Montag, 10. April 2023

süß-sauer

Liedpredigt am Ostermontag, 10.3.2023, über „Christ lag in Todesbanden” (EG 101)


Liebe Schwestern und Brüder,


wenn in Kriminalfilmen ermittelt wird,

sieht man manchmal, wie die Kripo-Beamten

Fotos vom Tatort, vom Opfer, von Verdächtigen,

wie sie Landkarten und Fundstücke an eine Pinwand heften.

Manchmal werden die einzelnen Zettel und Fotos noch

durch Striche oder rote Fäden verbunden.

Diese Mind-Map soll helfen, die Gedanken zu ordnen,

um den entscheidenden Hinweis auf den Täter zu finden.


Es scheint, als habe Martin Luther,

als er das Lied „Christ lag in Todesbanden” schrieb,

auch so eine Mind-Map erstellt -

wohl nicht an einer Pinwand;

die war damals noch nicht erfunden,

und die brauchte er auch nicht.

Sein Kopf war voller Bilder und Assoziationen aus der Bibel,

die sich fast wie von selbst zu diesem Lied ordneten.


Einigen dieser Bilder und Assoziationen des Liedes

möchte ich mit Ihnen nachgehen.

Am besten fangen wir gleich an,

indem wir die erste Strophe singen:


1. Christ lag in Todesbanden,

für unsre Sünd gegeben,

der ist wieder erstanden

und hat uns bracht das Leben.

Des wir sollen fröhlich sein,

Gott loben und ihm dankbar sein

und singen Halleluja, Halleluja.


Die erste Strophe fasst die Osterbotschaft zusammen.

Sie bildet sozusagen die Überschrift

und für Luther auch die Anknüpfung an seine Vorlage,

die er überarbeitet und ergänzt hat.

Genau genommen sind es zwei Vorlagen:


Einmal ist es das Lied „Christ ist erstanden”.

Man hört es aus der Melodie des Liedes heraus:

„Christ lag in Todesbanden” kling sehr nach

„Christ ist erstanden”,

ebenso klingt in der Zeile

„Des wir sollen fröhlich sein”

„des solln wir alle froh sein” an.


Die andere Vorlage ist die lateinische Sequenz

„Victimae paschali

laudes immolent Christiani” - zu deutsch:

„Dem Osteropfer bringen die Christen Lob dar”.


Eine Sequenz ist ein Lied,

das an das Halleluja nach der Epistel unmittelbar anschloss.

Im Mittelalter begann man,

das letzte „a” des Halleluja musikalisch auszuschmücken.

Die Kantoren, die den Gesang anführten, waren Musiker

und hatten Freude an der Ausgestaltung des Hallelujas.

Sie taten das, was man heute wohl

„improvisieren” nennen würde.

Dabei entstanden wunderbare Melodien.


Irgendwann kam jemand auf die Idee,

dass man diese Melodien nicht bloß auf dem Vokal „a” singen,

sondern ihnen einen Text unterlegen kann -

der natürlich zum Sonntag und zum Evangelium passen musste.

Die Sequenz war erfunden.

Im Mittelalter entstanden unzählige davon; 5.000 sind erhalten.

Die bekanntesten Sequenzen sind „Dies irae, dies illae”,

„Stabat mater” - dessen Vertonung durch Antonin Dvorak

die Kantorei im September aufführen wird -,

und eben „Victimae paschali laudes”.


Was diese Sequenz besonders macht,

ist das Duell zwischen Leben und Tod -

ein eindringliches Bild für das Paradox,

dass der am Kreuz Gestorbene, Christus,

den Tod überwindet.


Martin Luther setzt dieses Duell

in die Mitte seines Liedes, in die vierte Strophe.

In den zwei Strophen davor beschreibt er den Gegner Christi, den Tod;

die wollen wir jetzt singen:


2. Den Tod niemand zwingen konnt

bei allen Menschenkindern;

das macht alles unsre Sünd,

kein Unschuld war zu finden.

Davon kam der Tod so bald

und nahm über uns Gewalt,

hielt uns in seim Reich gefangen. Halleluja.


3. Jesus Christus, Gottes Sohn,

an unsrer Statt ist kommen

und hat die Sünd abgetan,

damit dem Tod genommen

all sein Recht und sein Gewalt;

da bleibt nichts denn Tods Gestalt,

den Stachel hat er verloren. Halleluja.


Das Lied ist fast unmöglich zu singen.

In der ersten Strophe passen die Reime noch unter die Melodie:

„…banden” und „erstanden”,

weil die Endungen „weiblich” sind:

Die Betonung liegt auf der vorletzten Silbe.

In allen anderen Strophen sind die Endungen „männlich”,

d.h. die Wörter sind nur einsilbig

oder die vorletzte Silbe ist unbetont:

„konnt“ - „Sünd”;

„Sohn” - „abgetan”.

Dadurch passen Text und Melodie nicht mehr zusammen.


Luther hat das Lied so gestaltet,

dass es sieben Strophen hat und jede Strophe sieben Silben

(mit Ausnahme der jeweils letzten; die hat acht).

Die Form des Liedes war ihm wichtiger als die Singbarkeit.

Vielleicht wollte er auch, dass man beim Singen „stolpert”,

damit man den Text nicht gedankenlos heruntersingt,

sondern darauf achtet, was man singt.


Wenn es in der 2. Strophe heißt, dass der Tod „bald” kam,

heißt das nicht, dass er schnell kam.

Im Mittelalter bedeutete „bald” auch stark, kräftig, übermächtig.

So steckt es noch in dem Wort „Raufbold”:

Das ist einer, mit dem man sich besser nicht anlegt.

Der Tod bekommt durch die Sünde Macht über uns,

wird übermächtig, sodass wir ihm nicht entrinnen können.


In der 3. Strophe nimmt Jesus die Sünde weg

und nimmt damit dem Tod seine Macht.

Ohne Sünde ist der Tod machtlos.

Jesus hat ihm mit der Sünde seinen „Stachel” gezogen.

Der Tod kann uns nicht mehr weh tun.

So verspottet ihn Paulus im 1.Korintherbrief (15,55):

„Der Tod ist verschlungen in den Sieg.

Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?”


„Der Tod ist verschlungen in den Sieg” -

diese Zeile kommt in der zentralen vierten Strophe vor,

die wir jetzt singen wollen:


4. Es war ein wunderlich Krieg,

da Tod und Leben rungen;

das Leben behielt den Sieg,

es hat den Tod verschlungen.

Die Schrift hat verkündet das,

wie ein Tod den andern fraß,

ein Spott aus dem Tod ist worden. Halleluja.


Wer gestern früh in der Ostermette war,

erinnert sich an das Bild vom Höllenrachen

auf dem Loste-Altar, das wir betrachtet haben.

Der Höllenrachen verschlingt die Toten -

die Christus in der Osternacht wieder befreit.

Den Höllenrachen hindert er daran,

jemals wieder zuzuschnappen,

indem er ihm eine Maulsperre verpasst.


In seiner ersten Predigt am Ostersonntag 1524,

dem Jahr, in dem er dieses Osterlied dichtete,

legt Martin Luther den Satz aus,

„der Tod ist verschlungen in den Sieg”:


„Paulus sagt nicht: Christus hat die Sünde weggeworfen,

sondern: er hat sie verschlungen (1.Kor 15,55).

Das hat drei Tage gedauert.

Vor Gott wars, als wenn ich einen Tropfen Wasser

in ein loderndes Feuer schütte;

es scheint, als müsse der Tropfen verschwinden.

So meinte man auch hier, Christus müsse vergehen,

aber er steht auf und wird der Herr aller Dinge.

Hosea sagt (13,14): Tod, ich will dein Tod sein.

Das ist ein feines Wort ‚ich werde des Todes Tod sein’,

ich will nicht töten wie Pilatus und Herodes,

sondern machen, dass der Tod überwunden wird.”


Christus hat den Tod nicht getötet;

dann hätte er den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Hätte er den Tod getötet, wäre der Tod immer noch mächtig.

Statt dessen hat er ihn ausgehungert,

indem er die Sünde wegnahm, die ihn stark machte.


Martin Luther scheint viel Freude

an diesem Bild des Essens zu haben.

Er kommt in den letzten Strophen darauf zurück.

Lassen Sie uns die letzten drei Strophen singen:


5. Hier ist das recht Osterlamm,

davon wir sollen leben,

das ist an des Kreuzes Stamm

in heißer Lieb gegeben.

Des Blut zeichnet unsre Tür,

das hält der Glaub dem Tod für,

der Würger kann uns nicht rühren. Halleluja.


6. So feiern wir das hoh Fest

mit Herzensfreud und Wonne,

das uns der Herr scheinen lässt.

Er ist selber die Sonne,

der durch seiner Gnaden Glanz

erleucht’ unsre Herzen ganz;

der Sünden Nacht ist vergangen. Halleluja.


7. Wir essen und leben wohl,

zum süßen Brot geladen;

der alte Sau’rteig nicht soll

sein bei dem Wort der Gnaden.

Christus will die Kost uns sein

und speisen die Seel allein;

der Glaub will keins andern leben. Halleluja.


Das Osterlamm erinnert an den Auszug aus Ägypten:

Kurz vor ihrer Befreiung aus Ägypten

feierten die Israeliten das erste Passa.

Jeder Haushalt musste dafür ein Lamm schlachten,

so hatte es Gott geboten.

Das Lamm durfte nicht gekocht,

es musste über dem offenen Feuer gebraten werden.

Mit dem Blut des Lammes sollten die Israeliten

die Türbalken an ihrer Haustür markieren.

In der Nacht sollte nämlich die 10. und schlimmste Plage

über die Ägypter hereinbrechen: Die Tötung der Erstgeburt.

Der Würgeengel würde durch die Straßen gehen

und in jedem Haus, das nicht mit dem Blut bezeichnet war,

den Erstgeborenen töten.


Nachdem sie diese furchtbare Plage

Dank des Blutes an ihrer Tür überstanden hatten,

mussten die Israeliten sich Hals über Kopf auf den Weg machen.

Den Teig, den sie als Sauerteig angesetzt hatten,

mussten sie ungesäuert mitnehmen

und unterwegs als Fladenbrot, als Matzen, backen.


Die Anspielung auf das gebratene Passalamm

ist im Original der 5. Strophe viel deutlicher:


„Hie ist das recht Osterlamm
davon Gott hat geboten.
Das ist an des Kreuzes Stamm
in heißer Lieb gebraten.”


Das war den Späteren doch zu drastisch,

darum haben sie es abgemildert zu

„in heißer Lieb gegeben”.

Aber eigentlich ist es ein sehr eindrückliches Bild,

dass sich Christus in seiner Liebe zu uns selbst verzehrt,

sich als Lamm gebraten hat.


Und dass wir Christus „essen”, ist uns eigentlich auch nicht fremd:

„Dies ist mein Leib”, sagt Jesus über das Brot beim Abendmahl.

Es ist ein süßes Brot.


Und noch einmal kehrt sich der Gedankengang um,

wenn Luther das Bild vom Passamahl hinter sich lässt

und von der geistlichen Speise spricht:

„Christus will die Kost uns sein

und speisen die Seel allein”.

Denn im 1.Korintherbrief, auf den Luther hier anspielt,

heißt es (5,6b-8):


„Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert?

Darum schafft den alten Sauerteig weg,

auf dass ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja ungesäuert seid.

Denn auch unser Passalamm ist geopfert, das ist Christus.

Darum lasst uns das Fest feiern nicht mit dem alten Sauerteig,

auch nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit,

sondern mit dem ungesäuerten Teig der Lauterkeit und Wahrheit.”


Wir sind der Teig, aus dem das süße Brot gebacken wird.

Es liegt auch an uns, ob wir uns und anderen

das Leben sauer oder süß machen.


Wir feiern das Fest der Auferstehung.

Und wenn wir wollen, feiern wir es nicht nur heute.

Unser ganzes Leben kann ein Fest sein,

wenn Jesus, unsere Sonne, unser Herz mit seinem Licht erfüllt.

Nehmen wir seine Einladung mit in unseren Alltag.

Und wenn wir sauer werden wollen, erinnern wir uns an das Fest,

zu dem uns Jesus eingeladen hat.

Und vielleicht probieren wir dann,

ob wir wirklich sauer werden müssen

oder ob wir nicht auch süß sein können.

Sonntag, 9. April 2023

leibliche Auferstehung

Predigt am Ostersonntag, 9.4.2023, über 1.Korinther 15,1-11:

Liebe Schwestern und Brüder,

ich gebe euch das Evangelium bekannt, das ich euch predigte,

das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht,

durch das ihr auch gerettet werdet,

wenn ihr es in dem Wortlaut festhaltet, in dem ich es euch predigte,

es sei denn, ihr glaubtet ohne Sinn und Verstand.

Denn als Hauptsache habe ich euch überliefert,

was auch ich angenommen habe:

Dass Christus für unsere Sünden starb gemäß der Schrift,

dass er begraben wurde,

dass er am dritten Tag auferweckt wurde gemäß der Schrift,

und dass er Kephas erschien, darauf den Zwölfen.

Darauf erschien er mehr als 500 Schwestern und Brüdern auf einmal,

von denen die meisten noch leben, einige aber sind entschlafen.

Darauf erschien er Jakobus, dann allen Aposteln.

Als letztem von allem, quasi als einer Fehlgeburt, erschien er auch mir.

Ich bin ja der geringste der Apostel,

nicht einmal geeignet, Apostel genannt zu werden,

weil ich die Gemeinde Gottes verfolgte.

Durch Gottes Gnade aber bin ich, was ich bin,

und seine Gnade für mich blieb nicht ohne Erfolg,

sondern mehr als alle anderen habe ich mich gemüht.

Aber nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.

Ob nun ich oder jene: so predigen wir, und so habt ihr geglaubt.



Liebe Schwestern und Brüder,


„Nicht wahr”, wurde der Theologieprofessor Karl Barth gefragt,

„im Himmel werden wir alle unsere Liebsten wiedersehen?”

Der antwortete: „Gewiss. Und die anderen auch.”


Das ist wohl das erste, woran man bei „Auferstehung” denkt:

Dass wir, wenn wir gestorben sind,

in einem neuen, unvergänglichen Leben erwachen werden,

wo wir den lieben Menschen begegnen,

die uns vorausgegangen sind.


Und, wie Karl Barth sagt, den anderen auch.


„Die anderen auch” - das klingt fast wie eine Drohung.

Es gibt Menschen, denen möchte man auf keinen Fall

noch einmal begegnen müssen.

Es würde uns das Paradies verderben,

wenn wir befürchten müssten, sie dort wiederzusehen.


Aber vielleicht werden sie im Himmel auch ganz anders sein.

Vielleicht werden wir sie gar nicht wiedererkennen.

Paulus schreibt, dass wir in der Auferstehung alle verwandelt werden.

Wir werden nach dem Tod nicht die bleiben, die wir waren.

Im Buch der Offenbarung heißt es,

dass Leid, Geschrei und Schmerz

auf der neuen Erde nicht mehr existieren werden.

Im Tod wird vergehen, was uns leiden ließ,

was uns vor Schmerz oder Empörung aufschreien ließ.

Auch das wird vergehen, wodurch wir andere leiden ließen,

was andere an uns verzweifeln ließ,

womit wir Menschen weh taten.


Die Auferstehung verwandelt alles.

Dazu passt, dass Maria Magdalena Jesus nicht erkennt,

als sie ihm nach seiner Auferstehung begegnet.

Sie hält ihn für den Gärtner.

Und auch die Jünger auf dem Weg nach Emmaus

gehen stundenlang mit Jesus, sprechen mit ihm,

ohne dass ihnen aufgeht, wer da mit ihnen wandert.

Erst beim Teilen des Brotes wird ihnen schlagartig klar,

dass Jesus mit ihnen am Tisch sitzt.


Wenn aber die Auferstehung die Menschen verwandelt

und selbst die engsten Freunde Jesus nicht wiedererkannten,

wie kann Paulus dann sagen, dass Jesus „gesehen wurde” -

und dann auch noch von so vielen unterschiedlichen Leuten?

Manche von ihnen, wie Petrus, standen ihm sehr nahe.

Aber Paulus, der die ersten Christen verfolgte,

hat Jesus nie persönlich kennen gelernt.

Wie konnte er wissen, dass es Jesus war,

der sich ihm vor Damaskus in den Weg stellte?


In allen Begegnungen mit dem Auferstandenen

ist es Jesus selbst, der sich seinen Freund:innen zu erkennen gibt.

Sie erkennen ihn nicht, können ihn nicht erkennen,

weil er verwandelt wurde:

Im Auferstandenen tritt ihnen Gott selbst gegenüber.


Gott war in Jesus Christus schon zu Lebzeiten,

das zeigen die Wunder, die Jesus tat.

Aber die Jünger und alle anderen Menschen,

die Jesus begegneten, sahen ihn „nur” als Menschen.

Als einen besonderen, einzigartigen,

aber eben als einen Menschen.

Selbst wenn Petrus bekennt: „Du bist der Christus”,

so erkannte er zwar, wozu Gottes Sohn in die Welt kam.

Aber Gott konnte er in ihm noch nicht erkennen.


Erst seine Auferstehung offenbarte,

dass Jesus, wie es im Glaubensbekenntnis von Nicäa heißt,

„Gott von Gott” ist, „Licht vom Licht,

wahrer Gott vom wahren Gott.”

Ohne die Auferstehung könnten wir das nicht wissen.

Wir würden Jesus für einen besonderen, vorbildlichen Menschen halten

wie Mutter Theresa oder Martin Luther King.

Aber tatsächlich hat Gott sich in ihm offenbart.

Deshalb sprechen wir Jesus auch als kyrios an, als „Herr”.

So wird Gott im Alten Testament angeredet: adonaj, Herr.


Die Menschen, denen Jesus nach seiner Auferstehung erschien,

sahen sich Gott gegenüber, sahen Gott von Angesicht zu Angesicht

und redeten mit ihm wie mit einem Freund,

wie es vorher nur Mose vergönnt gewesen war.

Diese Begegnung mit Gott entzündete in ihnen den Glauben

und machte sie zu Apostelinnen und Aposteln,

die es weitersagten: Christus ist auferstanden!


Glaube entsteht aus der Begegnung mit dem lebendigen Gott.

Wenn Paulus die vielen Jünger:innen aufzählt,

die den Auferstandenen sahen:

Petrus, die zwölf Jünger, dann 500 auf einmal,

dann Jakobus, der Bruder Jesu, und alle Apostel:innen,

und schließlich sogar Paulus selbst,

- dann will er keine Zeug:innen benennen,

als müsse er die Auferstehung beweisen.

Sondern er zählt die auf, die als erste das Licht verbreiteten,

das mit der Botschaft von der Auferstehung in die Welt kam:

So viele waren es.

Darum konnte sich das Evangelium über die ganze Welt ausbreiten.


Wie man eine Kerze an der anderen anzündet,

um das Osterlicht weiterzugeben,

haben die Apostel:innen den Glauben an andere weitergegeben,

der in ihnen durch die Begegnung

mit dem Auferstandenen entzündet wurde.


Auch wir begegnen ihm, wenn auch nicht von Angesicht zu Angesicht.

Als Auferstandener ist Jesus gegenwärtig

da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind.

Und er begegnet uns, wie den Jüngern von Emmaus,

im Abendmahl, das er gestiftet hat.

Und wie sie fragen wir uns manchmal voller Staunen:

„brannte nicht unser Herz?”


Auferstehung bedeutet, dass noch Leben auf uns wartet.

Leben, das dem Tod nicht mehr unterworfen ist.

Leben, befreit von Leid und Schmerz.

Vor allem aber bedeutet sie,

dass Gott sich uns als der offenbart hat,

der uns vom Tod erretten will

und uns Anteil gibt an seiner Zeit: An der Ewigkeit.

So wird die Auferstehung zum Grund unserer Hoffnung:


Die Jünger erlebten Jesus nach Ostern,

sie lebten noch 40 Tage mit ihm zusammen.

Er war für sie jetzt durchsichtig geworden auf Gott hin

und blieb doch trotzdem Mensch,

ihr Meister und ihr Freund,

der berührbar war und berührbar blieb;

der mit ihnen gemeinsam aß, Brot und Fisch.


Jesus, in dem sich Gott zu erkennen gab,

blieb auch nach der Auferstehung Mensch, blieb leiblich.

Kein Geist oder gar Gespenst,

hatte Jesus Hand und Fuß und ließ zu,

dass Thomas den Finger in seine Wunde legte.


Unser Glaube hat Hand und Fuß.

Er entsprang nicht den Träumen der Jünger Jesu

oder einer Vision des Paulus.

Er wurde geweckt vom Auferstandenen,

der wirklich war, wirklich da war und der,

weil er leiblich auferstanden ist,

immer noch da ist, sitzend zur Rechten Gottes,

wie wir im Glaubensbekenntnis sagen.


Als Auferstandener ist Jesus gegenwärtig.

Er ist jetzt auch bei uns.

Die Zeit zwischen seiner Auferstehung und seiner Wiederkunft,

wenn das Reich Gottes anbricht

unter einem neuen Himmel auf einer neuen Erde,

sind für uns zwei verschiedene Zeitpunkte.

Für Jesus ist es einer: die Gegenwart.


Als Jesus mit seinen Jüngern wanderte,

predigte er, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen sei.

Mit seiner Auferstehung wurde es offenbart.

Mit ihr ist die neue Welt angebrochen,

in der Gott abwischen wird alle Tränen,

der Tod nicht mehr sein wird

und ewiges Leben uns erwartet.


So leben wir aus der Auferstehung

mit einer Hoffnung, die schon fast Gewissheit ist.

Die uns Kraft gibt, allem die Stirn zu bieten

und jeden Tag aufs neue aufzustehen,

bis wir in das Licht eines ewigen Tages gehen.

Samstag, 8. April 2023

Morgentau

Predigt in der Osternacht, 8. April 2023, über Jesaja 26,13-14.19

Wenn du begraben liegst,

gibt es keine Erinnerung mehr an dich,

noch Sehnsucht bei den Nachgeboreren -

du hattest ja keinen Anteil

an den Rosen von Pieria.

Ungesehen wirst du in des Hades Haus stolzieren,

unter blasse Schatten verweht.


Liebe Schwestern und Brüder,


solch bittere Worte ruft die Dichterin Sappho

einer reichen Dame hinterher.

Verachtung schwingt in diesen Worten.

Vielleicht hat die reiche Dame arrogant

auf die Dichterin herabgeschaut;

vielleicht hat sie direkt vor Sapphos Nase

provozierend mit ihrem Geschmeide geklimpert;

vielleicht ist sie in ihrem teuren Kostüm

vor der Dichterin herumstolziert.


Die Worte Sapphos klingen wie ein Fluch

und treffen damit einen Nerv -

nicht nur der reichen Dame.

Auch wir fürchten uns davor,

dass man uns vergessen könnte,

wenn wir gestorben sind.

Dass wir wie welke Blätter vom Winde verweht werden.

Sapphos Worte rühren an die Angst,

mit dem Tod könnte tatsächlich alles aus sein,

es käme nichts mehr danach.


Sappho kennt aber noch ein anderes Ende:

Das Weiterleben durch die Kunst.

So lebt die Dichterin von Lesbos weiter:

Zweieinhalbtausend Jahre nach ihrem Tod

kennen wir noch immer ihren Namen,

hören wir noch immer ihre Gedichte.

Was Wohlstand und Reichtum nicht vermögen,

gelingt der Schönheit der Kunst:

Wir vergessen sie nicht, sie lebt unter uns weiter.


So lebt auch die Schönheit dieses Domes weiter,

dessen Grundstein vor über 850 Jahren gelegt wurde.

Die Namen der Baumeister, der Künstler sind vergessen;

der Dom gibt weiterhin beredt Auskunft

über den Glauben, der sie beseelte,

die Hoffnung, die sie in sich trugen:


Herr, unser Gott,

uns beherrschen noch andere Herren außer dir,

aber wir bekennen nur deinen Namen.

Unter diesen Herren werden Tote nicht leben,

Schatten der Unterwelt nicht auferstehen.

Darum kommst du über sie und vertilgst sie

und wirst jede Erinnerung an sie auslöschen.

Deine Toten aber werden leben,

meine Verblichenen werden auferstehen.

Wacht auf und jubelt, Bewohner der Erde!

Denn dein Tau ist ein Morgentau,

und die Erde wird die Schatten der Unterwelt freigeben.


Auch Jesaja stellt zwei Parteien einander gegenüber.

Waren es bei Sappho Reichtum und Schönheit,

so sind es bei Jesaja die Herren der Welt und der eine Herr.

Und wie Sappho stellt Jesaja fest,

dass die Herren der Welt das Vergehen nicht verhindern können.

So groß ihre Macht auch sein mag,

gegen den Tod können sie nichts ausrichten.

Sie können den Tod verfügen,

können ihn durch Krieg über ihre Nachbarn bringen.

Aber sie können nicht wieder lebendig machen.

Sie können nichts schaffen, sondern nur zerstören.


Unsere Macht - die Macht, die wir über andere ausüben;

die Macht, die andere zwingt,

unseren Willen zu tun -

kann nichts schaffen, nur zerstören.

Und die Ehrfurcht, die sie erheischt,

ist nicht die, die wir vor einem Kunstwerk empfinden

oder hier in diesem Dom.

Es ist die Furcht vor dem, wozu der Mächtige fähig ist.

Und das ist eben nie schön -

auch wenn manche von der Macht profitieren -,

sondern immer leidvoll und am Ende zerstörerisch.


Die Macht der Mächtigen erweist sich nutzlos angesichts des Todes.

Was die Macht zerstörte und tötete, kann sie nicht wieder lebendig machen.

Dadurch entpuppt sie sich als Ohnmacht.

Macht und Gewalt sind Ausdruck von Hilflosigkeit,

nicht von Souveränität.


Deshalb tritt der allmächtige Gott auch nicht machtvoll auf,

nicht gewaltsam oder gewalttätig.

Er ist ganz still.

So, wie der Tau still ist.

Regen hört man fallen, plätschern, rauschen.

Aber Tau kommt ganz unmerklich - und ist dann einfach da.


Im zweiten Schöpfungsbericht wird beschrieben,

dass ein Tau den Ackerboden feuchtete,

aus dem Gott dann den Menschen formte -

lebensspendender Tau.


Im Buch Exodus wird erzählt,

wie das Volk Israel seinen Hunger mit Manna stillte

nachdem es den Ägyptern entkommen war:

„Am Morgen lag Tau rings um das Lager.

Und als der Tau weg war, siehe,

da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde” -

lebensrettender Tau.


Gottes Macht erweist sich nicht in Zwang und Gewalt,

sondern in der Sanftheit des Morgentaus.

Und wie Gott seinem Volk das Manna „getaut” hat,

so weckt sein Tau die Toten aus der Erde.

Wie Samen, die in der Erde geschlafen haben,

durch die Feuchtigkeit keimen,

so erstehen die Toten durch den Tau Gottes

aus dem Schoß der Erde.


Sie erhalten einen neuen Körper,

wie Adam einen Körper von Gott bekam,

als er ihn aus Erde vom Acker machte,

die mit Tau benetzt worden war.


Und so heißt es auch vom Messias,

dass Gott ihn „taut”:

„Träufelt, ihr Himmel, von oben,

und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit”,

schreibt Jesaja an anderer Stelle.

Dieser Vers findet sich wieder im Adventslied:

„O Heiland, reiß die Himmel auf”:


„O Gott, ein Tau vom Himmel gieß,

im Tau herab, o Heiland, fließ.

Ihr Wolken, brecht und regnet aus

den König über Jakobs Haus.


O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,

dass Berg und Tal grün alles werd.

O Erd, herfür dies Blümlein bring,

o Heiland, aus der Erden spring.”


Und so springt unser Heiland aus der Erde hervor.


In der Finsternis des Todes,

in der Tiefe der Erde wirkt Gott das Leben.

Sein Morgentau bedeckt die Erde,

und neues Leben erwacht.

Freitag, 7. April 2023

versöhnt

Predigt am Karfreitag, 7. April 2023, über Kolosser 1,13-20

Gott der Vater hat uns errettet

aus der Macht der Finsternis

und hat uns versetzt in das Reich seines geliebten Sohnes,

in dem wir die Erlösung haben,

nämlich die Vergebung der Sünden.

Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,

der Erstgeborene vor aller Schöpfung.

Denn in ihm wurde alles geschaffen,

was im Himmel und auf Erden ist,

das Sichtbare und das Unsichtbare,

es seien Throne oder Herrschaften

oder Mächte oder Gewalten;

es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.

Und er ist vor allem,

und es besteht alles in ihm.

Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde.

Er ist der Anfang,

der Erstgeborene von den Toten,

auf dass er in allem der Erste sei.

Denn es hat Gott gefallen,

alle Fülle in ihm wohnen zu lassen

und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin,

es sei auf Erden oder im Himmel,

indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.


Liebe Schwestern und Brüder,


der Mensch sucht seinen Platz in der Welt.

Sucht, sich ins Verhältnis zu setzen zu dem, was ihn umgibt:

der Mikrokosmos seines Lebensumfeldes und seiner Beziehungen

und der Makrokosmos des Planeten Erde

mit seinen Pflanzen und Tieren,

seinem Klima, mit Wind, Schnee und Regen,

dem unendlichen Sternenhimmel über uns.

Er sucht seinen Platz in der Welt,

indem er fragt: Wie ist das alles entstanden,

und welchen Sinn hat das alles?


Eine Antwort auf diese Frage

gibt der Schöpfungsbericht der Bibel.

Er erzählt, dass Gott die Welt schuf, indem er unterschied:

Licht und Finsternis, Wasser und Land,

Firmament und Erdboden.

Gott ordnete die Welt:

setzte Mond und Sonne als Zeitgeber ein,

ließ Pflanzen wachsen, die Samen bringen

und Bäume, die Früchte tragen.

Er gab jedem Geschöpf seine Aufgabe und seinen Ort

und sorgte dafür, dass alle Nahrung bekamen.

Zuletzt erschuf er den Menschen

als Haushalter seiner Schöpfung.


Gott, der Schöpfer, gibt dem Menschen

seinen Platz in der Welt,

indem er ihm eine Aufgabe zuweist und einen Ort:

Nicht als Chef, sondern als Untergebener,

Geschöpf unter Mitgeschöpfen,

soll er in Gottes Auftrag die Erde bebauen und bewahren

und sich dabei an Gottes Willen orientieren.


Eine andere Antwort auf die Frage

nach dem Platz des Menschen in der Welt

gibt die Naturwissenschaft.

Von Urzeiten an hat der Mensch

in der Natur Regelmäßigkeiten, Wiederkehrendes beobachtet,

die er nach und nach als Naturgesetze erkannte.

entschlüsselte und für sich zu nutzen lernte.

Die Bewegung der Sterne,

die Entstehung des Weltalls,

das Erscheinen von Pflanzen, Tieren

und schließlich des Menschen auf dieser Erde

kommen ohne Gott aus.

Alles hat sich vom Urknall vor 13 Milliarden Jahren

durch die Naturgesetze folgerichtig entwickelt.

Die Arten der Pflanzen und Tiere

entstanden durch Versuch und Irrtum der Evolution,

bis die am besten angepassten sich durchsetzten.


Wer dieses Wissen erwirbt, kann die Natur beherrschen.

Kann die Gene verändern, die den Bauplan des Leben enthalten,

kann Atome spalten und so riesige Energiemengen freisetzen -

oder unvorstellbare Zerstörungen anrichten.

Der Mensch, der die Naturgesetze durchschaut

und anzuwenden gelernt hat, ist Herr über die Natur,

ist Herr der Welt und - solange keine Außerirdischen

ihm diesen Rang streitig machen - auch Herr des Weltalls.


Das wissenschaftliche Weltbild,

das ohne einen Schöpfer auskommt,

dem wir Menschen verantwortlich sind,

hat sich durchgesetzt:

Es kann die Tatsachen erklären,

die wir vorfinden und beobachten.

Aber dabei ist uns der Respekt vor der Natur abhanden gekommen.

Wenn es keinen Schöpfer gibt, dem wir verantwortlich sind,

dann sind wir die Herren dieser Welt,

die mit ihr machen, was sie wollen.

Die Konsequenzen dieses Denkens und Handels

holen uns gerade unerbittlich ein.


Der Kolosserbrief gibt eine dritte Antwort

auf die Frage nach der Entstehung der Welt

und unserem Ort darin.

Eine Antwort, die zwischen den anderen beiden vermittelt.

Denn hinter unser Wissen über die Naturgesetze

können wir nicht mehr zurück;

wir können nicht so tun, als lebten wir noch im Paradies.

Aus diesem Paradies haben wir uns selbst vertrieben.

Der Sündenfall der Menschheit

besteht in der Entschlüsselung ihrer Geheimnisse,

die nicht zu einer größeren Ehrfurcht

vor der Schöpfung und ihren Geschöpfen geführt hat,

sondern zu einem Ausverkauf der Natur.


Auch der Kolosserbrief spricht von einer Ordnung,

wie der Schöpfungsbericht der Bibel.

Diese Ordnung besteht in einer Person, Jesus Christus.

Jesus, Gottes geliebter Sohn, ist die Liebe selbst.

Diese Liebe ist die Ordnung,

die die ganze Natur durchzieht.

Das bedeutet nicht, dass Fressen und Gefressenwerden

aus Liebe geschehen,

Naturkatastrophen ein Zeichen von Gottes Liebe wären.


Vielmehr ist diese Liebe Christi

in jedem Lebewesen enthalten, und sei es noch so klein,

in jedem Tautropfen, jeder Wolke,

jedem Sonnenstrahl und jedem Windhauch.

Diese Liebe gibt allem in der Schöpfung

seinen Wert und seine Würde.

In dieser Liebe entdecken wir einen Abglanz

des Reiches, das Jesus anbrechen sah.

Jede unscheinbare Blume, jeder kleine Käfer,

der Gesang der Vögel am Morgen,

das Abendrot oder das Rauschen des Windes in den Bäumen

erzählen davon.


Doch es gibt weiterhin Vergänglichkeit und Tod in der Welt.

Es gibt die Schrecken von Sturm, Waldbränden oder Erdbeben.

Wir Menschen überziehen die Erde mit Krieg und Gewalt.

Wir beuten Gottes Schöpfung aus

ohne Rücksicht auf unsere Mitgeschöpfe

und auch ohne Rücksicht auf die Generationen,

die nach uns kommen.

Wir setzen immer neue Kreisläufe von Tod und Gewalt in Gang,

Kreisläufe der Vernichtung,

die anscheinend niemand mehr aufhalten kann.


Unsere Erde ist offenbar dem Untergang geweiht,

weil wir es einfach nicht hinbekommen.

Die Menschheit ist dabei, sich selbst auszurotten.

Aber einer durchkreuzt die Kreisläufe von Tod und Vernichtung.

Setzt nicht Gewalt gegen Gewalt,

sondern setzt sein Leben ein.

Setzt auf die Liebe zu allem, was lebt.

Jesus trägt diese Liebe durch,

trägt sie bis ans Kreuz.

Nach menschlichem Ermessen ist der Weg der Liebe damit zuende.

Die Liebe ist durch die Bösartigkeit und Gemeinheit

der Menschen gescheitert und gestorben.

Aber Gott stellt sich hinter Christus und seine Liebe.

Er gibt Christus und seine Liebe nicht dem Tod,

nicht der Vernichtung preis,

sondern schafft neues, ewiges Leben,

wo alles verloren schien.


Die Liebe lebt.

Dadurch geschieht etwas Wunderbares:

Gott hat durch Christus alles versöhnt,

heißt es im Kolosserbrief.

Diese Versöhnung hebt alle Herrschaftsverhältnisse unter uns auf.

Wir sind alle Geschöpfe, das bedeutet:

Wir beziehen uns alle in gleicher Weise auf Gott.

Alles Leben lebt aus Gottes Liebe.

Wir sind alle in gleicher Weise abhängig von Gott.

Keine:r ist unabhängiger,

keine:r ist größer, mächtiger, wichtiger oder besser.

Das macht uns zu Kindern Gottes

und untereinander zu Geschwistern.

Umfangen von der Liebe Gottes erkennen wir,

dass wir alle Geschöpfe sind,

durch seine Liebe ins Leben gerufen,

durch seine Liebe im Leben erhalten,

durch seine Liebe zu neuem Leben bestimmt.


Als Geschwister können wir miteinander in Frieden leben.

Wir sind Brüder und Schwestern

aller Menschen auf dieser Erde.

Und nicht nur der Menschen.

Weil durch Christus alles geschaffen wurde,

ist die ganze Schöpfung von ihm beseelt.

Wir sind Geschwister auch der kleinsten Mücke,

des unscheinbarsten Grashalms.

So schafft Gott Versöhnung,

so macht Gott Frieden durch sein Blut am Kreuz.


Die Welt ist durch Christus geschaffen.

In ihm ist sie auch erlöst.

Sie ist nicht zum Untergang verdammt.

Wir sind nicht dazu verdammt, uns selbst auszulöschen.

Als Gottes Geschöpfe können wir mitwirken

an der Erlösung der Schöpfung,

die in Christus schon geschehen ist.

Wir können umkehren

und in der wunderbaren Fülle der Natur

die Fülle Gottes erkennen, die in Christus ist.

Wir können wieder staunen lernen

und den Respekt vor jedem Lebewesen,

sei es noch so unscheinbar und klein.


Wir entdecken die Fülle Gottes

in der Vielfalt der Natur.

Wir entdecken sie in jedem Menschen.

Wir gewinnen Respekt vor allen Menschen,

seien sie Freund:in oder Feind:in,

Einheimische oder Fremde.

So wird Frieden unter uns Wirklichkeit.

Der Friede, den Christus macht durch sein Blut am Kreuz.

So sind wir versöhnt

miteinander und mit unserer lieben Erde.

„Denn es hat Gott gefallen,

alle Fülle in Christus wohnen zu lassen

und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin,

es sei auf Erden oder im Himmel,

indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.”

Donnerstag, 6. April 2023

vor Grübelei bewahrt

Predigt am Gründonnerstag, 6.4.2023, über Lukas 22,39-46

Liebe Schwestern und Brüder,

ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie die Geschichte von Jesus und seinen Jüngern im Garten Gethsemane hören. Ich muss mich jedes Mal fremdschämen. Ich schäme für die Jünger. Diese Versager!

Im Augenblick seiner größten Not, in der schlimmsten Stunde seines Lebens lassen sie Jesus im Stich! Dabei wird so lächerlich wenig von ihnen verlangt. Weder sollen sie sich zwischen Jesus und seine Häscher werfen, wie Petrus es vollmundig verspricht, noch sollen sie den Leidensweg Jesu mitgehen, wie Jakobus und Johannes es wollen. Alles, was Jesus von ihnen erwartet, ist, dass sie wach bleiben. Und gerade das gelingt ihnen nicht.

Wenn man sagt: „Denk jetzt nicht an einen rosa Elefanten“, kann man gar nicht anders, als sich so einen quietschrosa Elefanten vorzustellen. Sehen Sie ihn vor Ihrem geistigen Auge? Und ist er eher fleischfarben, oder ist er so richtig knallrosa?

Wenn man jemanden gähnen sieht, muss man selbst oft auch gleich mitgähnen. Aber wenn jemand sagt: „Schlaf bitte nicht”, dann schläft man nicht automatisch ein, oder?

Nach einem Todesfall machen sich Angehörige manchmal Vorwürfe, wenn sie im entscheidenden Moment des Todes nicht bei dem Menschen waren, der gerade gestorben ist. Da saßen sie Stunde um Stunde am Sterbebett, sind nur für einen Moment vor die Tür gegangen, um sich kurz die Beine zu vertreten - und genau in diesem Augenblick ist ihr:e Angehörige:r gestorben. 

Andere haben eine:n Angehörige:n über Wochen oder Monate betreut, gepflegt, beim Sterben begleitet.  Irgendwann wurde es ihnen zuviel, sie mussten sich eine kurze Auszeit nehmen - und waren im Moment des Todes nicht da.

Wenn man solche Erfahrungen macht, fühlt man sich wie die Jünger im Garten Gethsemane - und schämt sich. Dabei gibt es keinen Grund, sich zu schämen oder sich für die Jünger fremdzuschämen. Lukas schildert Jesus nämlich nicht als jemanden, der enttäuscht ist, dass auf seine Freunde kein Verlass war. Sondern als Seelsorger, der selbst im Angesicht des Todes um seine Jünger besorgt ist und möchte, dass sie kein Leid erfahren.

Einen ersten Hinweis darauf gibt die Schilderung, dass Jesus sich „einen Steinwurf” von den Jüngern  entfernt.
Wie weit können Sie einen Stein werfen? Vielleicht wissen Sie es nicht mehr, weil es schon so lange her ist, dass Sie es probiert haben. Es hängt ja auch von der Größe und Form des Steines ab. Wenn man jünger ist und ein bisschen sportlich, wie es Jesu Jünger wohl waren, und wenn der Stein klein ist und gut in der Hand liegt, kann man ihn ein ganzes Ende weit werfen.

So weit jedenfalls, dass man nicht mehr hören kann, was Jesus spricht und auch nicht mehr genau sieht, was er gerade tut - zumal in einem Garten, in dem Büsche und Bäume die Sicht verdecken.

Mit anderen Worten: Wenn Jesus sich „einen Steinwurf weit” entfernt, will er allein sein. Er möchte wohl seine Jünger in der Nähe wissen, aber um ihn sollen sie sich nicht kümmern. Sie sollen nicht um seinetwillen wach bleiben, sondern um ihretwillen. Wach sein und beten, dass sie nicht in Anfechtung fallen.

Was für eine Anfechtung könnte das sein? Weglaufen, Jesus im Stich lassen? Jesus verraten? Den eigenen Glauben verraten?
Nein, das ist doch eher unwahrscheinlich, wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte bedenkt. Zwar laufen die Jünger im ersten Augenblick weg. Aber am Ende stehen sie zu Jesus und ihrem Glauben und treten, wenn man den Legenden glauben darf, sogar mit ihrem Leben für ihren Glauben ein. Es geht also nicht um etwas, was die Jünger tun, sondern um etwas, was die Jünger empfinden könnten.

Was fühlt man, wenn ein Mensch, den man lieb hat, dem Tod geweiht ist und man genau weiß, dass man nichts mehr dagegen tun, dass man den Tod nicht ändern kann? 

Ohnmacht und Verzweiflung.

Eine Ohnmacht und Verzweiflung, durch die man in eine tiefe Traurigkeit versinken kann. Traurigkeit, die lähmt, alles sinnlos erscheinen lässt. Traurigkeit, die alles infrage stellt, was war, wofür man einmal gekämpft und gebrannt hat. Jetzt ist da nur noch kalte Asche. Und man fragt sich, was man hier noch soll, was das alles noch für einen Sinn hat. Steigt man diese Spirale der Traurigkeit weiter und weiter hinab, gerät man in das schwarze Loch der Depression, aus dem man sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien kann.

Davor will Jesus seine Jünger bewahren. Nicht ganz uneigennützig. Er braucht sie noch: Sie sollen seinen Weg weiter gehen. Sie sollen Botschafter:innen dessen werden, was sie jetzt noch nicht wissen können, obwohl Jesus es ihnen angekündigt hat, und was selbst Jesus verdunkelt ist durch die Angst vor dem, was ihm bevorsteht: Dass er nach drei Tagen auferstehen wird. Dass dann der Tod besiegt ist, dass uns dann Leid, Traurigkeit und Dunkelheit nicht mehr in ihren Bann schlagen können. Deshalb sollen die Jünger wach bleiben und beten.

Aber wie soll das Gebet gegen die Depression helfen? Wenn das Gebet etwas gegen Depressionen ausrichten könnte, müsste es diese Krankheit nicht geben, bräuchte es keine Kliniken mehr, wären viele Therapeut:innen arbeitslos.

Die Depression steht am Ende der Abwärtsspirale, die mit der Traurigkeit beginnt. Das Gebet verhindert, dass es überhaupt zu einer solchen Abwärtsspirale kommt. Die Abwärtsspirale wird in Gang gesetzt durch das Grübeln: „Was wäre gewesen, wenn …” „Hätte ich doch nur dies oder jenes getan oder gesagt, hätte ich mich doch nur anders entschieden, hätte ich doch nur dies oder jenes nicht getan!”

Vor dieser Grübelei rettet das Gebet, indem es dazu anhält, nach Gottes Willen zu fragen, wie es auch Jesus in Gethsemane tut: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!”

Beten ist nicht das Aufstellen eines Wunschzettels, was ich alles für mich, wie ich das Leben für mich gern hätte. Als Fürbitte ist es ein Eintreten für andere. Ein weit Werden des Blickes, hinaus über den Tellerrand meines Alltags, meiner kleinen Welt hin zu meiner Umwelt, meinen Mitmenschen nah und fern. Als Gebet für mich ist es ein Gespräch mit Gott, dem ich alles sagen kann, was ich auf dem Herzen habe.

Doch wenn Beten ein Gespräch ist, gilt für das Beten, was für alle Gespräche gilt: Ein Gespräch hat immer zwei Gesprächspartner. Redet nur eine:r, und die andere hört nur zu, ist das kein Gespräch. Wer sich auf das Gebet, das Gespräch mit Gott, einlässt, hat Gott als Gesprächspartner. Ist all das gesagt, was man auf dem Herzen hat, kommt das Hören. Das Hören auf das, was Gott will. Und wenn man das Verhältnis zwischen Gott und Mensch recht bedenkt, wird man schließlich irgendwann dahin kommen, mit Jesu Worten zu sagen: „Dein Wille geschehe!”

Was aber ist Gottes Wille? Woher soll ich wissen, was Gott von mir will? Beim Kollektengebet zu Beginn des Gottesdienstes erinnern wir uns zuerst an Gottes heilvolles Handeln, bevor wir eine Bitte aussprechen. Heute haben wir uns daran erinnert, dass Jesus uns in Brot und Wein Anteil am Geheimnis seines Lebens gibt und die Trennung aufhebt, die unsere Schuld bewirkt hat.

Dieses heilvolle Handeln Gottes finden wir beschrieben in den Worten der Bibel. Weil wir Gottes Kinder sind, dürfen wir diese Worte auf uns beziehen, uns von ihnen angesprochen fühlen, sie uns gesagt sein lassen. Nicht nur die Worte, die uns infrage stellen, die uns unsere Schuld vor Augen führen. Auch - und ganz besonders - die Worte, mit denen Gott uns seine Liebe zusagt. Mit denen er uns Leben verheißt. Leben gegen alle Traurigkeit und Angst, Leben, das der Tod niemals besiegt.