Samstag, 21. April 2018

unterscheiden

Predigt am Sonntag Jubilate, 22. April 2018, über 2.Korinther 4,16-18:

Darum werden wir nicht müde, sondern,
wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht,
wird unser innerer doch täglich erneuert.
Denn die leichte Last unserer gegenwärtigen Probleme
wirkt für uns eine übermäßige Fülle ewiger Herrlichkeit,
die wir nicht achten auf das Sichtbare,
sondern auf das, was man nicht sehen kann.
Denn das Sichtbare ist vergänglich,
was man aber nicht sehen kann, ist ewig.


Liebe Schwestern und Brüder,

glauben heißt: zu unterscheiden
zwischen außen und innen,
Bedrängnis und Weite,
sichtbar und unsichtbar,
vergänglich und ewig.

I. Es sind besondere Unterschiede, um die es hier geht.
Keine, die man messen, wiegen oder zählen kann.

Es sind sogar Unterscheidungen,
die wir eigentlich gar nicht treffen können.
Wie sollte man zwischen äußerem und innerem Menschen unterscheiden,
wir können doch nicht in uns hineinsehen.
Allenfalls kann man in sich hineinhorchen
oder spüren, wie man sich fühlt -
aber beides will gelernt und geübt sein,
und dann ist man sich trotzdem nicht immer sicher über seine Gefühle.

Wie soll man Belastungen unterscheiden?
Ein kleines Kind wird eine Wasserflasche als schwer empfinden,
während seine Mutter einen ganzen Wasserkasten schleppt.
Trotzdem ist die Flasche für das Kind schwer,
und sie wird es wieder für einen alten Menschen sein.
Kopfschmerzen können für die eine unerträglich sein;
eine andere hält sie aus.
Man kann nicht wissen, ob beide die selben Schmerzen haben,
ob die Kopfschmerzen unterschiedlich stark sind,
oder ob beide Schmerzen unterschiedlich empfinden.

Vom Unsichtbaren können wir gar nichts wissen,
denn es entzieht sich unserer Beobachtung,
ebenso wie das Ewige.
Wir sagen zwar, die Berge seien "ewig".
Aber wir wissen, dass auch sie entstehen und vergehen -
nur so langsam, dass sie sich in unserer
vergleichsweise kurzen Lebensspanne
so gut wie gar nicht verändern.

Woher weiß Paulus dann von unserem "inneren Menschen"?
Wie kann Paulus behaupten, dass unsere Probleme leicht sind,
wenn er sie doch gar nicht kennt?
Und wie kann Paulus vom Unsichtbaren sprechen,
wenn man es doch nun einmal nicht sehen kann?


II. Am Anfang ist das Wort.
Damit etwas unterschieden werden kann,
muss es benannt und bewertet werden.

Ein Säugling nimmt bereits Unterschiede wahr:
hell-dunkel, warm-kalt, bei Mama-allein, satt-hungrig,
aber er kann sie nicht benennen.
Aber bewerten kann er sie schon:
durch Lächeln oder durch Tränen zeigt er,
was ihm gefällt und was nicht.
Bevor wir unterscheiden können, können wir bewerten:
wir wissen, was für uns gut ist und was nicht.

Es gibt in uns eine Instanz, das "Ich",
das genau weiß, was es braucht und was es will,
wovor es Angst hat und wovon es träumt.
Das ist der "innere Mensch", von dem Paulus spricht.
Aber sobald wir als Kinder lernen, dazu "Ich" zu sagen,
begegnen wir anderen Ichs, die uns sagen,
was wir brauchen, was wir wollen sollen;
die uns sagen, dass wir keine Angst zu haben brauchen,
obwohl wir spüren, wie die Angst uns lähmt,
und die wissen, was wir wünschen,
bevor wir uns das überhaupt selbst fragen konnten.

Da wird man unsicher und weiß nicht mehr:
bin das ich oder ist es ein*e andere?
Am Ende misstraut man dem eigenen Ich
und hört auf die anderen, die einem sagen,
was man tun und wollen und fühlen soll.


III. Andere befinden auch darüber,
wie schwer unsere Probleme sind:
"Das ist doch ganz leicht!", wird dem Kind gesagt,
das die Aufgabe nicht lösen kann.
Damit wird die Aufgabe nicht lösbarer,
aber das Kind weiß nun,
dass es offenbar dümmer ist als andere.

"Das wird schon wieder", wird der Teenagerin gesagt,
die zum ersten Mal von einem Freund verlassen wurde.
Und natürlich wird es wieder, weiß der Erwachsene,
der schon viele Trennungen hinter sich hat.
Aber woher soll es die Teenagerin wissen,
und warum sollte sie dem Erwachsenen glauben,
wenn der Schmerz doch so groß ist.

"Das ist doch noch gar nichts!
Da sollten Sie mal meine Wunde sehen",
sagte der Patient im Krankenhausbett nebenan,
und man schämt sich fast,
dass man auch Scherzen hat und Angst.

Paulus ist da keine Ausnahme,
wenn er von der leichten Last unserer gegenwärtigen Probleme spricht.
Aber er redet auch wie ein Bergführer,
der schon etliche Male auf dem Gipfel war und weiß:
von hier sind es nur noch wenige Meter,
auch wenn der Anstieg mörderisch steil ist.

Es hängt also davon ab,
ob wir Paulus vertrauen;
ob wir glauben, dass er Ahnung hat
und weiß, wovon er spricht.

Aber woher sollte Paulus etwas von "ewiger Herrlichkeit" wissen,
er ist - oder besser gesagt: war - doch ein Mensch wie wir!

Woher weiß Paulus etwas von dem,
wovon man eigentlich nichts wissen kann?
Paulus war ein Pharisäer, heute würde man sagen:
Er war bibelfest.
Paulus hatte es aus der Schrift.
Die Schrift des ersten oder, wie wir sagen, Alten Testaments,
die Bibel des Paulus, die Bibel Jesu und der ersten Christen
erzählt von den Unterschieden zwischen außen und innen,
zwischen Bedrängtsein und Weite,
sichtbar und unsichtbar,
vergänglich und ewig.

Die Schrift ist kein wissenschaftlicher Untersuchungsbericht,
kein Protokoll oder Tatsachenbericht,
denen unser kritischer Geist Vertrauen schenken könnte.
Es sind Geschichten, aus denen die Schrift besteht.
Es sind keine Geschichten wie die, die sich jemand ausdenkt.
Diesen Geschichten haben Menschen sei mehreren tausend Jahren vertraut.
Nicht ihr Alter macht sie vertrauenswürdig,
sondern dass sie sich bewährt haben.

Wir können von Gott nichts wissen.
Das liegt in der Natur der Sache:
Würden wir Gott erkennen,
wäre das, was wir da zu erkennen meinen, nicht Gott.
Wir "haben" Gott nur in Geschichten,
und Geschichten sind Worte.
Worte, die benennen, dass es Gott gibt. Ewigkeit.
Eine unsichtbare Welt,
die wirklicher ist als die Wirklichkeit, die uns umgibt.
Es sind Worte, die den Unterschied machen.


IV. Aber wenn es bloß Worte sind,
wo ist der Beweis, dass sie wahr sind,
dass man ihnen vertrauen kann?

Es wird Sie vielleicht überraschen zu hören,
dass man diesen Worten nicht glauben muss.
Jedenfalls nicht glauben in dem Sinne des für-wahr-Haltens.
Sie brauchen kein einziges Wort der Bibel zu glauben
und können trotzdem ein gläubiger Mensch sein.
Sie glauben ja auch nicht an die Zahlen
und können trotzdem mit ihnen rechnen -
und bekommen sogar ein Ergebnis,
möglicherweise sogar ein richtiges,
wenn Sie richtig gerechnet haben.

Wie an Zahlen und Rechenoperationen
muss man auch an die Worte der Bibel nicht glauben,
wenn man sie anwenden will.
Die Worte der Bibel wendet man an,
wenn man mit ihnen Unterscheidungen trifft.
Unterscheidungen, die uns helfen, etwas zu verstehen,
wodurch unser Leben etwas leichter,
etwas erträglicher werden kann:

Der Beobachtung, dass unser äußerer Mensch verfällt,
dass wir krank werden und alt werden,
setzt Paulus den inneren Menschen entgegen,
auf den es eigentlich ankommt.
Der innere Mensch ist frei,
auch wenn der äußere ans Bett oder den Rollstuhl gefesselt
oder dem Diktat der Mode unterworfen ist.
Der innere Mensch kann jeden Tag neu werden,
jeden Tag anders entscheiden und handeln.

Der Erfahrung, dass wir mit Problemen zu kämpfen haben,
setzt Paulus die Aussicht auf eine Freiheit und Weite entgegen,
sozusagen ein Gipfelerlebnis.
Die gewaltige, wunderbare Aussicht lässt die Probleme schrumpfen,
und auf einmal erscheinen sie als eine Mühe, die sich lohnt,
des Gipfels wegen.

Und der leidvollen Erfahrung,
dass alles um uns vergeht,
dass nichts bleibt, wie es war
und dass wir Menschen gehen lassen müssen, die wir lieben,
setzt Paulus das Unsichtbare entgegen,
das die eigentliche Wirklichkeit ist.
Über unseren inneren Menschen, über unser Ich,
sind wir mit dieser Wirklichkeit verbunden
und haben Anteil daran.


V. Glauben bedeutet, zu unterscheiden,
und Unterscheiden bedeutet,
die Unterscheidungen, die die Bibel vornimmt, anzuwenden.
Man muss nicht daran glauben,
denn Glaube heißt nicht, dass man etwas für wahr halten muss.
Glaube ist eine Methode wie das Multiplizieren.
Dass wir mit dem Glauben "richtig" gerechnet haben,
merken wir daran,
dass wir vertrauen können;
dass wir Hoffnung haben für uns und für die Welt;
dass wir unseren Mitmenschen mit Freundlichkeit und Respekt begegnen können.

Glauben ist ganz leicht.
Man muss es nur üben.
Amen.

Freitag, 20. April 2018

Möglichkeiten

Predigt zur Jubelkonfirmation am 21.4.2018 in Dillstädt über Psalm 34,13.15


Liebe Jubilarinnen und Jubilare,
liebe Gemeinde,

erinnern Sie sich noch an die Predigt zu Ihrer Konfirmation, damals vor 50, 60, 65 oder gar 70 Jahren?
Es ist keine ernst gemeinte Frage:
Ich kann mich jedenfalls nicht mehr an die Predigt zu meiner Konfirmation erinnern, obwohl die bei mir "erst" 38 Jahre her ist. Ich glaube, man hätte mich direkt nach dem Konfirmationsgottesdienst fragen können; da hätte ich schon nicht mehr gewusst, was der Pfarrer gepredigt hat. Das lag sicherlich daran, dass Jungs im Konfirmandenalter keine besonders guten Zuhörer sind; dass ich furchtbar aufgeregt war und dass die Predigt das letzte Hindernis vor der Einsegnung und dem Abendmahl war, auf die es doch eigentlich und überhaupt ankam.

Dabei hat mein Pfarrer sich bestimmt große Mühe mit seiner Predigt gemacht, um uns Konfirmandinnen und Konfirmanden etwas Gutes mit auf den Weg zu geben, so, wie ich das mit meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden heute immer noch halte. Und so hat es der Pfarrer, der Sie vor 50, 60, 65 oder 70 Jahren einsegnete, auch getan.
Auch er wollte Ihnen damals in der Predigt etwas sagen, was Sie auf den Weg des Glaubens bringen und auf diesem Weg halten sollte. Nur wissen Sie wahrscheinlich genauso wenig wie ich, was das war.


I. Als Sie damals konfirmiert wurden, war Konfirmation noch etwas Selbstverständliches. 1948 war es auf jeden Fall noch so.
In den 50er Jahren fand dann der harte Konflikt zwischen dem Sozialistischen Staat und der Kirche statt, den Sie als Jugendliche auch zu spüren bekamen:
Sie - oder Ihre Eltern - sollten sich zwischen Jugendweihe und Konfirmation entscheiden.
Erst in den 60er Jahren, als sich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche entspannte, wurde es üblich, beides zu tun: Am Brauch der Konfirmation festzuhalten und seine Pflicht als Staatsbürger zu erfüllen und zur Jugendweihe zu gehen.

Eine schwere Entscheidung, die Ihnen damals abverlangt wurde! Auf der einen Seite wurde es von Eltern, die im Staatsdienst beschäftigt waren, erwartet, dass ihre Kinder zur Jugendweihe gingen.
Auf der anderen Seite erfuhren Christinnen und Christen, die sich offen zu ihrem Glauben bekannten oder von denen man wusste, dass sie Kinder kirchlicher Mitarbeiter oder selbst kirchlich engagiert waren, Demütigungen und Schikanen durch den Staat.


II. Ihrem Sinn nach ist die Konfirmation eine Entscheidung. Ihr Name kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Bekräftigung": Mit der Konfirmation wird von den Konfirmandinnen und Konfirmanden bekräftigt, was ihre Eltern durch die Taufe ihrer Kinder für sie entschieden: Dass sie Christinnen und Christen sein sollten.

Aber was bedeutet es, eine Christin, ein Christ zu sein? Das kann einem niemand so genau sagen. Der Konfirmandenunterricht gab damals nicht allzu viel dazu her - man lernte vor allem auswendig.
Was Christsein bedeutet, das ändert sich auch um Laufe der Geschichte. Und auch in Ihrem eigenen Leben haben Sie vielleicht Veränderungen bemerkt, hat es sich für Sie unterschiedlich angefühlt, Christin oder Christ zu sein.

Wenn man wissen will, wie etwas funktioniert, sieht man in der Bedienungsanleitung nach. Wenn man also wissen will, was Christsein bedeutet, schaut man am besten in die Bedienungsanleitung für das Christsein: in die Bibel. Dort findet man z.B. im 34. Psalm, den wir eingangs gebetet haben, die beiden Verse:
"Wer möchte gern gut leben
und schöne Tage sehen? 
Lass ab vom Bösen und tu Gutes;
suche Frieden und jage ihm nach!"

III. Wie, sollte es so einfach sein? Nichts Böses tun, sich um Gutes und um Frieden bemühen? Das ist ja viel weniger als die 10 Gebote, die man als Konfirmandin oder Konfirmand auswendig lernen musste!

Aber nicht alles, was leicht aussieht, ist auch leicht. Das hat man selbst erfahren, als man Radfahren lernte, Schwimmen, oder als man den Führerschein machte. Jede*r, die ein Instrument oder eine Sportart beherrscht, weiß: Damit es so leicht und unbeschwert aussieht, dass andere denken: Das ist ja einfach, das kann ich auch!, muss man üben, üben, üben.

Auch das Christsein sieht von außen leicht aus, ist es aber nicht. Gerade der Glaube verlangt besonderen Einsatz. Ich spreche jetzt nicht vom Gottesdienstbesuch. Nein, das Leben in Gemeinschaft, das Leben in einer Gemeinde verlangt diesen besonderen Einsatz. Das Leben in Gemeinschaft bedeutet, aufeinander zu achten, füreinander da zu sein und zu helfen, wenn Hilfe nötig ist. So haben Sie es selbst erlebt, so haben Sie sich selbst verhalten. Und dabei haben Sie erfahren, dass Gemeinschaft auch sehr anstrengend sein kann.

So ist es auch mit den beiden Versen aus dem Psalm:
"Lass ab vom Bösen und tu Gutes;
suche Frieden und jage ihm nach!"
Sie erweisen sich als unglaublich schwer, wenn man versucht, sie zu beherzigen.


IV. Mit diesen beiden Versen verhält es sichwie beim Erlernen eine Musikinstrumentes, eines Handwerkes oder einer Sportart: Je öfter man übt, desto besser wird man. Je öfter man übt, desto deutlicher sieht man aber auch,
was man alles noch nicht kann. Wo ein Außenstehender sagt: Das passt, das ist gut, denkt man: Das passt überhaupt noch nicht, das ist noch gar nicht gut,
das muss noch viel besser werden!
"Lass ab vom Bösen und tu Gutes;
suche Frieden und jage ihm nach!"
Diese beiden Sätzchen, so unschuldig und leicht sie daherkommen, können richtig gemein sein, wenn man versucht, sich an sie zu halten. Denn wenn man sie sich zum Vorbild nimmt, merkt man überhaupt erst, wie oft man etwas Böses tat, statt Gutes zu tun, und wem alles man unrecht tat; es wird einem bewusst, wie oft man nicht dem Frieden nachgejagt, sondern Unfrieden gestiftet hat.

Die beiden kleinen, unscheinbaren Psalmverse halten uns den Spiegel vor und zeigen uns, dass wir nicht so gut sind, wie wir dachten oder gerne wären. Aber das ist gar nicht ihre Aufgabe. Diese beiden Verse sind nicht dazu da, uns ein schlechtes Gewissen zu machen - gerade heute nicht, an diesem Festtag. Sie wollen uns vielmehr daran erinnern, dass wir immer noch eine zweite Möglichkeit haben, dass es immer auch noch einmal anders geht:
Statt dem anderen seine Bosheit, seine Gemeinheit heimzuzahlen; statt sich über andere zu ärgern; statt neidisch zu sein auf das, was andere haben oder sind, kann man sie sozusagen rechts überholen, indem man sie überrascht und etwas ganz anderes: indem man Gutes tut.

Der Glaube glaubt an das Gute in allen Menschen: an die Liebe.
Der Glaube glaubt an die Möglichkeit, wo es scheinbar keine Möglichkeit mehr gibt: an die Hoffnung.
Der Glaube eröffnet uns eine neue Welt und ein neues Leben, wenn wir am Ende zu sein scheinen.


V. In der Bedienungsanleitung für das Christsein, in der Bibel, stehen viele Sätze wie die beiden Verse des Psalms. Sätze, die uns daran erinnern, welche Möglichkeiten unser Leben hat, selbst dann, wenn wir meinen, wir hätten keine mehr.
Und es stehen darin Sätze wie der, den wir in der Lesung hörten:
"Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen
durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist."
(Römer 5,5)

Es sind Sätze, die uns daran erinnern, dass wir schon alles haben, was wir zum Glück brauchen: Wir sind über alles Geliebte und besitzen Liebe in einer solchen Fülle, dass wir sie niemals aufbrauchen, sie niemals verlieren können.

Aus dieser Liebe Gottes leben wir;
aus dieser Liebe schöpfen wir,
wenn wir anderen Menschen freundlich begegnen;
in dieser Liebe sind wir geborgen
heute, morgen und alle Zeit.
Amen.

Samstag, 14. April 2018

All animals are equal …


Predigt am Sonntag Miserikordias Domini, 15. April 2018, über 1.Petrus 5,1-4:

Die Ältesten unter euch ermahne ich,
der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi,
der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll:
Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist;
achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt;
nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund;
nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.
So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte,
die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.


Liebe Schwestern und Brüder,
oder sollte ich sagen:
meine lieben Schäflein?

schön, wenn man mal nicht gemeint ist!
Wie oft wird man in Predigttexten erwähnt und aufgefordert,
etwas zu tun oder zu lassen.
Als Christ*in wird man in einer Predigt ständig angesprochen und herausgefordert.
Da macht auch der heutige Predigttext keine Ausnahme.
Aber er richtet sich ausdrücklich nicht an die ganze Gemeinde,
sondern nur an die "Ältesten", die Presbyter.
Damit sind nicht, wie man jetzt denken würde, die Kirchenältesten gemeint.
Die "Presbyter" wurden im Laufe der Kirchengeschichte zu den "Priestern".
Angesprochen sind die Pfarrerinnen und Pfarrer,
die Hirtinnen und Hirten der Gemeinde -
in diesem Falle also: ich.
Sie könnten sich theoretisch entspannt zurücklehnen,
während ich mir die Worte des Predigttextes sagen lassen
und sie vor allem beherzigen muss.


I. Bei genauerem Hinsehen - d.h., wenn man sich das griechische Original anschaut -
entdeckt man nicht nur die Priester in diesem kurzen Text.
Auch andere kirchliche Ämter finden sich da erwähnt.
Dort, wo es im Deutschen heißt: "Achtet auf die Herde Gottes,
die euch anbefohlen ist", steht im Griechischen 'episkopeo',
und in diesem Wort steckt der Episkopus, der Bischof.
Dann ist da noch die Rede vom Erz- oder Oberhirten -
da ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Erzbischof.

Die Kirche hat eine ganze Reihe von Ämtern hervorgebracht
und eine Hierarchie von Hirten.
Auch die Bischöfe sind ja Hirten:
der Bischofsstab ist dem Hirtenstab abgeschaut.
Jede Gemeinde hat - zumindest theoretisch - ihre Pfarrer*in, ihre Hirt*in,
und die hat eine Oberhirt*in, die Superintendent*in,
und die wiederum eine Ober-oberhirt*in über sich, die Bischöf*in.
In der katholischen Kirche gibt es dann noch die Kardinäle und den Papst,
die Ober-ober-oberhirten,
die man nicht mit dem Erzhirten des Predigttextes verwechseln darf,
denn das ist ja Jesus.

Braucht es so viele Hirt*innen, um eine Gemeinde zu leiten?
Braucht eine Gemeinde überhaupt eine Hirt*in?

Eine Schafherde kann offenbar nicht ohne Hirt*in sein.
Auch Jesus erzählt in seinen Gleichnissen vom Guten Hirten,
der 99 Schafe zurücklässt, um das verlorene Schaf zu suchen.
Schafe können sich verlaufen.
Sie müssen auf die Weide geführt und vor Räubern beschützt werden.


II. Als Schaf hat man es gut.
Ein Hirte sorgt dafür, dass man zu fressen hat.
Er kümmert sich, wenn ein Schaf krank wird und hält die Herde zusammen.
Er schlichtet, wenn es unter den Schafen Streit gibt
und sorgt dafür, dass jedes hat, was es zum Leben braucht.

Wer von uns hat es nicht gern, versorgt zu werden?
Morgens einen Kaffee ans Bett zu bekommen,
die Wäsche gewaschen und gebügelt bereitgelegt zu finden,
während das Frühstück schon auf einen wartet?
So lässt es sich leben.

Über die Jahrhunderte waren Frauen als Hausfrauen
die guten Hirtinnen ihrer Familien,
die in dieser Weise für ihren Ehemann und ihre Kinder sorgten.
Die Ehefrauen waren die Hirtinnen ihrer Familie,
aber der Mann war der Oberhirte.
Er war nicht so sehr Versorger, wie die Frau,
sondern ein Bestimmer, der sagte, wo's langgeht.
Erst Mitte des letzten Jahrhunderts begann sich dieses Rollenverteilung grundsätzlich zu ändern,
aber verschwunden ist sie längst noch nicht.
In Gegenteil: Immer wieder gibt es vor allem Männer,
die behaupten, diese Aufteilung sei gottgewollt
und so müsse es eben sein und überall wieder werden.

Es gibt also zwei Arten von Hirten,
oder zwei unterschiedliche Weisen, Hirte zu sein:
Die eine ist das tätige Kümmern um die Bedürfnisse der Herde,
das stets in Arbeit ausartet:
Schafe müssen im Auge behalten, zur Weide geführt, gesucht, gefunden,
aus Dornen befreit, geschoren, geimpft und behandelt werden, wenn sie krank sind.

Die andere Weise, Hirte zu sein, hat etwas vom Befehlshaber.
Der Befehlshaber bestimmt, wo es langgeht, was zu tun ist.
Da braucht es Ausführende wie z.B. die Hütehunde,
um die Befehle des Hirten umzusetzen.
Der Befehlshaber fasst meist nicht mit an.
Er gibt ja die Befehle und hat damit mehr als genug zu tun.


III. Das Bild vom Hirten, der die Herde behütet, ist ein schönes Bild.
In vielen Kirchen findet man Christus als guten Hirten dargestellt,
der das verlorene Schaf auf den Schultern trägt.
Die ersten Christ*innen, die sich in den Katakomben trafen,
stellten Jesus nicht als Gekreuzigten dar,
sondern als jungen Mann mit einem Schaf auf den Schultern:
als guten Hirten.
Frühchristliche Darstellung des Guten Hirten aus der Katakombe von Domitilla/Domatilla
(Krypta von Lucina, 200-300 n. Chr.)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Verlorenes_Schaf#/media/File:Good_Shepherd_04.jpg
Das Bild vom Hirten bekommt einen ersten Kratzer,
wenn man sich die beiden Weisen, Hirte zu sein, vergegenwärtigt.
Ein Hirte, der sich kümmert,
der tatkräftig die Bedürfnisse der Herde stillt, ist uns recht.
Einen Hirten, der nur Befehle gibt, kann man nicht brauchen,
weil man sich letztlich doch wieder selbst um alles kümmern muss.
Es muss schon ein "guter" Hirte sein,
einer, der sich nicht zu schade ist, mit anzupacken
und notfalls sogar bereit ist, sein Leben zu opfern für die Schafe.

Man darf das schöne Bild vom Hirten nur nicht zu genau ansehen.
Wenn man das nämlich tut, kann einem ganz schön mulmig werden.
Denn ein Hirte hütet die Herde ja nicht zum Vergnügen der Schafe,
aus lauter Spaß an der Freud, aus reiner Tierliebe,
sondern weil er etwas mit den Schafen vorhat.
Und das ist nichts Gutes - für die Schafe jedenfalls nicht.

Hirten und Schafe sind auch nicht gleich,
sondern sitzen sozusagen an verschiedenen Seiten des Tisches.
Die Hirten sitzen vor den Tellern, und die Schafe liegen drauf.
Schafe werden geschoren und --- geschlachtet.
Unter diesen Umständen möchte man lieber nicht auf Seiten der Schafe sein!


IV. Wo zwei oder drei zusammenkommen, entsteht eine Herde.
Eine solche Herde sucht sich bald einen Hirten.
Wer gestern noch ein ganz normales Schäfchen war,
wird auf einmal zum Oberschaf,
das plötzlich auf zwei Beinen geht,
mit einem Schäferhund an der Leine.

Am Anfang sind noch alle gleich.
Mit einem Mal sind einige gleicher als die anderen,
bestimmen, wo es langgeht und wer was zu tun hat.
Und manchmal, da geht es einer aus der Herde an die Wolle,
manchmal landet einer im Topf - im wörtlichen oder übertragenen Sinne.

Aber wenn es sich so verhält -
wenn immer wieder einige Schafe,
sobald sie zu Oberschafen geworden sind,
den Wolf in sich entdecken -
warum suchen wir uns dann immer wieder Hirten?

Ich fürchte, unsere Bequemlichkeit ist schuld.
Es ist so viel einfacher, sich bedienen zu lassen,
als selbst zu dienen.
Es ist so viel leichter, einem Führer zu folgen,
als selbst über den richtigen Weg nachzudenken.

Schafe, die bereit wären, zu dienen und zu denken,
bräuchten keinen Hirten.
Den Schafen wurde eingeredet, dass sie nicht ohne Hirten sein können,
weil man ihnen an die Wolle wollte.
Aber Schafe, wenn sie zusammenhalten,
können ganz gut für sich selbst sorgen
und es notfalls sogar mit einem Wolf aufnehmen.


V. Die ersten Christinnen und Christen kannten keine Hierarchien.
Jesus sagte:
Wer der Erste unter euch sein will,
soll euer aller Diener sein.
Diesen Satz haben die Mächtigen später persifliert.
Friedrich der Große, der "alte Fritz",
nannte sich den "ersten Diener seines Staates".
Die Wölfe lernten, Kreide zu fressen
und sich die Pfoten weiß anzumalen.

Was der Predigttext über den Hirtendienst sagt
- dass er freiwillig geschehen soll,
unentgeltlich und durch vorbildliches Verhalten
statt durch Befehl und Gehorsam -,
das gilt nicht nur für die, die Hirten sind.
Wenn alle Schäflein das beherzigen würden,
bräuchte es keine Hirten mehr.
Besser gesagt: Alle Schafe wären zugleich auch Hirten.
Die Schafe würden sich gegenseitig hüten.
So nennt sich der Verfasser des 1.Petrusbriefes "Mitältester"
und ausdrücklich nicht "Oberältester".
Da bekommt man den Verdacht,
es könnten vielleicht doch nicht nur die Presbyter, die Priester, angeredet sein,
sondern alle in der Gemeinde,
die alt genug sind, Verantwortung zu übernehmen und zu tragen.

Eigentlich braucht es keinen Hirten.
Denn wir haben ja einen Hirten.
Einen guten Hirten, der sein Leben für uns gab,
Den einzigen Hirten, der sein Hirtenamt niemals missbraucht hat.
Mit Jesus als Hirten kommt eine Gemeinde gut zurecht.
Die Schafe müssen nur seinem Vorbild folgen
und für ihre Mitschafe Verantwortung übernehmen.

Kain fragt scheinheilig:
"Soll ich meines Bruders Hüter sein?",
nachdem er seinen Bruder Abel erschlagen hat.
Aber natürlich lautet die Antwort: Ja!
Ja, wir sind Hüter*innen unserer Schwestern und Brüder.
Wir sind alle Hirt*innen.
Und wir sind zugleich die Schäflein des einen guten Hirten Jesus Christus.
Amen.

Freitag, 6. April 2018

Den Rettungsring ergreifen

Predigt am Sonntag Quasimodogeniti, 8. April 2018, über Kolosser 2,12-14


Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Kolosserbrief im zweiten Kapitel.
Ich lese zunächst einen Vers vor und dann im Laufe der Predigt die weiteren Verse:
„Ihr seid mit Christus zusammen begraben in der Taufe,
in der ihr auch mit auferstanden seid
durch den Glauben an das Eingreifen Gottes,
der ihn von den Toten auferweckte.“


Liebe Schwestern und Brüder,

an die eigene Taufe erinnert man sich i.d.R. nicht.
Die meisten von uns wurden als Kinder,
als Säuglinge sogar, getauft.
Wir konnten unsere Taufe nicht bewusst erleben.

Deshalb wissen wir auch nicht mehr,
was das für ein Gefühl war, als,
während wir von unserer Patin oder unserem Paten
über das Taufbecken gehalten wurden,
plötzlich von hinten eine Hand
kaltes Wasser über unseren Kopf schöpfte,
einmal, zweimal, dreimal.

Aber soviel ist sicher:
Es war bestimmt kein angenehmes Gefühl.
Viele Kinder schreien bei der Taufe – zu recht:
Wer sollte nicht schreien, wenn er so erschreckt wird!
Selbst als Erwachsene schreit man laut auf,
wenn man unerwartet nassgespritzt wird.
Vor allem, wenn das Wasser auch noch kalt ist!


I. Die Taufe, ein gewaltiger Schock!
So war das von den Eltern nicht gemeint.
Die Taufe sollte eigentlich das Willkommensfest für das neue Familienmitglied sein.
Allerdings passt der Schock der Taufe zu dem,
was der Kolosserbrief über die Taufe sagt:
Dass wir in der Taufe mit Christus zusammen begraben werden.

Ein solcher Satz ist schockierend.
Und ein Begräbnis ist das letzte,
woran man bei einer Taufe denken möchte.
Wie soll man sich das überhaupt vorstellen,
und wie soll das gehen,
das „in der Taufe begraben Werden“?

Was die Taufe heute nicht mehr vermittelt
und woran sie lediglich durch den Schock erinnert,
den man erfährt,
wenn man plötzlich Wasser auf seinem Kopf spürt,
ist das Untergetauchtwerden.

Man kennt das aus dem Schwimmbad:
Unerwartet wird man unter Wasser geduckt
und vielleicht sogar festgehalten.
Man schluckt jede Menge Wasser.
Man möchte an die Oberfläche, kann aber nicht.
Man empfindet Panik, vielleicht sogar Todesangst.


II. Genau darauf kam es früher bei der Taufe an:
Das Untertauchen sollte den Tod symbolisieren.
Und es war noch mehr:
Es war der Tod.
Der Tod des Menschen, wie er vor der Taufe war.

Aber warum sollte ein Mensch sterben müssen,
und das bei einem Ritual,
das gerade am Anfang des Lebens stattfindet?

Im Kolosserbrief heißt es dazu weiter:
„Auch euch hat Gott mit Christus zum Leben erweckt.
Ihr wart tot durch die Übertretungen
und die Unbeschnittenheit eures Leibes.
Jetzt hat er uns alle Übertretungen vergeben.“
Bestimmt kennen Sie den Spruch:
„Der (oder die) ist für mich gestorben“.
Vielleicht haben Sie das selbst schon mal über jemanden gesagt.
Vielleicht haben Sie es jemanden über Sie sagen hören müssen.

„Der (oder die) ist für mich gestorben“ -
das ist der Tod mitten im Leben, der Beziehungstod:
Mit einem Menschen, der für mich gestorben ist,
will man nichts mehr zu tun haben.
Man will sie oder ihn nicht mehr sehen,
nicht mehr sprechen, nichts mehr erleben.
Man erwartet nicht mehr,
dass er oder sie sich noch ändern kann,
und man gibt ihr oder ihm auch keine Chance mehr dazu.


III. Was man getan hat,
bestimmt in gewisser Weise über das Leben.

Es sind nicht nur die Entscheidungen,
die das Leben formen und beeinflussen.
Auch, wie man sich gegenüber anderen verhalten hat,
bestimmt darüber, wer und wie man ist.
Hartnäckiger als an eine berufliche Leistung
erinnert man sich an eine Peinlichkeit,
einen Fehler, ein Versagen, eine Gemeinheit.
Selbst wenn viele Jahre darüber hingehen,
kann man es nicht vergessen -
und der oder die, der man es antat, vergisst es auch nicht.
Es steht zwischen uns.
Wie einen Schuldschein kann es der andere jederzeit hervorholen
und einem unter die Nase halten.
Man wird es nicht los.
Es legt einen fest.
Man wird festgelegt auf das,
was man einmal getan hat
und gern ungeschehen machen würde,
wenn man nur könnte.
Man wird festgelegt auf den Menschen,
der man einmal war und nun eigentlich nicht mehr ist
- aber in den Augen des anderen
kann man keine andere, kein anderer mehr werden.

Doch dann geschieht etwas, das diesen Schuldschein,
der zwischen uns und anderen steht, wegnimmt:
„Gott hat den Schuldschein ausgestrichen,
der mit seinen Forderungen gegen uns gerichtet war,
und ihn vernichtet, indem er ihn ans Kreuz nagelte.“
Wenn man etwas irgendwo anpinnt oder annagelt,
dann tut man das, damit es gut gesehen werden kann.
Wie zum Beispiel die Kreuzesinschrift,
die den Grund für den Tod Jesu angibt: INRI -
„Jesus von Nazaret, König der Juden“.

Kann man wirklich wollen,
dass die eigene Schuld,
die man lieber verheimlicht,
weil sie belastend und peinlich ist,
öffentlich gemacht wird?
Soll jede und jeder wissen,
was man getan hat,
was für ein Mensch man ist?


IV. Schuld gedeiht in Heimlichkeit und Verschweigen.
Vergebung sucht und braucht die Öffentlichkeit.
Sie braucht zumindest ein Gegenüber:
Das Gegenüber dessen, dem man sein Herz ausschüttet.
Ohne das Aussprechen, ohne Bekenntnis der Schuld ist Vergebung nicht möglich.

Aber nicht immer gelingt das.
Meistens fehlt einem der Mut,
sich und anderen Schuld einzugestehen.
Manchmal fehlt auch das Vertrauen zu einer Person,
der man sie bekennen könnte.
Oder es fehlt die Gelegenheit zur Beichte,
es fehlt die Person selbst,
die bereit wäre, eine Beichte anzuhören und abzunehmen.

In einem solchen Fall darf man trotzdem darauf vertrauen,
dass die Schuld ausgestrichen ist.
Wohl nicht für die oder den,
an dem man schuldig wurde.
Aber für Gott.
Gott ist bereit, den Schuldschein zu zerreißen.
Gott legt nicht auf das fest, was man tat.
Gott behaftet einen nicht auf dem, die oder der man ist.
Gott sieht nicht unsere Vergangenheit, sondern unsere Zukunft:
Gott sieht uns wie unbeschriebene Blätter an.
Wir erhalten die Chance, andere zu werden,
anders zu handeln.
Und nicht nur diese eine Chance,
sondern so viele, wie wir brauchen.

Das meint der Kolosserbrief,
wenn er von Auferstehung spricht:
Die Möglichkeit eines neuen Lebens jetzt und hier.
Diese Möglichkeit ist uns eröffnet,
weil Christus als erster auferstanden ist.
Er lebt bereits in einem neuen Leben.
Weil wir durch die Taufe zu Christus gehören,
können wir das auch – im doppelten Sinne von „können“:
Wir schaffen es, über unseren Schatten zu springen,
und wir dürfen auch hinter uns lassen,
worauf andere uns nach wie vor festlegen wollen.

Jetzt verstehen wir vielleicht besser,
warum der Glaube an die Auferstehung so wichtig,
ja entscheidend ist:
Gibt es keine Auferstehung,
dann gibt es auch für uns keine Chance auf ein neues Leben.
Wir könnten uns nicht ändern,
wir würden auf das festgenagelt,
was wir taten, wer wir waren.
Wir wären für andere gestorben
und würden jeden Tag ein bisschen mehr sterben.

V. 
„Ihr seid mit Christus zusammen begraben in der Taufe,
in der ihr auch mit auferstanden seid
durch den Glauben an das Eingreifen Gottes,
der ihn von den Toten auferweckte.“
Die Taufe ist eine großartige, eine wunderbare Sache:
Sie eröffnet neues Leben.
Und das nicht nur einmal,
sondern immer dann, wenn man will und es braucht.
Alles, was man dazu tun muss, ist,
sich an die Tatsache der Taufe zu erinnern und sie
- nein, nicht zu be-greifen,
sondern zu er-greifen, wie einen Rettungsring.

Das geht aber meist nicht ohne die unangenehme,
zuweilen beängstigende Erfahrung,
dass man gerade am Schwimmen ist
und den Boden unter den Füßen verloren hat.
Denn oft sucht man erst dann,
wenn kein Land mehr in Sicht ist,
nach einem Rettungsring.
Aber keine Sorge:
Der Rettungsring ist da, die ganze Zeit.
Er muss uns nicht erst zugeworfen werden.
Wir stecken mitten drin, ohne es zu merken:
In unserer Taufe.
Amen.