Sonntag, 28. Mai 2023

mit den Augen Gottes

Predigt am Pfingstsonntag, 28. Mai 2023, über 1.Korinther 2,12-16:

Wir haben nicht den Weltgeist empfangen,

sondern den Geist, der von Gott kommt,

damit wir erkennen, was uns von Gott geschenkt wurde.

Was wir reden, sagen wir nicht mit Worten,

die durch menschliche Weisheit gelehrt wurden,

sondern in Worten, die der Geist uns lehrte,

indem wir Geistliches geistlich deuten.

Ein diesseitig orientierter Mensch nimmt nicht an,

was von Gottes Geist kommt.

Für ihn ist es Unsinn, und er kann es nicht verstehen,

weil es geistlich beurteilt wird.

Ein geistlicher Mensch beurteilt alles,

wird aber selbst von niemandem beurteilt.

Denn „wer hat den Geist des Herrn erkannt,

dass er ihn belehrte?“ (Jesaja 40,13)

Wir aber haben den Geist Christi.



Liebe Schwestern und Brüder,


am vergangenen Sonntag sind elf Konfirmand:innen

hier im Dom konfirmiert worden.

Bei solchen Anlässen stellt sich die Frage besonders,

die eine:n immer wieder einmal ins Grübeln bringt:

Was soll man schenken?


Bei der Konfirmation ist die Antwort ziemlich leicht:

Geld ist als Geschenk immer willkommen.

Doch wer eine:r Konfirmand:in nahe steht,

gar Patentante oder Patenonkel ist,

gibt sich nicht mit einem Geldgeschenk zufrieden,

sondern möchte etwas Besonderes schenken.

Etwas, das die - im Idealfall herzliche - Beziehung spiegelt,

die man zu seinem Patenkind hatte.

Etwas, das hilfreich ist für den zukünftigen Weg ins Leben,

das Orientierung gibt und an die Schenkende erinnert.


Hat man dann nach langem Überlegen und Suchen

das passende Geschenk gefunden,

stellt sich die Frage, ob die Beschenkte auch würdigen wird,

was man sich an Gedanken und Mühe damit gemacht hat;

ob ankommt, was man mit dem Geschenk sagen will.

Darum wird manchmal vorsichtshalber

eine Karte oder ein Brief geschrieben und beigelegt,

als Beipackzettel oder Gebrauchsanleitung

die mit Worten sagt, was das Geschenk allein

womöglich nicht ausdrücken kann.


Wir hatten zwar nicht Konfirmation -

jedenfalls ist sie bei den meisten von uns eine Weile her -,

aber auch wir bekamen etwas geschenkt.

Daran erinnert uns das Pfingstfest,

und daran erinnert uns der Predigttext.

Gott hat uns beschenkt, schreibt Paulus.

Paulus sagt nicht, was Gott uns geschenkt hat.

Offenbar versteht es sich aber nicht von selbst.

Darum braucht dieses Geschenk

einen Beipackzettel, eine Gebrauchsanleitung -

nicht in Form eines Briefes,

sondern in Gestalt des Heiligen Geistes.

Durch Gottes Geist, so schreibt Paulus,

erkennen wir, was uns von Gott geschenkt wurde.


Dabei ist der Geist Gottes selbst eine Gabe, ein Geschenk -

das feiern wir ja heute an Pfingsten.

Muss hier etwa ein Geschenk das andere erklären?

Das erinnert an den Bauern, der den Jockel ausschickt,

er soll den Hafer schneiden.

Weil der Jockel nicht tut, was er soll,

schickt ihm der Bauer den Pudel hinterher,

der ihn an seine Aufgabe erinnern soll.

Aber auch der Pudel tut nicht, was er soll,

und so schickt der Bauer den Knüppel,

das Feuer, das Wasser, den Ochsen usw.,

bis es ihm schließlich zu bunt wird

und er selbst dafür sorgt, dass sein Auftrag ausgeführt wird.


Uns wird der Heilige Geist hinterher geschickt,

um das erste Geschenk Gottes zu erklären.


Was ist das für ein Geschenk,

das es uns erst erklärt werden muss?

Anscheinend haben wir nicht einmal bemerkt,

dass wir etwas von Gott geschenkt bekamen.

Der Heilige Geist erklärt es uns nicht nur,

er lässt uns überhaupt erst einmal das Geschenk erkennen.


Im Römerbrief schreibt Paulus (Römer 1,18-20):

„Die Menschen wollten Gottes Wirklichkeit nicht wahrhaben.

Denn eigentlich hätten sie Gott erkennen können,

weil er den Menschen etwas von sich gezeigt hat:

Gott, der Unsichtbare, hat die Welt geschaffen.

Und wenn man vernünftig nachdenkt,

kann man von der Schöpfung, die man sieht,

auf den Schöpfer, den man nicht sieht, schließen

und erkennen, dass er ewig, mächtig und göttlich ist”

(Klaus Berger, Das Neue Testament, S. 151).


Diese Welt ist von Gott geschaffen, schreibt nicht nur Paulus -

die ganze Bibel erzählt davon, dass Gott der Schöpfer ist.

Die Welt ist seine Schöpfung,

Gott hat sie uns geschenkt, wie er uns das Leben geschenkt hat.

Das ist das Geschenk, das man nicht von selbst erkennt.

Weil die Orientierung am Diesseits den Blick dafür verstellt.

Weil man nicht erkennt, was die Welt in Wahrheit ist,

wenn man nicht mit Gott dem Schöpfer rechnet,

nicht an Gott, den Schöpfer glaubt.


Wir kennen das von der Kunst.

Von einem abstrakten Kunstwerk sagen manche:

Was soll das darstellen? Das ist doch keine Kunst!

Es sind nicht nur Banausen, die das sagen.

Wir selbst haben wohl schon vor einem Kunstwerk gestanden

und gerätselt, was es darstellen, was es uns sagen soll.

Eine Gebrauchsanleitung in Form eines Kunstführers,

eines erklärenden Textes zeigte uns, was zu sehen war.

Mit einem Mal erkannte man etwas.

Sobald sich diese Erkenntnis einstellt,

erkennt man auch andere Werke als Kunst,

die man vorher keines Blickes gewürdigt hat.


Das gilt nicht nur für abstrakte Kunst.

Vincent van Goghs Bilder galten zu seinen Lebzeiten

nicht als Kunstwerke.

Selbst Kunstexperten - oder gerade die Kunstexperten -

sahen in ihnen nur Stümperei,

die verunglückten Versuche eines Ungebildeten.

Heute sind van Goghs Werke die teuersten Gemälde der Welt.

Natürlich sagt der Preis eines Kunstwerkes

nichts über seinen wahren Wert aus.

Aber dass wir heute anders über Kunst denken

und z.B. die Arbeiten von Menschen mit einer Behinderung

als Kunstwerke erkennen und anerkennen können,

und dass es heute abstrakte Kunst gibt,

haben wir van Gogh zu verdanken.


Nicht selten ist eine Gebrauchsanweisung, eine Erklärung nötig,

damit man versteht, was man sieht und womit man es zu tun hat.

Das gilt auch für den Dom, dessen Einrichtung,

dessen „Prinzipalstücke”, wie sie Pastor Mischok nennt,

von immer weniger Menschen erkannt und verstanden werden.

Ja, Bedeutung, Sinn und Zweck dieses Gotteshauses selbst

sind vielen Menschen inzwischen schleierhaft.


Das gilt erst recht für unsere Welt.

Es macht einen gewaltigen Unterschied,

ob man die Welt als Materiallager sieht,

das einem beliebig zur Verfügung steht

und mit dem man tun und lassen kann, was man will -

oder ob man begreift, dass sie Gottes Schöpfung ist,

die uns zu treuen Händen anvertraut wurde.

Die Welt gehört uns nicht.

Sie gehört keinem Menschen, aber gerade deshalb

ist sie nicht zur Plünderung freigegeben.

Wir sind Gott, ihrem Schöpfer, verantwortlich

und ihm Rechenschaft schuldig

über unseren Umgang mit dem, was er geschaffen hat.


Es macht auch einen gewaltigen Unterschied,

ob man die Geschöpfe dieser Erde als Verbrauchsmaterial ansieht,

das unsere Bedürfnisse, unseren Appetit, unsere Gier stillen muss,

oder ob man erkennt, dass wir in Wahrheit ihre Mitgeschöpfe sind.

Franz von Assisi nannte sie in seinem „Sonnengesang”

Schwestern und Brüder.

Und Charles Darwin hat in seinem bahnbrechenden Werk

„Über die Entstehung der Arten” dargelegt,

dass wir mit allen Lebewesen auf dieser Erde verwandt sind.


Und schließlich macht es auch einen gewaltigen Unterschied,

ob man andere Menschen als „Ausländer”, „Asylbetrüger”,

„Asoziale” oder „Behinderte” abstempelt -

oder ob man sie als das erkennt, was sie wirklich sind:

Unsere Nächsten, unsere Schwestern und Brüder.

Gottes Töchter und Söhne wie wir.


All das erkennt man nicht von allein.

Man erkennt nicht von allein, dass das Leben ein Geschenk ist,

ein Geschenk Gottes.

Dass diese Welt, alle Geschöpfe darin, unsere Mitmenschen

Geschenke sind, die unser Leben bereichern und erfüllen,

es überhaupt erst lebenswert machen.

Man erkennt auch nicht von allein,

dass wir ein Geschenk sind,

ein Geschenk Gottes für unsere Mitmenschen,

wie es der Dichter Petrus Ceelen formuliert:


Manche Menschen wissen nicht,

wie wichtig es ist, dass sie einfach da sind.


Manche Menschen wissen nicht,

wie gut es tut, sie nur zu sehen.


Manche Menschen wissen nicht,

wie tröstlich ihr gütiges Lächeln wirkt.


Manche Menschen wissen nicht,

wie wohltuend ihre Nähe ist.


Manche Menschen wissen nicht,

dass sie ein Geschenk des Himmels sind.


Sie wüssten es, würden wir es ihnen sagen.


Wir können nicht wissen,

dass wir ein Geschenk Gottes sind,

und dass Gott uns selbst so reich beschenkt

mit dieser Welt, unseren Mitmenschen

und den vielen Menschen,

die wir noch kennenlernen können;

mit den Pflanzen und Tieren,

die diese Welt erfüllen und schön machen.

Darum macht Gott uns ein zweites, großes Geschenk:

Das Geschenk seines Geistes.

Mit Hilfe seines Geistes können wir die Welt

und unsere Mitmenschen mit Gottes Augen sehen.


Wir sehen ihre Schönheit - und ihre Zerrissenheit.

Wir sehen ihr Glück - und ihr Leid.

Wir sehen, was gut ist und stark -

und was schwach und hilfsbedürftig.

Wir sehen Gerechtes, und wir sehen Ungerechtigkeit.

Wir unterscheiden Reichtum und Wohlstand

von Gier und Ausbeutung,

unterscheiden Hilfsbereitschaft von Bevormundung,

scheinbare Schwäche von Menschlichkeit und Nachsicht.


Wem Gott einmal so die Augen öffnete,

wer die Welt einmal mit Gottes Augen sah,

kann die Welt nicht mehr anders denn als Gottes Schöpfung sehen.

Und wie man an einem abstrakten Kunstwerk

nicht mehr achtlos vorbeigeht,

sobald man gelernt hat, es zu verstehen,

und einen van Gogh nicht für eine wilde Kleckserei hält,

so sieht man auch anders,

wenn man mit Gottes Augen zu sehen lernte:

Man sieht in jedem Menschen die Schwester oder den Bruder,

sieht in jedem Lebewesen das Mitgeschöpf.

Und empfindet Ehrfurcht und Respekt vor allem Leben.


Mit einer veränderten Einstellung zum Leben

verändert sich auch unser Verhalten.

Und so verändern Menschen, die von Gottes Geist ergriffen wurden,

Schritt für Schritt die Welt.


Das alles bewirkt Gottes Heiliger Geist.

Heute, an Pfingsten, erinnern wir uns an dieses Geschenk.

Indem wir uns erinnern,

lesen wir den liebevollen Brief,

den Gott seinem Geschenk des Lebens an uns mitgab.

Erfüllt von Gottes Geist wissen wir,

wie wir uns für dieses Geschenk revanchieren können:

Durch einen liebevollen Blick mit Gottes Augen

auf unsere Welt, unsere Mitmenschen,

der sich zeigt durch Freundlichkeit - - - und ein Lächeln.

Donnerstag, 18. Mai 2023

nachfahren

Predigt an Christi Himmelfahrt, 18. Mai 2023, über Lukas 24,44-53


Liebe Schwestern und Brüder,


vor kurzem habe ich hier im Dom

eine Andacht mit Kindern der dritten Klasse gefeiert.

Darin erzählte ich ihnen das Gleichnis vom bittenden Freund:

Mitten in der Nacht klopft er bei seinem Nachbarn an

und bittet ihn um Brot für einen Gast, der unerwartet eintraf.

Jesus erzählt dieses Gleichnis,

um zu beschreiben, wie Gott ist:

Wie der Nachbar sich schließlich erweichen lässt - ob aus Freundschaft

oder wegen der Hartnäckigkeit des Störers, wissen wir nicht -

lässt sich auch Gott von uns bitten, sagte ich den Kindern;

nur brauchen wir bei ihm nur einmal zu klopfen.


Darauf meldete sich ein Junge und fragte:

Warum erzählt Jesus seinen Jüngern, wie Gott ist?

Er ist doch selber Gott!


Warum redet Jesus in Gleichnissen,

wenn er selbst der ist, von dem er spricht?


Als Jesus durch Galiläa zog und im Jerusalemer Tempel lehrte,

ahnten nicht einmal seine Jünger, wer Jesus in Wirklichkeit ist.

Dreimal prophezeite er ihnen, dass er leiden

und am dritten Tage auferstehen müsse.

Dreimal verstanden sie nicht, wovon er sprach.

Dabei zeigte Jesus immer wieder, wer er ist,

wenn er Kranke heilte, einen Toten auferweckte

oder 5.000 Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen sättigte.

Er war bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund.

Doch niemand zog aus seinen Worten und Taten

den Schluss, der für uns heute auf der Hand liegt:

Jesus ist Gottes Sohn.

In ihm ist Gott selbst gegenwärtig.


Selbst nach seiner Auferstehung

begriffen die Jünger:innen noch immer nichts.

Die Frauen am Grab fürchteten sich,

und die Jünger konnten es nicht glauben,

als die Frauen ihnen vom leeren Grab berichteten.

Die zwei, die nach Emmaus unterwegs waren,

erkannten ihn nicht einmal, als er neben ihnen ging

und mit ihnen sprach.

Als er das Brot für sie brach, sahen sie, dass es Jesus war.

Aber sie sahen ihn auch da noch als ihren Freund

und nicht als den, der er ist: Gottes Sohn.


Erkennen wir ihn denn?

Dass Jesus Gottes Sohn ist und in ihm Gott Mensch wurde;

dass der Heilige Geist ausgegossen wurde,

den Jesus seinen Jüngern angekündigt hatte,

und dass Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist

trotzdem ein Gott sind und nicht drei -

das ist ungefähr so leicht zu verstehen

wie Einsteins Relativitätstheorie.


Gott hat die Welt und das Weltall geschaffen.

Er ist größer als unser Universum,

das doch unvorstellbar groß ist.

„Der Himmel und aller Himmel Himmel

können dich nicht fassen”, bekennt Salomo.


Wenn wir uns Gott im „Himmel” denken

und hören, dass Christus in den Himmel aufgenommen wurde -,

dann ist dieser Himmel Gottes nicht der blaue Himmel über uns

mit seinen Hoch- und Tiefdruckgebieten,

seinen Cumulus-, Cumulonimbus- und Cirruswolken.

Er ist nicht das System aus Sonne, Mond

und den 8 oder 9 Planeten, das wir unser „Sonnensystem” nennen.

Er ist nicht der entlegene Winkel in einem Spiralarm unserer Galaxis,

in dem wir zuhause sind;

nicht unsere gigantische Milchstraße selbst

mit ihrem Durchmesser von 100.000 Lichtjahren.

Sie enthält 250 Milliarden Sterne -

und ist doch nur eine von etwa 1.000 Milliarden Galaxien

des sichtbaren Universums.


Gottes Himmel, in den Christus auffährt,

befindet sich jenseits all dessen, liegt weit darüber hinaus.

Noch dazu ist Gott größer als selbst dieser Himmel,

der über allen Himmeln ist.

Dieser Gott wurde ein Mensch wie wir,

vielleicht 1,70, 1,80 m groß, vielleicht 70 kg schwer,

und lebte unter uns.


Wie bringt man das zusammen,

1,70 m Körpergröße und die Lichtgeschwindigkeit,

300.000 km in der Sekunde,

mit der man die Entfernung der Sterne und Galaxien

und die Größe des Weltalls angibt,

die unvorstellbare Zahl von 46,6 Milliarden Lichtjahren?

Man kann sich nicht einmal ein Lichtjahr vorstellen.

Wie soll man denkend durchdringen,

wie soll man sich vorstellen,

dass Gott sogar noch größer ist als diese unendlichen Weiten?


Wir können den Unendlichen im Endlichen nicht erkennen.

Darum blieb Gott auf Erden unerkannt.

Darum erschien Jesus als bloßer Mensch,

verwechselbar mit allen anderen.

Darum haben auch seine Jünger nicht erkannt,

wer Jesus wirklich war.


Die Erkenntnis des Glaubens kann keine Erkenntnis sein,

wie sie Mathematik oder Physik hervorbringen.

Glauben heißt nicht Wissen,

Glauben bedeutet auch nicht das Verstehen,

das wir meinen, wenn wir sagen: Das habe ich jetzt verstanden.

Glaubenserkenntnis stellt sich nicht ein,

wenn man nur genug über den Glauben gelesen oder gelernt hat.


Das Verstehen des Glaubens ist ein Verständnis der Schrift.

Auch hier wieder: Kein Wissen über die Bibel.

Die Kenntnis der Alten Sprachen,

das Studium der Theologie nützen einem hier nichts.

Verständnis der Schrift bedeutet vielmehr:

ein Licht geht uns auf.

Dieses Licht ist Christus, der von sich sagt:

„Ich bin das Licht der Welt.”


Wenn uns dieses Licht aufgeht, erkennen wir:

Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde,

ist derselbe, der die Welt geschaffen

und sein Volk Israel aus Ägypten befreit hat.


Der die Propheten inspirierte

und von dem die Psalmen singen ist der,

der zur Umkehr rief, Sünden vergab,

am Kreuz starb und am dritten Tage auferstand.

Diese Erkenntnis, dass Christus Grund und Mitte der Schrift ist

- das ist der Schlüssel, der uns die Heilige Schrift, die Bibel, aufschließt.


Wie bekommt man diesen Schlüssel, wo findet man ihn?

Für uns liegt es klar auf der Hand, Jesus sagt es ja selbst:

„ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat.”

Gott kann man nur durch Gott erkennen.

Der Schlüssel, der uns die Schrift aufschließt,

ist Gottes Heiliger Geist.


Doch der Geist lässt sich nicht handhaben,

wie man einen Schlüssel benutzt, um aufzuschließen.

In diesem Leben, unter diesem Himmel,

der sich über uns wölbt wie das Gewölbe des Domes,

bekommen wir Gott nicht zu sehen.

Denn das würde bedeuten, dass wir in Gottes Reich vordringen.

Gottes Reich - für uns ist es nicht zu erreichen.

Und zugleich ist es uns so nah,

dass nur eine dünne Wand uns von ihm trennt.


Gottes Geist lässt sich nicht handhaben.

Wir können ihn weder begreifen noch ergreifen.

Aber er ergreift uns.

Wir merken es daran, dass wir Jesus nachfolgen.

„Nachfahren” nennt es das Lied, das wir gleich singen werden (EG 122).

Beim „Nachfolgen” denken wir ans Hinterhergehen:

„Jesu, geh voran auf der Lebensbahn!

Und wir wollen nicht verweilen dir getreulich nachzueilen.”

Wir sind Nachfolger:innen Jesu.


Und wir sind auch seine Nachfahren.

Wir sind die, die zurückbleiben, nachdem er gegangen ist.

Jesus, der aufgefahren ist in den Himmel,

hat uns, seinen Nachfahren, den Auftrag gegeben,

sein Werk fortzusetzen.

Unsere Aufgabe besteht darin,

„dass gepredigt wird in seinem Namen

Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern.”


Jesus nachfahren heißt, sein Werk fortführen:

Menschen Gottes Liebe bringen,

die sie zur Umkehr bewegt und ihnen Gottes Vergebung zuspricht.

Wer Jesus nachfährt, wird immer wieder Fragen begegnen,

wie sie der Schüler der dritten Klasse mir stellte.

Beim Versuch, auf solche Fragen die Antwort des Glaubens zu geben

in Worten oder Taten,

öffnet sich uns das Verständnis der Schrift.


Dieses Verständnis erlangt man nicht am grünen Tisch,

nicht in der Studierstube.

Sondern indem man mit dem Glauben umgeht

und Christus nachfährt, und das heißt:

sich Menschen zuwendet und ihnen Gottes Liebe entgegenbringt.

Das kann mit Worten geschehen

oder durch das, was man mit anderen oder für andere tut.

Es kann hier im Gottesdienst geschehen,

an einem Krankenbett, auf der Straße,

in der Schule oder im Büro.

Überall gibt es Menschen, die Gottes Liebe brauchen.

Wir, die Nachfahren Christi, dürfen diese Liebe weitergeben.

Wo das geschieht, blitzt in unserer kleinen Welt

das Licht auf, das Christus ist,

und Gottes Geist durchdringt und erfüllt uns.

Sonntag, 7. Mai 2023

einstimmen

Predigt am Sonntag Kantate, 7. Mai 2023, über 1.Samuel 16,14-23


Liebe Schwestern und Brüder,


die Lage, in der Saul sich befindet, ist aussichtslos:

Gottes Geist hat ihn verlassen.

Saul spürt, dass seine Beziehung zu Gott sich verändert hat.

Statt Begeisterung empfindet er nun Bedrückung.

Gott beseelt und beflügelt ihn nicht mehr,

Gott macht ihm zu schaffen.


Das 1. Samuelbuch erklärt diesen Sinneswandel Gottes damit,

dass Saul nicht tat, was Gott ihm befohlen hatte.

Gott war von Saul enttäuscht.

Für ihn war er als König untragbar geworden.

Darum wurde das Königtum von Saul genommen und David gegeben.

Unmittelbar vor dem Predigttext wird erzählt,

wie Samuel zu Isai kommt, sich dessen Söhne zeigen lässt

und schließlich David, den Jüngsten, zum König salbt.

David kommt inkognito als Gesalbter,

als heimlicher neuer König an den Hof des König Saul.


Eine solch brüske Abkehr Gottes aus Enttäuschung

wird auch an anderer Stelle der Bibel beschrieben.

Am Anfang der Sintflutgeschichte heißt es:


„Als aber der Herr sah,

dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden

und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar,

da reute es den Herrn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden,

und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach:

Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde.”


Es klingt so, als sei es mit Saul genauso:

Gottes Erwartungen an Saul wurden enttäuscht, darum lässt er ihn fallen,

ohne ihm eine zweite Chance zu geben, wie er sie später David gewährt.


Aber hier geht es nicht um Gott, sondern um Saul.

Saul, der sich in einer ausweglosen Situation wiederfindet.

Gott hat sich nicht von Saul abgewandt.

Aber Saul empfindet es so;

er fühlt sich von einem bösen, strafenden Gott heimgesucht.


Das Gefühl, in einer Sackgasse festzustecken,

vom Leben, vom Schicksal oder von Gott benachteiligt

oder sogar bestraft zu sein,

ist auch manchen von uns nicht fremd.

Alles hat sich gegen eine:n verschworen.

Immer hat man das Nachsehen, wird man benachteiligt.

Alle anderen haben Glück, man selbst geht aber immer leer aus.

Wenn dieses Gefühl der Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit überhand nimmt,

spricht man von einer Depression.

Wer an einer Depression erkrankt, fühlt sich genauso ohnmächtig wie Saul

und könnte wohl auch einem bösen Geist die Schuld geben.


Es muss aber nicht gleich so schlimm kommen.

Die Schwester der Depression ist die Schwermut,

in die man manchmal verfällt,

in der man aber nicht gleich versinkt.

Aus der Schwermut kann man wieder herausfinden.

Dabei hilft, wie der Predigttext zeigt, die Musik.


Schwermut, das ist eine gedrückte,

eine bedrückende Stimmung, eine Ver-Stimmung.

Im Deutschen ist die Stimmung mehrdeutig:

Sie beschreibt eine Atmosphäre, z.B. die Abendstimmung.

Sie beschreibt, wie man sich fühlt, wie man gestimmt ist.

Und man bezeichnet mit der Stimmung den Wohlklang eines Musikinstrumentes

wie der Harfe, die David spielt.

Wenn ein Instrument gestimmt ist, klingt es schön und „richtig”.

Wenn es verstimmt ist, kann es nicht nur einem musikalischen Menschen

die gute Laune verderben.


David ist bei Saul als Stimmungsmacher angestellt.

Mit seinem Instrument sorgt er dafür, dass Sauls Stimmung sich aufhellt.

Seine Verstimmung vergeht; Saul wird durch Davids Harfenspiel besser gestimmt.

Das liegt sicher daran, dass David sein Instrument beherrscht

und dass er es gestimmt hat.

Katzenmusik hätte Saul nicht geholfen.


Aber auch die schönste Musik hellt nicht automatisch eine düstere Stimmung auf.

Es muss noch etwas dazukommen.


Chorsänger:innen lernen, auf die anderen im Chor zu hören.

Und auf den Kantor, der den Einsatz gibt.

Bevor man zu singen beginnt, stimmt man ein in den Ton, den er angibt.

Erst, wenn sich alle auf denselben Ton eingestimmt haben,

stellen sich Einklang und Harmonie ein.


Stimmt man in einen Ton, eine Melodie ein, macht man sich diese Musik zu eigen.

Nimmt sie in sich auf, wird durchlässig dafür, um sie dann weiterzugeben.

Wer in eine Melodie einstimmt, kann von ihr ergriffen werden.

Jede:r, die schon einmal einen Ohrwurm hatte, weiß, was ich meine.

Musik kann ergreifen, und sie kann auch verändern.

Darum drehen manche den Lautsprecher auf, bis sie den Bass im Bauch spüren:

Sie lassen sich von der Musik durchfluten und mitreißen,

lassen die Musik wie eine Dusche alles wegspülen, was sie belastet oder beschäftigt.


Ob man sich so passiv von der Musik ergreifen und umstimmen lässt,

oder ob man aktiv in die Musik einstimmt und die Melodie mitsingt:

Musik verändert die Stimmung und kann auch aus der Schwermut befreien.

Musik kann die Mauern, in die wir uns eingeschlossen fühlen

oder die wir selbst um uns gezogen haben, verflüssigen, rissig werden lassen,

sogar zum Einsturz bringen.

So haben vielleicht auch die Posaunen von Jericho die Mauern der Stadt

nicht durch ihre Lautstärke eingerissen,

oder weil die Töne so schrecklich schrill klangen, dass die Steine dadurch zerplatzten.

Sondern weil die Musik die Blockaden löst, die uns von Gott trennen -

oder mit denen wir uns von Gott trennen -,

und Gott dadurch wirken, Wunder wirken kann.


David erreicht mit seiner Musik, dass der böse Geist Saul verlässt.

Vielleicht aber war es genau andersherum:

Durch Davids Musik findet Saul zu der Begeisterung zurück,

die ihn früher mit Gott verbunden hat.


Sauls Tragik besteht darin, dass er sich mit David unwissentlich

seinen Nachfolger ins Haus geholt hat.

Er tritt mit David in eine Konkurrenz, bei der er nur verlieren kann.

Als König hat Saul keine Zukunft mehr - die gehört David.

In seiner Beziehung zu Gott dagegen ist noch alles möglich.

Es müsste Saul nur gelingen, das Gefühl loszuwerden,

dass sich alles gegen ihn verschworen hat.

Diesen Stimmungswandel kann die Musik herbeiführen.

Sie kann Mut machen, Verfestigungen lockern,

sodass neue Möglichkeiten in den Blick kommen.

Sodass Gott wieder in den Blick kommt und man erkennt:

Er ist nicht Gegner oder Feind, sondern Freund.

Er könnte Wunder wirken, wenn man ihn ließe.


Was die Musik nicht leisten kann: Dieses Wunder zu wirken.

Das vermag nur Gott.

Damit Gott wirken kann, bedarf es nur eines Schrittes aus dem Kreis heraus,

den die Schwermut gezogen hat.

Die Musik kann diesen Kreis aufbrechen.

Den Schritt heraus, den muss man selber gehen.