Samstag, 27. August 2022

Zugegeben

Predigt am 11.Sonntag nach Trinitatis, 28. August 2022, über 2.Sam 12,1-15a

Rembrandt Harmensz. van Rijn, Bathseba

Liebe Schwestern und Brüder,

„wer war das?” fragt man, wenn man die Scherben der schönen Vase im Mülleimer findet; wenn die weiße Wäsche rosa oder der Wollpullover eingelaufen ist; wenn es plötzlich streng riecht im Raum. Handelte es sich nicht um kostbares Meißner Porzellan  oder um den Lieblingspulli, ist das Malheur zwar ärgerlich, aber nicht wirklich schlimm. Trotzdem tut man sich schwer damit zu sagen: „Ich war’s”. Das trifft besonders bei dem Lüftchen zu, das einem manchmal ungewollt entweicht: Keiner will’s gewesen sein.

Wenn es uns schon schwer fällt, bei kleinen, unbedeutenden Missgeschicken  unsere Urheberschaft einzugestehen, wie viel schwerer fällt es uns, wenn es wirklich schwerwiegende Malheure sind. Wenn unsere Tat Folgen hat, die unangenehm sind für uns. Oder sogar richtig schmerzhaft für’s Portemonnaie oder für’s Renommeé.

Wie bei König David. Er hat einen Seitensprung - oder sagen wir es doch, wie es ist: einen Ehebruch begangen. Hat Bathseba verführt, die Frau seines Offiziers Uria. Dieser Seitensprung hat Folgen: Bathseba wird schwanger und lässt das David mitteilen. Der König sieht sich plötzlich in einer Ziwckmühle. Wenn es herauskommt, dass er der Vater von Bathsebas Kind ist, wird es doppelt peinlich für ihn. Nicht nur kommt sein Ehebruch heraus. Er hat auch noch einen Offizier hintergangen, der für ihn im Kampf seinen Kopf hinhält.

David versucht, seine Tat zu vertuschen: Er gewährt Uria Heimaturlaub und hofft, dass er so seine Vaterschaft verschleiern kann; es wird schon keiner nachrechnen. Aber Uria ist ein vorbildlicher Offizier, der keine Sonderbehandlung für sich in Anspruch nimmt, solange seine Soldaten um ihr Leben kämpfen. Uria bleibt in der Kaserne. Davids Versuch, seinen Ehebruch zu vertuschen, ist gescheitert.

Aber David will auf keinen Fall, dass seine Tat ans Licht kommt. Dafür begeht er sogar einen Mord: Er befiehlt, Uria ins dichteste Kampfgewühl zu schicken und sich dann hinter im zurückzuziehen. Uria wird im Kampf getötet. Und David kann,  nachdem er Betroffenheit über den Tod Urias geheuchelt hat, nun ganz offiziell die junge Witwe trösten …

Eine haarsträubende, geradezu empörende Geschichte. Man hält diese Ungerechtigkeit kaum aus und kann nicht glauben, dass ausgerechnet David so etwas tut - und dass er mit dieser Tat davonkommen soll. Und man erinnert sich an ähnliche Geschichten, die man von Politikern und Führungspersönlichkeiten gehört hat. Erstaunlich ist: Auch David findet diese Ungerechtigkeit empörend und regt sich gewaltig darüber auf, dass der Reiche dem Armen sein einziges Schaf wegnimmt. Nur merkt er nicht, dass dabei von ihm die Rede ist.

Wir kann man so verblendet sein und nicht merken, wie falsch, wie ungerecht das eigene Handeln ist? Man sieht die eigenen Fehler nicht, wenn das Bild, das man von sich selbst hat - oder die Vorstellung, wie man sein sollte, sein müsste - nicht zu dem passt, wie man ist. Wer etwas tut, was er eigentlich schrecklich findet und sich selbst nicht verzeihen kann, verdrängt die Tat, spaltet sie von sich ab, als hätte sie ein anderer getan. So haben viele unserer Großväter verdrängt, was sie im 2.Weltkrieg erlebt und getan haben. So versuchen Männer, die Kinder missbraucht haben, den äußeren Schein zu wahren. Als sie das Entsetzliche taten, waren sie nicht sie selbst, da waren sie ein anderer,  wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

Zu seinen Taten zu stehen ist leicht, wenn man dafür gelobt oder bewundert wird. „Hast du dieses schöne Bild gemalt?” Ja, das war ich. Aber „das war ich” zu sagen, wenn es um das Eingeständnis einer bösen Tat geht, ist ungeheuer schwer. Warum ist das so?

Es geht um den guten Ruf, das Ansehen, das man genießt. Manchen ist es egal, was andere von ihnen denken.Doch im Grunde möchte keine:r als Versager:in gelten, als unzuverlässig, gar als Verbrecher:in. Ein erster Grund, Schuld nicht einzugestehen, ist, dass man seinen guten Ruf nicht verlieren, nicht zu denen gezählt werden möchte, mit denen niemand etwas zu tun haben will.

Ein zweiter Grund, sich nicht als Täter:in zu bekennen,ist die oft heftige Reaktion der Geschädigten. Man wird geradezu an den Pranger gestellt. Oft steht die Reaktion in keinem Verhältnis zur Tat: Wenn wegen einer zerbrochenen Vase, eines eingelaufenen Pullis der Haussegen schief hängt. Wenn man es noch tage- oder gar wochenlang  aufs Butterbrot geschmiert bekommt, was man getan hat, obwohl man die Tat doch zugab und sich dafür entschuldigte.

Ein dritter Grund, Schuld von sich zu weisen, ist die Angst vor den Konsequenzen. Da sind die Vorhaltungen wegen der zerbrochenen Vase noch das Geringste. Eingeständnis der Schuld führt dazu, dass man für den Schaden gerade stehen muss, den man angerichtet hat. Dass man sein Amt, seinen Job verliert, den Freund oder die Partnerin. Dabei war man doch nur einen Moment unaufmerksam, hat einen Moment nicht nachgedacht, ist einen Moment lang schwach gewesen. Soll dieser eine Moment das ganze Leben verändern?

Indem David alles tut, seine Schuld zu vertuschen, um die Folgen nicht tragen zu müssen, macht er eine schlimme Sache noch schlimmer. Uria wird ermordet  und das Kind, das Bathseba von David empfangen hat, stirbt. Nicht immer sind die Folgen so schlimm, wenn eine Tat vertuscht oder verschwiegen wird. Aber oft genug müssen andere darunter leiden und schlimme Folgen ertragen, weil der Täter nicht den Mut hatte, die Folgen seiner Tat auf sich zu nehmen.

Diese schlimmen Folgen der bösen Tat will Gott verhindern. Er tut das nicht, indem er den Täter bloßstellt. Sondern indem er ihm vergibt. Die Vergebung Gottes ist angesichts der Verbrechen, die David begangen hat, genauso unerhört wie die Verbrechen selbst.

Dieses extreme, unerhörte Beispiel Davids zeigt uns: Gott vergibt, ganz gleich, was man getan hat. Das heißt nicht, dass Gott die böse Tat billigt, sie relativiert oder gar entschuldigt. Im Gegenteil: Gott verurteilt die Tat - - - aber nicht den Täter. Gott hält die Beziehung zu ihm aufrecht. David wird nicht abgeschnitten von Gottes Nähe, nicht abgeschnitten vom Leben.

Gottes Vergebung geschah, bevor David seine Schuld eingestand. Nicht einmal ein Schuldgeständnis ist nötig, damit Gott uns vergibt. Wohl aber ist ein Eingeständnis der Schuld nötig, damit Gottes Vergebung auch erfahren werden kann. Ohne dass Schuld benannt und bekannt wird, kann sie nicht vergeben werden. Ohne Eingeständnis der Schuld gibt es keinen Neuanfang.

Gott aber hat bereits neu angefangen mit David, mit uns. Gott gibt uns immer wieder eine neue Chance. Damit gibt er uns den Mut, zu unseren Fehlern, unseren bösen Taten zu stehen: Die Folgen mögen schwer sein, aber sie trennen uns nicht von Gott, sie trennen uns nicht vom Leben. Wir dürfen die Erfahrung machen, dass Gott uns nicht auf unsere Taten festnagelt, sondern auf seine Liebe zu uns, und uns damit die Chance gibt, andere zu werden, anders zu handeln als bisher. Mit Gottes Hilfe können wir uns ändern. Das wird auch unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen verändern. Nicht alle, aber viele werden uns mit anderen Augen sehen, weil sie sehen, dass wir andere geworden sind.

David ist König geblieben. Er wurde sogar berühmt und ein Vorbild - nicht wegen seiner heldenhaften Taten, seiner Größe als Staatsmann, sondern weil er seine Schuld bekennen konnte. Wer wir sind und als wer wir einmal erinnert werden, entscheiden nicht unsere Leistungen, unsere Titel und Ämter. Sondern ob wir menschlich sein und menschlich bleiben konnten. Amen.

Montag, 15. August 2022

Vertrauen gewährt

Predigt am 9. Sonntag nach Trinitatis, 14.8.2022, über Matthäus 25,14-30 
Lothar Zenetti, i Ev. Gesangbuch unter Liednummer 513


„Ein Mensch, der außer Landes ging, rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an.” 

Liebe Schwestern und Brüder, 

 auf diesen Satz lässt sich die Parabel von den anvertrauten Talenten zusammenfassen. 
Ich gebe zu, diese nüchterne Zusammenfassung scheint der Dramatik der Parabel kaum gerecht zu werden. Sie berichtet davon, wie die Knechte mit dem Vermögen umgehen, das ihnen anvertraut wurde. Und wie am Tag der Abrechnung zwei von ihnen gelobt und befördert werden, einer aber getadelt und hinausgeworfen wird. Doch die Dramatik, die sich in ihr entfaltet, liegt bereits in diesem einem Wort beschlossen: In dem Wort „anvertrauen”. 
 Im „Anvertrauen” steckt das Vertrauen, ohne das man niemandem etwas anvertrauen würde. Der abreisende Herr vertraut darauf, dass seine Knechte in seinem Sinne handeln werden. Das wirft er am Ende auch dem Knecht vor, der sein Talent vergrub, statt damit zu handeln: „Du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Du hättest mein Geld zu den Wechslern bringen sollen!” Ohne Vertrauen kann man niemandem etwas anvertrauen. Nur selten wird einem das wirklich bewusst. Wenn man z.B. sein Lieblingsbuch verleiht, oder sein Auto. Da hat man dann schon ein mulmiges Gefühl und fragt sich, ob man Buch oder Auto heil wieder zurückbekommt. In den meisten Fällen aber machen wir uns keine Gedanken darüber. 
Bemerkenswerterweise gerade dann, wenn wir anderen etwas viel wertvolleres anvertrauen als Buch oder Auto: Wir vertrauen unsere Kinder fremden Menschen an, wenn wir sie in den Kindergarten oder in die Schule bringen. Wir vertrauen darauf, dass Erzieher:innen und Lehrer:innen sich mit der gleichen Aufmerksamkeit, Fürsorge und Liebe unserer Kinder annehmen, wie wir das zuhause tun. Und wissen zugleich, dass das bei Gruppen und Klassen von 20 oder 30 Kindern gar nicht möglich ist. Dennoch vertrauen wir, ohne uns darüber Gedanken zu machen. Wir haben ja selbst Kindergarten und Schule durchlaufen und erfahren, dass man sie in der Regel einigermaßen unbeschadet übersteht - oder dass das sogar eine richtig schöne Zeit war, an die wir gern zurückdenken und die wir nicht missen wollten.
Leider gibt es auch in Kindergarten und Schule unnütze Knechte, die das Vertrauen nicht verdienen, das man in sie gesetzt hat. Obwohl sie genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Die Missbrauchsskandale in kirchlichen, aber auch in staatlichen und privaten Einrichtungen und Schulen sind die extremsten Beispiele dafür. Die kleinen oder größeren Gemeinheiten, die manche von uns erleben mussten, lassen sich damit nicht vergleichen; sie stehen in keinem Verhältnis zu dem, was die Opfer von Missbrauch erleiden mussten. Dennoch waren Demütigung oder Wegsehen, Gleichgültigkeit oder Respektlosigkeit auch schmerzhaft. Sie haben vielleicht nicht geschadet, wir sind darüber hinweg gekommen. Trotzdem wurde das Vertrauen unserer Eltern, wurde unser Vertrauen enttäuscht. Und manchmal hat man sich vielleicht sogar gewünscht, es möchte eine Abrechnung geben wie in der Parabel, bei der die unnützen Knechte hinausgeworfen werden und das ertragen müssen, was sie anderen antaten. 
 Natürlich und in weit größerem Maße gibt es auch das andere: Dass unser Vertrauen gerechtfertigt war. In Kindergarten und Schule konnten wir viele gute Erfahrungen machen durch liebevolle, einfühlsame Erzieher:innen, durch vorbildliche Lehrer:innen, die wir vielleicht sogar ein bisschen anhimmelten oder verehrten. Auch unsere Kinder machten und machen solch gute Erfahrungen. Diese guten Erfahrungen sind große Schätze. Wie die 10 und 4 Talente, die die tüchtigen Knechte erwirtschaften. 
Unser Vertrauen wird nicht nur dort oft belohnt, wo wir unsere Kinder anderen anvertrauen. Auch in der Partnerschaft spielt Vertrauen eine große Rolle. Auch da kann es enttäuscht werden. Viel mehr aber gibt es Halt und Kraft, Energie und Lebensfreude, die weit über das hinausgehen, was man sich selbst vorgestellt oder zu träumen gewagt hat. 
Eine solche, auf Vertrauen gegründete Beziehung ist auch unsere Beziehung zu Gott. Auch hier haben wir manchmal das Gefühl, unser Vertrauen sei enttäuscht worden. Wenn es im Leben nicht so geht, wie wir dachten. Wenn wir Krankheit, Leid, den Tod eines geliebten Menschen erfahren. Aber Gott hat uns nie einen Rosengarten versprochen. Die Welt, die er geschaffen und in die er uns gerufen hat, ist kein gemachtes Bett, kein Paradies. Gott hat sie uns übergeben und anvertraut, damit sie ein Lebensraum für Mensch und Tier werde und bleibe. Gott ist sozusagen abgereist und hat uns die Verantwortung für seine Schöpfung übertragen. 
 Trotzdem lässt Gott uns mit der Welt nicht allein. Gott ist und bleibt ansprechbar für uns. Gott ist und bleibt in unserer Nähe. Durch das Leiden und Sterben seines Sohnes hat Gott uns gezeigt, dass er Gutes für uns will, uns vergeben und unser Leben vor dem Tod retten wird. Unser Leben wird unter allen Umständen ein gutes Ende nehmen. Wir werden nicht hinausgeworfen. Auf uns wartet am Ende kein Heulen und Zähneklappern. 
Gott begleitet uns nicht nur durchs Leben und sorgt dafür, dass es ein Happy End haben wird. Gott hat uns so viel geschenkt, was unser Leben lebenswert macht und was uns hilft, das Leben zu bestehen, Die Talente, die der Hausherr seinen Knechten anvertraut, sind zu den sprichwörtlichen Talenten geworden, die jede:r von uns besitzt. Wir übersehen sie, wenn wir darunter nur die herausragenden Leistungen verstehen, die Sportler:innen, Musiker:innen oder Künstler:innen erbringen. Auch Zuhören ist ein Talent. Unterrichten. Kindern ein:e gute Begleiter:in sein. Alten Menschen hilfsbereit und respektvoll begegnen. Einen „grünen Daumen” haben. Tiere gut und artgerecht behandeln. Mit all diesen und vielen weiteren Talenten gestalten wir unser Miteinander auf dieser Erde, gestalten und bewahren wir Gottes Schöpfung. 
Wie der abreisende Herr in der Parabel, so hat Gott uns Talente anvertraut, mit denen wir wirtschaften, d.h.: seine Schöpfung bewahren sollen. Gott vertraut uns. Gott vertraut darauf, dass wir wissen, was er von uns erwartet. Gott vertraut darauf, dass wir in seinem Sinne handeln. Rechtfertigen wir dieses Vertrauen? Gehen wir mit der Welt und unseren Mitmenschen so um, wie wir es für unsere liebsten Dinge und für unsere größten Schätze, unsere Kinder, wünschen? Sind wir uns bewusst, dass Gott Rechenschaft über unsere Verwaltung verlangen könnte? Oder rechnen wir nicht mehr damit, dass der Herr der Welt jemals zurückkehren könnte? 
Wenn man den Zustand unserer Welt betrachtet, muss man den Eindruck bekommen: Viele haben ihre Talente, die sie für das Miteinander auf dieser Erde und für den Erhalt unserer Welt bekamen, tief vergraben. Die meisten glauben nicht, dass die Welt ihnen nicht gehört, dass sie nicht damit tun können, was sie wollen, sondern dass sie ihnen nur zu treuen Händen anvertraut ist. 
 Wer von diesen sind wir? Und wer wollen wir sein? Es ist nicht zu spät, das Vertrauen zu rechtfertigen, das Gott in uns setzt. Es ist nicht zu spät, zu handeln und mit unseren Talenten zu wuchern. Gott jedenfalls hört nicht auf, uns zu vertrauen. Trotz allem, was wir Menschen seiner Schöpfung, unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen antun. Dieser Vertrauensvorschuss Gottes gibt uns Kraft, das Leben auf dieser wundervollen, gefährlichen und gefährdeten Welt zu meistern. Die Kraft, das Leben, Gottes Schöpfung, zu bewahren. Amen.