Donnerstag, 9. März 2017

Halleluja oder Hallelunein?

Dialogpredigt zum Sonntag Reminiszere, 12. März 2017,
über Matthäus 12,38-42 und „Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen“

Vor der Predigt singt der Chor: Ich lobe meinen Gott

Anna!

Ja?

War das nötig, dass ihr dieses Lied heute singt?

Wieso? Was ist mit dem Lied?
Ist doch schön - oder gefällt es dir etwa nicht?

Doch. Sehr sogar!
Aber du als Kantorin müsstest doch eigentlich wissen, dass man in der Passionszeit kein Halleluja singt.

Klar weiß ich das.
Ich hab' dich übrigens daran erinnert - du hattest es glatt vergessen!
Aber kannst du mir mal verraten, warum man in der Passionszeit Gott nicht loben soll?
Denn das bedeutet doch „Halleluja“: Lobt Gott.

Gute Frage, auf die ich jetzt so spontan keine Antwort weiß. 
Du hast aber recht: Warum sollte man in der Passionszeit Gott nicht loben?

Ich kann mir vorstellen, dass es mit dem Leiden zu tun hat. 
Es gibt ja keinen Grund, Gott für das Leid zu loben - im Gegenteil: 
Es wäre ziemlich eigenartig, wenn jemand sagen würde:
„Danke, Gott! Wie schön, dass ich leiden darf!“

Stimme dir zu.
Aber es ist ja nicht irgendwer, der leidet, sondern Jesus.

Was soll denn das heißen, „nicht irgendwer“?!
Willst du damit sagen, dass nur das Leid von Jesus zählt, und das aller anderen nicht,
dass sie alle umsonst leiden?

Nein, nein! Entschuldige, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich meinte es theologisch: Das Leiden von Jesus ist so einzigartig und besonders, weil er für uns leidet.
Er leidet, damit das Leiden aufhört; er opfert sich, um alle Opfer überflüssig zu machen. 
Niemand soll mehr denken oder sagen müssen: „Ich opfere mich für dich auf“, und niemand muss von anderen mehr zum Opfer gemacht werden - so, wie es zur Zeit mit den Flüchtlingen passiert.

Aber das ist doch ein Grund zur Freude und zum Halleluja-Singen!
Dann verstehe ich erst recht nicht, warum das Halleluja ausgerechnet in der Passionszeit schweigen soll.

Aber was soll dieses „Theologisch“?
Das klingt für mich ganz schön abgehoben.
Leiden, das ist doch etwas ganz Reales, das kennt jede und jeder aus eigener Erfahrung.
Für meinen Geschmack gibt es viel zu viel Leid auf der Welt. 
Ich kann die Bilder der verhungernden Kinder oft kaum noch ertragen.

Jetzt hast du gerade eine gute Begründung dafür geliefert, warum man in der Passionszeit nicht Halleluja singen sollte:
In der Passionszeit denken wir daran, was Jesus um unseretwillen auf sich nahm. Dabei werden wir empfänglich und aufmerksam für das Leid um uns herum, für das Leid in der Welt.
Kein Wunder, dass es einem da die Sprache verschlägt und einem das Lob Gottes im Hals stecken bleibt. Weil man lieber fragen will: Warum, Gott? Warum gibt es so viel Leid in der Welt?

Ja, wie denn nun?
Halleluja singen oder nicht singen?
Du weißt ja selbst nicht, was du willst!

Stimmt. Unsere Unterhaltung hat mich unsicher gemacht.
Ich weiß nicht mehr, was richtig ist.
Vielleicht sind dazu Traditionen da: Damit man sich an etwas halten kann, wenn man selbst nicht weiter weiß, und sich nicht so viele Gedanken machen muss wie wir gerade.

Das finde ich aber schlecht, wenn man nicht mehr nachdenkt.
Und ich finde es falsch, wenn man etwas macht, nur, weil es „immer schon“ so gemacht wurde.
Dein Amtsbruder Thomas Morus hat mal gesagt:
„Tradition ist nicht das Halten der Asche,
sondern das Weitergeben der Flamme“.

Thomas Morus ist nicht mein Amtsbruder.
Erstens war er katholisch, und zweitens lebte er zur Zeit Luthers in England als Thomas More
Aber der Spruch ist gut, den merke ich mir.

Wenn wir auf diesem Weg nicht weiterkommen, sollten wir vielleicht tun, was Luther in einem solchen Fall vorschlägt: die Bibel befragen.

Wir sind zwar in der Kirche, aber ich habe hier keine Bibel zur Hand und würde auf die Schnelle auch gar keine passende Stelle finden.

Ich auch nicht. Aber das brauchen wir auch nicht.
Wir haben doch eben das Evangelium gehört; vielleicht kann das uns weiterhelfen.

Wie soll uns das Evangelium vom „Zeichen des Jona“ bei der Frage helfen, ob man in der Passionszeit das Halleluja singen darf oder nicht?

Hmm. Mal überlegen.
In dieser Geschichte geht es darum, dass die Pharisäer ein Zeichen von Jesus wollen …

… also eine Art Beweis, dass er der ist, der er zu sein behauptet.

Nein. Ein „Zeichen“ ist nicht dazu da, etwas zu „beweisen“. Ein Zeichen ist vielmehr eine andere Art, etwas zu sagen - so, wie es neben den Worten die Musik gibt, oder die Kunst.
Musik und Kunst „sprechen“ anders zu uns als Worte, viel direkter und unmittelbarer.
Die Propheten haben Zeichen benutzt, um damit ihre Botschaft auf andere Weise an die Frau und an den Mann zu bringen. Deshalb gehört es sich für Jesus, der wie ein Prophet auftritt, ein Zeichen, eine Zeichenhandlung zu präsentieren.

Die Leute haben die Propheten trotz ihrer Zeichen nicht verstanden - oder nicht verstehen wollen.

Genau. Weil ein Zeichen nun mal nicht eindeutig ist. Denk an die Musik: Einer wird von einer Melodie ergriffen, eine andere lässt sie kalt.

Aber das „Zeichen des Jona“ ist doch völlig klar und eindeutig:
Die drei Tage, die Jona im Bauch des Fisches verbringt, sind die drei Tage, von denen wir im Glaubensbekenntnis sprechen:
„Am dritten Tage auferstanden von den Toten“.

Für dich und mich ja.
Aber wenn man nicht gläubig ist oder die Ostergeschichte nicht kennt, sagen einem die drei Tage überhaupt nichts.
Dann fällt einem eher auf, dass der Fisch so etwas wie eine „Zelle“ darstellt; ein Gefängnis, in dem Jona auf sich zurückgeworfen wird, ins Nachdenken kommt und schließlich erkennt, dass er einen Fehler gemacht hat - was wieder gut in die Passionszeit passt.

Wo du gerade davon sprichst:
Mir fällt etwas ganz anderes an der Geschichte auf, das auch wirklich eine Antwort gibt auf unsere Frage nach dem Halleluja-Singen.

Keine Ahnung, was Du meinst.

Ich meine die Stelle von den Nineviten und der Königin von Saba.

Die im Gericht als Zeugen gegen die auftreten, die Jesus nicht geglaubt haben?
Da sehe ich aber keinen Grund zum Loben.
Gericht - das ist doch eher was zum Fürchten!

Nun wart's doch mal ab!
Was ist in Ninive passiert?

Jona hielt seine Bußpredigt, die Nineviten gingen in sich, taten Buße - und Gott vergab ihnen und machte seine Drohung, die Stadt und ihre Bewohner nach 40 Tagen zu vernichten, nicht wahr - was Jona übrigens ziemlich geärgert hat …

Genau. Und die Königin von Saba?

Die kam zu Salomo, weil sie von seiner Weisheit gehört hatte und sich selbst davon überzeugen wollte. Eine kluge Frau, die einen klugen Mann zu schätzen wusste …

Na, siehst du!?

Äh … nein?

Es ist doch etwas Schönes, dass die Nineviten in sich gegangen sind und verschont wurden, ein Grund zur Freude - und ein Grund, Gott zu danken und zu loben!
Und auch bei der Königin von Saba geht es um etwas Schönes: Um Weisheit.
Und außerdem wird es zwischen den beiden bestimmt nicht traurig zugegangen sein, eher ziemlich prickelnd …

Ah! Ich verstehe allmählich, worauf du hinauswillst! Ein toller Gedanke: Wenn Jesus sagt: „Hier ist mehr als Salomo“, will er sich nicht größer machen als der alte König, sondern will sagen, dass es bei ihm noch mehr Grund zur Freude gibt, weil er für die Menschen gelitten und sich für sie am Kreuz geopfert hat!

Jetzt hör mal bitte mit diesem gräßlichen Leiden und Geopfere auf!
Jesus ist doch nicht toll, weil er tot ist, sondern weil er lebt! 
- Als Lebender ist er mir sowieso viel, viel lieber …

Ok, ok, du hast schon wieder recht.
Wir Theologen denken um zu viele Ecken und übersehen dabei das Naheliegende.

Schön, dass du es einsiehst.
Da, wo Jesus war, gab es Grund zur Freude wegen all dem, was er für Menschen tat:
Dass er sich z.B. bei dem unbeliebten Zachäus einlud, oder dass er die Ehebrecherin vor der Steinigung rettete, indem er den Richtern deutlich machte, dass sie nicht besser waren als sie - lauter tolle, Mut machende und fröhlich machende Geschichten.

Aber Grund zur Freude gab es nicht nur, weil Jesus so tolle Sachen gemacht und gesagt hat, sondern vor allem einfach, weil er da war.
Weil er der Sohn Gottes ist.
Und weil er die Liebe ist.
Und die ist ja wohl etwas absolut Schönes, etwas, das einen zum Singen bringt: Halleluja!

Ich verstehe: Wenn wir immer nur von Jesus als dem Leidenden und Gekreuzigten sprechen,
machen wir aus einem lebendigen Menschen eine graue Theorie, die wenig mit unserem Leben zu tun hat.
Jesus, der Menschensohn, hat Menschen glücklich gemacht. Und tut es noch heute.
Denn wir, seine Gemeinde, sind ja der Leib Christi
Wir sind füreinander Jesus, in uns und mit uns und unter uns ist er gegenwärtig und verbreitet Freude.

Jetzt hast du es kapiert! Halleluja!
Darum singe ich auch in der Passionszeit das Halleluja: Weil Jesus hier unter uns ist, hier und heute, in diesem Gottesdienst, lebendig und wahrhaftig, und nicht nur theoretisch.
Jesus ist hier, um uns fröhlich zu machen und um uns glücklich zu sehen, auch und gerade in einer Zeit, in der wir an das Leiden erinnert werden.

Dazu kann ich nur sagen:
Amen, Schwester!
Und: Halleluja!