Donnerstag, 28. Februar 2019

Nimm dir Zeit

Predigt am Sonntag Estomihi, 3. März 2019, über Lukas 10,38-42:

Auf der Wanderung mit seinen Jüngern ging Jesus in ein Dorf.
Eine Frau namens Martha nahm ihn gastfreundlich auf.
Sie hatte auch eine Schwester, die Maria hieß.
Die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte ihm zu.
Martha aber war von vielen Arbeiten in Anspruch genommen.
Sie trat an Jesus heran und sprach:
Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein arbeiten lässt?
Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!
Jesus antwortete ihr:
Martha, Martha, du machst dir Sorgen und Unruhe über so vieles; nötig aber ist nur eins.
Maria hat sich den guten Teil ausgesucht; den soll ihr niemand wegnehmen.

Liebe Schwestern und Brüder,

womit könnte man Ihnen eine Freude machen?
Bei einem Kleinkind ist die Antwort auf diese Frage noch recht einfach.
Es hat wenige Bedürfnisse: Schlafen, Essen und die Nähe von Mutter oder Vater.
Obwohl auch Kleinkinder ihre Momente haben, in denen sie todunglücklich sind und man sich verzweifelt fragt, was ihnen fehlt.
Manchmal reicht es, den Schnuller zurückzutun.
Manchmal versucht man gefühlte Stunden, das Kleine zu beruhigen.

Je älter man wird, desto komplexer und komplizierter scheinen die Bedürfnisse zu werden.
Eltern scheitern regelmäßig daran, es einem pubertierenden Jugendlichen recht zu machen und geben es irgendwann auf - zum Glück! In diesem Alter ist nichts lästiger und peinlicher, als von den Eltern ständig gefragt und betüdelt zu werden.
Zugleich sehnt man sich heimlich nach der Zeit zurück, als man noch einfach zu Mama oder Papa aufs Sofa krabbeln und sich ankuscheln konnte.

I. Womit könnte man Ihnen eine Freude machen?
Die Antwort auf diese Frage hängt ab vom Alter, vom Anlass und von dem, der fragt.
Geht es um ein Geburtstagsgeschenk? Will sich jemand bedanken?
Fragen die Eltern? Fragt eine Freundin oder Nachbarin?
Wie auch immer, als erstes denkt man wohl an materielle Dinge - je nach Frager und Alter des Gefragten von Süßigkeiten bis X-Box, von Blumenstrauß bis Diamantring oder von Bier bis Bohrmaschine.

Unsere wirklichen Wünsche, unsere wirklichen Bedürfnisse - die, über die man nicht offen spricht; die man höchstens der Partnerin oder dem Partner anvertraut - sind nicht materieller Natur.
Sie sind weitaus bescheidener, aber im Grunde viel anspruchsvoller und viel wertvoller:
Zeit mit Menschen, die man gern hat, die man liebt.
Zuhören, ohne dass der andere genervt oder abgelenkt ist; ohne dass im Hintergrund der Fernseher läuft und ohne dass der andere schon weiß, was man sagen wird.
Zärtlichkeit.

Zeit, Zuhören und Zärtlichkeit sind die Grundbedürfnisse jedes Menschen - neben Essen, Trinken und Schlafen.
Die einen bekommt man mehr oder weniger jeden Tag erfüllt, oder erfüllt sie sich selbst.
Auf die anderen muss man manchmal lange warten.
Manche warten wochen- oder monatelang.
Manche haben das Warten aufgegeben.

II. Jesus kommt bei Martha und Maria zu Besuch.
Ein Besuch ist immer eine Herausforderung.
Denn da stellt sich genau diese Frage: Womit kann man dem Gast eine Freude machen?
Auch hier gibt es keine Standardlösung. Es hängt davon ab, wie nah einem der Besucher steht, wie weit die Reise war und wie häufig man sich sieht. Als Faustregel kann gelten: je lieber, je weiter weg und je seltener Besuch, desto aufwändiger und umfangreicher die Vorbereitungen.
Der Gast soll an dem Aufwand, den man für ihn betreibt, ablesen können, wie gern man ihn hat, wie sehr er vermisst wurde.
Irgendwie ist das ja auch die Erwartung, die man als Besucher hat: Wenn man z.B. als Tochter oder Sohn nach längerer Zeit nach Hause kommt, wäre man schon enttäuscht, wenn einem nicht das Leibgericht aufgetischt würde.

Man kann gut verstehen, dass und warum Martha im Haushalt herumwirbelt.
Wahrscheinlich räumt sie schnell noch etwas auf, bezieht das Gästebett, legt Handtücher heraus, hat Essen auf dem Herd und überlegt, was es zum Nachtisch geben soll. Ein Kuchen zum Kaffee muss auch noch gebacken werden. Die Eier reichen nicht; jemand müsste zur Nachbarin, welche borgen - und wo steckt eigentlich Maria???
Maria kümmert sich um die Gäste.
Aber dazu ist jetzt keine Zeit. Die Gäste müssen sich einen Moment um sich selbst kümmern. Es sind ja genug, Jesus und seine Jünger; da fällt es nicht weiter auf, wenn die Gastgeberinnen einen Augenblick nicht dabei sind.

III. Martha in der Küche, Maria zu Jesu Füßen - da ist doch klar, auf wessen Seite man steht: Auf Marthas Seite. Wie Martha bringen auch wir unsere Freude über den Besuch, unsere Zuneigung und Liebe durch Geschäftigkeit zum Ausdruck. Unser Gast soll sich wohlfühlen. Er soll spüren, wie sehr er willkommen ist, wie lieb wir sie oder ihn haben - und Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.
Nach 12 Stunden Flug und 6 Stunden Autofahrt ist man wahrscheinlich auch froh und dankbar, wenn man erst einmal etwas zu essen bekommt, duschen und in ein frisch bezogenes Bett schlüpfen kann. Zum Erzählen ist morgen noch Zeit.
Aber man ist nicht nur Martha, wenn seltener und lieber Besuch aus der Ferne anreist.
Man ist immer Martha. „Kann ich dir etwas anbieten“ ist die erste Frage, die einem Gast gestellt wird. Oder, um es mit den drastischen Worten Bertold Brechts zu sagen: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“.

In unseren Breiten ist niemand so verhungert oder verdurstet, dass man sich zuerst um das leibliche Wohl kümmern müsste. Und doch ist es das erste - und oft auch das einzige - das man seinen Gästen anbietet. Mit Zeit, Zuhören und Zärtlichkeit tut man sich schwer, und zwar in aufsteigender Reihenfolge: Gelingt es meist noch, sich etwas Zeit für den Gast freizuschaufeln, wird es mit dem Zuhören - dem richtigen, zugewandten und einfühlsamen Zuhören - schon sehr viel schwerer. Von Zärtlichkeit ganz zu schweigen.

IV. Maria hat sich den guten Teil ausgesucht.
Während Martha in der Küche und im Haus wirbelt und schuftet, sitzt Maria bloß herum. Klar, dass ihr Teil der gute Teil ist, sie braucht keinen Finger zu rühren.
Aber Maria ist nicht faul, und sie ist auch nicht untätig. Sie bemüht sich ebenso um die Gäste wie Martha. Nur widmet sie sich nicht den materiellen Bedürfnissen der Gäste, sondern dem, was sie sich wirklich wünschen und womit sie ihnen eine Freude machen kann: Sie nimmt sich Zeit. Sie hört zu. Vielleicht spendet sie sogar Zärtlichkeit, indem sie die Füße Jesu berührt.
Man sieht es im Allgemeinen nicht als Arbeit an, sich für jemanden Zeit zu nehmen, ihr oder ihm zuzuhören.
Es ist aber Arbeit, wenn man sich dem anderen wirklich zuwendet und dabei darauf verzichtet, an sich zu denken, etwas für sich zu tun. Wer das einmal versucht, wird rasch merken, wie anstrengend es ist.

Was für die zwischenmenschlichen Beziehungen gilt, gilt auch für den Glauben.
Glaube umfasst auch all das, was man mit Martha in Verbindung bringt:
Sich für andere einzusetzen. Das Gemeindehaus, die Kirche in Ordnung und instand zu halten. Die Finanzen der Gemeinde im Auge zu behalten und nach Möglichkeit zu mehren.
Aber ebenso wichtig ist es, sich Zeit für Gott zu nehmen.
Gott zuzuhören, indem man betet, in der Bibel liest, den Gottesdienst besucht.
Und wie ist es mit der Zärtlichkeit?
Ich glaube, man kann auch zu Gott zärtlich sein,
wenn man behutsam mit seiner Schöpfung umgeht, mit Pflanzen, Insekten, Tieren und Menschen.

V. Martha und Maria - wir haben Anteil an beiden, wie beide ihren Platz und ihr Recht haben.
Es geht nicht darum, eine gegen die andere auszuspielen oder eine der anderen vorzuziehen.
Es geht darum, Prioritäten zu setzen: Ob erst das Fressen kommt und dann die Moral, oder ob an erster Stelle die Zuwendung zum Mitmenschen steht und dann die materiellen Dinge.
Man ist oft versucht, seine Unlust oder seine Schwierigkeiten damit, sich Zeit zu nehmen, richtig zuzuhören oder zärtlich zu sein, mit Betriebsamkeit zu überspielen. Wir hoffen, dass der andere trotzdem merkt, wie gut wir es mit ihm meinen, wie lieb wir ihn haben. Doch so sehr Liebe auch durch den Magen geht: Wichtiger ist, dass man sie zeigt, indem man sich für den anderen Zeit nimmt.

Sonntag, 24. Februar 2019

Leiten wie Lydia

Predigt am Sonntag Sexagesimae, 24. Februar 2019, über Apostelgeschichte 16,9-15:
(Gottesdienst zur Verabschiedung)

Paulus hatte eines Nachts eine Vision:
Ein Mazedonier stand da und bat ihn:
Setze nach Mazedonien über und hilf uns!
Wie er nun die Vision hatte,
wollten wir sofort nach Mazedonien reisen,
denn wir schlossen daraus,
dass Gott uns dazu berufen hatte, ihnen zu predigen.
Nachdem wir von Troas ausgelaufen waren,
fuhren wir geradewegs nach Samothrake
und am folgenden Tag nach Néapólis,
dem Hafen von Philippi.
Von dort gingen wir nach Philippi,
eine Stadt im ersten Bezirk Mazedoniens,
eine römische Militärkolonie.
Wie hielten uns in dieser Stadt einige Tage lang auf.
Aber am Sabbat gingen wir durch das Tor hinaus zum Fluss,
wo wir eine Synagoge vermuteten.
Wir setzten uns und sprachen mit den Frauen,
die sich dort versammelt hatten.
Eine Frau, die zuhörte, war Lydia.
Sie war eine Purpurhändlerin aus Thyatira
und eine Gottesfürchtige.
Ihr öffnete der Herr das Herz,
sodass sie auf das hörte, was Paulus sagte.
Als sie dann mit ihrem ganzen Haus getauft war,
sprach sie eine Einladung aus:
Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube,
kommt in mein Haus und bleibt dort.
Und sie nötigte uns.


Liebe Schwestern und Brüder,
„prüfet alles, was gut ist, das behaltet!
Siehe, hier will Paulus keine Lehre noch Satz gehalten haben,
es werde denn von der Gemeinde, die es hört,
geprüft und für gut erkannt.
Denn dieses Prüfen geht ja nicht die Lehrer an,
denn die Lehrer müssen zuvor sagen,
das man prüfen soll.
Also ist … das Urteil den Lehrern genommen
und den Schülern gegeben unter den Christen.

(Martin Luther, Dass eine christliche Versammlung oder Gemeine …, 1523,
in: Clemen, Otto (Hrsg.), Luthers Werke in Auswahl, Bd. 2, S. 398)
Paulus lässt sich prüfen.
Paulus, ein studierter Theologe.
Beim berühmten Rabbi Gamaliel in die Schule gegangen.
Bewandert in der Schrift
und in den Traditionen des Judentums.
Von Christus einer Vision gewürdigt
und zum Apostel berufen.
Paulus lässt sich prüfen.
Von einer Frau.
Keiner studierten Theologin.
Das wäre damals gar nicht möglich gewesen.
Wo hätte sie studieren sollen?
Wer hätte eine Frau unterrichtet?
Lydia ist eine Kauffrau,
spezialisiert auf wertvolle Stoffe.
Nebenbei interessiert sie sich für den Glauben.
Sie ist eine „Gottesfürchtige“:
Sie besucht den Gottesdienst,
sie kennt die Gebete und die Bibel.
Aber den letzten Schritt:
den Übertritt zum Judentum,
kann oder will sie nicht vollziehen.

Paulus und Lydia -
das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.
Aber selbst, wenn Sympathie
oder gar Liebe hier eine Rolle spielen sollten:
Die beiden sind nicht allein.
Lydia hat ihren gesamten Haushalt dabei:
ihre Angestellten und Verwandten.
Und Paulus reist mit Silas und Timotheus, seinen Kollegen.

Diesmal geht es nicht um Liebe, sondern um den Glauben -
wobei beide sich nicht ausschließen,
weil das eine mit dem anderen viel zu tun hat.
Paulus war aufgrund einer Vision nach Philippi,
der Hauptstadt Mazedoniens, gereist:
Ein Europäer hatte ihn um Hilfe gebeten.
Ein kleiner Schritt für Paulus,
aber ein großer, wenn nicht entscheidender Schritt
für den Glauben an Christus:
Der christliche Glaube springt von Kleinasien nach Europa.
Dieser Sprung,
zusammen mit dem Aufgeben der jüdischen Traditionen,
trennt den neuen Glauben von seinen jüdischen Wurzeln
und macht ihn interessant für Menschen wie Lydia,
die aus anderen Kulturkreisen,
anderen Glaubenstraditionen kommen
als Jesus und seine Jünger.

Der erste Europäer,
der sich dem Glauben an Christus zuwendet,
ist eine Europäerin.

Paulus könnte zu Lydia sagen,
was leitende Männer der christlichen Kirche nach ihm
über Jahrhunderte hinweg bis heute sagen:
„In meiner Vision sah ich einen Mann, keine Frau.
Die Jünger Jesu waren Männer.
Du als Frau bist nicht berufen.“

Das sagt Paulus aber nicht.
Paulus reagiert anders als die vielen Kirchenleiter nach ihm,
die sich auf die Bibel berufen.
Er lässt sich von Lydia einladen.

Dass Paulus Lydias Einladung annimmt -
auch wenn sie ihm diese quasi aufdrängen muss -
hat große Bedeutung.
Lydia, die schlaue Händlerin,
knüpft ihre Einladung nämlich an eine Bedingung:
„Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, 
kommt in mein Haus“.
Indem Paulus mit seinen Kollegen das Haus Lydias betritt,
erkennt er sie als seinesgleichen an.
Damit wird Lydia zur ersten Pastorin -
auch, wenn es dieses Amt damals noch nicht gab.
Nachdem sie mit allen ihren Angestellten
und Familienmitgliedern getauft worden war,
wurde ihr Haus zur ersten christlichen Gemeinde Europas.
Und sie, als Hausherrin, zu deren erster Pastorin.

Ja, aber, aber …
kann Lydia denn einfach so Pastorin werden?
Ohne Theologiestudium,
ohne Urkunde von der Landeskirche?
Martin Luther, den ich schon eingangs zitierte,
schreibt an die Gemeinde in Leisnig an der Mulde:
„Ein Christ hat so viel Macht,
dass er auch mitten unter den Christen
unberufen durch Menschen
mag und soll auftreten und lehren,
wo er sieht, dass der Lehrer daselbst fehlet,
so aber, dass es sittig und züchtig zugeht.
Das hat S. Paulus deutlich beschrieben
1.Korin 14, da er spricht:
Wird dem, der dasitzt, etwas offenbart,
so soll der Erste schweigen.
Sieh da, was hier S. Paulus tut:
Er heißt den schweigen und abtreten
mitten unter den Christen,
der da lehret,
und den auftreten,
der da zuhöret und unberufen ist,
das alles darum,
dass Not kein Gebot hat.“
(S. 400)
Lydia wird Pastorin aus der Not heraus.
Es gibt in ganz Europa noch keine christliche Gemeinde;
eine muss den Anfang machen.
Aber ist dazu nicht Paulus da?
Paulus, der gelernte und gelehrte Theologe,
könnte doch die Gemeinde in Philippi leiten!
Er hat viel mehr Ahnung, viel mehr Erfahrung als Lydia -
und er ist ein Mann!

Doch das Gemeindeleiten ist nicht so Paulus’ Ding.
Auch predigen kann er nicht besonders gut.
Es ist fast schon ein Wunder, dass er Lydia
für den christlichen Glauben begeistern konnte.
Paulus’ Stärken liegen im theologischen Denken und Formulieren.
Briefe schreiben, das kann er.
„Aber wenn er selbst anwesend ist, 
ist er schwach und seine Rede kläglich“ (2.Kor 10,10).

Paulus hat Lydia gegenüber die Größe,
keinen Dünkel zu besitzen.
Weder bildet er sich auf sein theologisches Wissen
noch auf sein Mannsein etwas ein.
Auch wenn er später sehr problematische Dinge
über die Rolle von Frauen in der Gemeinde schreiben wird:
Hier in Philippi macht er ernst damit,
dass unter Christen Unterschiede der Herkunft,
der gesellschaftlichen Stellung
oder des Geschlechts keine Rolle spielen (Gal 3,28).
Genau das macht den Charme
und die Anziehungskraft des christlichen Glaubens aus:
Dass er - zumindest am Anfang -
keinen Dünkel kannte und keine Unterschiede machte
und so allen in der Gemeinde eine Chance gab,
ihre Gaben einzubringen.

Daran konnte Martin Luther anknüpfen,
diese verborgene Stärke des christlichen Glaubens
hat er wiederentdeckt.
Darum war die reformatorische Bewegung,
die er auslöste, so erfolgreich:
Sie stellte die Machtverhältnisse in der Gemeinde
vom Kopf wieder auf die Füße.

Statt dass ein Einzelner entschied,
wer die Gemeinde leiten sollte,
wählte die Gemeinde sich ihren Hirten selbst.

Statt dass einer erklärte, was richtig oder falsch,
was zu glauben und was zu verwerfen war,
machte die Gemeinde mit ihrer Berufung ernst,
„dass ein jeglicher Christ Gottes Wort hat
und von Gott gelehrt und gesalbt ist zum Priester“
(S. 399).
Statt das Priesteramt von einer Kaste von Prälaten
verwalten und vergeben zu lassen,
wählte die Gemeinde unter sich
„diejenigen, so man geschickt dazu findet
und die Gott mit Verstand erleuchtet
und mit Gaben gezieret hat“
(ebd.).
Vordergründig geht es um Fragen des Glaubens.
Aber im Hintergrund geht es immer wieder
und immer nur um Macht.
Die Macht, Posten zu vergeben.
Die Macht, über Richtig und Falsch zu urteilen.
Die Macht, zu sagen, wo’s langgeht.
Offiziell heißt es, dass diese Fragen
nur aus der Hl. Schrift entschieden werden können.
Anfangs war das auch so:
Paulus streitet sich mit den anderen Aposteln
über das Verständnis der Schrift.
Auch Luther besteht darauf,
aus der Schrift widerlegt zu werden
und stellt der Leisniger Gemeinde
ein theologisches Gutachten aus,
das sich allein auf die Bibel beruft.
Aber schon bald greifen die gut geölten Zahnräder
wieder ineinander;
alte Seilschaften finden sich zusammen,
neue werden gegründet.
Luther ahnt das.
Deshalb schreibt er den Leisnigern ins Stammbuch:
„Alle Warnung, die S. Paulus tut …,
ebenso aller Propheten Spruch …,
die tun nichts anders,
denn dass sie das Recht und die Macht,
alle Lehre zu urteilen,
von den Lehrern nehmen
und mit ernstlichem Gebot
bei der Seelen Verlust
den Zuhörern auferlegen,
also … sinds schuldig zu urteilen
bei göttlicher Majestät Ungnade,
dass wir daran sehen,
wie die Tyrannen so unchristlich mit uns gefahren haben“
(S. 398).
Die Gemeinde hat nicht nur das Recht,
alle Lehre zu prüfen.
Sie hat auch die Pflicht dazu.
Luther schärft diese Pflicht
mit besonders starken Drohungen ein:
Wer diese Pflicht vernachlässigt,
verliert seine Seele und fällt bei Gott in Ungnade!
Wie kann Luther der Gemeinde nur solche Angst machen!?
Es kann doch nicht jeder Theologie studieren!?

Jede und jeder kann Verantwortung
für den Glauben übernehmen.
Dazu gehört, dass man sich informiert.
Die Stärke der ersten Christen
und die Stärke der reformatorischen Bewegung
lag in ihrer Bibelfestigkeit.
Die Gläubigen ließen sich nicht mehr länger
mit frommen Geschichten abspeisen;
sie ließen sich nicht mehr länger sagen,
was sie glauben sollten.
Sie wollten selber entscheiden können,
wollten wissen, was tatsächlich in der Bibel stand,
und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen.

Das Dilemma unserer Kirche
wie unserer Gesellschaft besteht darin,
dass man sich scheut,
selbst zu denken,
sich gründlich zu informieren
und Verantwortung zu übernehmen.
Wozu hat man denn die Pfarrerin, den Pfarrer!?
Wozu hat man denn die Politiker!?

Wer leitet, braucht aber die Überprüfung.
Nicht, weil er oder sie alles falsch macht.
Nicht, weil man Leitenden, wie Lenin sagt,
nicht trauen kann und nicht trauen darf.
Sondern weil man etwas so großes
wie eine Kirche oder einen Staat,
eine Kirchgemeinde oder eine Kommune
nun einmal nicht allein leiten kann.
Durch das Prüfen der Leitenden
erwirbt man Wissen und Know-How.
Man wird eine mündige Christin, eine mündige Bürgerin.

Lydia wurde Christin,
weil sie Paulus kritisch zuhörte.
Das, was er sagte, hat ihr,
die schon viel über den Glauben nachgedacht hatte,
etwas gesagt.
Durch ihr Interesse und ihr Nachdenken
erwarb sich Lydia Kompetenzen,
die sie zur Leitung der Gemeinde befähigten.

Die Gemeinde in Philippi, das Haus Lydias,
ist zeitlebens Paulus’ Lieblingsgemeinde geblieben.
Vielleicht war da ja doch mehr
als nur das gemeinsame Interesse am Glauben.
Jedenfalls gab die Gemeinde in Philippi die höchsten Kollekten
und versorgte Paulus im Gefängnis,
schickte ihm Essen, Briefe und Besucher.

Kurze Zeit später wurde die Gemeinde in Rom gegründet.
Bald war Philippi nur noch eine kleine,
unbedeutende Gemeinde am Rand Europas.
Nach Lydia wird sicher ein Mann
die Leitung der Gemeinde übernommen haben.
Aber der Name dieser klugen Frau blieb erhalten.
Und ihr Erbe:
Selber zu denken,
auch in Fragen des Glaubens;
und Verantwortung zu übernehmen,
auch für den Glauben.

Amen.

Sonntag, 17. Februar 2019

Ab durch die Mitte!

Predigt am Sonntag Septuagesimae, 17. Februar 2019, über Kohelet 7,15-18:

Das alles sah ich in meinem nichtigen Leben:
Da ist ein Gerechter, der an seiner Gerechtigkeit zugrunde geht.
Und da ist ein Ungerechter, der in seiner Bosheit lange lebt.
Sei nicht übermäßig gerecht und gebärde dich nicht allzu weise -
warum willst du dich zugrunde richten?
Sei nicht übermäßig ungerecht und sei kein Narr -
warum willst du vor der Zeit sterben?
Gut, wenn du an diesem festhältst
und auch bei jenem nicht nachlässt.
Denn wer gottesfürchtig ist, entgeht dem allen.


Liebe Schwestern und Brüder,

wie wollen wir leben?
Ist das eine Frage?
Das Leben mit allem, was es bietet, kann einen so in Anspruch nehmen,
dass man gar nicht auf die Idee kommt, man hätte eine Wahl:
Es gibt so viel zu sehen, zu erleben,
zu schmecken, zu hören, zu fühlen und zu riechen.
Es gibt so viel zu tun und zu erledigen.
Es gilt, so viele Leute zu treffen,
so viele fremde Gegenden und Länder kennen zu lernen.
Das Leben selbst sorgt dafür, dass man nicht zur Besinnung
und damit zum Nachdenken kommt.
Ständig verändert sich etwas,
ständig präsentieren sich einem neue Herausforderungen und Probleme.

I. Wie wollen wir leben?
Trotz allem, was es zu erleben gilt,
trotz aller Anforderungen, die das Leben stellt,
kann man dieser Frage nicht ausweichen.
Sie drängt sich auf.
Darum kommen wir unter anderem heute und an den anderen Sonntagen zusammen,
weil uns diese Frage umtreibt und wir eine Antwort darauf suchen.

Die Antwort des Predigers ist überraschend und vielleicht sogar enttäuschend:
Wähle den Mittelweg. Wähle das Mittelmaß.
Mittelmäßig möchte man eigentlich nicht sein.
Mit dem Mittelmaß gibt man sich in der Regel nicht zufrieden.
Auch, wenn laut Gauß‘scher Normalverteilung
die meisten von uns mittelmäßige Schülerinnen und Schüler
oder sogenannte „Otto-Normalverbraucher“ sind.
Man sucht sich das ja nicht aus.
Man tendiert in eine Richtung und denkt oft in Gegensätzen:
Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Links und Rechts usw.
Im Laufe der Zeit pendelt man sich allerdings in dem Bereich ein,
der von den großen Parteien so heftig umworben wird:
in der Mitte.

Und nun sagt der Prediger:
Mitte ist gut!
Will er, dass wir alle nur mittelmäßig sind?
Will er, dass wir uns mit dem Mittelmaß zufrieden geben?

II. Die Frage, wie man leben soll,
beantwortet der Prediger unter dem Blickwinkel eines gläubigen Menschen.
Unter diesem Blickwinkel gibt es zwei Haltungen:
gerecht zu sein, d.h. sich an Gott und seine Gebote zu halten,
sich um Weisheit zu bemühen, weil sie hilft, Gottes Wort zu verstehen.
Und ungerecht zu sein, d.h. zu tun, was Vorteile und persönlichen Gewinn bringt.
Gott und Gottes Wort sowie alle sonstigen Regeln und Werte sind dafür unnötig,
ja ungünstig, weil sie die Gewinnmaximierung erschweren
und vielleicht sogar Skrupel aufkommen lassen.

Beide Haltungen können ins Extrem ausschlagen:
Der Gerechte kann so besessen von der Idee sein,
Gottes Gebote bis aufs i-Tüpfelchen zu befolgen,
dass er sich damit zugrunde richtet.
Das ist kein Leben mehr, nur noch Pflicht und Gehorsam.
So ein Mensch hat keine Freunde -
auch, weil er in seinem Streben nach Weisheit
zum Klugscheißer, Besserwisser oder Rechthaber geworden ist.

Das andere Extrem ist der Ungerechte,
der zur Erfüllung seiner Wünsche buchstäblich über Leichen geht.
Und sich mit seiner Rücksichtslosigkeit Feinde macht,
die ihrerseits danach trachten, sein Leben zu verkürzen.
Der zwar in allem, was seine Gier betrifft,
eine unglaubliche Gerissenheit und Schläue zeigt.
Aber in allen zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Fragen keinen Fettnapf auslässt,
sodass er als peinlicher, tumber Tor gilt.

Mit den beiden Extremen, die ja nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sind,
will der Prediger die Gefahren aufzeigen, die in so einseitigen Haltungen lauern:
Als gläubiger Mensch darf man sich nicht völlig von der Welt und den eigenen Bedürfnissen entfernen.
Als ungläubiger Mensch darf man sich nicht gänzlich von Recht und Gesetz,
von gesellschaftlichen Regeln und Werten abkoppeln.

III. Der Prediger betrachtet das Leben unter der Perspektive des Glaubens.
Dabei stellt er von Anfang an klar, dass der Glaube keinen Vorteil verschafft:
Ein Gerechter lebt nicht notwendigerweise länger als ein Ungerechter.
Die Statistiken, die man befragt, wenn man entscheiden will, was man tun muss,
um sein Leben zu verlängern - Sport treiben, sich bewegen, sich gesund ernähren -
und was man lassen soll, um nicht krank zu werden -
Rauchen, Alkohol, schlechte Ernährungsgewohnheiten -
liefern für die Frage, welchen Einfluss der Glaube auf die Lebenserwartung hat,
kein eindeutiges Ergebnis.
Für die Lebenserwartung ist der Glaube irrelevant, meint der Prediger.
Wozu ist er dann gut?

Der Prediger warnt vor den Extremen:
Man kann es mit der Gerechtigkeit wie mit der Gemeinheit übertreiben.
Woher aber kommt dieser Extremismus,
wenn wir alle doch eher mittelmäßig sind?
Er kommt daher, dass wir unser Leben tatsächlich selbst gestalten,
auch wenn wir oft den Eindruck haben, das Leben lebe uns.
Wir gestalten unser Leben, weil wir tun oder lassen, was die Statistiken sagen.
Und wir gestalten es auch, wenn wir bewusst nicht tun,
was wir laut Statistik tun sollten.
Dabei schießen wir allzu oft über das Ziel hinaus.

Wir schießen über das Ziel hinaus und geraten in Extreme,
sobald und solange wir uns selbst zum Maßstab unseres Handelns machen,
sobald und solange wir selbst Richtung und Ziel unseres Lebens vorgeben.
Wenn wir uns zum Maß aller Dinge machen, haben wir jeden Maßstab verloren.

IV.  Der Glaube gibt uns das rechte Maß.
Er ist der Maßstab, durch den wir,
aber auch unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe am Leben bleiben.

Maßstab für den Umgang mit unseren Mitmenschen und unserer Umwelt
ist der Glaube, indem er uns erkennen lässt, dass wir nicht allein auf der Welt sind
und die anderen nicht nur unseretwegen existieren.
Die Welt dreht sich nicht um uns. Sie dreht sich um keinen Menschen.
Wir alle sind verwoben in ein Netzwerk allen Lebens,
das die Bibel „Schöpfung“ nennt.
In diesem Netzwerk kann eines nicht ohne das andere sein,
ist keines wichtiger oder wertvoller als das andere -
und auch keiner unwichtig oder wertlos.
Der Glaube an die Schöpfung
gibt uns das Maß im Umgang miteinander und mit unserer Umwelt.

Maßstab für unser Leben ist der Glaube, indem er uns erkennen lässt,
dass Gott die Welt uns und allem Leben zur Freude geschaffen hat.
Leben bedeutet nicht Verzicht, sondern Genuss.
Wir sollen und dürfen alle Gaben der Schöpfung genießen.
Wir sollen und dürfen das Miteinander, die Liebe zum anderen Menschen
in der Art und Weise genießen, die Gott uns geschenkt hat,
solange wir den anderen in seiner Würde respektieren
und ihm das gleiche zugestehen wie uns.

Wir tun das alles in rechter Weise, wenn wir glauben,
d.h. unser Tun und Lassen vor Gott verantworten
und nicht vergessen, dass wir mit allem anderen Leben aufs engste verwoben sind.
Und nicht vergessen, dass uns unser Leben
und die Gaben der Schöpfung geschenkt wurden
und wir keinen Anspruch auf sie haben.

Der Glaube führt daher den Mittelweg
zwischen dem Aufgeben aller Wünsche
und dem rücksichtslosen Durchsetzen des eigenen Willens.
Dieser Weg ist schwer oder sogar unmöglich zu gehen,
wenn man meint, man müsse diese Mitte austarieren,
müsse genau abwägen und abwiegen, was einem zusteht und was dem anderen.
Er wird kinderleicht, wenn man sich Gott und seiner Liebe überlässt.

V. Das Leben ist ein Wunder.
Und unsere Zeit, dieses Wunder zu erleben, ist kurz,
viel zu kurz.
Wenn wir begreifen, dass wir unser Leben nicht für uns leben,
sondern gemeinsam mit all den anderen Menschen, Tieren und Pflanzen,
könnte es für uns und für alle zu einem Paradies werden.

__________

Das Tagesgebet für den Sonntag Septuagesimae steht hier.

Samstag, 9. Februar 2019

Sicher sein

Predigt am 4. Sonntag vor der Passionszeit, 10.2.2019 ,über Markus 4,35-41:

Jesus sprach zu seinen Jüngern, als es Abend geworden war:
Lasst uns den See Genezareth überqueren!
Und nachdem sie die Menge entlassen hatten, fuhren sie mit ihm, weil er bereits im Boot war;
andere Boote waren bei ihm.
Da erhob sich ein gewaltiger Sturm, und die Wellen schlugen ins Boot,
sodass das Boot schon vollgelaufen war.
Er aber schlief im Heck auf einem Kissen.
Die Jünger weckten ihn mit den Worten:
Meister, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?
Als er wach war, schimpfte er mit dem Wind und sprach zum See:
Schweig, sei still!
Der Wind legte sich, es herrschte eine große Flaute.
Da sprach er zu ihnen:
Warum seid ihr feige? Habt ihr noch keinen Glauben?
Die Jünger befiel eine schreckliche Angst,
und sie sprachen zueinander:
Was ist das bloß für einer, dass ihm Wind und See gehorchen?


Liebe Schwestern und Brüder,

die Geschichte von der Sturmstillung erzählt von einem Wunder.
„Wunder gibt es immer wieder“, heißt es in einem Schlager, und wir möchten das gerne glauben.
Das Wunder, von dem der Schlager singt, ist, dass man die Liebe findet.
Es ist tatsächlich ein Wunder, wenn zwei Menschen sich verlieben.
Man kann es manchmal nicht glauben, dass man liebenswert ist, dass sich jemand ausgerechnet in mich verliebt.
Darum bezeichnet man das, was einem an Gutem widerfährt, obwohl man nicht - oder nicht mehr - damit rechnete, als „Wunder“.

I. In der Wundergeschichte, die der Evangelist Markus erzählt, geht es nicht um das Wunder der Liebe oder ein anderes unerwartetes Geschehen.
Markus berichtet davon, dass Jesus in die Naturgesetze eingreift:
Er stillt einen Sturm und glättet die Meereswogen.

Die Naturgesetze außer Kraft zu setzen: Davon träumten Menschen schon immer.
Fliegen und Schwimmen sind auch deshalb wunderbar, weil sie scheinbar an den Naturgesetzen rütteln: Sie setzen unsere Erfahrung außer Kraft, dass alles fällt, alles Schwere im Wasser versinkt.
Deshalb kann einen auf einem Schiff oder in einem Flugzeug ein mulmiges Gefühl beschleichen, weil man weiß: Wasser und Luft haben keine Balken. Manche haben regelrecht Angst davor, mit Schiff oder Flugzeug zu reisen, weil das Gefühl, dass es nicht „richtig“ ist, stärker ist als das Wissen, das man im Physikunterricht gelernt hat.

Auch die Jünger haben Angst. Angst vor dem Sturm, der das Boot zu versenken droht.
Im Gegensatz zu den Jüngern sehen wir Jesus seelenruhig schlafen, wie in Abrahams Schoß.
Er bekommt von der dramatischen Situation nichts mit. Die Jünger müssen ihn wecken, damit er die Gefahr überhaupt wahrnimmt. Als er aber wach ist, hilft er seinen Jüngern: Auf seinen Befehl hin legt sich der Sturm; der See Genezareth, den sie überqueren wollen, liegt plötzlich spiegelglatt da.

Ist es nicht großartig, wie Jesus seinen Jüngern zu Hilfe kommt und sie aus ihrer verzweifelten Lage rettet? Geschichten wie diese ermutigen Menschen dazu, ebenfalls auf ein Wunder zu hoffen. Man denkt: Wenn Jesus für seine Jünger die Naturgesetze außer Kraft setzen konnte, wird er das doch auch für mich tun können oder für den Menschen, den ich liebe und um den ich mir so große Sorgen mache. Ich verlange ja nicht viel, nur ein kleines Wunder. Nichts im Vergleich zu dem, was Jesus für seine Jünger tat.
Aber das Wunder geschieht nicht, so sehr man auch betet und bittet.

II. Die Jünger haben Angst. Auch dann noch, und dann noch viel mehr, als Jesus den Sturm gestillt hat. Es befällt sie eine schreckliche Furcht. Diese Furcht kommt aus einer schrecklichen Ahnung: Wenn einer so etwas tun kann, dann könnte er noch ganz andere Dinge tun.

Vom allmächtigen Gott erzählt die Bibel nicht nur, dass er die Welt geschaffen und das Volk Israel aus Ägypten befreit hat. Sie erzählt auch von der Sintflut, mit der Gott alles Leben auf der Erde auslöscht, und von den Plagen, die Gott über die Ägypter bringt, bis hin zur Ermordung aller Erstgeborenen.
Die Allmacht Gottes hat zwei Seiten: Sie spendet Leben, aber sie kann auch Leben nehmen. Gott ist gut und schrecklich zugleich. Deshalb haben die Jünger nach dem Wunder größere Angst als vorher: Sie erkennen, welche Macht in Jesus wohnt, und wozu er in der Lage ist.

Wer sich Gott allmächtig wünscht, muss mit beiden Seiten der Macht leben: mit der guten, lebensspendenden ebenso wie mit der schrecklichen, zerstörerischen. Es gibt keine Macht, die nur gut ist, nur Gutes bewirkt. Sobald man in den Lauf der Dinge eingreift, geraten sie aus dem Gleichgewicht: Was dem Einen zum Vorteil gereicht, wird für den Anderen zum Nachteil. Was einer gewinnt, hat ein anderer verloren.

Der Wunsch, Gott möge eingreifen und den Lauf der Dinge ändern, ist deshalb ein kindlicher Wunsch. Sollte Gott wirklich eingreifen, könnte er das Leben auch in einer Weise verändern, die man sich nicht wünscht. Wenn Gott aber nur da eingreifen soll, wo ich will, würde er nicht existieren. „Gott“ wäre dann nur eine Projektion: eine Verlängerung meiner Wünsche und Träume ins Unendliche.
Zu einem „erwachsenen“ Glauben gehört darum die Einsicht und die Erkenntnis, dass Gott nicht eingreifen wird. Dass man sein Leben allein bewältigen muss, ohne Hilfe von oben. Trotzdem hofft man weiter auf ein Wunder. Besonders, wenn man Angst hat. Angst um das eigene Leben, oder Angst um das Leben eines geliebten Menschen.

III. Ängste sitzen sehr tief in uns, sie lassen sich nicht beherrschen. Man kann sie nicht wegdiskutieren oder mit Argumenten widerlegen wollen. Ein Beispiel, das ich auf Twitter fand:
Ängste sind gut. Sie schützen vor Gefahren. Sie lassen einen aufmerksam sein und fluchtbereit.
Ängste können aber auch belastend sein, wenn sie lähmen und handlungsunfähig machen.

Die größte Angst ist die vor dem Tod. Der Tod vernichtet uns. Wir sind nicht mehr da, können uns nicht mehr am Leben, an den Menschen, die wir lieben, an der Welt freuen. Es gibt uns nicht mehr, und damit auch nicht unsere Erinnerungen, unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere einmalige Art, die Welt so zu sehen, wie wir sie sehen.

Die Jünger auf dem Boot stehen kurz davor, ihr Leben zu verlieren. Ihre Angst ist nur zu verständlich. Was man nicht versteht, ist, warum Jesus in dieser Situation so ruhig bleibt. Warum er kein Mitgefühl mit seinen Jüngern zeigt, sondern sie auch noch tadelt.

An dieser eigenartigen Stelle scheint der Knackpunkt der Geschichte zu liegen. Wenn Jesus seine Jünger tadelt: „Warum seid ihr feige? Habt ihr noch keinen Glauben?“, will er damit offenbar sagen: Wer glaubt, braucht keine Angst zu haben.

Könnte der Glaube die Angst besiegen? Und wenn ja: Wie soll das gehen? Die Geschichte gibt dazu keine Hinweise. Da ist nur Jesus, der inmitten eines schrecklichen Sturms, der das Boot jeden Moment zum Kentern bringen kann, seelenruhig schläft. Offenbar sollen wir uns fragen: Wie kann Jesus mitten im Sturm so ruhig sein? Diese Frage lenkt uns zurück in unsere Kindheit: Kinder haben keine Angst, solange Mama oder Papa in der Nähe sind. Solange die starken, verlässlichen Eltern da sind, findet man immer Trost, fasst man neuen Mut, traut man sich als Kind fast alles. Auch, weil die Eltern im Notfall eingreifen. Daher kommt unsere Wunschvorstellung des „Eingreifens von oben“:
Es war die Hand von Mutter oder Vater, die von oben kam und uns im letzten Moment festhielt, wenn wir stolperten. Die uns aufrichtete, wenn wir fielen. Die uns heilte und wärmte und schützte. Es war das Vertrauen in die Güte und die Hilfe der Eltern, die uns keine Angst haben ließ, damals, als wir Kinder waren.

Die Geschichte vom schlafenden Jesus in stürmischer See erzählt von diesem kindlichen Vertrauen: Jesus fühlt sich ganz und gar geborgen bei Gott, seinem Vater. Sogar in dieser über dem Abgrund schaukelnden Nussschale.

IV. Wir konnten unseren Eltern vertrauen, als wir Kinder waren. Aber irgendwann verloren wir dieses Vertrauen, und die Angst kam. Die Angst kam, weil wir erlebten, dass unsere Eltern uns nicht immer helfen konnten. Je älter wir wurden, desto öfter mussten wir Herausforderungen und Probleme allein bewältigen. Die Angst kam, weil wir erlebten, dass sogar unsere Eltern manchmal machtlos waren. Auch sie hatten Angst - Angst vor dem Tod.

Wie gewinnt man Vertrauen, das die Angst besiegt? Sucht man es erst in der Gefahr, wird man es nicht finden. Man muss sich offenbar vorher darum bemühen. Vertrauen, das weiß man aus Erfahrung, fällt nicht vom Himmel. Es muss wachsen, und es braucht dazu viel Zeit. Zu diesem Wachstumsprozess gehört auch die Enttäuschung. Kinder erleben, dass ihre Eltern doch nicht alles können, dass sie nicht immer da sein können, wenn sie Angst haben und dass sie manchmal nicht da sind, wenn sie sie brauchen.
Man erlebt, dass Freunde das Vertrauen enttäuschen oder sogar missbrauchen.
Sogar in einer Partnerschaft kann man den Missbrauch oder den Bruch des Vertrauens erleben.

Zum Prozess des Erwachsenwerdens gehört, dass man die Enttäuschung überwindet - die Enttäuschung, dass die Eltern doch nicht alles können; die Enttäuschung, die einem Freunde oder Partner bereiten - und eine neue Basis für die Beziehung findet.

Auch der Glaube ist eine Beziehung. Auch in der Glaubensbeziehung wird man enttäuscht: Gott greift nicht ein. Gott verweigert das Wunder, um das man ihn bittet. Das ist eine heftige Beziehungskrise. Manche beenden in einer solchen Situation die Beziehung, wenden sich ab von einem Gott, den sie für ungerecht halten. Andere finden eine neue Basis ihrer Beziehung zu Gott.

Jesus hat Gott als „Vater“ empfunden und angesprochen. In diesem Namen schwingt die ganze Zweideutigkeit unserer Erfahrungen mit unseren Eltern mit: Einerseits sind sie stark, verlässlich, hilfsbereit. Andererseits sind sie manchmal schwach und verletzlich, verletzen uns, wissen selbst nicht, wie es weitergeht. Wenn unsere Kindheit einigermaßen gut verlief, bleibt - trotz aller Enttäuschungen - etwas, das unzerstörbar ist. Mit unseren Eltern verbindet uns etwas, das alle Enttäuschungen, alle Erfahrungen von Grenzen und Schmerzen übersteigt und überwindet.

V. Was uns mit Eltern, Freundinnen oder Freunden, der Partnerin oder dem Partner verbindet, ist die Liebe. Liebe ist das Wunder in unserem Leben. Je älter man wird, desto besser erkennt man, dass nichts, was das Leben geben und bieten kann, dieses Wunder übersteigt. Wenn man älter wird, musste man von Menschen Abschied nehmen, die man liebte. Dabei machte man die wunderbare Erfahrung, dass die Liebe bleibt, auch wenn der Mensch, den man liebte, nicht mehr da ist.

Jesus schläft sicher in der schaukelnden Nussschale über dem gähnenden Abgrund, weil er sich der Liebe Gottes sicher sein kann. Diese Liebe ist stärker als alle Mächte der Welt und alle Todesmächte. Diese Liebe trägt auch uns über die Brüche und Klüfte unseres Lebens hinweg. Trägt uns durch alle Dunkelheiten und Schmerzen ins Licht jenes Lebens, das uns bei Gott erwartet. Von diesem Licht fällt ein Strahl in unser Leben. Dieser Liebe sicher zu sein, darum geht es beim Glauben; das gilt es zu lernen.

Samstag, 2. Februar 2019

Der Herr ist da!

Predigt am 5. Sonntag der Passionszeit, 3. Februar 2019, über 1.Korinther 1,4-9:

Ich danke meinem Gott immerzu für euch
wegen der Gnade Gottes, die euch durch den Messias Jesus gegeben wurde.
Denn durch ihn werdet ihr in jeder Beziehung reich gemacht in jeder Lehre und Erkenntnis.
Da die Predigt von Christus durch euer Tun bestätigt wurde,
mangelt es euch an keiner Gabe des Glaubens,
während ihr darauf wartet, dass der Herr offenbart wird.
Er wird euch stärken bis zum Ziel,
damit ihr am Tag unseres Herrn Jesus Christus unbescholten seid.
Auf Gott ist Verlass.
Durch ihn seid ihr berufen in die Gemeinschaft seines Sohnes,
unseres Herrn Jesus Christus.


Liebe Schwestern und Brüder,

am Beginn jeder Tätigkeit steht das Ziel.
Bevor man anfängt, etwas zu tun,
stellt man sich das Ergebnis vor, das man damit erreichen will.
Wer z.B. einen Tisch bauen will,
stellt sich den fertigen Tisch vor.
Ehe man das erste Stück Holz zuschneidet,
weiß man schon, wie lang, wie breit, wie hoch der Tisch werden
und wie er einmal aussehen soll.
Ohne diese klare Vorstellung des Ergebnisses der Arbeit
kann man sich nicht ans Werk machen.

Auch am Beginn des Glaubens steht ein Ziel, auf das hin man glaubt.
Das Ziel des Glaubens ist nicht der Tod,
mit dem der Glaube aufhört und man hinübergeht in das ewige Leben,
wo aus dem Glauben ein Schauen wird.
Das Ziel des Glaubens ist die Wiederkunft Christi,
das Reich Gottes, das einmal kommen soll
und das jetzt schon unter uns beginnt.

I. Der Glaube hat ein Ziel, die Wiederkunft Christi.
Zu Paulus‘ Zeiten meinte man, Christi Wiederkunft stünde unmittelbar bevor.
Auch die Gleichnisse, die Jesus erzählt, erwecken diesen Eindruck:
das Gleichnis von den Talenten z.B.,
in dem der Chef ins Ausland fährt
und seinen Angestellten unterschiedlich große Kapitalbeträge zurücklässt,
mit denen sie wirtschaften sollen, bis er zurückkehrt, um mit ihnen abzurechnen.
Oder das Gleichnis von den sieben klugen und den sieben törichten Jungfrauen,
die auf das Kommen des Bräutigams warten, der lange ausbleibt
und dann doch noch kommt, überraschend, zu später Stunde.

Der Glaube ist demnach nur so lange nötig, bis Jesus wieder da ist.
Wenn er da ist, braucht man ihn nicht mehr,
weil man Jesus leibhaftig sieht und darum nicht mehr an ihn glauben muss.
Glauben ist demnach eine Art Notbehelf,
mit dem man die Zeit überbrückt, bis er nicht mehr nötig ist.
Man kann es noch genauer sagen:
Glauben ist wie Briefe schreiben: Man tut es, solange man sich nicht sieht.
Wenn man sich persönlich begegnet, braucht man keine Briefe mehr.
Solange man aber getrennt war,
hatte man früher nur die Briefe, um miteinander in Kontakt zu bleiben.
Heute gibt es Telefon und Skype -
aber auch die benutzt man i.d.R. nicht, wenn man sich direkt gegenübersitzt.

Anders als der Brief ist der Glaube aber nicht nur dazu da,
die Zeit zu überbrücken, bis man sich wieder begegnet.
Glaube arbeitet auf die Begegnung mit Jesus hin.
Man kann zwar mit dem Glauben die Wiederkunft Christi nicht herbeiführen.
Jesus kommt, wann er will.
Sein Kommen lässt sich weder erzwingen noch beschleunigen.
Aber man kann sich auf sein Kommen vorbereiten -
so, wie man die Wohnung vorbereitet, wenn der ersehnte Besuch,
mit dem man bisher nur per Brief kommunizierte, endlich kommt.

Gute Vorbereitung bedeutet für Paulus, dass man „unbescholten“ ist:
Man soll nichts Schlechtes über uns sagen können, wenn Jesus kommt.
Es wäre ja auch furchtbar peinlich, wenn wir endlich Jesus gegenüberstünden
und uns schämen müssten, weil wir ihm nicht in die Augen sehen könnten.
Nicht, weil wir Angst vor seinem Schimpfen haben müssten,
wie man sie als Kind den Eltern gegenüber empfand,
wenn man etwas ausgefressen hatte.
Sondern weil wir wissen, dass er selbst es ist, der unter unseren Fehlern leidet.
Denn „was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten,
das habt ihr auch mir nicht getan“, sagt Jesus (Matthäus 25,45).
Was wir an anderen versäumen, was wir anderen antun,
das versäumen wir an Jesus, das tun wir ihm an.
Deshalb, meint Paulus, sollte es in unserem Interesse sein,
dass wir kein schlechtes Gewissen haben müssen,
wenn wir ihm gegenübertreten.

II. Der Glaube hat sich verändert.
Die Wiederkunft Jesu, die Paulus und die ersten Christen noch zu ihren Lebzeiten erwarteten,
ist ausgeblieben.
Das Warten war vergeblich.
Zwar wurde niemals der Glaube an die Wiederkunft Christi aufgegeben.
Aber man rechnet nicht mehr fest damit, wie es die ersten Christen taten.
Aus dem Glauben als Notbehelf, der die kurze Abwesenheit Jesu überbrücken sollte,
ist ein Dauerzustand geworden:
Er scheint die einzige Möglichkeit, mit Jesus in Kontakt zu stehen.
Etwa so, wie man brieflich Kontakt mit Verwandten hält, die nach Übersee ausgewandert sind.

Wenn aber der, auf den man wartet, nicht wiederkommt,
warum soll man sich dann noch um „Unbescholtenheit“ bemühen?
Das ist, wie wenn die Lehrerin die Klasse verlässt:
Da bleiben auch nicht alle brav auf ihrem Platz sitzen
und arbeiten so, wie sie es täten, wenn sie da wäre.
„Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch“.
Wenn jemand, dem gegenüber wir uns verantworten müssen -
die Eltern, die Lehrerin, die Chefin, oder eben Jesus -
nicht da ist, fühlt man sich nicht mehr verpflichtet, ihre Regeln zu befolgen.
Je strenger die Vorgesetzten sind oder erlebt werden,
desto größer der Drang, die neu gewonnene Freiheit auszukosten.
Je länger sie fortbleiben,
desto größer die Wahrscheinlichkeit,
dass man sich nicht mehr an die Regeln hält,die sie einmal aufgestellt haben.

So ist es mit Gottes Schöpfung, unserer Welt:
Gott ist für eine Weile fort - 1000 Jahre sind für Gott ja nur wie ein Tag, heißt es im Psalm (Psalm 90,4).
Schon tun wir so, als gäbe es keinen Schöpfer, keinen Herrn der Welt.
Wir tun so, als wäre die Welt unser und wir könnten mit ihr machen, was wir wollten -
auch: sie total verdrecken und kaputt machen.
Und so gehen wir ja auch mit der Welt um.

III. Der Glaube hat sich verändert: Er ist zu einem Dauerzustand geworden.
Als Dauerzustand haben wir uns im Glauben eingerichtet.
Weil er kein Ziel mehr hat, wurde er eine unverbindliche Angelegenheit.
Es geht beim Glauben um nichts mehr.
Der, an den wir glauben, wird nicht wiederkommen.
Wir halten zwar immer noch einen Platz für ihn frei.
Aber es ist nicht der Chefsessel, sondern nur ein Klappstuhl,
den man notfalls schnell aufstellen könnte, wenn Jesus käme.
Aber seit Jahrhunderten schon steht er unbenutzt in der Ecke.

Auf den Platz, der Jesus gebührt, haben wir uns längst selbst gesetzt.
Die Regeln, die er aufgestellt hat, befolgen wir nicht.
Nur Streber halten sich daran - die, wenn die Lehrerin die Klasse verlässt,
auch brav auf ihren Plätzen bleiben und ihre Aufgaben erledigen.
Für alle anderen sind Jesu Regeln bestenfalls Vorschläge,
die man befolgt, wenn man dazu Lust hat,
wenn es einen nichts kostet und einem keine Mühe macht.

Warum ist das so, dass man die Freiheit, die man hat, nicht nutzt,
um Schönes zu schaffen oder zu erleben,
sondern um zu zerstören, Chaos anzurichten?
Nun, für sich selbst kann jeder sehr gut sorgen.
Jeder achtet darauf, dass er bekommt, was er braucht.
Freiheit wird verstanden als die Freiheit dazu,
sich zu nehmen, so viel man kriegen kann;
sein Leben zu leben, wie man es will
und sich so breit zu machen, wie es nur irgend geht.

Freiheit kann jede und jeder für sich gut nutzen.
Aber diese Art der Freiheitsnutzung funktioniert nicht,
wenn man in einer Gesellschaft lebt.
Wir sind nicht allein auf der Welt,
auch wenn wir glauben, wir hätten die Welt ausgesperrt,
indem wir die Haustür hinter uns zumachen.
Wir sind niemals allein, wir sind niemals nur für uns.
Alles, was wir tun, hat Auswirkungen auf andere:
Was wir uns nehmen, nehmen wir anderen weg.
Der Ellenbogen, den wir ausfahren,
nimmt anderen den Raum, den sie zum Leben brauchen.
Wenn wir uns an keine Regeln halten, gilt das Recht des Stärkeren.
Solange wir das sind, ist alles gut.
Was aber, wenn wir nicht mehr stark sind?

IV. Was für die Gesellschaft gilt, gilt auch für die Gemeinde.
In der Gemeinde ist man nicht allein, sondern gemeinsam unterwegs.
Der Glaube ist keine Privatangelegenheit,
sondern eine gemeinschaftliche Anstrengung,
die gemeinsame Arbeit auf ein Ziel hin, das Kommen Christi.
Wenn Paulus also an die Korinther von der „Unbescholtenheit“ schreibt,
gilt diese Unbescholtenheit von unserem Verhalten anderen gegenüber.
Denn wenn auch Jesus wohl so bald nicht wiederkommt:
in unserem Mitmenschen, unserem Gegenüber begegnet er uns.
Was wir anderen antun oder an ihnen versäumen,
das tun wir Jesus an oder versäumen es an ihm.

Man kann es auch positiv wenden:
Mit dem, was wir tun, bestätigen wir die Predigt von Christus.
Wir tun, was wir als seinen Willen erkannt haben.
An unseren Taten können andere erleben, wie Jesus ist.
Damit andere Jesus durch uns erleben können,
hat Gott uns Gaben verliehen.
Gaben des Glaubens nennt Paulus sie.
Z.B. die Gabe, jemandem zuzuhören und dadurch zu trösten;
die Gabe, wahrzunehmen, wie es einem anderen geht;
die Gabe, sich vom Schicksal eines anderen anrühren zu lassen;
die Gabe, eine Gemeinde zu leiten;
die Gabe, jemanden satt zu machen;
die Gabe, mit Musik zu erfreuen;
die Gabe, jemandem etwas beizubringen.
Niemand ist ohne Gabe.
Keine dieser Gaben ist geringer als die andere.
Es braucht alle Gaben des Glaubens,
damit eine Gemeinde als Gemeinde existieren kann.
Wo aber in einer Gemeinde diese Gaben wirken,
da ist Christus mitten unter uns gegenwärtig,
und damit bricht sein Reich unter uns an.
Dann hat der Glaube sein Ziel erreicht:
Christus ist da, mitten unter uns.

V. Unser Glaube hat ein Ziel.
Das Ziel, anderen und damit auch uns Christus zu vergegenwärtigen.
Jesus wird eines Tages leibhaftig wiederkommen.
Vielleicht werden wir das erleben - wahrscheinlich eher nicht.
Und Jesus wird jetzt schon leibhaft erfahrbar durch die Gemeinde,
die Paulus den „Leib Christi“ nennt.
Durch uns alle gemeinsam wird Jesus erfahrbar.
Wenn wir uns versammeln, um Gottesdienst zu feiern, ist Jesus da.
Er ist wiedergekommen.
Er kommt jeden Sonntag wieder.
Er kommt an jedem Tag und jedem Ort,
wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind.
Darum gilt es, unbescholten zu sein für seine Ankunft,
damit wir uns nicht vor ihm schämen müssen.

Amen.