Sonntag, 31. Dezember 2023

ein neues Heft

Ansprache zum Altjahrsabend, 31.12.2023, über Kohelet 3,1-15

Für alles gibt es ein Datum,

und eine Zeit für jedes Geschöpf unter dem Himmel.

Eine Zeit, Leben zu schenken, und eine Zeit, zu sterben.

Eine Zeit, zu pflanzen, und eine Zeit, auszureißen.

Eine Zeit, zu töten, und eine Zeit, zu heilen.

Eine Zeit, abzureißen, und eine Zeit, zu bauen.

Eine Zeit, zu weinen, und eine Zeit, zu lachen.

Eine Zeit, die Totenklage zu halten, und eine Zeit, zu tanzen.

Eine Zeit, Steine zu werfen, und eine Zeit, Steine einzusammeln.

Eine Zeit, sich zu umarmen, und eine Zeit, die Umarmung zu lösen.

Eine Zeit, zu suchen, und eine Zeit, zu verlieren.

Eine Zeit, zu behalten, und eine Zeit, wegzuwerfen.

Eine Zeit, zu zerreißen, und eine Zeit, zu nähen.

Eine Zeit, zu schweigen, und eine Zeit, zu reden.

Eine Zeit, zu lieben, und eine Zeit, zu hassen.

Eine Zeit des Krieges und eine Zeit des Friedens.


Was hat der Arbeiter vom Gewinn,

um den er sich müht?

Ich sah die Aufgabe, die Gott den Menschenkindern gab,

dass sie sich damit abmühen.

Er hat alles gut gemacht zu seiner Zeit.

Auch die Ewigkeit hat er in ihr Herz gelegt,

nur dass der Mensch das Werk nicht erfassen kann, das Gott tut,

weder Anfang noch Ende.

Ich erkannte, dass es für den Menschen nichts Besseres gibt,

als fröhlich zu sein und es sich im Leben gut gehen zu lassen.

Auch, wenn ein Mensch isst und trinkt

und Gutes erfährt bei all seiner Mühe:

das ist eine eine Gabe Gottes.

Ich erkannte, dass alles, was Gott tut, auf ewig besteht;

man kann nichts dazu hinzufügen,

und man kann nichts davon wegnehmen.

Und vor dem, was Gott tut, soll man sich fürchten.

Was geschieht, ist längst geschehen,

und was wird, ist längst gewesen,

und Gott sucht, was Entschwunden ist.



Liebe Schwestern und Brüder,


wieder schließt sich ein Jahreskreis.

In wenigen Stunden ist das alte Jahr Geschichte,

ein neues Jahr beginnt.

Das ist, wie wenn man ein neues Heft anfängt:

Frisch, sauber und leer liegt es vor uns

und wartet darauf, von uns beschrieben zu werden.


Manchmal empfindet man Hemmungen,

ein neues Heft zu beschreiben -

die neuen Seiten sehen so rein und schön aus,

man möchte sie am liebsten so lassen.


Manchmal macht so ein leeres Heft regelrecht Angst -

womit soll man es füllen?

Was, wenn die Handschrift nicht ordentlich ist,

man sich verschreibt oder mit Tinte kleckert?

Dann ist das schöne, neue Heft verdorben …


Solche Angst kann davon abhalten,

das neue Heft überhaupt zu benutzen -

dabei ist es genau dazu da,

wartet geradezu darauf, von uns gefüllt zu werden,

von einem x-beliebigen, austauschbaren

zu unserem ganz persönlichen Heft zu werden.


So ähnlich ist es mit dem neuen Jahr, das vor uns liegt.

Nur könnten wir den Beginn des neuen Jahres

nicht hinausschieben, bis wir uns trauen,

es mit unseren Taten zu füllen.

Es beginnt unweigerlich und zieht uns hinterher.

Am Neujahrsmorgen kann man noch so tun,

als wäre man nicht da,

und sich die Decke über den Kopf ziehen.

Aber irgendwann muss man aufstehen.

Spätestens dann beginnt man es zu füllen, das neue Jahr.


Dabei ist es mit der Zeit wie mit dem Heft:

Sie will von uns gefüllt werden.

Sie wartet geradezu darauf, dass wir etwas mit ihr anstellen.

Und wer sich noch fragt, was er, was sie bitteschön

anstellen soll mit seiner oder ihrer Zeit,

der, dem legt der Prediger Salomo eine lange Liste vor:

Sieh, das alles kannst du anfangen mit deiner Zeit.


Es sind immer Paare von Tätigkeiten,

die der Prediger aufzählt.

Und es sind Gegensätze:

pflanzen und ausreißen,

abreißen und bauen,

suchen und verlieren,

behalten und wegwerfen.


Beim ersten Hören sortiert man unwillkürlich die Begriffe

in gut und schlecht ein:

pflanzen ist gut, ausreißen ist schlecht;

abreißen ist schlecht, bauen ist gut.


Der Prediger macht da keinen Unterschied:

Beides hat seine Zeit, beides muss sein, beides geschieht.

Wer keine Pflanze ausreißt, kann nichts ernten,

kann nichts Neues einpflanzen.

Manchmal verliert man etwas,

manchmal sucht man etwas.

Man kann etwas Wertvolles oder Liebes verlieren,

dann ärgert man sich oder ist traurig.

Man kann aber auch seine Illusionen verlieren,

oder sogar seine Ketten.

Man kann eine Freundin, einen Freund suchen,

eine Arbeitsstelle, oder das Weite -

man kann aber auch die Nadel im Heuhaufen suchen.


Nicht alles, was der Prediger aufzählt,

wird uns im neuen Jahr begegnen.

Für manches ist es noch nicht Zeit,

anderes hat seine Zeit schon gehabt.

Aber was im neuen Jahr geschieht,

wird auf die eine und andere Weise geschehen:

zerreißen und nähen,

schweigen und reden,

lieben und hassen.


Nichts ist von sich aus schlecht,

auch wenn wir die Liebe dem Hass vorziehen.

Manchmal ist auch das andere dran,

muss abgerissen, zerrissen, weggeworfen werden.


Das neue Jahr liegt als leeres Heft

mit weißen Seiten vor uns,

das darauf wartet, von uns beschrieben zu werden.

Dieses Heft haben wir von Gott bekommen.

Nicht, damit er es am Ende des Jahres einsammelt,

unsere Fehler mit Rot anstreicht

und uns eine Note darauf gibt.

Sondern damit wir es zu unserem Heft machen.


Ein Heft, ein leeres Blatt ist nötig,

um etwas zu schreiben oder zu malen.

Was wir schreiben oder malen -

ob wir überhaupt etwas schreiben

oder eine Seite zerknüllen, bekleben,

durch den Kakao ziehen oder vergolden -

ist allein unsere Sache.

Gott redet uns da nicht rein,

und er bewertet es auch nicht.


Wir danken Gott für seine Gabe,

wenn wir das Heft des neuen Jahres füllen -

so füllen, dass wir daran Freude haben

und vielleicht nicht mit allen,

aber doch mit der einen oder anderen Seite im Heft

zufrieden sind.


Wie schreibt der Prediger?

„Es gibt nichts Besseres,

als fröhlich zu sein und es sich im Leben gut gehen zu lassen.

Auch, wenn ein Mensch isst und trinkt

und Gutes erfährt bei all seiner Mühe:

das ist eine eine Gabe Gottes.”

Diese Gabe gilt es anzunehmen,

ohne sich gleich mit einem schlechten Gewissen zu belasten,

weil so viele Menschen hungern und leiden,

weil unsere Umwelt so gefährdet ist.


Es kann sein, es wird wahrscheinlich sogar so sein,

dass wir einige Seiten unseres Heftes damit füllen,

dass wir uns für unsere Umwelt

oder für unsere Mitmenschen einsetzen.

Dabei dürfen wir Freude empfinden.

Dabei darf es uns gut gehen.

Denn nur so entfalten wir die Kraft und die Phantasie,

für andere da sein zu können.

Nur so füllen wir die Seiten unseres Heftes so,

dass wir später gern noch einmal darin blättern -

ja, dass es für uns darin überhaupt

etwas Schönes zu lesen oder anzusehen gibt.


Am Ende einer Klassenarbeit werden die Hefte eingesammelt.

Oft gibt man mit einem bangen Gefühl ab:

Ob es wohl gereicht hat?

Ob man das Richtige geschrieben hat?


Auch Gott sammelt unsere Jahreshefte ein.

Nicht, um sie zu benoten.

Sondern, um sie aufzubewahren.

Damit wir rückblickend,

mit der Erfahrung und dem Wissen von morgen,

anders auf das vergangene Jahr zurückblicken:

Gnädiger mit uns und verständnisvoller.

Dankbarer und glücklicher.

Und dann mit neuem Elan, mit größerer Lust

und ohne Scheu das neue Heft des neuen Jahres aufschlagen,

voller Vorfreude darauf, seine erste Seite zu füllen.

Dienstag, 26. Dezember 2023

Geheimnisse

Predigt am 2.Weihnachtstag, 26.12.2023, über 2.Kor 8,7-9 und die Stölzel-Kantate „Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis”

Wie ihr euch in allem hervortut -

im Glauben und im Predigen,

in der Erkenntnis und aller Bereitwilligkeit

und in der Liebe, die wir zu euch haben,

sollt ihr euch auch bei der Kollekte hervortun.

Ich sage das nicht als Befehl,

sondern wegen der Bereitwilligkeit der anderen,

und um die Echtheit eurer Liebe zu prüfen.

Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus:

obwohl er reich ist, wurde er am um euretwillen,

damit ihr durch seine Armut reich würdet.



Liebe Schwestern und Brüder,


darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen?


Wenn ich’s mir recht überlege:

ein Geheimnis, das man anderen anvertraut,

ist kein Geheimnis mehr -

vor allem, wenn es so viele sind wie hier.

Nicht, dass ich an Ihrer Verschwiegenheit zweifeln würde!

Aber ist es nicht der Sinn eines Geheimnisses,

dass es niemand erfährt, dass man es mit ins Grab nimmt?


Freilich, wenn niemand je von meinem Geheimnis erfährt,

wie sollte ich dann ein Geheimnis haben?

Ich würde zwar behaupten, ich hätte eins -

aber das kann jede:r sagen.

Ich muss also mindestens eine Person ins Vertrauen ziehen,

damit jemand bestätigen kann,

dass ich tatsächlich ein Geheimnis hüte.


Diese Person wäre jemand Besonderes,

weil sie als einzige etwas von mir wüsste,

was sonst niemand weiß.

Auf diese Weise arbeiten Geheimgesellschaften:

Sie teilen Geheimnisse, die für Außenstehend tabu sind.

Das sind meist sehr banale Dinge.

Aber weil man nicht weiß, was es ist,

beflügelt das Geheimnis die Phantasie.

Das macht einen Geheimbund so interessant,

dass man selbst gern Mitglied wäre,

um das Geheimnis zu erfahren.


Die christlichen Gemeinden waren

zur Zeit der Christenverfolgungen

notgedrungen auch Geheimgesellschaften.

In Rom traf man sich heimlich auf dem Friedhof,

in den Katakomben.

Das muss - neben dem Argwohn -

auch die Neugier Außenstehender erregt

und großes Interesse am damals noch neuen Glauben geweckt haben.


In der Kantate ist von einem „kündlich großen Geheimnis” die Rede.

Diesem Titel liegt ein Vers aus dem 1.Timotheusbrief zugrunde:

„Groß ist, wie jedermann bekennen muss,

das Geheimnis des Glaubens:

Er ist offenbart im Fleisch.”

Hier wird von einem Geheimnis gesprochen -

und im selben Moment wird es ausgesprochen:

Kündlich ist dieses Geheimnis:

„Gott ist offenbart im Fleisch.”

Nun ist es raus, nun ist es in der Welt.

Ein Geheimnis, das man ausgeplaudert hat,

ist kein Geheimnis mehr.

Oder doch?


Geheimnis meint hier nicht etwas, das niemand wissen darf.

Sondern etwas, das man nicht versteht,

wenn man nicht eingeweiht ist.

„Gott ist offenbart im Fleisch”:

Der unendliche, ewige, unbegreifliche und allmächtige Gott

liegt als neu geborenes, hilf- und schutzloses Baby in einem Futtertrog:

Das ist tatsächlich nicht zu begreifen.


Es ist ähnlich schwer vorstellbar wie der Urknall:

Alles, was existiert, das fast unendliche Weltall,

darin als winziger Punkt unsere Heimatgalaxie,

die unvorstellbar große Milchstraße,

in dieser, am Ende eines ihrer Spiralarme,

als winziger Punkt unser Sonnensystem,

in dem selbst die Reise zu unserem nächsten Planeten Mars

zwei Jahre dauert, und darin unsere Erde,

die ja auch nicht gerade klein ist -

dies alles soll einmal in einem Punkt konzentriert gewesen sein.


Aber das ist ja noch nicht alles.

Nicht nur, dass Gott in dem Kind in der Krippe

wie in einem Punkt konzentriert ist.

Nein, dieses Kind hat selbst etwas Unbegreifliches getan,

wie Paulus schreibt:

„obwohl er reich ist, wurde er arm um euretwillen,

damit ihr durch seine Armut reich würdet.”

Jetzt ist die Verwirrung komplett.

Dagegen scheint der Urknall noch relativ leicht vorstellbar.


Das doppelte Geheimnis der Menschwerdung Gottes

und unseres Reichtums durch seine Armut

braucht man nicht zu verheimlichen.

Es kann sowieso niemand verstehen.

Wie aber geht es uns damit,

denen die Worte der Kantate und die Worte des Paulus gelten?


Um solche Art von Geheimnissen verstehen zu können,

muss man in sie eingeweiht werden.

Geheimgesellschaften machen das mit einigem Brimbamborium,

verbundenen Augen und heiligen Schwüren.

Bei uns erfolgt die Initiation in das Geheimnis des Glaubens

vergleichsweise schlicht und unspektakulär:

durch die Taufe.


Moment mal:

Was hat die Taufe mit der Menschwerdung Gottes zu tun?

Nun, das ist auch wieder eines dieser Geheimnisse;

es würde zu weit führen, das auch noch zu besprechen.

Sagen wir: Die Taufe ist eine Adoption.

Gott nimmt uns mit der Taufe in seine Familie auf.

Jesus, Gottes Sohn, wird dadurch unser Bruder.


Und zwar unser großer Bruder.

Ein Bruder, der für uns durchs Feuer geht, wenn es sein muss -

und das tatsächlich auch getan hat.

Wer „Die Brüder Löwenherz” von Astrid Lindgren liest,

bekommt eine Vorstellung davon, was ein großer Bruder ist und tut.


Jesus geht für uns durchs Feuer.

Er opfert sich für uns - aus Liebe,

wie auch wir uns manchmal aufopfern

für Menschen, die wir lieben.

Und nun sagt Jesus:

Durch mein Opfer seid ihr reich geworden.

Ich liebe euch so sehr,

dass ihr meine Liebe wie einen großen Schatz habt.

Ihr besitzt sie im Überfluss,

sie kann euch nicht verloren gehen,

und sie wird nie weniger, wie viel ihr auch davon verschenkt.

Eure Liebe soll deshalb nicht nur den Menschen gelten,

die ihr euch aussucht.

Weil ihr in Gottes Familie aufgenommen seid,

sind alle Menschen eure Geschwister,

stehen alle Menschen euch nahe.


Was Jesus da von uns verlangt,

bedeutet nicht, dass wir alle Menschen lieben müssen.

Das kann niemand, das überlassen wir ihm.

Es bedeutet, dass wir alle Menschen als Mitmenschen,

als Geschwister ansehen können.

Wir müssen sie nicht mögen,

wie sich auch Geschwister manchmal nicht mögen.

Trotzdem ist und bleibt man miteinander verbunden.


Diese Verbundenheit zeigt sich im Tun.

Paulus bittet seine Gemeinde in Korinth

um eine Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde.

Diese Kollekte soll die geschwisterliche Verbundenheit

der christlichen Gemeinden zum Ausdruck bringen.

Und offensichtlich hat Paulus den Ehrgeiz,

dass seine Gemeinde sich dabei hervortut,

mehr spendet als die anderen.


Diese Sammlung ist für Paulus auch ein Prüfstein,

wie es bei den Korinthern mit dem Glauben bestellt ist:

Nur wer wohlhabend ist, wer reichlich hat,

kann von seinem Überfluss etwas abgeben.

Das weiß auch Paulus.

Er würde niemals verlangen,

dass jemand sein letztes Hemd für diese Sammlung gibt.


Reichtum und Überfluss bemessen sich nicht nur am Geld.

Wer glücklich ist, braucht keine Millionen, nur die Musik.

Wer sich reich beschenkt fühlt, lebt im Reichtum,

obwohl er oder sie nach unseren Maßstäben arm sein kann.

Der Glaube lässt uns Reichtum und Glück an Orten entdecken,

wo man sie nicht vermuten würde.


Wer diesen Reichtum entdeckt hat,

braucht wenig von den Gütern dieser Erde,

um glücklich zu sein.

Wer den Reichtum entdeckt hat,

den das Kind in der Krippe verschenkt,

möchte ihn mit anderen teilen.


Die Kantate spricht von einem „frommen Leben”.

Wir müssen uns darunter nicht ein Leben vorstellen,

in dem man auf alles verzichtet, was Spaß macht.

Ein „frommes Leben” ist ein Leben,

das damit ernst macht, dass wir das Wichtigste für unser Leben

von Gott geschenkt bekommen

und deshalb vom Zweitwichtigsten -

Zeit, Geld, Macht, Besitz, unserer Kraft und unserem Wissen -

anderen abgeben, mit anderen teilen können.


Beim Teilen, beim Helfen und für andere da Sein

kann man die überraschende Erfahrung machen,

dass Gottes Geheimnis auf einmal kein Geheimnis mehr ist,

sondern unmittelbar einleuchtet.

Auf einmal erscheint es nicht mehr verrückt,

dass der große Gott ein kleines Kind wird.

Auf einmal ist es nicht mehr verwirrend,

wie Christi Armut uns reich macht.


So ein Aha-Erlebnis hat man manchmal auch in der Musik.

Vielleicht gerade eben bei der Kantate, die wir gehört haben.

Was beide, Musik und „frommes Leben”, gemein haben ist,

dass sie uns ohne Umweg über den Kopf direkt zu Herzen gehen.

Dann wird das Herz zu einem Ort, in dem Gott wohnen kann:

Eine Krippe, in der „der süße Immanuel” auch in uns geboren wird.

Sonntag, 24. Dezember 2023

Grund zum Loben

Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2023, über Lukas 2, 13ff

Liebe Schwestern und Brüder,


es wird viel gelobt in der Weihnachtsgeschichte,

ist Ihnen das schon aufgefallen?

Die Menge der himmlischen Heerscharen lobt Gott:

GLORIA IN EXCELSIS DEO - „Ehre sei Gott in der Höhe”.

Und auch die Hirten,

nachdem sie das Kind in der Krippe gesehen hatten,

„priesen und lobten Gott”,

vielleicht mit den selben Worten:

GLORIA IN EXCELSIS DEO.


Nun haben weder die Engel noch die Hirten

damals Latein gesprochen -

das heißt, bei den Engeln bin ich mir nicht sicher,

immerhin war Latein über viele Jahrhunderte die Kirchensprache.

So fremd das Lateinische für uns klingt

und so wenig wir es verstehen,

so fremd ist uns auch das Lob Gottes.

Dabei haben wir Gott gerade eben selbst gelobt:

„Lobt Gott, ihr Christen alle gleich” haben wir gesungen.

Aber war uns das bewusst?

Wussten wir, was wir da taten, als wir vom „Loben” sangen?


Gemeinhin wird gelobt, wer etwas gut gemacht hat.

Dann gibt es freundliche Worte

und vielleicht sogar ein Fleißbienchen.

Oft wird man auch gelobt,

wenn man tat, was andere wollten:

„Fein, wie du dein Zimmer aufgeräumt hast!”


Auch ein Hund wird dafür gelobt,

dass er das Stöckchen bringt

oder kommt, wenn man ihn ruft.

Das Lob soll ihn dazu anspornen,

es nächstes Mal genauso zu machen.


Aber, Sie merken schon, das kann nicht gemeint sein,

wenn wir vom Lob Gottes sprechen.

Das Lob, um das es an Weihnachten geht,

muss noch etwas anderes sein.

So, wie es sich in der Weihnachtsgeschichte anhört,

ist es ein Jubeln vor Freude

über etwas Unerwartetes, Wunderbares.

Gott loben, das ist eigentlich ein Freudenschrei: Halleluja!


Dabei gibt es in unserer Welt zur Zeit keinen Grund zur Freude.

Es herrscht Krieg in der Ukraine und in Israel.

An vielen weiteren Orten in der Welt

gibt es Gewalt, Unterdrückung und Unfreiheit.

Unser Klima verändert sich -

das Wetter wird extremer, die Temperaturen steigen.

Auch das Klima unserer Gesellschaft verschlechtert sich:

Unterschiedliche Meinungen verhärten sich zu Fronten.

Politische Gegner reden nicht mehr miteinander,

ringen nicht mehr um einen Kompromiss,

hören einander nicht mehr zu.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird breiter und breiter.

Der Hass auf Geflüchtete ist groß,

ebenso der Antisemitismus.

Man könnte noch viel mehr aufzählen,

was gegen ein Jubeln an Weihnachten spricht.


Trotzdem - obwohl wir das ja wissen,

uns Sorgen um die Zukunft machen,

unter dem Zustand der Welt und unserer Gesellschaft leiden -

trotzdem ist uns an Weihnachten zum Jubeln zumute,

zum Lob Gottes - Gott sei Dank!


Was aber könnte der Grund für die Freude und das Lob sein,

wenn es um unsere Welt so schlecht bestellt ist?

Für die himmlischen Heerscharen ist es die Geburt des Heilandes,

des Christus.

Und für die Hirten ist es diese Botschaft des Engels:

„Euch ist heute der Heiland geboren”,

und dass sie den Heiland, das Kind in der Krippe, gesehen hatten:

Er ist tatsächlich gekommen!


Heiland, ein altes Wort, das man heute nicht mehr benutzt,

weil es ausschließlich den in die Welt gekommenen

Sohn Gottes bezeichnet.

Es stammt vom griechischen und lateinischen Wort für „Retter” ab.

Von diesem Retter singen wir an Weihnachten:

„Christ, der Retter ist da! ”


Ein kleines Kind in der Krippe soll unser Retter sein?

Ein Kind soll uns, unsere Gesellschaft, unsere Welt retten?

Was auf den ersten Blick unmöglich, geradezu unsinnig erscheint,

erweist sich als der einzige Weg,

wenn man genauer darüber nachdenkt:


Wer, wenn nicht ein kleines, neu geborenes Kind,

soll uns die Liebe lehren?

Die Liebe zu jedem Menschenkind,

dessen Leben genauso wertvoll und unersetzlich ist

wie unser Leben und das unserer Kinder.


Wer, wenn nicht das Kind in der Krippe,

soll uns Behutsamkeit lehren?

Rücksicht, Verantwortung und Sorge

für jeden Menschen, jedes Lebewesen dieser Erde?


Wer, wenn nicht der neu geborene Heiland,

bringt uns dazu, Streit, Hass, Gewalt und Krieg

beenden zu wollen,

damit dieses Kind nicht voller Schrecken erwachen muss?


Und wer sollte in uns den Wunsch wecken,

unsere Erde und das Leben auf ihr

für zukünftige Generationen zu erhalten,

wenn nicht das Christus-Menschenkind,

das uns heute so bewegt und anrührt

und uns damit spüren lässt,

wie wertvoll und wie schützenswert das Leben ist.


Das ist die Macht des Kindes in der Krippe,

die jede:n ergreift, die | der dieses Kind ansieht.

Wer das Kind in der Krippe ansieht,

dem geht das Herz auf.

Der möchte diesem Kind Gutes tun.

Die möchte die Welt zu einem guten,

lebenswerten Ort machen für dieses Kind.


Den bringt das Kind zum Jubeln vor Freude.

Denn auf einmal ist es nicht mehr nur ein Traum.

Es ist nicht mehr undenkbar, unmöglich,

sondern scheint zum Greifen nah:

Friede auf Erden.


Friede auf Erden wird erreicht

durch Freundlichkeit, Verständigung,

Mitgefühl und Gerechtigkeit.

Die Welt und alles, was auf ihr lebt,

kann dadurch gerettet werden.


Wir sehen, dass es möglich ist,

wenn wir das Kind in der Krippe ansehen.

Und wir erkennen mit einem Mal,

dass es uns möglich ist,

dass wir es in der Hand haben.


Wie ein kleines Baby in der Krippe

uns und die ganze Welt retten kann,

so macht die kleinste gute Tat, die wir vollbringen,

einen gewaltigen Unterschied.

Wie ein Stein, den man ins Wasser wirft,

zieht sie Kreise, die andere aufwecken

und ihnen Mut machen, es uns gleich zu tun.


Das Kind in der Krippe lässt uns darauf vertrauen,

dass Friede auf Erden kein Traum bleiben muss.

Dieser Friede beginnt damit,

dass dieses Kind uns Frieden schenkt,

wenn es uns freundlich ansieht

und uns spüren lässt, dass Gott uns liebt.

Gott liebt uns so, wie wir sind.

Gott umgibt, umhüllt uns mit seiner Liebe,

sodass wir davon erfüllt sind.

Seine Liebe strahlt aus uns heraus, fließt über auf andere

und wird doch niemals weniger.


Das ist ein Grund zur Freude,

zum Lob Gottes, zum Jubeln:

GLORIA IN EXCELSIS DEO!

Ehre sei Gott in der Höhe

und Friede auf Erden

bei den Menschen, die er liebt.

Wann es Weihnachten wird

Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2023, über Galater 4,4-7:

Als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn,

geboren von einer Frau

und unter das Gesetz getan,

auf dass er die, die unter dem Gesetz sind, loskaufte,

damit wir die Kindschaft empfingen.

Weil ihr nun Kinder seid,

hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt,

der da ruft: Abba, lieber Vater!

So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind;

wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.


Liebe Schwestern und Brüder,


„als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn.”


Nicht nur damals, im Stall von Bethlehem,

jedes Jahr erfüllt sich die Zeit.

Die Kerzen auf dem Adventskranz geben den Takt vor,

in dem wir auf Weihnachten zugehen

und dabei dem Heiligen Abend immer näher kommen.


Heute endlich ist es soweit.

Es kann sich nur noch um wenige Stunden,

ach was!, Minuten handeln,

bis es wirklich Weihnachten ist.


Woran macht sich das fest?

Wann genau ist der Zeitpunkt,

an dem es Weihnachten wird?


Passiert es beim Weihnachtsevangelium,

wenn die Worte gelesen werden:

„Und sie gebar ihren ersten Sohn

und wickelte ihn in Windeln

und legte ihn in eine Krippe”?


Passiert es, wenn wir zum Ausgang

O du fröhliche” singen?


Wird es Weihnachten,

wenn zuhause die Bescherung stattfindet?


Oder ist es Weihnachten,

wenn der ganze Trubel endlich vorbei ist,

man sich in den Sessel oder aufs Sofa fallen lässt

und spürt, wie die Anspannung nachlässt

und Müdigkeit langsam aufsteigt -

in dem wohligen Wissen,

dass man morgen nicht arbeiten muss?


Beginnt also Weihnachten in der Kirche,

mit den altvertrauten Worten und Liedern,

beginnt es mit dem Schenken

oder mit der Ruhe, die nach dem Trubel einkehrt?


„Als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn.”


Vielleicht ist die Vorstellung falsch,

dass es in einem bestimmten Moment Weihnachten wird,

wie zur Stunde der Geburt des Christuskindes,

bei der Bescherung, oder in der Ruhe danach.


Wenn man Mutter oder Vater wird,

ist man das noch lange nicht,

wenn das Kind zur Welt kommt.

Technisch ja, und auch vor dem Gesetz.

Aber man braucht Zeit, bis man begriffen hat,

dass man jetzt Mutter, Vater ist,

und was das bedeutet.


Eigentlich ist man nie Vater oder Mutter,

sondern wird es - die ganze Kindheit lang,

vielleicht sogar das ganze Leben.

Man bleibt ein Leben lang Mutter oder Vater,

selbst, wenn die Kinder aus dem Haus sind

und man sie nicht mehr „erzieht”.

Mutter- und Vatersein umfasst nicht nur den Moment der Geburt,

sondern das ganze Leben.


Wenn es also heißt: „als die Zeit erfüllt war”,

ist damit vielleicht nicht nur der Moment der Geburt gemeint,

sondern die Fülle der Zeit, die ein Menschenleben ausmacht.


In dieser Zeitfülle leben wir als Kinder Gottes.

Dazu hat uns Gottes Sohn gemacht.

Wir sind nicht mehr Knechte und Mägde des Gesetzes -

und, kann man hinzufügen,

auch nicht Mägde und Knechte der Wirtschaft, des Konsums,

irgendeiner hehren Idee oder eines Schönheitsideals.

Wir sind nicht Knechte und Mägde einer Ideologie,

eines Anführers oder einer Gruppe,

die über uns bestimmen wollen.

Wir müssen niemandes Erwartungen oder Wünsche erfüllen.


Als Kinder Gottes sind wir frei -

wir haben jetzt Gott zum Vater.

Wir bleiben zwar immer Kinder unserer Eltern,

wie unsere Eltern immer Mutter und Vater bleiben.

Aber weil Gott unser Vater ist,

können wir unsere Eltern loslassen und sie uns:

Gott kümmert sich jetzt um uns.


Die Freiheit der Kinder Gottes ist nicht die Freiheit,

zu tun und zu lassen, was man will.

Das kann man auch tun, ohne Gott zum Vater zu haben.


Die Freiheit der Kinder Gottes ist die Freiheit,

nichts tun zu müssen.

Aus dem Müssen wird ein Können, wird ein Dürfen.


Statt: Du musst mit deinen Geschwistern teilen,

heißt es nun: Du kannst deinen Geschwistern etwas abgeben.

Du kannst deinen Wohlstand, deine Freiheit

mit Menschen teilen, die das bisher nicht erleben konnten.

Gott hat dich reich beschenkt und sorgt dafür,

dass du alles hast, was du zum Leben brauchst.


Statt: Du musst die Natur schützen,

heißt es: Du brauchst das alles nicht,

was die Werbung dir aufdrängen will.

Dein Lebenssinn liegt nicht im Konsumieren und Besitzen,

sondern in den Beziehungen, die dich tragen

und durch die du andere trägst -

auch in deiner Beziehung zur Natur,

zu Pflanzen und Tieren.


„Du darfst” - das ist nicht nur eine Margarine.

Es ist vor allem die Erlaubnis,

sich von den Gesetzen zu trennen,

die unser Leben bisher bestimmten:


Du darfst freundlich zu anderen sein.

Du darfst ihnen ein Lächeln schenken.

Du darfst großzügig sein,

brauchst keine Angst haben, zu kurz zu kommen,

brauchst nicht neidisch zu sein

auf das Glück und den Wohlstand anderer.

Du darfst rücksichtsvoll sein, höflich, bescheiden.


Denn du musst niemandem beweisen,

was für ein harter Kerl,

was für eine starke Frau du bist.

Du darfst schwach sein.

Du darfst weinen.

Du darfst nicht mehr weiter wissen.

Gott wird für dich sorgen,

weil du sein Kind bist, seine Tochter, sein Sohn,

erfüllt, begleitet und getragen

vom Geist des Kindes in der Krippe.


„Als die Zeit erfüllt war,

sandte Gott seinen Sohn.”


Weihnachten wird es nicht in einem bestimmten Moment.

Weihnachten ist auch nicht nur heute

und an den kommenden beiden Tagen.

An jedem Tag sieht Gottes Sohn in der Krippe uns freundlich an.

An jedem Tag macht sein Geist uns zu Gottes Kindern.

An jedem Tag ist Gott wie ein guter Vater,

wie eine gute Mutter zu uns.


Jeden Tag neu liegt das Kind in der Krippe.

Und diese Krippe sind wir:

In uns wird das Christuskind geboren.


„So lass mich nun dein Kripplein sein;

komm, komm und lege bei mir ein

dich und all deine Freuden”,

dichter Paul Gerhardt in einem alten Weihnachtslied.


Wir tragen das Christuskind in uns.

Aus unseren Augen lächelt es andere an,

mit unserer Hilfsbereitschaft macht es anderen Mut,

mit unseren Worten tröstet es,

mit unseren Händen heilt es.


Durch Liebe und Mitmenschlichkeit kommt das Christuskind

alle Jahre wieder zu uns und zu anderen,

so dass es für uns und für sie Weihnachten wird.

Weihnachten - an jedem Tag des Jahres.

Sonntag, 17. Dezember 2023

wer uns beruft

Predigt am 3. Advent, 17.12.2023, über Matthäus 11,2-11

Liebe Schwestern und Brüder,


Bist du, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?


was für eine dreiste Frage, die Johannes’ Jünger Jesus stellen,

noch dazu vor allen Leuten!

Sie stellen mit ihrer Frage

nichts weniger als seine Legitimität infrage:

Ist Jesus nun der Christus, der gekommene Kommende,

der Auserwählte, oder ist er es nicht?

Ist er mehr als Johannes der Täufer,

dem prophezeit wurde, der Vorläufer des Messias zu sein

und der auch Jünger um sich scharte,

oder ist er geringer als er?

Ist das Reich Gottes nahe herbeigekommen,

sind der neue Himmel und die neue Erde zum Greifen nah,

oder liegen sie noch in unerreichbarer Ferne?


Jesus sagt zu der Frage weder Ja noch Nein.

Er antwortet mit etwas, das jeder sehen und hören kann.

Die Jünger des Johannes sollen ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen:


Blinde sehen und Lahme gehen,

Aussätzige werden rein und Taube hören,

Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.


Welchen Schluss sollen Johannes’ Jünger daraus ziehen?

Welchen Schluss ziehen wir daraus?


Vielleicht ist erst einmal wichtig, was Jesus nicht sagt:

Jesus sagt nicht:


Der Wolf wohnt beim Lamm

und der Panther lagert beim Böcklein.

Kalb und Löwe grasen miteinander,

Kuh und Bärin weiden zusammen,

und der Löwe frisst Stroh wie das Rind.


Und er sagt auch nicht:


Jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht,

und jeder Mantel, durch Blut geschleift,

ist verbrannt und vom Feuer verzehrt.


Jesus reklamiert für sich nicht die Kennzeichen,

die ihn eindeutig als den gekommenen Kommenden,

als den Auserwählten, den Christus ausweisen würden.

Wenn diese Dinge eingetreten wären,

hätte sich die Frage erübrigt,

ob Jesus der ist, der da kommen soll.


Die Heilung von Blinden, Lahmen,

Aussätzigen und Tauben dagegen,

dass Tote aufstehen, und Arme gute Nachricht erhalten,

das alles sind wunderbare Dinge,

aber sie weisen nicht eindeutig auf Christus hin.

Sie lassen einen Interpretationsspielraum zu:

Das wurde nicht über den Messias geweissagt.


Vor allem fehlt die unbestreitbare Tatsache,

die das Kommen des Messias begleitet:

dass die Welt neu wird.

Das Neue trat nur für die Wenigen ein,

die Jesus begegnet sind, die er geheilt hat.

Heilen aber könnte auch eine gute Ärztin, ein guter Arzt;

das muss nicht zwangsläufig ein Kennzeichen des Messias sein.


Als würde er um die Schwäche dieses Argumentes wissen,

schiebt Jesus noch einen Satz nach:


Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.


Warum sollte man an Jesus Anstoß nehmen?

Weil es Zweifel gibt, ob er wirklich der Auserwählte ist,

und weil Jesus diese Zweifel nicht ausräumt.

Die Menschen, die er als Beweis anführt,

sind als Zeugen nicht überzeugend.

Behinderte Menschen, arme Leute

zählen gewöhnlich nicht zu denen, auf die man hört.


Bist du, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?


Solche Anfragen kennen wir auch.

Meist nicht in der unverholenen Weise,

wie Johannes’ Jünger sie stellen.

Wir kennen diese Anfrage verkleidet

in scheinbar mitfühlende, scheinbar besorgte Äußerungen:


„Du wirkst in letzter Zeit so erschöpft;

dein Amt ist wohl eine zu große Belastung für dich?”

oder

„Wie furchtbar muss es für dich sein,

dass manche Leute so unzufrieden mit deiner Arbeit sind!”

oder

„Man hört und liest gar nichts mehr von dir;

man weiß gar nicht, ob du noch etwas leistest!”


Zu solchen Anfragen von außen gesellen sich die eigenen Zweifel:

Bin ich gut genug?

Bin ich die Richtige, bin ich der Richtige

für dieses Amt, für diesen Beruf?

Dahinter steht die Frage nach der Berufung:

Man sucht sich ein Amt nicht aus.

Auch wenn man sich dazu bereit erklärt,

Lust dazu hat, sich dieses Amt zutraut:

In ein Amt wird man berufen.

Wenn fraglich wird, ob man gut genug,

ob man die oder der Richtige ist,

wird einem die Berufung selbst fraglich

und damit die Legitimität.


Man verleiht sich ein Amt nicht selbst.

Es sind die anderen,

die, für die man da sein soll,

die einem das Amt zutrauen

und manchmal auch aufbürden.

Die, denen das Amt zugute kommt,

legitimieren die Amtsträgerin, den Amtsträger.


So ist es auch mit dem Beruf,

der das Wort „Berufung” im Namen trägt.

Auch im Beruf kann man sich unsicher werden,

ob man die richtige Entscheidung getroffen hat.

Auch hier kann man gefragt werden,

direkt, oder verkleidet in angebliche Sorge,

ob man die Richtige, der Richtige für diesen Job ist.

Und auch hier sind es die Menschen, die einen brauchen,

die zu einem kommen, die einem vertrauen,

die für diesen Beruf legitimieren.


Jesus zählt in seiner Antwort an die Jünger des Johannes

die Menschen auf, die ihn brauchen

und die ihn dadurch als den Christus,

als den Auserwählten, den gekommenen Kommenden legitimieren:

Blinde, Lahme, Aussätzige, Taube und Arme.

Nicht gerade beeindruckende Zeugen,

ich sagte es schon.


Besser wäre es gewesen,

er hätte Leute von Rang und Namen anführen können.

Leute, die in den Häusern von Königen ein- und ausgehen.

Aber die brauchen ihn nicht.

Die Armen brauchen ihn, die Ausgestoßenen,

die an den Rand Gedrängten und Benachteiligten.

Und so ist es nur konsequent,

dass Hirten von seiner Geburt berichten;

dass ein Fischer, der zudem noch als Unruhestifter,

als Zelot, verdächtigt wird,

ihn als den Christus bekennt,

und dass eine Frau - damals, und nicht nur damals,

auch jemand ohne Macht und Einfluss -

ihm mit Öl salbt:

Jesus, der Gesalbte der Frauen, der Messias, der Christus.


Bist du, der da kommen soll,

oder sollen wir auf einen andern warten?


Menschen, die ihn brauchen

und die darauf vertrauen, dass er das Richtige für sie tun wird,

weisen Jesus als den Christus aus.

Und Gott weist Jesus als den Christus aus:

Bei seiner Taufe durch Johannes sagt Gott:

„Dies ist mein geliebter Sohn,

an dem ich Wohlgefallen habe.”


Gott steht auf der Seite der Armen, der Ausgestoßenen,

der an den Rand Gedrängten und Benachteiligten.

Darum geht Jesus gerade zu ihnen:

Um Gottes Willen zu tun

und weil diese Menschen ihn brauchen.

Überspitzt könnte man sagen:

Sie, die Armen, sind es, die Jesus zum Christus machen.


So ist es auch mit uns:

Was wir sind, sind wir nicht aus uns selbst,

sondern durch die Menschen, die uns brauchen

und sich darauf verlassen, dass wir das Richtige für sie tun.

Das legitimiert uns in unserem Amt,

in unserem Beruf, in unserer Berufung.

Das macht uns zu Freundinnen und Freunden,

zu Partnerinnen und Partnern,

zu Vater und Mutter.


Es bewahrt uns nicht vor Fehlern und Irrtümern -

schließlich sind wir nicht Jesus!

Aber gerade die Tatsache, dass wir Fehler machen,

dass wir uns manchmal irren,

bewahrt uns vor dem Glauben,

wir hätten unser Amt allein unserer Leistung,

unserem Können und Wissen zu verdanken

und nicht den Menschen, denen es zugute kommt.


Die Tatsache, dass wir Fehler machen,

bewahrt uns auch vor dem Glauben,

als käme die Kraft allein aus uns

und nicht von Gott, der uns zu unserer Aufgabe

berufen und befähigt hat.


Für die Menschen, die uns brauchen,

sind wir so richtig, wie wir sind.

Wir sind gut genug.

Natürlich kann man immer noch mehr tun,

immer noch besser werden.

Aber Gott hat uns berufen so, wie wir sind.

So, wie wir sind, sind wir ihm recht.

So, wie wir sind, sind wir gut genug,

sind wir die Richtigen, sind wir berufen.


Jesus hat noch einen Nachsatz über Johannes parat.

Einen, den dessen Jünger nicht mehr hören

und der auf den ersten Blick wie eine Retourkutsche

auf ihre dreiste Frage klingt:


Wahrlich, ich sage euch:

Unter allen, die von einer Frau geboren sind,

ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer;

der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.


Johannes, Vorläufer des Messias,

für seine Jünger und Verehrer der Größte,

ist kleiner als der Kleinste im Himmelreich.

Wie gut, dass die Jünger des Johannes

das nicht mehr hören mussten!

Aber so böse, wie der Satz klingt, ist er nicht gemeint.

Im Himmelreich, sagt Jesus mit diesem Satz,

kommt es nicht auf irdische Größe an.

Im Gegenteil: Bei Gott sind die Kleinsten die Größten.

Darum bricht Gottes Wirklichkeit

in einem hilflosen, schutz- und wärmebedürftigen

Säugling ein in unsere Welt.

Das Kind in der Krippe wächst zu einem Menschen heran,

der auf alle Gewalt verzichtet,

sich nicht zu schade ist, seinen Jüngern die Füße zu waschen

und allein der Liebe vertraut.

Der Liebe, die so leicht zu besiegen,

so leicht zu ignorieren ist

durch Oberflächlichkeit, Bosheit und Gewalt.

Die sich aber nicht unterkriegen lässt.

Die sich immer, immer wieder durchsetzt -

bis sie eines Tages alle und alles erfüllen wird in Gottes Reich.