Sonntag, 28. Januar 2024

Herrlichkeit

Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 28.1.2024, über 2.Korinther 4,6:

„Gott sprach: Aus der Finsternis soll Licht scheinen.

Gott schien in unsere Herzen.

Dadurch erleuchtete er uns.

Wir erkannten die Herrlichkeit Gottes.

Sie erstrahlt im Angesicht Jesu Christi.”


Liebe Schwestern und Brüder,


jeder Anfang liegt im Dunkeln.

Wir haben keine Erinnerung an den Beginn unseres Lebens,

an unsere Geburt.

Was beginnt, begann im Dunkel.

Nach dem im Dunkeln verborgenen Anfang kommt das Licht.

Das Licht der Welt, das wir erblickten.

Dem Licht folgen Worte.

Wir hörten, dass diese Helle „Licht” ist oder „Sonne”,

„Lampe” oder „Kerze”, an der man sich verbrennen kann.

Wir lernten, dass man nicht in die Flamme fassen darf,

dass das Licht nicht zu fassen, nicht zu greifen ist.

Schließlich wurde unser Verstand erleuchtet:

Was wir mit den Händen ergriffen,

fügte sich uns zu Begriffen, zum Begreifen und zur Erkenntnis.

Eines Tages wussten wir, was „Licht” war

und was es bedeutet.

Erst dann wurde es eigentlich Licht für uns.


Jeder Anfang liegt im Dunkeln.

In die Dunkelheit des Anfangs spricht Gott sein Wort:

Es werde Licht.

Gottes schöpferischer Anfang liegt im Dunkeln.

Wenn es vollbracht ist, wenn er das Wort gesprochen hat,

wird es Licht.

Licht lässt erkennen.

Erst im Licht sehen wir, was im Verborgenen geschah.

Licht macht den Unterschied,

ermöglicht zu unterscheiden:

Hier beginnt etwas, da hört es auf.

Hier bin ich, da bist du.


Gottes schöpferisches Handeln vollzieht sich,

bevor das Licht erstrahlt.

Es bleibt im Dunkeln, es bleibt verborgen.

Wir wüssten nichts von Gottes Schöpfung,

wäre nicht das Wort:

„Und Gott sprach: Es werde Licht.”

Der Glaube spricht das Wort des Schöpfers nach,

das niemand hören konnte,

weil noch nichts existierte.

Wer es nachspricht, wie Paulus es tut,

erkennt, wie das Licht in der Finsternis erstrahlt.


Das Licht scheint in der Finsternis.

Und es ist in unseren Herzen aufgegangen.

Sein Anfang liegt im Dunkeln.

Wie Gott am Anfang das Licht durch sein Wort erschafft,

so beginnt unser Glaube damit,

dass Gott das Licht des Glaubens in uns entzündet.

Wir bemerkten nichts davon.

Wir wussten es nicht,

bis wir zum ersten Mal die Welt in einem anderen Licht sahen.

Das göttliche Licht lässt uns eine andere Wirklichkeit sehen.


Diese andere Wirklichkeit unterscheidet sich von der Welt,

die uns umgibt.

Zugleich eröffnet sich die andere Wirklichkeit

mitten in der Welt:


Wir sehen am Himmel die Wolken ziehen,

wir sehen den Boden unter unseren Füßen;

wir sehen das Gras, sehen Bäume,

Fische, Insekten, Vögel.


Und wir sehen die andere Wirklichkeit:

Das alles ist Gottes Schöpfung.

Alles in ihr hat seine einzigartige Schönheit,

seinen Wert und seine Würde von Gott.

Alles Leben ist von Gott gewollt.

Alles Leben hat einen Sinn und ein Ziel.

Alles ist uns anvertraut,

damit wir sorgsam mit Gottes Schöpfung umgehen

und sie bewahren.


Wir sehen Menschen, große und kleine,

junge und alte, hell- und dunkelhäutige,

Frauen, Männer und alles dazwischen und darüber hinaus.


Und wir sehen die andere Wirklichkeit:

Diese Menschen sind unsere Nächsten,

die wir lieben wollen wir uns selbst.

Sie sind Gottes Kinder, wie wir.


Der helle Schein, den Gott in unsere Herzen gab,

fällt auf alles, was wir ansehen.

Wir sehen es, wie alle anderen es sehen.

Und zugleich sehen wir es im Lichte Gottes:

Bestimmt und umschlossen von Gottes Liebe, Gottes Macht.


Es gibt Gewalt, Bosheit und Willkür.

Doch Gott hat die Macht der Mächtigen gebrochen.

Er hält sich zu den Kleinen, Schwachen, Ohnmächtigen.

Er ermächtigt sie, sein Reich des Friedens

und der Gerechtigkeit zu bauen.


Es gibt Leid, Schmerz und den Tod.

Doch Gottes Liebe hat den Tod überwunden.

Seine Liebe kann nicht besiegt werden.

Sie lässt sich nicht unterkriegen.

Sie triumphiert über das Leid und über den Tod.


Im Licht, das Gott in unseren Herzen erschaffen hat,

das uns erleuchtet und uns Gottes Wirklichkeit

mitten in der Welt erkennen lässt,

sehen wir Gottes Herrlichkeit.


Gottes Herrlichkeit ist keine Steigerung dessen,

was wir als schön empfinden,

ins Übermenschliche und Unermessliche.

Gottes Herrlichkeit ist Alles, ist universal;

sie ist das All, das Universum.

Licht ist sein Kleid,

Sterne der Saum seines Gewandes.

Gott kleidet sich in die Schönheit seiner Schöpfung.


Durch das Licht des Glaubens erkennen wir,

dass die Wunder dieser Welt,

das Wunder des Lebens und das Wunder,

das unser Leben selbst ist,

ein Abglanz von Gottes Herrlichkeit sind.

Dieses Erkennen nennt der Theologe Friedrich Schleiermacher

„Sinn und Geschmack fürs Unendliche”.

Im Endlichen erkennen wir das Unendliche,

im Kleinen, Schwachen und Zerbrechlichen

die Größe und Allmacht Gottes.


Wer Sinn und Geschmack fürs Unendliche entwickelt hat,

der, dem wird die kleine Alltagswelt zu klein.

Gottes Herrlichkeit erweitert unsere Vorstellung,

überwindet Grenzen, Traditionen und Konventionen.


Auch die Grenzen, die wir zu anderen Menschen ziehen,

überwindet der Sinn und Geschmack fürs Unendliche.

Im Licht von Gottes Herrlichkeit gibt es keine Völker,

keine „Rassen” - die gibt es ohnehin nicht.

In seinem Licht fallen die Grenzen der Kulturen,

der Religionen, der Sprachen oder Ideologien dahin.

In seinem Licht hat nur die Menschheit bestand,

die von jedem einzelnen Menschen repräsentiert wird.

Jede und jeder ist ein wichtiger, unentbehrliches Teil

des Ganzen der Menschheit.

Nur als das Ganze der Menschheit

dürfen wir uns als Gottes Ebenbild verstehen.

Jesus Christus wurde ein Teil der Menschheit.

Ein Teil des Ganzen, ohne den das Ganze nichts ist.


So sehen wir in Gottes Antlitz,

wenn wir einander ins Gesicht schauen.

Wir sehen es nicht wirklich.

So stark ist das Licht des Glaubens nicht,

dass wir durch das Geschöpf hindurch

den Schöpfer erblicken könnten.

Doch auf jedem Gesicht leuchtet ein Abglanz

der Herrlichkeit Gottes.

Den kann der Glaube wahrnehmen,

der von Gottes Licht erleuchtet wurde.


Auf unseren Gesichtern ist es nur ein Abglanz.

Aber auf dem Angesicht Jesu erstrahlt sie,

die Herrlichkeit Gottes, schreibt Paulus.

Wo kann man dem Angesicht Jesu begegnen,

wo kann man es sehen?


Auf dem Turiner Grabtuch findet sich der Abdruck

des Gesichtes eines bärtigen Mannes.

Fromme Gemüter wollen darin das Gesicht Christi erkennen.

Doch ein Abdruck ist kein Erstrahlen,

und das Turiner Grabtuch war Paulus noch unbekannt.


Vielleicht ist es in Schönheit zu finden,

im Gesicht der Schönsten unter den Menschen.

Vielleicht sucht Deutschland deshalb das Supermodel,

weil sich eigentlich alle danach sehnen,

gesehen zu werden, angesehen und erkannt,

mit ihren Wünschen und Bedürfnissen,

ihrer Angst und ihrem Stolz.

Jesus würde uns so ansehen.


Aber solche äußerliche Schönheit ist nur um ihrer selbst willen da.

Sie sieht nur sich selbst.

Alle anderen sieht sie als Konkurrentinnen.

Sie spendet keine Wärme, keine Liebe, keinen Trost.


Sollte Jesus unter den Frommen zu finden sein?

Wer sich um den Glauben bemüht,

wer um des Glaubens willen auf vieles verzichtet,

wird die, wird der nicht allmählich selbst wie Jesus?

Wird der, wird die nicht durchsichtig auf Gott hin,

wie es die Heiligen für viele Menschen waren und noch sind?


Aber Jesus hat nicht Opfer gesucht, sondern Barmherzigkeit.

Keine geistlichen Höchstleistungen, sondern Liebe,

die sich selbst annehmen kann mit allen Fehlern und Schwächen.

Weil sie die Liebe spürt und aus der Liebe lebt,

mit der sie von Gott angenommen ist,

und so diese Liebe Gottes anderen weitergeben kann.


Das Antlitz Jesu, auf dem Gottes Herrlichkeit erstrahlt,

findet man in den Gesichtern derer,

die Jesus die „Kleinen” nennt:

Menschen, die bedürftig sind.

Menschen, die man an den Rand gedrängt hat,

Menschen, die man nicht mehr bei uns haben will,

weil sie nicht so sind wie wir.

Menschen, für die sich niemand interessiert.

Menschen, die man in Anstalten und Heimen vergessen hat.


Wer sich zu diesen Menschen begibt,

wer sich ihnen zuwendet,

ihnen Liebe schenkt und Freundlichkeit,

wird ein Leuchten auf ihren Gesichtern sehen.

Dieses Leuchten: Das ist die Herrlichkeit Gottes,

die im Angesicht Jesu Christi erstrahlt.

Mehr und größeres kann man in diesem Leben

von Gott nicht zu sehen bekommen.

Sonntag, 7. Januar 2024

Platz schaffen

Predigt am 1.Sonntag nach Epiphanias, 7.1.2024 über 1.Korinther 1,26-31

Liebe Schwestern und Brüder,


„am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Und die Erde war wüst und leer.”

Mit diesen Worten beginnt die Bibel;

damit beginnt das schöpferische Handeln Gottes.

Gott erschafft aus dem Nichts die Welt.

Damit Etwas werden kann, muss erst Nichts sein.

Bzw. wenn schon etwas da ist,

muss es erst beiseite geräumt werden,

damit etwas Neues entstehen kann.


Wer Hausaufgaben machen, einen Brief schreiben will,

muss dafür Platz auf dem Schreibtisch schaffen.

Muss so viel zur Seite schieben,

dass Schulbuch und Heft,

dass Laptop oder Computertastatur einen Platz finden.


Neues beginnt damit, dass dafür Platz geschaffen wird.

Altes muss weichen - in den Müll, auf den Dachboden,

in die Hände anderer oder zumindest an die Seite.


Das gilt auch für unser Denken.

Das Denken ändert sich zum Glück selten von heute auf morgen.

Ganz allmählich, fast unmerklich

verändern sich Ansichten und Meinungen.

Aber auch hier gilt: Bevor Neues gedacht werden kann,

muss Altes beiseite geschoben

oder ganz aufgegeben werden.


Das Alte: Das sind die Vorstellungen und Ansichten,

in die man quasi hineingewachsen ist.

Man hat sie als Kind unzählige Male gehört

und dadurch verinnerlicht,

bevor man gelernt hatte, sie zu hinterfragen.

Inzwischen sind sie selbstverständlich geworden.

Man kommt gar nicht mehr auf den Gedanken,

dass es auch anders sein, anders gehen könnte.


Um auf andere Gedanken zu kommen,

braucht es einen Anstoß von außen.

Die Begegnung mit jemandem,

die oder der es anders sieht, anders macht.

Dieser Anstoß setzt das eigene, eingefahrene Denken

wieder in Bewegung.

Am Ende dieser Bewegung kann es geschehen,

dass man eine Meinung, eine Überzeugung beiseite schiebt,

von der man nie gedacht hätte,

dass man sie ändern könnte.


Paulus nennt solche Überzeugungen „dem Fleische nach”;

heute würde man wohl von menschlichen Maßstäben sprechen.

Er zählt sie auf: Weisheit, Macht, Vornehmheit.

Weisheit und Vornehmheit sind Begriffe,

die wir heute kaum noch verwenden.

Statt „Weisheit” könnte man sagen: Bescheid wissen;

statt „Vornehmheit” Einfluss.

Nur mit der Macht ist es heute noch so wie damals:

Über Macht spricht man nicht, man hat sie -

oder hat sie nicht.


Bescheid wissen, Macht und Einfluss

sind miteinander verbunden

und treten oft zusammen auf:

„Wissen ist Macht”, sagt man.

Wer Bescheid weiß, hat auch Einfluss.

Und Einfluss zu haben bedeutet, Macht zu besitzen.


Bescheid wissen, Macht und Einfluss haben sind Mittel,

um etwas zu erreichen,

seinen Willen, seine Vorstellungen durchzusetzen

und zu verwirklichen.

Über diese Mittel sagt Paulus, Gott habe sie nicht erwählt.

Gott erwählte das Gegenteil:

das Törichte, das Schwache, das Geringe und Verachtete.

Mit Dummheit, Schwäche und ohne Einfluss

erreicht man aber nichts -

und hat auch nichts zu melden.


Dummheit, Schwäche, keinen Einfluss -

Paulus meint damit seine Leser, die Korinther.

An wen würden wir denken?

An Flüchtlinge vielleicht.

Sie sind nicht dumm,

aber sie beherrschen unsere Sprache noch nicht,

wissen nicht, wie man sich in der Gesellschaft bewegt,

welche Wege man gehen, welche Mittel man einsetzen muss,

um etwas zu erreichen.

Sie haben keine Stimme.


An Kinder könnte man denken.

Auch sie sind nicht dumm.

Sie kennen aber noch nicht die Kniffe,

mit denen man sich Informationen, Macht und Einfluss verschafft.

Sie sind schwach, und gesellschaftlich

sind sie nach wie vor ohne Einfluss:

Kinder haben keine Macht.


Genau sie hat Gott erwählt -

und Menschen, die so schwach sind wie sie.

„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder,

werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen”, sagt Jesus (Matthäus 18,3).

Werden wie die Kinder bedeutet, dass man Schwäche zulässt

und das, was gemeinhin als Stärke gilt -

Wissen, Macht und Einfluss - beiseite lässt.

Jedenfalls dort, wo es um unsere Berufung geht.


Von der Berufung handelt der Abschnitt des Briefes,

den Paulus an die Korinther schreibt,

handelt auch der heutige Sonntag.

Davon, dass wir Christ:innen sind,

und wie wir es geworden sind:

dadurch, dass Gott uns berufen hat.


Paulus schreibt: Gott beruft die Törichten,

die Schwachen, die Geringen und Verachteten.

Finden wir uns in dieser Liste wieder?

Würden wir jemandem zustimmen,

der uns so bezeichnete,

wären wir nicht verletzt und verärgert?


Paulus markiert hier einen Gegensatz.

Er will einen Unterschied deutlich machen

zwischen dem, was in der Welt, in der Gesellschaft

als stark und zielführend angesehen wird,

und dem, was dem Glauben als Stärke erscheint.

Dieser Gegensatz zeigt:

Der Glaube ist eine gänzlich andere,

eine neue Art zu denken und die Welt zu sehen.


Für diese neue Art zu denken

muss man erst einmal Platz schaffen,

alte Denkgewohnheiten beiseite schieben.

Wie z.B. dass es auf Stärke ankommt.

Darauf kommt es in der Welt an.

Gott aber steht auf der Seite der Schwachen,

derer, die nicht wissen, wie man Macht und Einfluss gewinnt.

Gott steht auf der Seite derer,

die man für unwichtig und unbedeutend hält.


Man könnte Gott für parteiisch halten,

und das ist er sicher auch.

Aber auch andersherum wird ein Schuh daraus:

Dass Gott zu den Schwachen zu halten scheint,

liegt daran, dass diese Menschen für Gott offen sind.

Wer dagegen Wissen, Macht und Einfluss besitzt

hat keinen Platz für Gott -

ein volles Gefäß kann man nicht weiter füllen.

Und wahrscheinlich hat so jemand ´auch kein Bedürfnis nach ihm.


Wer seine Ziele aus eigener Kraft erreicht,

wer sich durchsetzen kann,

gewinnt dadurch Selbstvertrauen.

Dieses Selbstvertrauen - Paulus nennt es das „Rühmen” -

steht im Weg, wenn man auf Gott vertrauen will.

Man ist stolz auf das, was man weiß, kann und leistet,

und man kann es auch sein.

Aber dieser Stolz verhindert,

dass wir gerade das, worauf wir stolz sind, infrage stellen:

Ob es wirklich so wichtig ist, wie wir denken.


Der Stolz verhindert, dass wir die Welt mit Gottes Augen sehen.

Manchmal verhindert er auch Mitgefühl und Barmherzigkeit.

Vor allem verhindert unser Stolz auf unsere Fähigkeiten,

dass wir uns von Gott schenken lassen,

was im Leben wirklich wichtig ist:


Weisheit, die im unbedingten, grenzenlosen Vertrauen

auf Gottes Liebe besteht, wie Christus es uns vorgelebt hat.

Wir vertrauen statt dessen auf Wissenschaft, Logik

und die Macht des Geldes.


Gerechtigkeit, die uns Christus schenkt

und durch die wir jeden Tag neu anfangen,

mit der wir Fehler machen und uns irren können.

Wir brauchen keine Angst zu haben,

durch einen Fehler, einen Irrtum unser Gesicht,

unser Ansehen zu verlieren.

Statt dessen vertrauen wir unser Leben

Versicherungsgesellschaften an,

verlassen uns auf unser Können und unsere Leistung.


Heiligung, die Christus für uns erwirkt

und durch die wir Gott so recht sind, wie wir sind.

Statt dessen unterwerfen wir uns dem Schönheitsideal der Werbung,

optimieren uns und unseren Körper.


Erlösung, die uns durch Jesu Tod am Kreuz zukommt.

Wir müssen uns nicht selbst erlösen.

- Wir brauchen und wir können es auch nicht.


Um diese Geschenke Gottes annehmen zu können,

muss man Platz für sie schaffen.

Das muss nicht bedeuten, dass wir alle Überzeugungen,

die wir im Laufe unseres Lebens gewonnen haben,

über Bord werfen.

Es reicht, wenn wir sie ein wenig zur Seite schieben.

Dabei kann es geschehen,

dass sie in einem anderen Licht erscheinen,

dass wir beginnen, darüber nachzudenken,

ob sie wirklich so unumstößlich sind, wie wir meinen.

Dadurch gewinnen wir Freiheit -

eine Freiheit im Denken

und die Freiheit, anders zu leben und zu handeln.


Wenn wir, was gemeinhin als Stärke gilt,

ein wenig beiseite schieben,

schaffen wir dadurch Platz für Gottes Macht.

Dann verstehen wir, warum Gott auf der Seite der Schwachen steht.

Vielleicht finden wir sogar den Mut,

uns zu ihnen zu stellen.

Samstag, 6. Januar 2024

heute ein König

Ansprache zu Epiphanias, 6.1.2024, über 1.Könige 10,1-15

Liebe Schwestern und Brüder,


zu den Dingen, die besonders schwer fallen,

bei denen man sich sehr überwinden muss,

gehört es, zuzugeben, dass der andere recht hat.

Oder dass jemand klüger ist, etwas besser kann als man selbst.

Wenn man es als Mutter oder Vater dem Kind,

als Lehrerin einer Schülerin gegenüber eingestehen muss,

ist es einigermaßen erträglich.

Denn da ist man die Überlegene,

man lässt sich sozusagen dazu herab,

dem Kind das Rechthaben, die Klugheit,

das besondere Vermögen zuzugestehen.

Und ist sogar stolz darauf, dass das Kind so begabt ist.


Wenn man jemandem gegenüber zugeben muss,

dass er im Recht ist, der gleichaltrig oder gleichrangig ist -

wenn es sogar jemand ist, den oder die man nicht leiden kann -,

dann ist das eine sehr bittere Pille, die man schlucken muss.

Wenn man es überhaupt über die Lippen bringt:

Ja, du hast recht. Ja, du kannst es besser als ich.


Andererseits: Wie gut fühlt es sich an, recht zu bekommen!

Wie süß ist der Triumph, wenn man es einmal besser weiß,

besser kann als die Eltern, die Lehrerin oder die Chefin -

und wenn sie das auch noch zugeben müssen!

Am schönsten ist es wohl für die, die immer Zweite waren,

immer zurückstehen mussten.

Wenn der, der beim Auswählen der Mannschaften

immer als letzter übrig blieb, das entscheidende Tor schießt.

Wenn die, der man es nicht zutraute, die Lösung findet.


Beim Besuch der Königin von Saba

treffen zwei Gleichrangige aufeinander.

Und fast scheint es, als hätte Salomo es gar nicht nötig,

in all seiner Pracht und Weisheit,

dass ihm die Königin von Saba bescheinigt,

wie weise und wie reich er ist.


Salomo, ein Sohn Davids, hat im 10. Jahrhundert v.Chr. gelebt.

Aufgeschrieben wurde diese Geschichte 500 Jahre später,

im babylonischen Exil.

Da gab es den Staat Juda nicht mehr.

Der Tempel und der Palast

mit ihren Schnitzarbeiten aus Sandelholz,

mit ihren Zithern und Harfen

waren zerstört und verbrannt.


Die Geschichte vom Besuch der Königin von Saba

beschwört nicht nur vergangenen Glanz und Glorie.

Sie erinnert die staatenlosen, gedemütigten

und in alle Lande zerstreuten Kinder Israels daran,

wer sie sind: Prinzen und Königinnen -

nicht der Abstammung nach,

schon gar nicht in den Augen ihrer Zeitgenossen.

Denen sind sie ein Dorn im Auge.

Sie machen die Kinder Israels für alles verantwortlich,

was schief läuft oder wofür sich kein Schuldiger findet.

Sie machen sie zu Sündenböcken - bis heute.

Aber in Gottes Augen sind sie Prinzessinnen und Könige.

Daran erinnert diese Geschichte.


Noch einmal 500 Jahre später

wird eine ähnliche Geschichte erzählt.

Über einen jungen Mann,

der in einem unbedeutenden Nest in der Nähe der Hauptstadt

in ärmlichsten Verhältnissen zur Welt kommt.

Der in Galiläa aufwächst und von dort auszieht,

um Menschen zu fischen

und ihnen die gute Nachricht zu verkündigen,

dass mit ihm das Reich Gottes nahe sei.

Doch wie kann der Christus aus Galiläa kommen,

fragen die Leute.

Aus Galiläa steht kein Prophet auf,

behaupten die Schriftkundigen (Joh 7,41.52).

Doch gerade zu ihm kommen,

als er als Neugeborener in einer Krippe liegt,

drei weise Könige mit Gold, Weihrauch und Spezerei,

um zu bezeugen, dass er der ist, der da kommen soll.

Dass dieses Kind ein Prinz und ein König ist,

ja mehr als das: der Sohn Gottes.


In seinem Roman „Gottes Werk und Teufels Beitrag”

beschreibt John Irving ein ganz besonderes Waisenhaus.

Sein Leiter, Dr. Wilbur Larch, hat die Angewohnheit,

noch einmal in den Schlafsaal zu schauen,

wenn das Licht schon ausgeschaltet ist,

und den Kindern gute Nacht zu wünschen:

„Gute Nacht - ihr Prinzen von Maine,

ihr Könige Neuenglands!”


Die da in ihren Betten liegen,

träumen vielleicht von Prinzessinen oder Prinzen,

die sie aus den Märchen kennen.

Aber sie kämen nie auf den Gedanken,

sich selbst so anzusehen.

Was sie für sich erhoffen,

ist, Eltern zu finden, die sie adoptieren.

Es müssen keine reichen, keine berühmen Eltern sein.

Hauptsache, es sind liebevolle Eltern.


Warum redet Dr. Larch diese Kinder

als Prinzen und Könige an?

Um ihnen ihren Wert zu vermitteln,

den sie als Menschen haben, nicht nur in seinen Augen.

Gerade ihnen, die nicht mit einem silbernen Löffel im Mund,

sondern mit einem Handicap ins Leben gestartet sind,

will er Selbstvertrauen schenken:

Ihr seid etwas Besonderes, obwohl -

oder vielleicht gerade weil ihr einen schweren Start hattet.


In diesen Worten des Doktors

schwingt der Amerikanische Traum mit,

der einmal nicht nur der Traum war,

das große Geld zu machen

und vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen.

Von denen, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland

für eine Verfassung demonstrierten

und dafür mit Kerkerhaft bestraft wurden wie Fritz Reuter,

wanderten viele nach Nordamerika aus.

Sie hofften nicht auf das große Geld,

sondern auf Freiheit.

Für viele Menschen, die aufgrund ihrer Religion,

ihrer Meinung, ihrer Lebensweise verfolgt wurden,

waren und sind die USA das gelobte Land,

das ihnen ein Leben in Freiheit verspricht.


Die Kinder Israels hatten mit der Zerstörung des Tempels

und der Deportation ihr gelobtes Land verloren.

Im Exil entdeckten sie, dass sie das Land nicht brauchten,

um frei zu sein.

Mitten im Exil, mitten in Unterdrückung und Verfolgung

fanden sie die Freiheit in der Heiligen Schrift.

Sie versicherte ihnen, dass sie Prinzen und Königinnen waren,

und mehr als das:

„Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig,

der Herr, euer Gott (Lev 19,2).”


Die Königin von Saba preist Gott,

weil der Salomo zum König eingesetzt hat,

damit er Recht und Gerechtigkeit übt.

Recht und Gerechtigkeit betreffen nicht nur

die Gleichheit vor dem Gesetz

und die materielle Fairness: dass jede:r genug zum Leben hat.

Zu Recht und Gerechtigkeit gehört auch,

dass die eigene Leistung anerkannt wird.

Dass man gesehen wird als die oder der, der man ist -

und nicht verachtet, klein oder zum Sündenbock gemacht

oder gemobbt wird.


Die Geschichte vom Besuch der Königin von Saba

und das Evangelium von den Weisen aus dem Morgenland

stellen Salomo und Jesus ins Licht,

sodass man sieht, wer sie in Wirklichkeit sind.

Im Licht dieser Geschichten

werden auch wir ins rechte Licht gerückt:

Wir sind Kinder Gottes.

Und als Kinder Gottes sind wir Prinzen und Königinnen -

nicht unserer Abstammung nach,

aber durch unseren Wert und unsere Würde.


Der Glaube verleiht uns diese Würde.

Eine Würde, die nicht arrogant oder hochnäsig daherkommt,

sondern uns und alle Menschen ins rechte Licht rückt:

In das Licht der Liebe Gottes,

der uns so liebt, wie wir sind.

Der sich mit uns über unsere großen und kleinen Erfolge freut,

auch wenn sie anderen nicht der Rede wert erscheinen mögen.

Der stolz auf uns ist - so stolz,

wie man als Vater und Mutter nur sein kann.


Im Licht des Glaubens zeigt sich, wer wir wirklich sind:

Gottes Töchter und Söhne,

wunderbare, einzigartige, über alles geliebte Menschen.

Weil Gott uns so ansieht, können wir selbst

unser Potenzial, unsere Fähigkeiten entdecken.

Vielleicht ist es nicht unser Schicksal,

Prinzessin oder König zu werden -

davon braucht es heutzutage immer weniger.

Aber es ist unsere Würde, Prinz und Königin zu sein -

eine Würde, die uns niemand nehmen kann.

Montag, 1. Januar 2024

wenn Gott will

Predigt am Neujahrstag, 1.1.2024, über Jakobus 4,13-15

Wohlan nun, die ihr sprecht:

Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt gehen

und dort ein Jahr verbringen,

Handel treiben und Gewinn erzielen:

Ihr wisst nicht, wie morgen euer Leben sein wird.

Ein Rauch seid ihr, der eine Weile zu sehen ist

und dann verschwindet.

Statt dessen sollt ihr sagen:

Wenn Gott will, werden wir leben

und dies oder jenes tun.



Liebe Schwestern und Brüder,


sind Sie abergläubisch?

Klopfen Sie auf Holz,

vermeiden es, unter Leitern durchzugehen

und nehmen sich vor schwarzen Katzen in acht?

- Ich vergesse immer,

ob sie nicht von rechts oder nicht von links kommen dürfen.


Geht das überhaupt zusammen,

Glaube und Aberglaube?

Auf Gott vertrauen und sich trotzdem zusätzlich absichern

gegen mögliche Unfälle, indem man z.B. auf Holz klopft?


Eigentlich dürften sich Glaube und Aberglaube nicht beißen.

Schließlich sind wir doch auch versichert,

als zusätzlicher Schutz gegen jede Art von Unbill.

Denn auf Gott vertrauen ist gut, versichert sein ist besser.

Kann es da schaden, wenn man auch Leitern

und schwarzen Katzen vorsichtshalber aus dem Weg geht?


Man könnte meinen, Jakobus habe so etwas im Sinn,

wenn er seiner Gemeinde rät,

sich nicht einfach etwas vorzunehmen,

sondern - sozusagen als Vorsichtsmaßnahme - zu sagen:

„Wenn Gott will, werden wir leben

und dies oder jenes tun.”


Bis heute wirkt dieser Satz aus dem Jakobusbrief nach.

Es gibt sogar einen Fachausdruck dafür:

„Sub conditio Iacobaea” - unter dem Vorbehalt des Jakobus,

abgekürzt: s.c.I.

Als „so Gott will und wir leben” ist der Satz

zu einer Redensart geworden.

Fast wird er als Beschwörung gesprochen,

wie um damit zu verhindern, dass etwas dazwischenkommt.

Der Glaubenssatz wurde zum Aberglauben.


Und Jakobus ist schuld.

Drängt er nicht dazu, sich nicht zu sicher zu sein,

sondern Bescheidenheit - manche sagen: christliche Demut -

an den Tag zu legen, wenn er schreibt:

„Ein Rauch seid ihr, der eine Weile zu sehen ist

und dann wieder verschwindet.”

Das kennen wir aus dem 90. Psalm:

Der Mensch ist „wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst

und des Abends welkt und verdorrt”, heißt es dort.

Angesichts unserer Vergänglichkeit tut man gut daran,

sich nach allen Seiten abzusichern

und lieber eine Vorsichtsmaßnahme mehr zu ergreifen

als am Ende feststellen zu müssen,

dass es eine zu wenig war.


Aber ist tatsächlich die schwarze Katze oder eine Leiter schuld,

wenn aus unseren Plänen nichts wird?

Meint der Vorbehalt des Jakobus nicht doch etwas anderes?

„Wenn Gott will, werden wir leben

und dies oder jenes tun” -

hängt am Ende alles von Gottes Willen ab?


Es gibt ein Abendlied, das auch meine Mutter mit mir sang,

als ich ein kleines Kind war: „Guten Abend, gut Nacht”.

Die letzte Zeile dieses Liedes hat es in sich.

Wenn man es genau nimmt, ist sie sehr verstörend:

„Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.”

Als Kind habe ich mich gefragt: Was, wenn Gott nicht will?

Wache ich dann morgen früh nicht wieder auf?


Auch den Vorbehalt des Jakobus kann man so hören:

„Wenn Gott will, werden wir leben

und dies oder jenes tun.”

Wenn Gott will - da ist es wieder, dieses Wenn,

mit dem das Gottvertrauen infrage gestellt wird

und damit der Glaube.

Denn wie kann ich Gott vertrauen,

wenn ich mir nicht sicher sein kann,

dass Gott will, dass ich morgen früh wieder aufwache?

Kann man sich überhaupt vorstellen,

dass Gott das nicht wollen könnte?


Es ist ja vielmehr so, dass Gott will,

dass wir leben und den morgigen Tag,

ein neues Jahr erleben.

Gott will das unbedingt,

ganz unabhängig von unserem Wohlverhalten

oder unseren Leistungen:

„Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen,

spricht Gott, der Herr,

und nicht vielmehr daran,

dass er sich bekehrt von seinen Wegen

und am Leben bleibt?”, heißt es beim Propheten Ezechiel (18,23).

Gott will, dass alle Menschen leben,

auch die, die von ihm nichts wissen wollen,

sogar die Unmenschen - selbst sie sollen leben.

Wie viel mehr die, die auf Gott vertrauen!


„Wenn Gott will, werden wir leben”

kann also kein Bedingungssatz sein.

Denn Gott will, dass wir leben, daran gibt es keinen Zweifel.

Wenn aber Gott will, dass wir leben -

will er dann auch, dass wir dies und jenes tun?


Gott will, dass wir seinen Willen tun.

Darum bitten wir jedes Mal,

wenn wir das Vaterunser beten:

„Dein Wille geschehe.”

Durch wen geschieht Gottes Wille,

wenn nicht durch die, die ihn tun?


Der Vorbehalt des Jakobus zielt also nicht auf Gottes Willen ab -

der steht für uns in jeder Hinsicht fest:

sowohl als Gottes Wille, dass wir leben sollen,

wie auch als Gottes Wille für uns.

Der Vorbehalt des Jakobus zielt darauf ab,

ob unser Vorhaben diesem doppelten Willen Gottes entspricht:

Steht das, was wir vorhaben, Gottes Willen entgegen?


Worin aber besteht der Wille Gottes?

Einmal darin, dass wir leben sollen.

Dieses Leben, das Gott für uns will,

umfasst nicht nur das bloße Lebendigsein.

Zu diesem Leben gehören auch Freude und Glück,

gehört ein Sinn und gehört vor allem die Liebe -

die Liebe, die man empfängt, und die, die man schenkt.


Der Wille Gottes hat aber noch eine andere Seite

Das berühmte Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”

zeigt es: Gottes Wille bezieht sich auf uns

und auf unsere Mitmenschen, unsere Nächsten.

Und dazu gehören auch unsere Mitgeschöpfe,

gehört die ganze Natur, die Schöpfung Gottes,

über die er uns als Haushalterinnen und Haushalter gesetzt hat.


Wie finde ich denn nun heraus,

ob meine Pläne Gottes Willen entsprechen oder nicht?

Die Methode dafür nennt Ezechiel „Umkehr”.

Umkehr bedeutet nicht,

den selben Weg zurückzugehen, den man gekommen ist.

Umkehr bedeutet auch nicht,

am ersten Tag des neuen Jahres auf dem Hacken umzudrehen

und sozusagen gar nicht erst losgehen zu wollen.


Die Methode der Umkehr ist eine Besinnung,

ein zur-Besinnung-Kommen.

Eine Besinnung auf die beiden grundlegenden Gebote

der Gottes- und Nächstenliebe:

Kann das, was ich vorhabe oder das, was ich gerade tue,

diesen beiden Geboten standhalten?

Oder steht es der Ehrfurcht vor Gott und seiner Schöpfung,

allem Leben auf der Erde, entgegen?

Kann ich das, was ich vorhabe,

guten Gewissens im Angesicht Gottes tun,

oder entferne ich mich damit von Gott?


Der Vorbehalt des Jakobus müsste also eigentlich lauten:

„Was ich tue, will ich daraufhin prüfen,

ob es dem Leben dienlich ist.”

Denn das ist Gottes Wille:

dass ich lebe, glücklich sein und mich des Lebens freuen kann,

und dass auch alle anderen leben,

glücklich sein und sich des Lebens freuen können.


Was ich tue, soll dem Leben dienlich sein.

Das ist ein guter Vorsatz für das neue Jahr.

Dabei kommt es nicht darauf an,

gleich die ganze Welt zu ändern.

Es kommt auch nicht darauf an,

sich selbst zu ändern.

Es kommt nur darauf an,

dem Leben nicht im Wege zu stehen -

dem Leben, das Gott uns geschenkt hat

und mit dem er die ganze Welt erfüllt.