bezeugt haben, dass er Christus auferweckt habe, den er nicht auferweckte, wenn, wie sie sagen, die Toten nicht auferstehen. Wenn nämlich die Toten nicht auferstehen, ist auch Christus nicht auferstanden. Wenn aber Christus nicht auferstanden ist, ist euer Glaube nichtig, seid ihr noch in euren Sünden, sind auch die in Christus Entschlafenen der Macht des Todes verfallen. Wenn wir allein in diesem Leben auf Christus hoffen, sind wir bemitleidenswerter als alle Menschen.
Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erster der Entschlafenen.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus trifft Jesus zwei seiner Jünger, denen er einiges erklären muss. Sie haben nicht verstanden, was geschehen ist. Vor allem aber verstehen sie nicht, was die Auferstehung bedeutet.
Richtig peinlich, die Jünger. Alles muss Jesus ihnen erklären: die Gleichnisse muss er ihnen auslegen. Bei seiner Verklärung begreifen sie nicht, was geschieht. Als Jesus seinen Tod ankündigt, will Petrus ihn von seinem Weg abbringen. Bei der Fußwaschung will Petrus sich erst gar nicht waschen lassen, dann aber auch noch den Kopf gewaschen bekommen. Und dann ist da noch der ungläubige Thomas, der nicht glauben kann, ohne seinen Finger in die Wunde zu legen.
Quer durch die Evangelien zieht sich die Begriffsstutzigkeit, das Unverständnis der Jünger. Waren sie einfach zu dumm?

I
Sind wir ehrlich, geht es uns auch nicht anders als den Jüngern: Vieles an unserem Glauben verstehen wir nicht. Selbst die zwei Jahre Konfirmandenunterricht reichen nicht aus, um alles über den Glauben zu lernen - im Gegenteil: Je mehr man über den Glauben weiß, desto mehr Fragen hat man. Selbst ein so großer Theologe wie Martin Luther bekannte auf dem Sterbebett: „Den Vergil kann niemand verstehen, er sei denn fünf Jahre Hirt oder Landmann gewesen. Den Cicero in seinen Briefen versteht niemand, wenn er nicht zwanzig Jahre in einem hervorragenden Staatswesen sich betätigt hat. Die Heilige Schrift meine niemand genügend geschmeckt zu haben, er habe denn hundert Jahre mit den Propheten Kirchen geleitet. Wir sind Bettler. Das ist wahr.“ (WA 5 Nr. 5677, 317f)

Ist der Glaube tatsächlich so schwer zu verstehen?
Glauben an sich ist ja kinderleicht - jedenfalls haben ihn viele von uns bereits als Kinder kennen gelernt,
und seitdem gehen wir mehr oder weniger selbstverständlich davon aus, dass Gott existiert, dass man mit ihm reden kann.
Im „Mehr oder weniger“ - da liegt das Problem:
Wenn wir erklären sollten, was wir eigentlich glauben, und wie wir uns das so vorstellen mit Gott und der Welt, fehlen uns oft die Worte. Wie die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, können auch wir uns auf Vieles keinen Reim machen.

II
Die Auferstehung ist dabei wohl der größte Brocken, den der Glaube einem zu schlucken geben kann. Sie rangiert noch vor der Jungfrauengeburt und der Erschaffung der Welt in sieben Tagen, die jeder für sich schon unglaublich genug sind. Es ist ein schwacher Trost, dass es nicht nur uns Heutigen so geht, sondern schon die ersten Christen ihre Schwierigkeiten mit der Auferstehung hatten. So auch die Christen in Korinth, denen Paulus schreibt. Einige von ihnen waren der Meinung, dass man auch ohne Auferstehung an Christus glauben kann. Dass die Auferstehung sozusagen ein entbehrliches Extra ist, das man auch weglassen kann, um den Glauben nicht mit etwas Unglaublichem zu belasten. Ich denke, diese Auffassung der Korinther teilen noch heute viele Menschen. Paulus aber widerspricht dieser Auffassung ungewöhnlich scharf, ja, er spricht denen, die die Auferstehung weglassen wollen, geradezu den Glauben ab: Wer nicht an die Auferstehung glaubt, glaubt gar nicht. Wer Christus nur als einen besonderen, vorbildlichen Menschen wie den Mahatma Gandhi oder die Mutter Theresa sehen will, ist „bemitleidenswerter als alle Menschen“.

III
Paulus nimmt den Mund ziemlich voll.
Man sollte meinen, wenn einer so schroff und absolut anderen den Glauben abspricht, hat er gute Gründe dafür. Hat Paulus die? Auf den ersten Blick klingt es ja ganz überzeugend, was Paulus da sagt, aber hört man genauer hin, wiederholt er sich einfach nur: Die Auferstehung Jesu und die Auferstehung der Toten hängen zusammen. Wenn die Toten nicht auferstehen, ist Jesus auch nicht auferstanden, dann gibt es also kein Ostern. - Na gut, könnte man einwenden, kein Ostern zu haben, wäre zwar schade, aber richtig fehlen würde es einem auch nicht - im Gegensatz zu Weihnachten - oder?

IV
Warum ist der Glaube „leer“ und „nichtig“, wenn es keine Auferstehung der Toten gibt? Paulus erklärt es nicht - die Korinther scheinen zu wissen, was er meint. Er hat es ihnen offenbar gepredigt. Was wissen die Korinther, was wir nicht wissen?

Die Emmausgeschichte und der Brief des Paulus an die Korinther sind lange nach dem Tod Jesu enstanden. Paulus schrieb etwa 30 Jahre nach dem Tod Jesu nach Korinth; Lukas schrieb sein Evangelium erst 50 Jahre nach Jesu Tod.
Der Brief und das Evangelium wurden geschrieben mit dem Wissen um Jesu Tod und Auferstehung. Sie sind überhaupt nur deswegen entstanden, weil Jesus nicht nur ein besonderer Mensch war, sondern weil er auferstanden ist. Denn erst mit seiner Auferstehung bewahrheitete sich, was er gepredigt hatte: Dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen war.
Das Reich Gottes - das ist nicht der Himmel auf Erden, und das ist auch kein Gottesstaat. Das Reich Gottes, das ist vielmehr der Einbruch einer anderen Wirklichkeit in unsere. Auferstehung erwartet uns nicht erst am Ende der Zeiten, wenn die Posaune erschallt und die Toten auferstehen. Auferstehung hat direkt etwas mit uns zu tun, sie betrifft unseren Alltag, unser Hier und Jetzt - aber wie?

V
Im Wort Auferstehung steckt das Aufstehen, und das ist mehr als ein Wortspiel.
Die Auferstehung Christi bewirkt, dass wir aufstehen können, immer und immer wieder. Denn mit der Auferstehung Christi ist nicht nur das Reich Gottes Wirklichkeit geworden, sondern auch etwas anderes, das Jesus verkündigt hat: die Vergebung der Sünden. Die Vergebung der Sünden ist die Möglichkeit, jeden Tag neu anzufangen. Weil mir vergeben ist, kann ich jeden Tag hinter mir lassen, was war. Es ist nicht vergessen, es bleibt als Fehler, als Schuld, als Belastung. Aber Gott legt mich nicht darauf fest. Gott gibt mir die Chance, es noch einmal neu zu versuchen - auch wenn es möglicherweise ein weiteres Mal in die Hose geht. Ich kann die Konsequenzen tragen und mit ihnen leben, weil das, was ich tue, nicht darüber entscheidet, wer ich bin. Gott legt mich nicht auf meine Fehler fest, sondern auf meine Möglichkeiten - meine Möglichkeit, zu lieben und gut zu sein.

Die Auferstehung schafft also neben dem, was wir als Wirklichkeit vorfinden, noch eine andere Wirklichkeit. 
In der vorfindlichen Wirklichkeit habe ich einen Fehler gemacht, habe vielleicht sogar versagt. 
In der vorfindlichen Wirklichkeit fühle ich mich hässlich, minderwertig, zu dick oder zu unsportlich. 
In der vorfindlichen Wirklichkeit habe ich keinen Erfolg, keinen tollen Job, keinen großen Besitz, keine einflussreichen Freunde.
Aber in der anderen Wirklichkeit bin ich von Gott über alles geliebter Mensch.
In der anderen Wirklichkeit mag Gott mich so, wie ich bin.
In der anderen Wirklichkeit sieht Gott nicht meine Fehler und Schwächen, sondern meine Möglichkeiten, mein Bemühen, meine gute Absicht.

VI
Schön und gut, diese andere Wirklichkeit - aber muss man dazu unbedingt an die Auferstehung glauben? Hier sind wir - und da ist Gott. Hier ist unsere Wirklichkeit, und da Gottes. Das geht auch ohne Auferstehung, die braucht man dazu nicht. Man kann einfach glauben, dass Gott uns lieb hat.

Nein, das kann man nicht.
Und zwar aus dem einfachen Grund, dass ohne die Auferstehung die andere Wirklichkeit Gottes keine Wirklichkeit wäre, sondern nur eine Einbildung.
Mit der Zumutung der Auferstehung steht und fällt, ob wir Gott für real halten, oder nur für eine nette, hilfreiche Phantasie, die niemandem schadet.

VII
Der Glaube an die Auferstehung ist eine Zumutung.
Es ist ganz schön viel verlangt, dass wir diese Kröte schlucken müssen, um glauben zu können.

Aber es ist noch die Frage, was schwerer ist:
An die Auferstehung zu glauben, oder daran, dass ich gut und schön und richtig bin, wie ich bin? Dass es nicht auf meine Leistung, auf meinen Erfolg ankommt und nicht darauf, wie ich dastehe und was die anderen von mir halten, sondern allein darauf, was Gott von mir hält?

Es ist noch die Frage, was schwerer ist:
An die Auferstehung zu glauben, oder daran, dass Gottes Liebe nicht nur mir gilt und den Menschen, die ich mag und nett finde. Sondern auch und gerade denen, die ich auf den Tod nicht ausstehen kann. Sie gilt den bedrohlich dunkeläugigen Flüchtlingen mit ihren befremdlichen kopftuchtragenden Frauen. Sie gilt den nervigen Nachbarn. Sie gilt den alten Feinden.
Wobei es nicht allein darauf ankommt, das einfach so dahinzusagen und zuzugeben. Wer tatsächlich glauben möchte, dass Gottes Liebe *allen* Menschen gilt, der muss auch so leben: Der muss *alle* Menschen als Gottes geliebte Kinder ansehen. Das ist oft sogar noch schwerer, als an so etwas unvorstellbares wie die Auferstehung zu glauben.

An die Auferstehung zu glauben ist nicht so schwer.
Viel schwerer ist es, sie für mich gelten zu lassen.
Noch schwerer ist es, sie für meine Mitmenschen gelten zu lassen.

Zu diesem Glauben will Paulus uns ermutigen.
Für diesen Glauben ließ Jesus sich ans Kreuz schlagen.
Damit dieser Glaube wahr wird, hat Gott ihn auferweckt.

Amen.

Sonntag, 27. März 2016

Glauben an Geschichten

Predigt im Familiengottesdienst am Ostersonntag, 27. März 2016, über 1.Korinther 15,1-11:

Ich lasse euch aber, liebe Schwestern und Brüder, die Frohbotschaft wissen, die ich euch predigte, die ihr auch angenommen habt, in der ihr auch fest steht, durch die ihr auch gerettet werdet, in dem Wortlaut, in dem ich sie euch predigte, wenn ihr sie festhaltet, es sei denn, ihr glaubt ohne Sinn und Verstand.
Denn in erster Linie habe ich euch überliefert, was auch ich angenommen habe:
Dass Christus für unsere Sünden starb gemäß der Schrift,
dass er begraben wurde,
dass er am dritten Tag auferweckt wurde gemäß der Schrift,
und dass er Kephas erschien, darauf den Zwölfen.
Darauf erschien er mehr als 500 Schwestern und Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch leben, einige aber sind entschlafen. Darauf erschien er Jakobus, dann allen Aposteln. Als letztem von allem, quasi als einer Fehlgeburt, erschien er auch mir. Ich bin ja der geringste der Apostel, nicht einmal geeignet, Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgte. Gott sei Dank aber bin ich, was ich bin, und seine Gnadengabe für mich blieb nicht ohne Erfolg, sondern mehr als alle anderen plagte ich mich. Aber nicht ich, sondern Gottes Gnadengabe, die mit mir ist. Ob nun ich oder jene: so predigen wir, und so habt ihr geglaubt.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

man muss nicht alles glauben, was einem so erzählt wird.
Das lernt man schon als Kind, wenn man veräppelt und hereingelegt wird. Dann ärgert man sich, dass man man so leichtgläubig war, und nimmt sich vor, nicht mehr so schnell auf etwas hereinzufallen. In ein paar Tagen schicken wir uns wieder gegenseitig in den April. Dann darf man einen ganzen Tag lang andere hereinlegen, wenn man es schafft. Und sie dürfen einem nicht böse sein, dass man sie in den April geschickt hat.

I
Man muss nicht alles glauben, was einem so erzählt wird.
Muss man an die Auferstehung glauben?
Sie ist ziemlich starker Tobak und mit unserer Erfahrung und den Naturgesetzen nicht zu vereinbaren. Was einmal tot ist, so unsere Erfahrung, wird nicht wieder lebendig. Mit dem Tod geht etwas im Menschen kaputt, das kein Arzt der Welt reparieren kann. Von einem Moment zum nächsten wird aus einem lebendigen Menschen ein lebloser Körper, der nur noch so aussieht wie der Mensch, den man kannte und liebte. Aber der, den man kannte und liebte, ist nicht mehr da. Es ist, als sei er aus seinem Körper ausgezogen, fortgegangen und hätte den Körper als Hülle zurückgelassen, so, wie man abends seine Kleider ablegt.
Das alles soll jedoch für Jesus nicht gegolten haben. Bei ihm wurde es außer Kraft gesetzt. Er war tot - und wurde doch wieder lebendig. Kann man das glauben?

II
Wie ist es sonst, wenn wir etwas glauben?
Wenn z.B. jemand fragt: Glaubst du, dass es bald regnet?, was machen wir da? Wir gucken aus dem Fenster und schauen in den Himmel. Wir suchen nach Anzeichen, die auf Regen hindeuten, und wenn es nach Regen aussieht, sagen wir: Ja, du nimmst besser deinen Schirm mit.

Oder wenn jemand fragt: Glaubst du, du schaffst das? Dann sehen wir uns die Aufgabe an, überlegen, was dazu nötig ist, und wenn sie uns zu schwer erscheint, antworten wir: Nein, das schaffe ich nicht - oder: alleine schaffe ich's nicht, du musst mir helfen.

Oder wenn jemand fragt: Hast du mich lieb? …
Aber das ist keine Glaubensfrage - oder?
Dass man jemanden liebt, das glaubt man nicht, das fühlt man: Am Herzklopfen. An den plötzlich feuchten Händen. An den Schmetterlingen im Bauch. An der Wärme, die einen durchflutet, wenn man an den anderen denkt. Daran, dass dieser andere Mensch einen glücklich macht.
Aber wie ist es umgekehrt? Fühlt man auch, dass man geliebt wird?

Es ist wohl nicht so sehr das Gefühl, es sind eher Zeichen, die einen davon überzeugen, geliebt zu werden: Wenn der andere aufmerksam und zärtlich ist. Wenn er sich um einen bemüht.  Wenn man mit einem Kuss geweckt wird, eine Tasse Kaffee ans Bett gebracht wird. Wenn man Blumen geschenkt bekommt, oder einen Ring: Dann ist der oder die andere unübersehbar in einen verliebt.

Wie aber ist es im Alltag? Wie ist es zwischen Tür und Angel, wie, wenn man sich nervt, sich streitet? Wie ist es, wenn man dem anderen weh getan, sie oder ihn verletzt hat? Dann kann man oft nur glauben, dass der andere einen liebt - dass er einen trotzdem liebt. Manchmal fällt es ganz schön schwer, an die Liebe des anderen zu glauben …

III
Und unsere Kinder? Woher wissen die, dass wir sie lieben - mehr als alles andere? Woher wissen sie, dass sie für uns die schönsten, klügsten, wichtigsten, liebenswertesten Menschen der Welt sind? Wie wird der Glaube unserer Kinder an unsere Liebe so sicher und so fest, dass er nicht erschüttert wird, wenn wir mit ihnen schimpfen, wenn wir uns mit ihnen streiten, wenn wir keine Zeit für sie haben, wenn wir müde und genervt von der Arbeit heimkommen, wenn sie das erste Mal allein auf Klassenfahrt sind oder eines Tages von zuhause ausziehen?

Wir haben ihnen hoffentlich zeigen können, wie sehr wir sie lieben. Wir haben sie hoffentlich oft genug im richtigen Moment in den Arm genommen, ihnen Trost gespendet, wenn sie ihn brauchten, ihnen zugehört, wenn es nötig war, sie oft genug gelobt, sie oft genug angelächelt und angestrahlt, dass ihr Liebesakku voll aufgeladen ist, wenn sie ihre eigenen Wege als Erwachsene gehen.

Und wir haben ihnen, wenn es gut ging, Geschichten weitergegeben. Geschichten, die von unserer Liebe zu ihnen erzählen. Das können unvergessliche gemeinsame Erlebnisse sein - eine Übernachtung im Zelt, ein toller Urlaub, ein abendlicher Spaziergang, das gemeinsame Spielen, Toben, Malen oder Kochen. Das kann die Gutenachtgeschichte sein, oder ein Lied, das man immer gemeinsam sang. Diese Geschichten erinnern unsere Kinder an unsere Liebe, wie uns unsere Geschichten an die Liebe unserer Eltern erinnern. Es sind kleine Schätze, die wir in uns tragen, und die leuchten und Wärme spenden, wenn wir sie herausholen, um sie wieder einmal anzusehen.

IV
Wenn es um die Auferstehung geht, haben wir nur Geschichten, keine Beweise, keine Augenzeugenberichte, keine Bilder oder Filme. Wir haben nur Geschichten, und mit Geschichten lässt sich nichts beweisen. Aber diese Geschichten sind wie die, die wir aus unserer Kindheit in uns tragen: sie sind Schätze, die uns eine andere Wirklichkeit aufschließen. Die Geschichten der Kindheit rufen uns, wenn wir eine gute Kindheit hatten, die Geborgenheit und Liebe bei den Eltern in Erinnerung.

Paulus erinnert die Korinther an die Geschichte der Auferstehung, die er ihnen erzählt hat. All die Zeugen, die er anführt, sind keine Augenzeugen in einem Beweisverfahren. Sie stehen für Geschichten - deshalb erinnert Paulus auch zweimal an die Bibel, wenn er sagt, dass es "gemäß der Schrift" geschah.
Die Geschichten, die von der Auferstehung erzählen, rufen uns in Erinnerung, wie sehr Gott uns liebt: So sehr, dass sein Sohn sich für uns ans Kreuz schlagen lässt. Sie rufen uns in Erinnerung, wie groß Gottes Liebe ist: So groß, dass der Tod sie nicht besiegen kann. Die Liebe ist stärker als der Tod. Damals, bei der Auferstehung Jesu, und auch heute - trotz aller Gewalt und allem Terror, die uns glauben machen wollen, dass die Macht der Fäuste, der Waffen, der Einschüchterung und des Schmerzes die Liebe besiegen könnte. Aber die Liebe wird sich immer gegen die Gewalt durchsetzen. Darum glauben wir an die Auferstehung: Wir glauben daran, dass Liebe und Menschlichkeit, dass Barmherzigkeit und Vergebung unbesiegbar sind.

V
Die wirklich wichtigen und entscheidenden Dinge im Leben kann man nicht beweisen. An die wirklich wichtigen und entscheidenden Dinge im Leben muss man glauben. Manche glauben nur an sich, an ihre Kraft, ihre Stellung, ihren Einfluss; an die Macht des Geldes, an die Macht der Gewalt. Dieser Glaube hat die schlagenden Argumente auf seiner Seite, deshalb sind so viele davon überzeugt, dass nur Geld, Macht und Gewalt zum weltweiten Frieden und zum persönlichen Glück führen.

Es sind nur wenige, die es besser wissen. Diese Wenigen sind die, die an die Geschichten glauben. An die kleinen Geschichten der Familie, und an die großen Geschichten der Familie Gottes, an Gottes Geschichte mit uns Menschen.
Von Gottes Geschichte mit uns Menschen, von seiner unumstößlichen Liebe zu jeder und jedem einzelnen von uns, erzählt uns die Bibel. Die Predigt über die biblischen Texte vergegenwärtigt uns Sonntag für Sonntag, dass diese Geschichten aktuell sind, dass sie uns und unsere Welt betreffen und dass sie einen anderen Weg eröffnen als den der Macht, der Gewalt und des Geldes. 

Zu diesen Geschichten gehört die Auferstehung. Sie ist die wichtigste, denn sie öffnet uns die Tür zu Gottes Wirklichkeit. Vor allem aber zeigt sie uns, dass es sich lohnt, auf die Liebe zu setzen. Weil die Liebe am Ende siegt und stärker ist als alles, was sich ihr entgegenstellen will - Hass, Neid, Gier, Rassismus, Unmenschlichkeit, Egoismus. Die Liebe ist stärker, stärker sogar als der Tod. Das feiern wir heute, an Ostern. Amen.

Freitag, 25. März 2016

Lasst euch versöhnen!

Predigt am Karfreitag, 25. März 2016, über 2.Korinther 5,14b-21:

Weil einer stellvertretend für alle gestorben ist, sind alle gestorben. Und er ist stellvertretend für alle gestorben, damit, wer lebt, nicht mehr sich selbst lebt, sondern für den, der für ihn gestorben und auferstanden ist. Daraus folgt, dass wir von jetzt an niemanden mehr nach seinem Äußeren kennen. Selbst wenn wir Christus nach seinem Äußeren gekannt hätten, kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so. Das liegt daran, dass, wer zu Christus gehört, eine Neuschöpfung ist. Das Alte verging; sieh da, Neues ist entstanden. Das alles aber kam von Gott, der uns mit sich versöhnt hat durch Christus und uns den Auftrag zur Versöhnung gab, nämlich, dass Gott es war, der durch Christus die Welt mit sich versöhnt hat und ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnet und uns die Predigt der Versöhnung gab. An Christi statt wirken wir jetzt als Botschafter, indem Gott euch durch uns auffordert. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Gott hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit uns durch ihn Gottes Gerechtigkeit zuteil werde.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn man Bilder von den PEGIDA-Protesten sieht oder von den Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen; wenn man sich die Reden der AfD-Führer anhört; wenn man Gespräche in der Bahn, beim EDEKA oder auf der Straße mit anhören muss, dann fällt eine Gemeinsamkeit auf, die man auf einen Begriff bringen kann: unversöhnlich. Was die Menschen, die der AfD ihre Stimme geben, mit dem Nachbarn verbindet, der sich in Tiraden über die Ausländer, die Bekannte oder die Politik ergeht, ist ihre Unversöhnlichkeit.

I
Unversöhnlich ist, wer schwer gekränkt wurde. Wer so verletzt wurde, dass nicht vorstellbar ist, wie dieser Schaden je wieder gut gemacht werden könnte. Da ist etwas zerbrochen, etwas ganz Grundlegendes und Grundsätzliches. Bei den Anhängern der AfD z.B. das Vertrauen in die Freiheit der Presse. Sie unterstellen den Medien, dass sie nicht wahrheitsgemäß berichten, die Wirklichkeit verzerren würden. Und das Vertrauen in die Politik, die offensichtlich „das Volk“, als das sich die AfD-Anhänger fühlen - auch, wenn die große Mehrheit des Volkes anders denkt als sie - nicht mehr versteht und nicht mehr vertritt.
Aber unversöhnlich stehen die Anhänger der AfD nicht nur der Politik und der Presse gegenüber, sondern auch den Flüchtlingen, die in unserem Land Schutz und die Chance zu einem menschenwürdigen Leben suchen. 
Da muss man fragen: Was haben diese Flüchtlinge den AfD-Anhängern angetan, dass sie ihnen so unversöhnlich begegnen? Was haben die, die aus Lebensgefahr, vor Terror und Schrecken, aus menschenunwürdigen Lebensverhältnissen geflohen sind und nun betteln, dass wir sie aufnehmen: was haben die verbrochen, dass es kein Mitleid für sie gibt? Was haben sie denen, die sich so vehement gegen sie wehren, getan?
Man wird antworten müssen: nichts haben sie ihnen getan.

II
Die Unversöhnlichkeit der PEGIDA und der AfD tritt besonders grell zutage, weil sich die Aufmerksamkeit der Medien auf sie richtet. Außerhalb des Lichtkegels der Kamerascheinwerfer fällt nicht auf, dass Unversöhnlichkeit nicht eine Domäne der AfD ist. Auch unter uns ist sie gang und gäbe: 
Wie oft wird als Begründung für einen Kirchenaustritt angegeben, ein Pfarrer oder ein kirchlicher Mitarbeiter habe sich falsch verhalten, ein Gottesdienst oder eine Amtshandlung sei nicht so gewesen, wie man sich das gewünscht hätte, oder „Kirche“ sei ganz allgemein nicht da gewesen, als man sie brauchte. Während man bei eigenen Fehlern Nachsicht erwartet und das Recht, es noch einmal zu versuchen, scheinen manche nur auf einen Fehler kirchlicher Mitarbeiter gewartet zu haben, um endlich einen Schlussstrich ziehen zu können.
Oder wie oft lassen wir uns bei unseren Entscheidungen, in unseren Einschätzungen, bei unserer Meinungsbildung leiten von negativen Erfahrungen, die wir machen mussten, oder die andere machten? Da ist jemand von einem Ausländer bestohlen worden, also sind alle Ausländer Diebe. Da kennt jemand einen, der keine Arbeit suchen will, sondern mit der Sozialhilfe zufrieden ist, also sind alle Sozialhilfeempfänger faul und arbeitsscheu. Ebenso könnte man behaupten, dass alle Senioren Nazis oder Genossen sind, weil einige von ihnen in der entsprechenden Partei waren; dass alle Jugendlichen Drogen nehmen, weil einige es tun.
Oder manchmal, da reicht schon eine falsche Bemerkung, ein Fehlverhalten, und jemand ist für uns gestorben, bevor wir ihn oder sie überhaupt richtig kennen lernten.
Woher kommt es, dass wir manchmal sofort persönlich verletzt oder gekränkt sind? Woher kommt es, dass wir manchmal so unversöhnlich sind?

III
Es liegt daran, dass wir uns meist vom äußeren Eindruck leiten lassen. Hat jemand dunkle Haare, dunkle Augen, dunkle Haut? Das ist bestimmt ein Ausländer! Auch, wenn man versucht, sich gegen diesen ersten äußeren Eindruck zu wehren: die Angst vor'm „schwarzen Mann“ sitzt so tief in uns, dass sie uns schon beeinflusst hat, bevor unsere Vernunft uns dazu raten kann, uns nicht von unseren Vorurteilen leiten zu lassen. In Afrika ist es übrigens genau umgekehrt: Da hat man Angst vor'm „weißen Mann“.

Vorurteile, Angst vor Fremdem und Fremden sitzen tief in uns. Darum ist es keine Frage der Bildung, ob man Vorurteile hat oder nicht, sondern eine Frage des Glaubens. Wem der Glaube fehlt, dem fehlt die Möglichkeit, sich zu versöhnen: Sich mit der eigenen Begrenztheit zu versöhnen, mit den eigenen Fehlern und Schwächen. Und darum auch die Fähigkeit, anderen Fehler, Schwächen, Grenzen zuzugestehen. Ihnen zuzugestehen, dass sie, wie wir, Menschen sind, die genau wie wir einfach nur Ruhe, Frieden, Liebe und Glück suchen.

IV
Bevor Versöhnung geschehen kann, muss etwas Schreckliches passieren, etwas unfassbar Grausames und Ungerechtes: Ein Unschuldiger muss sterben, einen grausamen, schmerzvollen, erniedrigenden Tod. Der Tod dieses Einen, Christus, ist nötig, damit alles Äußerliche ein für allemal mit stirbt: Jeder erste Eindruck, jedes Vorurteil, jedes Beurteilen nach dem Aussehen, jedes Vertrauen auf eigene Schönheit, eigene Leistung, eigene Kraft. Sie sind mit Christus am Kreuz gestorben und gelten nicht mehr. Dafür gilt jetzt etwas Neues: das Neue, das mit dem Tod Jesu in die Welt gekommen ist, die Versöhnung. „Christ ist erschienen/ uns zu versühnen“, sangen wir schon zu Weihnachten. Christus hat die Versöhnung gebracht und hat uns mit Gott versöhnt.
Hat Gott denn Versöhnung nötig? Was haben wir ihm denn getan? Wer so fragt, den kann man zurückfragen: Was haben dir die Flüchtlinge getan? Wer den Flüchtlingen nur Schlechtes zutraut, sie für Menschen zweiter Klasse hält, der sollte sich sein Verhalten mal genauer ansehen, ob es über jeden Zweifel erhaben, ob Gott damit zufrieden ist.
Alle anderen aber müssen keine Angst vor Gott haben. Gott ist kein Oberlehrer, der pingelig jeden unser Fehler rot anstreicht und uns Noten für unser Verhalten gibt. Versöhnung mit Gott bedeutet nicht, dass wir Gott gegenüber etwas gut machen müssten - das können wir gar nicht, das hat Jesus für uns getan. Versöhnung mit Gott bedeutet vielmehr, dass wir mit unseren eigenen Ansprüchen, Idealen, Erwartungen versöhnt sind. Wir müssen nichts leisten, wir müssen nicht auf eine bestimmte Art und Weise sein, um vor Gott gut dazustehen. Und andere müssen das auch nicht. Gott erwartet nicht von uns, dass wir immer alles richtig machen. Gott erwartet nicht einmal, dass wir keine Angst vor Fremdem und vor Fremden haben. Aber er erwartet, dass, weil er uns diese Angst zugesteht; weil er uns zugesteht, dass wir fehlerhaft sind und Fehler machen, wir es auch anderen zugestehen. Also auch den Fremden zugestehen, dass sie Angst vor Terror, Gewalt und Krieg haben, die sie zur Flucht in unser Land treibt.

V
Durch Christus sind wir mit Gott versöhnt. Das ist eine gute und schlechte Nachricht zugleich. Gut ist sie, weil sie uns die Sorgen darüber nimmt, wie wir dastehen: Wir stehen gut da. Gott liebt uns so, wie wir sind. Schlecht ist sie, weil Gott möchte, dass wir auch alle anderen gut dastehen lassen, weil er sie genauso liebt wie uns. Das macht es uns schwer, die Versöhnung anzunehmen und gelten zu lassen. Darum wird immer wieder von ihr gepredigt. 
Hier, in der Gemeinde, im Gottesdienst ist der Ort, wo immer wieder und immer aufs Neue gebeten wird: lasst euch versöhnen mit Gott. Diese Bitte richtet sich nicht nur an die, die heute hier sind. Sie richtet sich an alle Menschen, auch an die Unversöhnlichen bei der AfD und bei PEGIDA.
Wir alle, die wir durch die Taufe zur Gemeinde gehören, sind Botschafterinnen und Botschafter dieser Versöhnung, für die Christus am Kreuz gestorben ist. Uns alle schickt er aus, seine Versöhnung zu predigen durch Wort und Tat. Christus hat den Tod auf sich genommen, damit wir unsere Unversöhnlichkeit aufgeben und uns um Versöhnung bemühen.

Lassen wir uns versöhnen.
Versöhnen wir uns mit unseren geplatzten Träumen, unseren verpassten Gelegenheiten, unseren falschen Entscheidungen.
Versöhnen wir uns mit unseren Vorurteilen über andere, mit unserer Angst vor ihnen, unserem Neid auf sie.
Versöhnen wir uns auch mit Gott, der so oft nicht will wie wir, der so oft schweigt, wenn wir nach einer Antwort suchen.

Lassen wir uns versöhnen und werden wir Botschafterinnen und Botschafter der Versöhnung! Führen wir die Sache Jesu weiter, für die er den Tod am Kreuz auf sich nahm!
Gerade heute, am Tag seines Todes, wiederholen wir für uns und für alle, die es hören wollen, seine Bitte und nehmen sie uns zu Herzen:
Lasst euch versöhnen mit Gott!
Amen.