Samstag, 21. Januar 2012

Predigt zur Gebetswoche für die Einheit der Christen

Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias, 22. Januar 2012, über 2.Könige 5,9-15:

Naaman, der Feldhauptmann des Königs von Aram, dem heutigen Syrien, war ein mächtiger Mann, litt aber an einer Hautkrankheit. Auf Anraten einer Dienerin, die aus Israel verschleppt worden war, besucht er den Propheten Elisa, damit der ihn von seiner Krankheit heilt.
Davon erzählt der Predittext im 2. Buch der Könige im 5. Kapitel:

"So kam Naaman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas. Da sandte Elisa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen:
Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil, und du wirst rein werden!
Da wurde Naaman zornig und zog weg und sprach:
Ich meinte, er sollte selbst zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien.
Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Abana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, so dass ich mich in ihnen waschen und rein werden könnte?
Und er wandte sich um und zog weg im Zorn. Da machten sich seine Diener an ihn heran, redeten mit ihm und sprachen:
Lieber Vater, wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, hättest du es nicht getan? Wieviel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein!
Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein. Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach:
Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel."


Liebe Gemeinde,

wissen Sie, wie man richtig betet?
So (mit gefalteten Händen),
oder so (mit zusammengelegten Händen),
oder vielleicht so (mit zum Himmel emporgereckten Armen)?
Ein älterer Kollege stellte neulich fest:
"In Braunschweig wird so gebetet!"
(mit gefalteten Händen)
Er hat wahrscheinlich recht.
Wenn Sie sich nachher mal verstohlen umsehen
(was man ja eigentlich nicht macht, wenn man betet),
dann werden Sie feststellen,
dass alle ihre Hände falten.
Jedenfalls heute. Weil ich's gesagt habe.
Das nennt man Gruppenzwang.

Warum frage ich überhaupt?
Müsste ich als Pastor nicht wissen,
wie man richtig betet?
Gibt's das überhaupt, richtiges Beten?
Die Ökumene, die weltweite Gemeinschaft
der Christinnen und Christen, feiert in dieser Woche
die "Gebetswoche für die Einheit der Christen".
Ein Aufruf zur Einheit.
Denn obwohl wir alle den selben Glauben haben,
gibt es doch viele Unterschiede zwischen Orthodoxen Christen,
Katholiken und Protestanten.
Jede Konfession glaubt ein wenig anders,
betet ein wenig anders
und feiert ein wenig anders Gottesdienst.
Und jede meint: Ihre Art sei die einzig wahre und richtige.
Von echter Gemeinschaft sind wir noch weit entfernt.
Deshalb beten wir in dieser Woche darum.

Wenn es heute auch - zumindest bei uns -
selten geworden ist, dass man
als Katholik unter Protestanten
oder als Protestant unter Katholiken
ausgegrenzt, geschnitten oder gar geschmäht wird,
gibt es doch noch viele Vorurteile übereinander
und wenig Wissen voneinander.
Und es ist die Frage, welche Unterschiede schwerer wiegen:
die großen Differenzen in Glaubensfragen,
über die sich Bischöfe und Theologen streiten,
- und in manchen Punkten sogar einig werden;
oder das jeweils andere Brauchtum, die Lebens-
und Glaubensgewohnheiten,
die uns Christen voneinander trennen?

II
Was eine/r glaubt, kann man nicht sehen.
Aber die äußerlichen Unterschiede, die fallen ins Auge.
Wer sich bekreuzigt, ist ziemlich sicher katholisch.
Evangelische Christen bekreuzigen sich nicht,
obwohl Martin Luther das ausdrücklich empfohlen hat.
Durch Äußerlichkeiten fällt man auf.
An Äußerlichkeiten wird sofort festgemacht,
ob und dass jemand anders ist.
Sei es die Haltung der Hände beim Gebet,
das Bekreuzigen,
die Art der Kleidung
oder die Hautfarbe.

Gerade die Haut kann man nicht verstecken.
Jedenfalls nicht sein Gesicht.
Jede und jeder, der als Jugendlicher mal Pickel hatte,
weiß, wie schrecklich das war.
Wenn gerade wieder ein neuer Pickel
rot und fett gesprossen war,
hatte man das Gefühl,
er würde leuchten, nicht zu übersehen,
und jeder würde nur darauf starren.

Die Haut kann man nicht verstecken.
Sie ist wie eine Visitenkarte.
Wenn die Haut krank ist,
kann man das kaum verbergen;
man schämt sich
und wagt sich nicht unter Menschen,
weil man es körperlich fühlt,
dass man nicht so aussieht wie die anderen.
So ging es Naaman, dem erfolgreichen Feldherrn.
Er war "aussätzig", wie es in der Bibel heißt,
er litt unter einer Hautkrankheit,
die für alle sichtbar war.
Ausgerechnet Naaman, der Erfolgstyp, der Macher,
hatte einen Makel. War anders als die anderen.
"Unrein".
Jemand also, dem man besser nicht zu nahe kam,
mit dem man sich nicht einließ.
Was nützen einem Erfolg und Macht,
wenn man sie nicht genießen kann,
weil man in der Gesellschaft ein Ausgestoßener ist?

III
Unsere Haut ist unsere Visitenkarte.
Sie ist bei jedem Menschen anders:
fettig oder trocken,
braun oder blass,
faltig oder glatt,
sommersprossig oder leberfleckig.
Die Haut vergisst nichts.
Jede Verletzung, jede Narbe bleibt in sie eingeschrieben
und erinnert uns daran,
dass wir mal Akne hatten oder Windpocken,
einen Unfall oder eine Operation.

Die Haut ist unser sensibelstes Organ.
Jede kleinste Berührung nehmen wir mit ihr wahr.
Redewendungen drücken aus,
wie sehr unsere Haut mitfühlt,
wenn wir etwas erleben:
Dann geht es uns unter die Haut.
Man verliebt sich mit Haut und Haar
und bekommt nicht nur vor Kälte eine Gänsehaut.
Wenn man etwas nicht aushält,
kann man sich eine Hornhaut zulegen.
Aber irgendwann hilft auch das dickste Leder nicht:
dann geht es auf keine Kuhhaut mehr
und man möchte am liebsten aus der Haut fahren.

Die Haut kann man nicht verstecken.
Achten wir deshalb auf Äußerlichkeiten?
Legen wir deshalb so viel wert darauf,
weil wir an unserer Haut so empfindsam,
so empfindlich, so verletzlich sind?

Wenn das so ist:
Warum scheuen wir uns dann,
von etwas oder von jemandem berührt, angerührt zu werden?
Warum legen wir uns ein dickes Fell zu,
um nicht von Dingen berührt zu werden,
die anders sind als das, was wir kennen?

IV
Naaman geht zu Elisa, der ihn heilen soll,
mit der konkreten Vorstellung,
wie so eine Heilung auszusehen hat:
"Ich meinte, er sollte selbst zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien."
So macht man das.
Das ist die richtige Haltung.
Elisa aber tut nichts dergleichen.
Im Gegenteil: Er verweigert Naaman unverschämt
den ihm gebührenden Respekt.
Er kommt nicht einmal selbst zu ihm heraus,
sondern schickt einen Diener
mit der lächerlichen Aufforderung,
sieben Mal im Jordan unterzutauchen.

Ein Feldhauptmann, ein hohes Tier,
das nackt im Jordan plantscht und dabei
jedem seine verletztlichste Seite:
seine wehe, kranke Haut, zeigt,
sich damit den abschätzigen Blicken,
und der Lächerlichkeit preisgibt.
Unmöglich! Unvorstellbar!

V
Etwas, das anders ist, ist peinlich.
Man schämt sich dafür,
weil plötzlich (meint man) alle hingucken.
Gerade deshalb lassen sich wohl manche tätowieren:
damit alle hingucken und sehen, dass sie anders sind.

Wer sich trauen möchte, anders zu sein,
braucht Vertrauen.
Das Vertrauen, dass man sich nicht lächerlich macht
und nicht lächerlich gemacht wird.
Das Selbstvertrauen, mit dem man die Blicke aushält
und sich nichts daraus macht,
was die anderen denken oder hinter dem Rücken über einen reden.

Dieses Vertrauen kann man nicht kaufen,
nicht gewinnen oder üben.
Dieses Vertrauen fällt einem zu,
es fällt einem in den Schoß.
Doch dazu muss man schon ziemlich verzweifelt sein.
So verzweifelt, wie es Naaman war,
oder der Hauptmann von Kapernaum.
Man muss schon ziemlich verzweifelt sein,
wenn man sich der ohnmächtigen Macht Gottes anvertraut.
Man tut es, weil man keine andere Wahl hat,
oder nichts mehr zu verlieren.
Dann wagt man den Sprung,
den das Vertrauen in etwas bedeutet,
das nicht mehr ist als ein Wort.

VI
"Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund",
sagt der Hauptmann zu Jesus.
"Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund",
heißt es in der katholischen Abendmahlsliturgie.
Es sind nur Worte,
aber wenn sie einem unter die Haut gehen,
verändern sie alles.

Ob so auch Ökumene beginnt,
die echte Gemeinschaft der Christinnen und Christen
aller Konfessionen:
indem man an sich heranlässt,
was dem anderen wertvoll und wichtig ist?
Sich nicht davor scheut, sich davon berühren zu lassen?
Wenn das geschieht,
wird die Tür aufgestoßen in einen bisher verschlossenen Garten
voller aufregender, wilder Gewächse
und bezaubernder Blüten.

Früher hat man viele Pflanzen als "Unkraut" abgestempelt
und ausgerissen.
Heute lernen wir, darin "Wildkräuter" zu sehen.
Für manche ist das nur ein Euphemismus;
es ist ihnen egal, ob das, was sie da herausreißen,
ein "Wildkraut" ist.
Es ist jedenfalls Unkraut.
Andere aber entdecken,
dass auch diese Gewächse ihre Schönheit haben
und ihr Recht.

Wir müssen nicht alles gut und richtig finden,
was die jeweils andere Konfession tut und glaubt.
Wir werden das auch nicht können,
wenn unser eigener Glaube uns etwas bedeutet.
Aber wir können doch den Reichtum und die Vielfalt des Glaubens
anerkennen und versuchen zu verstehen,
dass es vielleicht mehr als eine einzige Wahrheit,
einen einzigen Weg zu Gott gibt.

VII
Wie wir beten, ist ganz egal.
Die Hauptsache ist,
dass wir das Vertrauen wagen,
Gott an uns heranzulassen.
Ihm gegenüber unser dickes Fell ablegen,
auf Horn- und Kuhhaut verzichten
und uns anrühren lassen.

Können wir auch der anderen,
der fremden Konfession gegenüber
Vertrauen wagen, uns auf sie einlassen
und sie an uns heranlassen?
Können wir die andere Konfession sein lassen,
wie sie nun einmal ist, und das gelten lassen?
Können wir ihre Schönheit entdecken
und uns an ihr freuen?
Vielleicht sogar ein bisschen Neid empfinden auf das,
was sie hat, und was uns fehlt?
Können wir Gott auch da suchen,
wo wir ihn nicht immer schon vermuteten?

Samstag, 7. Januar 2012

Zur Schwäche stehen - Predigt zum 1. Sonntag nach Epiphanias

Predigt am 1.Sonntag nach Epiphanias, 8.1.2012 über 1.Korinther 1,26-31:

Schwestern und Brüder,
seht euch eure Berufung an:
nicht viele, die den Durchblick haben,
nicht viele Vermögende,
nicht viele gut Vernetzte.
Sondern wer in der Welt als Einfaltspinsel gilt,
die hat Gott ausgewählt,
um die Schlauen zu beschämen;
und wer in der Welt als Minderleister gilt,
die hat Gott ausgewählt,
um die Leistungsträger zu beschämen;
und wer in der Welt als unwichtig und überflüssig gilt,
die hat Gott ausgewählt -
das, was nichts ist -,
damit das, was etwas ist, wirkungslos wird.
So kann sich vor Gott niemand etwas einbilden.
Seinetwegen aber seid ihr in Christus Jesus,
der durch Gott unser Durchblick wurde,
unsere Gerechtigkeit, unser in Ordnung-Sein
und unsere Befreiung.


Liebe Gemeinde,

im Jahr 1966 wurde das Stück "Publikumsbeschimpfung",
eines der ersten Werke von Peter Handke,
von Klaus Peymann uraufgeführt.
Da stehen vier Schauspieler auf der Bühne,
aber sie spielen nicht, sondern sie reden das Publikum an,
und am Ende des Stückes beschimpfen sie es,
und das auch noch mit ziemlich unfreundlichen
und keineswegs lustig oder ironisch gemeinten Wörtern.

Ich kann mir vorstellen,
dass das vielen Theaterbesuchern nicht gefallen hat
- wer lässt sich schon gern öffentlich beschimpfen,
auch - oder vielleicht gerade - wenn das "Kunst" ist?
Dazu geht man nicht ins Theater.
Und dazu geht man auch nicht in die Kirche.

Aber eben sind Sie hier beschimpft worden,
hier, im Gottesdienst.
Nicht so drastisch und verletzend
wie in Handkes "Publikumsbeschimpfung".
Aber doch mit Titeln, die man nicht so gern hat:
"Einfaltspinsel", "Minderleister", "unwichtig und überflüssig".
Oder haben Sie sich da gar nicht angesprochen gefühlt?

Sie waren aber gemeint!

I
"Seht euch eure Berufung an".
Was sollen wir uns da eigentlich ansehen?
In der "Berufung" steckt der "Ruf".
Professorinnen und Professoren z.B. werden berufen;
sie erhalten einen "Ruf" an eine Universität,
auf einen Lehrstuhl, weil sie sich einen Ruf erwarben:
durch ihre Veröffentlichungen und Vorträge haben sie gezeigt,
dass sie etwas können und wissen und zu sagen haben.
Wer einen Ruf bekommt, der ist Jemand, der hat's geschafft.

In der "Berufung" steckt auch der "Beruf".
Wer berufen wird, der bekommt dadurch einen Beruf,
eine Aufgabe zugeteilt, die er oder sie auszufüllen hat
- und das aufgrund seiner oder ihrer Fähigkeiten auch kann.

Wir sind Berufene, aber in der Mehrheit sind wir
keine Professorinnen oder Professoren;
"nicht viele, die den Durchblick haben", sagt Paulus.
Damit ist noch ein wenig mehr gemeint als die Klugkeit,
die eine Professorin oder ein Professor besitzt
und an die nicht viele heranreichen.
Es geht dabei auch um ein Wissen,
das die einen haben - und die anderen nicht.
"Herrschaftswissen", nennt man das.
Da wird nicht alles gesagt, was man weiß;
man behält sein Wissen für sich,
lässt nur bestimmte Leute daran teilhaben,
und nur in kleinen Portionen.
Das kann man gerade sehr gut an der Auseinandersetzung
zwischen der BILD-Zeitung
und dem Bundespräsidenten Christian Wulf beobachten,
wie genau beide ihr Wissen dosieren.
Herr Wulf erzählt immer nur so viel, wie er muss.
Und die BILD-Zeitung veröffentlicht gerade so viel,
um Herrn Wulf weiter unter Druck zu setzen.

II
"Seht euch eure Berufung an:
nicht viele, die den Durchblick haben,
nicht viele Vermögende,
nicht viele gut Vernetzte."

Ist Ihnen das auch schon aufgefallen,
dass in der Kirche selten die zu finden sind,
die in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Macht haben?
Nun muss man daraus nicht schließen,
dass diese Leute mit der Kirche nichts am Hut haben.
Menschen wie Herr Wulf oder Frau Merkel
können ja nicht einfach so in einen Gottesdienst gehen.
Das muss von langer Hand geplant werden.
Die Polizei muss vorher Kirche und Gelände
nach Sprengstoff absuchen
und während des Gottesdienstes
ist ein Großaufgebot nötig, das für die Sicherheit sorgt.

Aber vielleicht ist es auch so,
dass, wenn man etwas erreicht hat,
wenn man jemand ist, den man kennt
- oder gern kennen lernen würde,
wenn man viel besitzt, sich vieles leisten kann,
beruflich und privat erfolgreich ist,
dass man in einem solchen Fall
kein großes Bedürfnis verspürt, zur Kirche zu gehen.

Wer sich keiner Schuld bewusst ist -
warum sollte der Vergebung suchen?
Wer seinen Erfolg der eigenen Klugheit,
dem richtigen Gespür, der eigenen Leistung zu verdanken hat -
warum sollte die dankbar sein?
Wer mehr hat, als sie braucht
und sich jeden Wunsch erfüllen kann,
warum sollte die um etwas bitten?

Es scheint, als ob Kirche eher etwas
für die untere Hälfte der Gesellschaft ist,
für die "Einfaltspinsel", die "Minderleister",
die "Unwichtigen und Überflüssigen", eben.
Wäre das sehr schlimm?
Und würde ich mich, würden Sie sich dazu zählen?
Oder rechnen wir uns nicht eher zur "Mitte",
die von allen Parteien so heftig umworben wird?
Die "Mitte" ist zwar genau die Hälfte der Gesellschaft,
aber doch eher die obere als die untere Hälfte.

III
Nein, so möchte man nicht genannt werden:
"Einfaltspinsel", "Minderleister", "unwichtig und überflüssig",
und so möchte man auch nicht angesehen werden.
Diese Ausdrücke werden als Kränkungen empfunden
- und oft ja auch so gemeint.
Es gehört zu unseren geheimen Wünschen,
keine und keiner "von denen" zu sein,
auf die man so herabblickt,
über die man so redet,
sondern Jemand zu sein,
etwas darzustellen, gesellschaftlich aufzusteigen.

Paulus aber sagt:
Dazu seid ihr nicht berufen.
Ihr sollt nicht danach streben,
Jemand zu sein oder zu werden.
Gott hat sich nicht die ausgesucht,
die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
Führungspositionen innehaben.
Gott interessiert sich nicht für die Klugen,
die Starken, die Adligen und Berühmten.
Gott liest, sozusagen, nicht "BUNTE" oder "NEUE REVUE",
Gott liest nicht "KAPITAL" oder "MANAGER",
und er liest auch nicht die Titelseiten
von BILD, STERN und SPIEGEL.

Gott interessiert sich für die,
die nie in der Zeitung stehen,
die höchstens aus Versehen mit aufs Foto kommen.
Und Gott legt keinen Wert darauf,
dass wir in der Zeitung stehen,
dass seine Kirche eine "gute Presse" hat.
Weil all das von Gott wegweist auf Menschen,
die sich dann etwas darauf einbilden,
dass sie in der Zeitung stehen
- so sind wir nun mal.

IV
Wir sind von Gott berufen.
Wir sind von ihm persönlich auserwählt.
Und wir haben einen Auftrag bekommen,
wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs.
Leider hat Gottes Ruf hat nicht die Aura,
die eine Berufung zur Professorin oder zum Professor hat.
Sie ist, so scheint es, nichts wert,
weil jede und jeder sie bekommen kann.
Sie wird einem geradezu hinterhergeworfen.
Man bekommt sie ja schon bei der Taufe,
diese Berufung,
wo man noch gar nichts ist,
und wo noch gar nicht heraus ist,
ob je etwas aus einem wird.

Gottes Auftrag ist auch keiner,
bei dem man sich mit Ruhm bekleckert.
Im Gegenteil: Es ist eine undankbare Sache,
sich um seine Mitmenschen zu kümmern.
Die meisten wissen es nicht zu schätzen,
sagen oft nicht einmal Danke.
Es kostet Zeit und Kraft,
und man steht sich hinterher nicht besser als vorher.
Warum also sollte man so etwas tun?

Einzig und allein aus dem Grund,
weil Gott es von uns will.
Und trotzdem ist es nicht umsonst.
Wir bekommen von Gott etwas dafür:
"Seinetwegen seid ihr in Christus Jesus,
der durch Gott unser Durchblick wurde,
unsere Gerechtigkeit, unser in Ordnung-Sein
und unsere Befreiung."

V
Es geht letztendlich darum,
Gott Gott sein zu lassen,
damit wir Menschen Menschen sein und bleiben können.
So erstrebenswert es ist, ein "großes Tier" zu sein:
Man ist dann nicht mehr man selbst.
Man hat neben dem eigenen Ich noch ein zweites:
das Amt, das man ausfüllen muss,
das einem meist eine Nummer zu groß ist
und einen zwingt, Kompromisse einzugehen, sich zu verbiegen
- manchmal auch das Recht und die Wahrheit.
Man kann dann nicht mehr gestehen,
einen Fehler gemacht zu haben;
man kann nicht mehr Schuld bekennen und auf sich nehmen,
weil man in einem solchen Amt keine Fehler machen,
keine Schwäche zeigen, nicht "das Gesicht verlieren" darf.

Natürlich darf man das.
Warum sollte man davor Angst haben,
sein Gesicht zu verlieren,
wenn Gott uns freundlich ansieht,
wenn Gottes Angesicht über uns leuchtet,
wie wir es im Segen zugesprochen bekommen?

Man darf auch in einem hohen Amt Mensch sein.
Aber dazu würde gehören, dass man Vertrauen hat:
Vertrauen, dass man auch jemand ist ohne dieses Amt.
Vertrauen, dass einen das Eingeständnis von Schuld,
das Zugeben eines Fehlers nicht vernichtet,
nicht das Gesicht oder gar die Existenz kostet,
sondern erst zu wahrer Größe führt.

Das kann wohl nur jemand, der gelernt hat,
sich von Paulus beschimpfen zu lassen
als "Einfaltspinsel", "Minderleister",
"unwichtig und überflüssig".
Der stolz darauf sein kann, so eine, so einer zu sein,
weil Gott dann alles sein kann
und man selbst Mensch bleiben darf.

Die Freiheit, Mensch sein und bleiben zu dürfen,
ein Mensch, der sich irrt, der Fehler macht,
der das Beste will und dabei oft Schlechtes tut,
diese Freiheit ist nur um den Preis zu haben,
dass wir zugeben, Menschen zu sein,
dass wir dazu stehen, dass wir "Einfaltspinsel" sind,
"Minderleister", "unwichtig und überflüssig".

Wenn wir diesen Schritt wagen, dann sind wir wer:
Von Gott Berufene und mit seiner Berufung Ausgestattete.
Das ist ein Amt, das höher ist als jedes andere,
als jedes Pfarramt, jedes Propstamt,
ja selbst als das Amt des Bundespräsidenten.
Dieses Amt können wir auch nicht verlieren.
Niemals.

Es gibt nichts Größeres und Wichtigeres,
als dass wir durch Jesus den Durchblick bekommen.
Er macht uns gerecht, er sagt uns zu,
dass wir in Ordnung sind.
Unser Glaube ist unsere Befreiung.
Amen.