Samstag, 31. Oktober 2020

umkehren, um zu bleiben

Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis, 1.11.2020, über Jeremia 29:
 
Das ist der Wortlaut des Briefes,
den der Prophet Jeremia aus Jerusalem schickte
an das ganze Volk, das Nebukadnezar aus Jerusalem
nach Babel weggeführt hatte:
 
So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels,
zu allen, die ich von Jerusalem nach Babel deportiert habe:
Baut Häuser und wohnt in ihnen.
Pflanzt Gärten und esst ihre Früchte.
Sucht Wohlergehen für die Stadt,
in die ich euch deportiert habe,
und betet für sie zu Gott,
denn ihr Wohlergehen wird euer Wohlergehen sein.
 
Denn so spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels:
Die Propheten, die unter euch sind und wahrsagen,
sollen euch nicht täuschen,
und ihr sollt nicht auf ihre Träume hören,
die ihr sie träumen lasst.
Denn sie prophezeien euch Lüge in meinem Namen,
ich habe sie nicht gesandt, spricht der Herr.
 
 
„Baut Häuser und wohnt in ihnen.
Pflanzt Gärten und esst ihre Früchte.”

 
Liebe Schwestern und Brüder,
 
wer ein Haus baut, einen Garten anlegt,
hat vor, zu bleiben.
Der will nicht gleich wieder aufbrechen,
sondern träumt davon,
als Rentner*in auf einer Bank hinterm Haus zu sitzen
und den Enkelkindern beim Spielen zuzusehen.
 
Jeremia rät den nach Babel Deportierten,
sich einzurichten auf lange Zeit
und sich einzulassen auf das fremde Land.
Mit diesem Ratschlag steht er aber offenbar allein da.
Es gibt andere Propheten,
die den Deportierten Hoffnung machen,
dass der Spuk bald vorbei sein wird
und sie bald nach Hause zurückkehren können.
Sinnlos, sich in der Fremde einzurichten
und sich um ein gutes Miteinander mit den Feinden zu bemühen.
 
Auch heute gibt es Propheten,
die Corona für eine Hysterie halten
und die Corona-Maßnahmen für völlig übertrieben,
weil sie die Freiheit einschränken
und die Wirtschaft ruinieren.
Sie nennen Berichte über schlimme Folgen einer Corona-Infektion
und die Zahlen der im Zusammenhang mit Corona Gestorbenen „fake-news”
und warnen vor der „Lügenpresse”, die uns manipulieren will.
 
Die Deportierten damals waren verunsichert,
und wir heute sind es auch:
Wem darf, wem soll man trauen?
Denen, die sagen, dass alles nicht so schlimm ist
und dass alles wieder so gut wird, wie es früher nie war?
Oder denen, die uns auf eine lange Zeit  
mit belastenden Einschränkungen einschwören?
 
Ich denke, wir hätten es alle lieber,
wenn wir die Uhr zurückdrehen könnten zu der Zeit vor Corona.
Wenn wir wieder so unbeschwert leben könnten,
wie wir es bis dahin gewohnt waren.
Sicher, auch damals lebten nicht alle so unbeschwert -
Langzeitarbeitslose, die niemand brauchen konnte;
Flüchtlinge, die Haus und Heimat verloren hatten
und hier Misstrauen und Ablehnung erlebten;
Schüler*innen, die aus Sorge um die Zukunft des Planeten
jeden Freitag demonstrierten.
Aber es waren vergleichsweise Wenige,
die sich Sorgen machten und belastet waren.
Heute sind es so gut wie alle.
 
Woran also erkennt man sie, die wahren Propheten?
Man erkennt sie daran,  
dass sie nie von der „guten, alten Zeit” schwärmen.
Nie verklären, was niemals so gut war,
wie es erinnert und dargestellt wird.
Wenn die wahren Propheten im Namen Gottes sprechen,
geht es immer um Veränderung.
Um Umkehr - nicht zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens -,
sondern eine Änderung des Lebens,
eine Änderung der Werte und Gewohnheiten.
 
Die wahren Propheten zeigen auch nicht auf andere -
auf die Ausländer, auf die Politiker
oder auf eine ominöse Verschwörergruppe.
Sie zeigen immer auf sich selbst - und damit auf uns.
Nicht andere müssen sich ändern,
nicht andere müssen umkehren:
Wir müssen es tun.
 
Dass wir umkehren müssen, wissen wir schon lange.
Wir wissen, dass es nicht sein darf,
dass Menschen im Mittelmeer ertrinken,
weil wir hier keine Fremden haben wollen;
dass es nicht sein darf,
dass wir die Lebensgrundlage unzähliger Menschen
und unsere eigene Umwelt zerstören,
damit es freie Fahrt für freie Bürger gibt;
dass Kinder für einen Hungerlohn arbeiten müssen,
statt zur Schule zu gehen und Kind sein zu dürfen,
damit unsere Kleidung so schön preiswert bleibt.
 
Wir wissen, dass wir umkehren müssen.
Aber wir tun es nicht.  
Wir sind zu bequem.
Es ist doch noch immer gut gegangen.
Es ist uns doch so gut gegangen.
Jetzt, wo auch wir betroffen sind,
wo es auch uns schlecht ergeht,
erfahren wir am eigenen Leib,
wie es anderen Menschen schon die ganze Zeit ergangen ist.
Die Corona-Pandemie, so belastend und lästig und schwer sie ist,
kann uns etwas lehren.
Sie kann uns Mitgefühl mit anderen lehren.
Und die Einsicht, dass andere ebenso gern  
ihrer belastenden Situation entkommen möchten wie wir.
 
An Corona können wir nichts ändern.
Aber wir können uns ändern.
Wir können uns zurückhalten und einschränken,
so schwer uns das auch fällt,
und dadurch andere schützen.
Und wir können unser Verhalten ändern -
was und wo wir einkaufen,
wie wir reisen,
wie wir uns Fremden gegenüber verhalten.
 
Wer ein Haus baut, einen Garten anlegt,
hat vor, zu bleiben.
Damit unser Garten gedeiht,
müssen wir unser Klima retten.
Damit wir in unserem Haus glücklich werden,
müssen wir lernen, gute Nachbarn zu sein
und das Wohlergehen derer zu sichen,
mit denen wir zusammenleben.
Denn ihr Wohlergehen wird unser Wohlergehen sein.
 
Amen.

Freitag, 30. Oktober 2020

Die Spatzen und wir

Predigt am Reformationstag, 31.10.2020, über Matthäus 10,26-33:
 
Jesus spricht: Nichts ist verborgen, was nicht offenbar werden wird,
und nichts heimlich, was nicht bekannt werden wird.
Was ich euch im Dunkeln sage, das redet im Licht,
und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet auf den Dächern.
Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können,
die Seele aber nicht.
Fürchtet vielmehr den, der Seele UND Leib vernichten kann in der Hölle.
Zahlt man nicht einen Cent für zwei Sperlinge?
Doch ohne Wissen eures Vaters fällt keiner von beiden zu Boden.
Euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.
Habt also keine Angst. Ihr seid viel mehr wert als Sperlinge.
Jeder nun, der sich vor den Menschen zu mir bekennt,
zu dem werde auch ich mich bekennen vor meinem Vater im Himmel.
Wer mich aber vor den Menschen verleugnet,
den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.
 
 
Liebe Schwestern und Brüder,
 
„ihr seid viel mehr wert als Sperlinge” -
soll das ein Kompliment sein?
Oder ist es eine versteckte Beleidigung,
dass wir mit Spatzen verglichen werden?
Ich finde es spannend,
wie hier Mensch und Spatz in einen Zusammenhang gebracht werden.
Dabei gibt es auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten zwischen uns.
Hier der Mensch, der groß ist und Großes leistet,
dort der kleine Spatz,
der vor allem durch seine Frechheit und Dreistigkeit sprichwörtlich geworden ist.
Aber etwas kann der Spatz,
um das der Mensch ihn beneidet
und was er auch gern könnte:
Fliegen.
Nicht so hoch wie ein Adler,
nicht so schnell wie ein Falke
oder so elegant wie eine Möwe,
sondern, seiner frechen Art entsprechend,
surrend und purrend und laut zeternd.
Aber er fliegt, der Spatz,
und kommt dem Himmel näher,
als wir es können.
 
Weil der Mensch nicht wie ein Vogel fliegen kann,
nicht einmal wie ein Spatz,
hat er sich auf geistige Höhenflüge verlegt.
Mit unseren Gedanken, mit unserer Phantasie fliegen wir.
Ich meine damit nicht den Traum vom Fliegen.
Ich meine, dass die Gedanken,
wenn wir sie fliegen lassen,
die gewohnten Bahnen, die eingefahrenen Gleise verlassen,
sich über das Vertraute erheben
und neue Zusammenhänge, neue Wege, neue Möglichkeiten entdecken.
 
Das ist Reformation:
das Entdecken neuer Zusammenhänge, neuer Wege, neuer Möglichkeiten.
Martin Luthers reformatorische Entdeckung
begann mit einem kleinen Höhenflug,
bei dem er sich ein unscheinbares Detail anschaute:
Die Gerechtigkeit Gottes.
Zu Luthers Zeit verstand man darunter eine Eigenschaft Gottes,
Gott ist gerecht - und er allein.
Gottes Gerechtigkeit strahlt wie ein gleißendes Licht,
das alle Fehler, alle Irrtümer und Sünden bloßstellt.
Wie soll man vor diesem alles verzehrenden Licht der Gerechtigkeit bestehen?
 
Luther entdeckte, dass man Gerechtigkeit Gottes auch anders verstehen kann:
Nicht nur als Eigenschaft, sondern auch als Gabe Gottes.
Gott schenkt Gerechtigkeit. Gott macht uns gerecht.
So können wir vor ihm bestehen -
nicht, weil wir so viel Gutes getan hätten
oder so gute Menschen wären,
sondern einzig aus dem Grund,
aus dem Gott nicht einmal einen Spatzen zu Boden fallen lässt:
Weil Gott uns liebt.
Weil Gott uns liebt, sind wir ihm recht.
Seine Liebe macht uns gerecht.
 
Wie machte Luther diese Entdeckung?
Indem er flog:
Sich löste von den Meinungen und Lehren,
die auch er verinnerlicht hatte.
Luther schaute sozusagen von oben, aus der Vogelperspektive,
auf das, was ihn so sehr beschäftigte.
Dadurch gewann er die Freiheit,
das ihm Altvertraute neu und anders zu sehen.
 
Die Corona-Pandemie lastet auf uns
wie auf Luther die Vorstellung von der unbestechlichen,
unerbittlichen Gerechtigkeit Gottes.
Reformation könnte für uns heute heißen,
dass wir es Martin Luther und den Spatzen gleich tun
und zu fliegen versuchen:
Uns erheben über das Beklemmende, Beengende der Pandemie
und schauen, wo wir stehen,
welche Möglichkeiten wir haben
und was sich möglicherweise gewinnen ließe.
 
Ich habe z.B. für mich entdeckt,
wie ich durch Briefe Kontakt zu Menschen halten kann,
die ich nicht besuchen darf,
und wie intensiv dieser Kontakt ist -
nicht weniger, als würden wir uns leibhaft gegenüberstehen.
Andere bemerken, dass man mit dem Computer nicht nur spielen
oder im Internet surfen kann,
sondern dass er auch ein Werkzeug ist,
mit dem man Menschen treffen und Unterhaltungen führen kann.
Wieder andere finden trotz Corona-Auflagen immer neue Möglichkeiten,
mit anderen in Kontakt zu bleiben,
einem anderen mit einer kleinen Geste, einer Aufmerksamkeit
etwas Gutes zu tun und Hoffnung zu schenken.
 
Die Coronazeit ist eine Art Reformationszeit,
weil sich vieles ändert,
weil vieles nicht so bleiben wird, wie wir es kennen und schätzen gelernt haben,
weil wir nicht so bleiben, wie wir waren.
Das ist beängstigend und belastend.
Jede Veränderung, jede Reformation hat diese unangenehme, bedrohliche Seite.
Um auch andere Seiten sehen zu können,
muss man es machen wie die Spatzen mit ihrem frechen Geflatter:
Man muss sich die Freiheit verschaffen,
die Dinge neu und anders zu sehen.
Man muss lernen, sich über die Dinge zu erheben,
zu fliegen - wenn auch nur mit den Gedanken.
 
Fliegen kann gefährlich sein.
Aber wie kein Spatz zu Boden fällt,
so werden auch wir bei unseren Flugversuchen von Gott gehalten.
Wir haben äußerlich viel zu ertragen und auszuhalten.
Doch dabei wird unsere Seele von Gott getragen und gehalten.
Nichts kann uns trennen von der Liebe, die Gott zu uns hat.
In dieser Geborgenheit können wir Flugversuche wagen,
höher und höher hinaus,
den Spatzen hinterher
und dem Himmel entgegen.
Amen.

Donnerstag, 22. Oktober 2020

Aus Prinzip barmherzig

Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis, 25.10.2020, über Markus 2,23-28:
 
Es begab sich, dass Jesus am Sabbat durch die Getreidefelder ging
und seine Jünger begannen, Ähren auszuraufen, als sie sich den Weg bahnten.
Da sprachen die Pharisäer zu ihm:
Sieh doch, was sie am Sabbat tun! Das darf man nicht!
Aber er sprach zu ihnen:
Habt ihr nicht gelesen, was David tat,
als er in Not war, und ihn und die bei ihm waren hungerte,
wie er in das Haus Gottes ging zur Zeit des Hohepriesters Abjatar
und die Schaubrote aß, die außer dem Priester niemand essen darf,
und auch denen davon gab, die bei ihm waren?
Und er sprach zu ihnen:
Der Sabbat ist wegen des Menschen da,
und nicht der Mensch wegen des Sabbats.
Daher ist der Menschensohn auch Herr über den Sabbat.
 
 
Liebe Schwestern und Brüder,
 
an dieser Geschichte ist eigentlich alles verkehrt.
 
Warum regen sich die Pharisäer darüber auf,
dass die Jünger Getreideähren abreißen und die Körner herauspulen?
Viel schlimmer ist doch,
dass sie mitten durchs reife Getreide laufen und es zertrampeln!
Darüber sollten sie sich aufregen!
Dagegen ist das Abreißen von ein paar Ähren doch gar nichts!
Es ist auch keine Arbeit, die Körner aus den Ähren zu pulen.
So etwas tut man nicht aus Hunger, sondern aus Langeweile,
um beim Wandern etwas zu Kauen zu haben.
 
Aber auch Jesus müsste nicht so reagieren, wie er es tut.
Schließlich sind seine Jünger nicht am Verhungern.
Sie könnten sich ruhig an die Regel halten, am Sabbat nicht zu arbeiten,
und würden sich dabei keinen Zacken aus der Krone brechen.
Was hat er überhaupt wie ein Gutsherr mitten durchs Getreide zu gehen,
statt auf dem Weg zu bleiben wie jeder andere auch?
Hat er keine Achtung vor der Arbeit des Bauern
und vor dem Brot, das da wächst?
Und wie kommt er schließlich dazu, sich mit König David zu vergleichen?
 
An dieser Geschichte ist alles verkehrt,
und das sollte uns stutzig und hellhörig machen.
 
Worum geht es hier eigentlich?
Wie es scheint, geht es ums Prinzip,
ob man sich über Gottes Gebot hinwegsetzen darf, oder nicht.
Dabei sind Jesus und die Pharisäer darin einig,
dass man die Gebote halten muss.
Sie sind auch darin einig,
dass es Umstände gibt,
in denen man die Gebote übertreten darf,
ja, sogar übertreten muss.

Am Beispiel König Davids wird deutlich,
dass es ganz bestimmte Umstände sein müssen,
die eine Übertretung des Gebotes rechtfertigen:  
eine Notsituation.  
In einer Notsituation muss man sich manchmal über geltende Gesetze,
muss man sich manchmal auch über Gottes Gebot hinwegsetzen.
Dagegen haben auch die Pharisäer nichts einzuwenden.
Auch für die Pharisäer war es,  
und für die Menschen jüdischen Glaubens ist es selbstverständlich,
dass man Gebote übertreten darf oder sogar muss, um Leben zu retten.
 
Aber eine solche Notsituation liegt hier nicht vor.
Die Jünger haben vielleicht Hunger,
aber sie sind doch weit davon entfernt, zu verhungern.
Auch in den anderen Geschichten,
die davon erzählen, wie Jesus Kranke am Sabbat heilt,
ist die Not nicht so groß,
dass Jesus mit seiner Heilung nicht noch einen Tag warten könnte,
bis der Sabbat vorüber und das Heilen wieder erlaubt ist.
 
Es geht also um mehr als nur die Ausnahme vom Gebot.
Es geht darum, WER sich herausnehmen darf,
das Gebot zu übertreten.
Wenn ich die Regel „Not kennt kein Gebot” anwende
und Regeln oder Gesetze außer Kraft setze,
die doch für alle gelten,
stelle ich mich über das Gesetz.
Ich nehme mir etwas heraus, was mir eigentlich nicht zusteht,
weil die Not es gebietet.
Trotzdem muss ich die Verantwortung für mein Handeln tragen
und mich möglicherweise dafür rechtfertigen,
dass ich Gesetze gebrochen habe.
 
Darum darf das nicht zur Gewohnheit werden,
sondern muss eine Ausnahme für den Notfall bleiben,
sonst wären Regeln und Gesetze wirkungslos.
Nur Jesus darf das Sabbatgebot übertreten.
Darum tritt er wie ein Gutsherr auf,
der quer durchs Getreide stiefelt,  
statt, wie es sich gehört, auf dem Weg zu bleiben.
Darum vergleicht er sich mit König David:
Jesus ist der Herr über den Sabbat.
Jesus, der Sohn Gottes, darf es sich herausnehmen,
auch wegen eines geringen Grundes die Regel zu brechen,
dass man am Sabbat nicht arbeiten darf.
 
Jesus ist uns hier kein Vorbild.
Er handelt willkürlich, wie ein Diktator, ein Despot.
Auch darin ist die Geschichte total verkehrt.
So etwas darf Jesus doch nicht tun!
So kann Jesus doch nicht sein!
Ich denke, was diese Geschichte uns sagen will,
ist nicht, dass Jesus ein launischer Despot ist,
der tut, was ihm gerade einfällt.
Sondern dass Jesus Gottes Sohn ist,
der in göttlicher Vollmacht handelt
und darum auch Gottes Gebot übertreten kann -
nicht aus Willkür, sondern aus Barmherzigkeit.
 
Natürlich könnte man von den Jüngern erwarten,
sich zurückzuhalten und keine Ähren abzurupfen,
weil man am Sabbat nun einmal nicht arbeiten soll.
Aber die Barmherzigkeit sagt: Lass sie ihren Hunger stillen.
Natürlich könnte Jesus mit der Heilung der Kranken warten,
bis der Sabbat vorüber ist.
Aber die Barmherzigkeit sagt: Lass sie gesund werden,
sie haben lange genug unter ihrer Krankheit gelitten.
 
Wir sind nicht Jesus.
Auch das macht uns diese Geschichte deutlich.
Wir sind eher wie die Jünger
oder wie die Gefolgsleute Davids,
die von seiner Barmherzigkeit profitieren.
Aber wenn wir selbst einmal in die Situation kommen sollten,
dass wir entscheiden müssen, was jetzt dran ist,  
das Befolgen der Regel, oder die Barmherzigkeit,
können wir uns an Jesus und seiner Barmherzigkeit orientieren.
 
Martin Luther hat das auch zum Maßstab seiner Bibelauslegung gemacht.
Er hat bei allem, was sich in der Bibel findet,
gefragt, „was Christum treibet”,
hat die Texte der Bibel an der Barmherzigkeit gemessen.
Und wenn ein Text unbarmherzig ist -
wenn er zum Beispiel den Frauen das Reden in der Gemeinde,
das geistliche Amt verbietet,
oder wenn er Homosexualität verteufelt,
dann ist Christus, seine Barmherzigkeit, größer als diese Texte.
Dann dürfen und dann müssen wir, um der Barmherzigkeit willen,
uns über diese Texte hinwegsetzen und sie beiseite legen.
Nicht aus Willkür, oder weil wir uns über sie erheben,
sondern in der Nachfolge Jesu, der barmherzig war
und uns gelehrt hat, barmherzig zu sein
mit anderen --- und mit uns.
 
Amen.

Donnerstag, 15. Oktober 2020

abgestempelt

Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis, 18.10.2020, über Epheser 4,22-32:
 
Ihr wurdet gelehrt,  
mit eurer früheren Lebensweise auch den alten Menschen abzulegen,  
der zugrunde geht im Verlangen nach dem Schein;
eure Einstellung durch den Geist zu erneuern
und den neuen Menschen anzuziehen,
der Gott gemäß geschaffen wurde in wahrhafter Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Darum lasst das Lügen und „sprecht die Wahrheit,
jeder mit seinem Mitmenschen”
(Sacharja 8,16),
denn wir sind aufeinander angewiesen.
„Wenn ihr schon zornig sein müsst,
sündigt wenigstens nicht”
(Psalm 4,5).
Die Sonne soll über eurem Zorn nicht untergehen,
gebt auch dem Teufel keine Chance.
Wer bisher gestohlen hat, stehle nicht mehr,
vielmehr mühe er sich, mit seinen eigenen Händen das Gute zu bewirken,
damit er etwas hat, das er dem Bedürftigen geben kann.
Kein schlechtes Wort komme aus eurem Mund,
sondern wenn, dann ein Gutes,
das aufbaut, wo Bedarf dazu besteht,
damit es den Hörern Gottes Gnade mitteilt.
Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes,
durch den ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.
Alle Bitterkeit, allen Fanatismus, allen Zorn,
alles Jammern und Lästern schafft weg von euch mit allem Schlechten.
Seid vielmehr zueinander gutmütig, barmherzig
und vergebt einander,
wie Gott euch durch Christus vergeben hat.
 
 
Liebe Schwestern und Brüder,
 
in der langen, gut gemeinten Liste von Ermahnungen
bin ich über einen Satz gestolpert -
und Sie vielleicht auch:
„betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes”.
Wie soll man das verstehen?
Wie kann man den Heiligen Geist „betrüben”,
also traurig machen?
 
Der Heilige Geist kam bei unserer Taufe über uns.
Da war nichts zu sehen und nichts zu spüren.
Trotzdem ist er bei uns, in uns -
nicht so, dass wir ihn besitzen
und in irgendeiner Weise benutzen könnten.
Vielmehr sind wir mit ihm „versiegelt”,
also bezeichnet, abgestempelt,
wie mit einem Muttermal oder einer Tätowierung:
Ein unauslöschliches Zeichen dafür,
dass wir zu Gott gehören, Gottes Kinder sind.
 
Diesen Geist Gottes kann man offenbar traurig machen.
Aber wie, und wodurch macht man ihn traurig?
Der rätselhafte Satz befindet sich in einer Aufzählung von Dingen,
die man nicht tun soll:
Lügen. Zornig sein. Stehlen.
Bedeutet das, der Heilige Geist wird traurig,
wenn wir so etwas tun?
 
Es gibt eine Form schwarzer Pädagogik,
bei der Eltern ihren Kindern,
statt mit ihnen zu schimpfen,
wenn sie etwas ausgefressen haben,
oder ihnen zu erklären,
warum das nicht richtig war,
ein schlechtes Gewissen machen,
indem sie ihnen sagen:
„Damit hast du mich sehr, sehr traurig gemacht.”
Das Kind hat nicht nur etwas falsch gemacht,
es hat auch noch den liebsten Menschen verletzt, den es hat.
Jetzt lastet eine doppelte Schuld auf seinem Gewissen
und macht die Tat größer, als sie war:
Statt des zerbrochenen Tellers, der zerrissenen Hose
hat es Mutter oder Vater selbst auf dem Gewissen.
 
Im Glauben steht an Stelle von Mutter und Vater
aber nicht der Heilige Geist, sondern Gott.
Wenn Gott solche Mittel schwarzer Pädagogik anwenden würde,
hätten wir ihn traurig gemacht.
Aber Gott ist nicht betrübt.
Gott wird zornig:
Er konfrontiert uns mit dem, was wir taten.
Aber er macht uns kein schlechtes Gewissen.
Sobald wir unser Verhalten bereuen,
ist auch Gottes Zorn verraucht.
Da gibt es kein Schmollen, keine Vorwürfe, kein Nachkarten:
„Wer bisher gestohlen hat, stehle nicht mehr” -
das ist alles.
Was vorher war, interessiert nicht mehr.
Wichtig und entscheidend ist, was ich jetzt tue.
 
Wenn es also nicht unser falsches Verhalten,
mit biblischen Worten: unsere „Sünde” ist,
die den Heiligen Geist traurig macht,
dann sind es vielleicht die Folgen unseres Verhaltens
für unsere Mitmenschen?
Alles, was der Predigttext aufzählt,
betrifft ja das Miteinander:
Lüge, Zorn, Diebstahl geschehen zum Nachteil eines anderen.
In diesem anderen, dem Mitmenschen, begegnet uns Jesus.
Jesus, dem ich selbst Gutes tue,
wenn ich dem Mitmenschen helfe,
Jesus, den ich abweise,
wenn ich dem Mitmenschen die Hilfe versage (Matthäus 25,31-46).
 
Aber so falsch Lüge, Zorn und Diebstahl sind,
sie fallen nicht unter „unterlassene Hilfeleistung”.
Es ist wichtig, zu erkennen und zu unterscheiden,
dass die bessere Gerechtigkeit,
die Jesus von denen erwartet, die ihm nachfolgen (Matthäus 6,33),
nicht darin besteht,
dass man ein vorbildliches
und moralisch einwandfreies Leben führt.
Man kann das tun,
aber es ist weder besonders christlich,
noch ist es die Voraussetzung fürs Christsein.
Was Jesus von uns verlangt,
ist Nächstenliebe in Wort und Tat.
Wenn wir erkennen,
dass uns in unseren Mitmenschen Jesus selbst begegnet,
und wir ihnen deshalb helfen,
wird das uns selbst und unser Leben verändern.
Wir werden dadurch zu „besseren” Menschen,
die nicht mehr lügen, zornig sein oder andere bestehlen möchten.
Aber das ist nicht die Voraussetzung.
Erst kommt die Nächstenliebe,
dann kommt, mehr oder weniger von selbst, alles andere.
 
Was bleibt dann aber noch,
womit wir den Heiligen Geist traurig machen könnten?
Es muss ja etwas sein,
das jede und jeder von uns tun,
das jeder und jedem von uns passieren kann.
Sehen wir uns noch einmal das Beispiel an:
„Wer bisher gestohlen hat, stehle nicht mehr”.
An diesem Satz fällt auf, dass er so kurz ist.
Es heißt nicht:
”Wer bisher stahl, ist ein Dieb und soll sich schämen,
soll Reue zeigen und alle um Verzeihung bitten,
und wenn er viel Gutes getan hat  
und lange Zeit nicht rückfällig geworden ist,
dann kann man ihm vielleicht vergeben
und ihn wieder in die Gemeinschaft aufnehmen.”
Man würde meinen, dass es da stehen müsste,
aber das steht da nicht.
Da steht nur:
„Wer bisher gestohlen hat, stehle nicht mehr”.
Alles, was von einem Sünder verlangt wird,
ist, nicht mehr zu sündigen.
 
Das klingt großartig -
und ist doch auch befremdlich.
Wir sind es nicht gewohnt,
dass man einfach ein anderer werden kann.
Für uns gehören Beschämung und Reue,
Vorwürfe und Vorhaltungen dazu.
Und ein „gesundes Misstrauen”,
wie wir das nennen,
einem Menschen gegenüber,
der einmal etwas Falsches getan hat.
Es hängt ihm an, man vergisst es nicht.
Wir nehmen einem Täter erst ab,
dass er sich geändert hat,
wenn er sich reuig und zerknirscht zeigt.
Und wir sind erst zum Verzeihen bereit,
wenn wir unserem Ärger, unserer Verletzung und Enttäuschung
gehörig Luft machen konnten.
 
So sind wir.
Und so müssen wir sein.
Um unserer selbst, und um der Opfer willen
müssen wir darauf bestehen,
dass ein Täter Reue und ein anderes Verhalten zeigt,
bevor wir ihm seine Umkehr glauben.
Und wenn wir selbst zu Tätern wurden,
müssen wir es aushalten,
dass unser Opfer misstrauisch bleibt,
uns nicht vergeben kann oder vergeben will.
 
Wir sind so.
Aber Gott ist nicht so.
Wenn Gott vergibt, dann ist uns vergeben,
ohne Wenn und Aber,
außer dem „Sündige hinfort nicht mehr” (Johannes 8,11).
Und selbst, wenn uns das nicht gelingt,
was es meistens tut,
ist Gott zur Vergebung bereit.
Wieder. Und wieder. Und wieder.
70 mal 7 mal, mindestens (Matthäus 18,22).
Der Heilige Geist, der seit unserer Taufe in uns ist,
verbürgt sich dafür, dass das so ist.
Er ist das Siegel, unser Pfand, dass es stimmt.
 
Und jetzt ahnen wir vielleicht,
womit wir den Heiligen Geist traurig machen:
Wenn wir das nicht glauben können.
Wenn wir nicht darauf vertrauen,
dass Gott uns vergeben hat.
Wenn wir uns selbst unsere Fehler wieder und wieder vorwerfen.
Wir betrüben den Heiligen Geist,
wenn wir meinen, wir müssten uns schämen,
wir wären schlechte Menschen,
die in Sack und Asche gehen müssten,
damit Gott ihnen vielleicht eines Tages vergibt.
 
Wir betrüben damit den Heiligen Geist,
weil wir dadurch immer noch am Alten hängen,
am Alten Menschen, der wir einmal waren,
durch Gottes Vergebung aber nicht mehr sind.
Durch Gottes schöpferisches Handeln an uns
sind wir neue Menschen geworden.
 
Wenn wir das begreifen und ergreifen könnten,
dann könnte uns vielleicht sogar der nächste Schritt gelingen:
Auch unsere Mitmenschen so anzusehen.
Sie anzusehen als die, denen Gott vergeben
und aus denen er neue Menschen gemacht hat.
Dann könnten wir darauf verzichten,
sie auf ihre Vergangenheit festzunageln
und ihnen die Chance geben,
andere zu werden,
anders zu sein.
Das wäre etwas,
über das der Heilige Geist vor Freude springen würde.

Samstag, 3. Oktober 2020

Verantwortung übernehmen

Predigt zu Erntedank am 27.9.2020 über Markus 8,1-9
 
Zu dieser Zeit war wieder eine große Volksmenge bei Jesus zusammengekommen.
Da die Menschen nichts zu essen hatten,
rief Jesus die Jünger zu sich.
Er sagte zu ihnen:
»Die Volksmenge tut mir leid.
Sie sind nun schon drei Tage bei mir
und haben nichts zu essen.
Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke,
werden sie unterwegs zusammenbrechen –
denn einige sind von weit her gekommen.«
Seine Jünger antworteten ihm:
»Wo soll in dieser einsamen Gegend das Brot herkommen,
um diese Leute satt zu machen?«
Und er fragte sie:
»Wie viele Brote habt ihr?«
Sie antworteten: »Sieben.«
 
Und er forderte die Volksmenge auf,
sich auf dem Boden niederzulassen.
Dann nahm er die sieben Brote.
Er dankte Gott, brach sie in Stücke
und gab sie seinen Jüngern zum Verteilen.
Und die Jünger teilten das Brot an die Volksmenge aus.
Sie hatten auch noch einige kleine Fische.
Jesus sprach das Segensgebet über sie
und ließ sie ebenfalls austeilen.
Die Menschen aßen und wurden satt.
Danach sammelten sie die Reste
und füllten damit sieben Körbe.
Es waren etwa viertausend Menschen.
Jetzt schickte Jesus sie nach Hause.
 
 
Liebe Schwestern und Brüder,
 
eine Wundergeschichte ist das,
die Geschichte von der Sättigung von 4.000 Menschen
mit sieben Broten.
Und man fragt sich:
Wie hat Jesus das gemacht?
Wie hat er 4.000 Menschen mit sieben Broten satt bekommen?
Hat sich das Brot tatsächlich auf wunderbare Weise vermehrt,
sodass am Ende mehr übrig blieb,
als am Anfang da war?
Das würde unseren Erfahrungen
und den Naturgesetzen widersprechen.
Oder war es ein symbolisches Mahl,
ein Abendmahl,
bei dem jeder nur ein winziges Stück bekam,
aber es war so schön, so heilig,
dass sich trotzdem alle gestärkt und gesättigt fühlten?
Man kann trefflich spekulieren
und vielleicht noch ganze andere „Erklärungen” dieses Wunders finden.
Am Ende steht man wieder am Anfang,
beim Wunder.
 
Was aber, wenn die wunderbare Brotvermehrung gar nicht das Wunder wäre?
Wenn wir die ganze Zeit sozusagen auf die falsche Stelle schauten?
So, wie ein Zauberer sein Publikum ablenkt,
um heimlich etwas zu vertauschen oder verschwinden zu lassen.
Man hat nicht gesehen, wie er das gemacht hat,
weil man woanders hin geschaut hat.
Wir schauen auf die sieben Brote und fragen uns,
wie diese sieben Brote so viele Menschen sättigen konnten.
Aber das Wunder sind nicht diese sieben Brote,
oder die sieben Körbe mit Brocken, die am Ende übrig blieben.
Solche Wunder können wir mittlerweile selber wirken:
Unsere Landwirtschaft erzielt Erträge,
die unsere Altvorderen für unvorstellbar,
für ein Wunder gehalten hätten.
Mit unserem Wissen und unserer Technik lassen wir wahre Wunder geschehen.
Unsere Produktivität in der Landwirtschaft ist so hoch,
dass auf der Welt niemand hungern müsste,
wenn uns nur das Wunder gelänge,
die Erzeugnisse der Landwirtschaft gerecht zu verteilen.
4.000 Leute satt machen? - kein Problem!
Das eigentliche Wunder ist ein anderes,
und es geschieht an anderer Stelle der Geschichte.
Da, wo Jesus sagt:
„Die Volksmenge tut mir leid”.
Das ist das Wunder.
 
Warum ist das ein Wunder?
Was ist schon besonderes an diesem Satz:
„Die Volksmenge tut mir leid”?
Hört man das nicht immer wieder mal:
Die oder der kann einem leid tun.
Nicht immer ist der Satz so gemeint,
wie Jesus ihn spricht: Aus Mitleid.
Oft ist er aus der Position dessen gesagt,
dem es gut geht und der froh ist,
dass es einem nicht so geht wie denen,
die einem leid tun können.
Es ist die Position eines Beobachters,
der sich nicht verantwortlich fühlt,
nicht verpflichtet, zu helfen, einzugreifen.
 
Jesus aber fühlt sich verantwortlich.
Es fühlt sich verantwortlich für wildfremde Menschen,
die er wahrscheinlich nicht einmal kennt.
Was kann er dafür, dass sie ihm nachlaufen?
Was kann er dafür, dass sie nicht an Verpflegung dachten,
als sie ihm nachgelaufen sind?
Was kann er dafür, dass sie einen weiten Heimweg haben?
Das wären wahrscheinlich unsere Überlegungen.
Bevor wir helfen, fragen wir uns, ob wir zuständig sind.
Ob diese Leute uns etwas angehen.
Und ob es überhaupt an uns ist, zu helfen.
Nehmen wir z.B. die Flüchtlinge in Moria.
Was können wir dafür, dass sie ihre Heimat verlassen haben?
Was können wir dafür, dass ihr Lager abgebrannt ist?
Was haben wir mit denen zu tun?
Gibt es nicht noch andere Länder in Europa,
die sich um sie kümmern könnten und sollten?
 
Oft wird solches Kümmern auch  
als Einmischung in fremde Angelegenheiten empfunden,
die einen nichts angehen.
Man will mit fremden Leuten keinen Ärger bekommen
und es sich mit seinen Nachbarn nicht verderben.
Also hält man sich lieber heraus.
Man fühlt sich nicht verantwortlich
für den Müll, den ein anderer weggeworfen hat,
für die Kinder, die zuhause kein Mittagessen bekommen,
für die Jugendlichen, die nichts mit sich anzufangen wissen,
für die Alten, die einsam zuhause hocken.
Man fühlt sich nicht verantwortlich für die Gemeinde,
in der man lebt,
für den Staat, zu dem man gehört,
für die Erde, auf der wir zuhause sind.
 
Das eigentliche Wunder in dieser Geschichte ist,
dass einer, Jesus, sich verantwortlich fühlt
und Verantwortung übernimmt:
Er sorgt dafür, dass die 4.000 zu Essen bekommen.
Jesus fühlt sich verantwortlich
und übernimmt Verantwortung
auch für uns.
Das ist das Wunder:
Dass wir ihm nicht egal sind,
wie uns oft viele Menschen, viele Dinge egal sind.
Jesus sind wir nicht egal.
Er opfert sich für uns auf,
er opfert sich für uns,
weil wir ihm leid tun.
Nicht dieses Leidtun von oben herab,
aus dem sicheren Gefühl heraus,
dass es mir besser geht als diesem armen Kerl da.
Sondern ein Leidtun aus Mitleid,
aus dem Mit-Leiden mit uns,
dem Mitfühlen mit uns.
Jesus will nicht, dass es uns schlecht geht,
dass wir Kummer haben, Sorgen haben, leiden.
Jesus will nicht, dass wir Hunger haben
nach etwas, das wirklich satt macht:  
nach Liebe, nach Aufmerksamkeit,
nach Anerkennung, nach einem Sinn.
 
Wir müssen nicht wie Jesus sein.
Wir können nicht Jesus sein.
Aber heute, an Erntedank,
können wir es uns einmal eingestehen,
wie gut es tut,
dass wir einem, Jesus, nicht egal sind.
Wie gut es tut,
dass einer, Jesus, sich um uns sorgt
und sich für uns verantwortlich fühlt.
Dann fällt uns vielleicht ein und auf,
dass es nicht nur Jesus ist:
Dass da auch andere sind,
denen wir nicht egal sind,
die sich um uns sorgen,
und wie gut das tut,
wie schön das ist: ein Wunder.
 
Wenn uns das heute, an Erntedank,
bewusst werden sollte,
dann finden wir vielleicht Gelegenheit,
Danke zu sagen:
Danke, Jesus, dass du dich um uns sorgst,
dass du dich für uns verantwortlich fühlst,
dass wir dir nicht egal sind.
 
Vielleicht gelingt es uns auch,
denen unsere Dankbarkeit zu zeigen,
die so zu uns sind, wie Jesus es ist.
Und vielleicht geschieht sogar ein Wunder:
Das Wunder, dass auch wir uns verantwortlich fühlen
für die Menschen um uns
und für wildfremde Menschen,
für den Ort, an dem wir leben
und für diesen Planeten,
der unsere Heimat ist.
 
„Die Volksmenge tut mir leid”.
Damit dieses Wunder geschieht,
braucht es nicht viel.
Nur dieses eine:
Mitgefühl.
Gebe Gott,
dass wir dieses Mitgefühl empfinden.
 
Amen.