Sonntag, 14. Oktober 2018

Das Leben - ein Gewebe

Das Leben - ein Gewebe. Eine Ansprache zur Trauerfeier, Jesaja 38,12
Textgrundlage, auch als Eingangspsalm: Das Lied Hiskias, Jesaja 38,10-20


Liebe Angehörige,
liebe Trauergemeinde,

blickt man auf ein Leben zurück,
stellt man es sich als Weg vor.
Sieht man voraus auf den Lebensweg, der vor einem liegt,
erscheint er einem als gerade, ebene Straße.
Vielleicht warten irgendwo in der Ferne
Abzweigungen oder Weggabelungen.
Aber der Abschnitt,
der vor einem liegt und den man überschauen kann,
ist immer kerzengerade.
Sogar dann, wenn man unmittelbar
vor einer Veränderung im Leben steht.

Blickt man aber zurück,
sieht man, wie der Lebensweg,
der im Blick nach vorn so kerzengerade scheint,
sich windet und schlängelt,
wie er durch Täler und über Gipfel führt.
Wie viele Abzweigungen man genommen hat
und wie viele Kurven und Umwege man gehen musste.
Und dass der Weg nicht eben war,
sondern oft holprig und voller Steine und Schlaglöcher.

Im Rückblick erscheint einem das Leben als ein Weg.
Aber es ist nicht nur ein Weg,
sondern ein Geflecht von Wegen.
Man geht ja nicht allein durchs Leben.
Andere gehen mit.
Ihr Lebensweg läuft streckenweise neben unserem her.
Dicht daneben, oder mit größeren Abstand,
je nach der Nähe und dem Verhältnis,
das man zueinander hat.
Manchmal bricht so ein Weg plötzlich ab -
wenn ein Mensch, der uns nah ist, stirbt;
wenn eine Freundschaft endet, eine Beziehung zerbricht;
wenn jemand in einen anderen Ort, ein anderes Land zieht.

Andere Wege kreuzen den eigenen Lebensweg -
manche nur einmal,
andere öfter oder sogar regelmäßig.
Deshalb müsste man statt von einem Lebensweg
oder von einem Geflecht von Wegen
besser von einem Gewebe sprechen,
wenn man auf das Leben eines Menschen zurückblickt.
Ein Gewebe, in dem der eigene Lebensweg ein Faden ist,
untrennbar verflochten mit vielen anderen Lebensfäden,
die parallel oder quer zum eigenen Lebensfaden verlaufen.

So verflochten war Ihr Leben auch
mit dem von N.
Ihre Lebensfäden liefen dicht neben seinem,
oder sie kreuzten ihn nur ab und zu.
Jetzt, wo sein Lebensfaden abgerissen ist,
blicken wir auf das Gewebe, das sein Leben war,
wie es verflochten war mit Ihrem.
Wir entdecken den Lauf unseres eigenen Lebensfadens
in diesem Gewebe,
und wir betrachten das Muster,
das die vielen Fäden ergeben.

(…)

Er war nicht allein,
weil da noch jemand an seiner Seite war.
Den hat er nicht gesehen,
von dem hat er vielleicht auch nichts gespürt.
Wenn man leiden muss, erscheint einem Gott oft sehr fern;
man hat das Gefühl, von Gott verlassen zu sein.
Und wenn man mit ansehen muss, wie jemand leidet,
ohne dass man ihm helfen
oder es ihm leichter machen kann,
fragt man oft nach dem Warum -
obwohl man weiß,
dass es auf diese Frage keine Antwort gibt.

Selbst Jesus hat sich am Kreuz von Gott verlassen gefühlt.
Auch er hat gefragt: Warum?
Warum hast du mich verlassen?
Aber Gott war da.
Gott war auch bei N.
Immer war er da, an seiner Seite.
Warum war dann von Gott nichts zu spüren?
Warum musste er so leiden?

Gott greift nicht ein.
Zur Freiheit unseres Lebens
gehört auch die Freiheit unserer Entscheidungen.
Wie Eltern ertragen müssen,
dass ihr Kind seinen eigenen Weg geht,
so erträgt Gott, dass wir unsere Wege gehen -
Wege, die oft ins Leiden führen
für uns und für Menschen, die wir eigentlich lieben.

Trotzdem bleibt Gott an unserer Seite,
auch, wenn Menschen uns verlassen;
wenn sie unseren Lebensweg missbilligen.
Gott hält bei uns aus,
wie Sie an N.s Seite ausgehalten haben -
gerade in den Momenten,
in denen Sie hatten eingreifen, hatten helfen wollen,
ihm aber nicht helfen konnten.

Gott bleibt an unserer Seite
und läuft als roter Faden im Gewebe unseres Lebens
neben unserem Lebensfaden her,
meistens, ohne dass wir es bemerken.

Sein roter Faden gibt dem Gewebe unseres Lebens Richtung und Ziel.
Und er gibt dem Gewebe die Farbe -
so, wie Ihre Lebensfäden,
die mit dem Leben von GN. verwoben sind,
seinem Lebensgewebe Farbe geben,
so dass es bunt schillert.
N. hat auch Ihrem Leben Farbe gegeben,
denn sein Lebensfaden läuft ja im Gewebe Ihres Lebens mit.

Das Gewebe des Lebens von N.
leuchtet noch einmal in seiner Buntheit und Vielfalt auf.
Wir sehen, wie sich durch sein Leben ein roter Faden zieht,
der sich auch im Gewebe unseres Lebens findet:
Gott, der unbemerkt an seiner Seite war
und zu dem er jetzt heimgekehrt ist.

Bei Gott wird das Gewebe seines Lebens aufbewahrt.
Bei Gott wird es sich verwandeln
in einen wunderbaren Stoff,
der schillern, strahlen und glänzen wird:
in dem es keine abgerissenen Fäden mehr gibt,
keine Fehlstellen und Löcher.

Und weil das Leben ein Gewebe ist,
bleiben auch wir mit N. verbunden.
Ein Faden seines Lebens
läuft ja auch im Gewebe unseres Lebens mit.
Wenn er jetzt auch abgerissen ist,
gibt er unserem Lebensgewebe doch
seine einzigartige Färbung,
sein einmaliges Muster,
seine besondere Struktur.
Bis eines Tages auch unser Leben
seinen roten Faden offenbaren und von Gott
zu einem ewigen Leben verwandelt werden wird.

Bei Gott ist N. geborgen.
Er heilt alle Schmerzen und alles Leid.
Gott heilt die Wunden, die ihm zugefügt wurden.
Gott wird auch die Verletzungen heilen,
die er anderen zugefügt hat.
So können wir ihn gehen lassen in Frieden,
und so können wir jetzt, oder eines Tages,
auf sein Leben in Frieden zurückschauen
wie auf unseres, mit dem es verwoben ist.

Amen.

Samstag, 13. Oktober 2018

So tun, als ob #nicht

Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis, 14.10.2018, über 1.Korinther 7,29-31:

Das will ich euch aber sagen, liebe Geschwister:
Die Zeit drängt.
In Zukunft soll,
wer einen Partner hat, sein, als hätte er keinen.
Und wer weint, als weinte er nicht.
Und wer fröhlich ist, als wäre er es nicht.
Und wer etwas kauft, als besäße er es nicht.
Und wer die Welt gebraucht, als verbrauche er die Welt nicht.
Denn diese Welt vergeht.


Liebe Schwestern und Brüder,

die Zeit drängt.
Fällt dieser Satz, vielleicht noch voller Ungeduld,
dann wird es hektisch.
In der Eile des Aufbruchs geht schon mal etwas schief:
Man wirft den Kaffeebecher um,
vergisst Schlüssel, Handy oder Portemonnaie,
oder zieht sich eine Laufmasche.

Ruhe und Gelassenheit täten da gut.
Wenn jemand drängelt und es hektisch wird,
einfach tief durchatmen
und jetzt erst recht alles langsam und mit Bedacht tun.

I. Die Zeit drängt.
Paulus ist nicht im Aufbruch begriffen.
Trotzdem drängelt er, als ginge die Welt unter.
Und tatsächlich scheint es so,
als spräche Paulus vom Weltuntergang, wenn er schreibt:
„diese Welt vergeht”.

Der Weltuntergang, wieder und wieder wird er vorausgesagt,
wieder und wieder erweist sich die Vorhersage als falsch.
Der Weltuntergang wird unter Christen mit der Wiederkunft Christi in Verbindung gebracht,
wie es in einem alten Kirchenlied heißt:
„Es ist gewisslich an der Zeit,
dass Gottes Sohn wird kommen
in seiner großen Herrlichkeit,
zu richten Bös’ und Fromme.
Da wird das Lachen werden teur,
wenn alles wird vergehn im Feur,
wie Petrus davon schreibet” (EG 149,1).

„Es ist gewisslich an der Zeit”.
Aber offensichlich lässt Jesus sich Zeit, wiederzukommen.
Bald sind es 2.000 Jahre, die im Warten auf seine Wiederkunft vergangen sind.
Die Hektik, die Paulus entfacht, scheint daher ganz und gar unnötig.
Die Christen haben das Warten sowieso längst aufgegeben
und sich in der Welt eingerichtet.
So gut, dass sie ihre unsteten und gefährdeten Ursprünge vergaßen
und sich mit den Fürsten dieser Welt gemein machten -
ja, selbst zu Fürsten dieser Welt wurden.
Noch heute kämpft die Kirche mit der Tatsache,
dass sie nicht mehr Staatskirche ist,
wie sie es über viele Jahrhunderte war.
Und dass also nicht automatisch jede Bürgerin, jeder Bürger auch Christ ist.
Sondern nur der, der das auch wirklich sein will.
Oder, besser gesagt: Der von Gott dazu berufen wird, Christ zu sein.

Anfangs mieden und misstrauten die Christen den Fürsten dieser Welt.
Sie hatten von ihnen schließlich nichts Gutes zu erwarten.
Manche Christen zogen sich ganz aus dieser Welt zurück,
wurden Einsiedler in der Wüste -
Vorläuferinnen und Vorläufer der Nonnen und Mönche.
Es war aber nicht so sehr die Angst vor den Fürsten dieser Welt
oder das Misstrauen ihnen gegenüber, das sie in die Wüste
und später in den von Mauern umfriedeten Bereich des Klosters trieb.
Es war das Wissen darum, dass diese Welt vergeht.

II. Wie - ist etwa das Ende der Welt gekommen,
und wir haben es gar nicht gemerkt?!
Nein, die Welt ist noch da, und sie ist noch die alte.
Dieselbe, die sie schon zur Zeit von Jesus war.
Aber Jesus sagte etwas sehr Aufregendes und Unerhörtes über die Welt.
Er sagt: „Ich habe die Welt überwunden” (Joh 16,33).

Zu allen Zeiten und in allen Religionen kämpfen Menschen mit dem Problem,
dass diese Welt, so schön, lebendig und üppig sie ist,
zugleich auch sehr gefährlich ist - lebensgefährlich sogar.
Dass niedliche kleine Vögel im Nest verhungern
oder von einem gefräßigen Marder gefressen werden;
dass der Löwe die elegante Gazelle schlägt und frisst
und die Hyänen sich mit den Geiern um die Reste streiten.
Wir bringen es nicht zusammen, dass das Leben,
das uns so viel Glück, Erfüllung und Schönheit beschert,
immer auch Leid und Schmerz für uns bereithält.
Das Taijitu, in dem das weiße Yang und das schwarze Yin gegenüberstehend dargestellt werden.
Symbol von Yin und Yang
Der Taoismus hat dafür das Symbol des Yin und Yang gefunden.
Das Licht enthält immer auch etwas Dunkeles;
in jeder Dunkelheit gibt es immer auch ein Licht.

Buddha wiederum lehrte, dass es so etwas wie Gut und Böse gar nicht gibt,
sondern alles nur Einbildung sei.
Man entkommt dem Leid nur dadurch, dass man den Schleier der Einbildung zerreißt
und zum wahren Kern allen Seins, zum Nichts, dem Nirvana, vordringt.

Und Jesus behauptet, er habe die Welt überwunden.
Leid, Schmerz und sogar der Tod lägen hinter ihm
und damit auch hinter jedem, der an ihn glaubt.
Durch seine Auferstehung hat er die Mächte der Welt
und sogar den Tod besiegt.

Wir Christen leben aus der Auferstehung.
Sie liegt vor uns als etwas, das nach unserem Tod auch auf uns wartet,
wodurch der Tod nicht das Ende für uns ist,
sondern der Anfang von etwas Neuem.
Sie liegt aber auch bereits hinter uns,
weil Jesus auferstanden ist, woran wir uns an jedem Sonntag erinnern.
Wir stehen quasi mit einem Bein, mit dem Standbein,
in der Tür zur zukünftigen Welt.
Mit einem sicheren Stand im Reich Gottes sind wir in der Lage,
mit der Welt spielerisch umzugehen.
Wir müssen sie nicht mehr so ernst nehmen,
weil sie uns nicht mehr ernsthaft gefährlich werden kann.

III. Paulus will uns also nicht die Welt verbieten
oder uns den Spaß an ihr verderben.
Er will uns nur darüber aufklären,
in welchem Verhältnis wir zur Welt stehen,
eben in einem spielerischen Verhältnis.

Kleine Kinder backen gern Kuchen im Sandkasten,
aus feuchtem Sand, gemischt mit Grashalmen,
garniert mit Gänseblümchen und Blättern.
Sie drängen uns dazu, den Kuchen zu probieren.
Und wir spielen mit, tun so, als ob wir ihn kosten
und loben dann lautstark, wie lecker er war.
Wir tun so, als ob. Es ist ein Spiel.

Paulus möchte uns zu einem Spiel animieren,
bei dem wir so tun, als ob nicht.
Statt des schönen Hauses, in dem wir wohnen,
sollen wir so tun, als hätten wir kein Dach über dem Kopf.
Statt der Partnerin, des Partners, den wir lieben,
sollen wir so tun, als wären wir allein.
Wenn wir Wasser, Luft, Erde und was darin wächst und lebt gebrauchen,
sollen wir so tun, als gehöre uns das alles nicht,
als müssten wir jemandem gegenüber Rechenschaft darüber ablegen.

Was soll diese Spielerei?
Sind wir dafür nicht zu alt,
ist das Leben nicht zu ernst,
als dass man so spielerisch damit umgeht?
Ja, gerade weil das Leben so ernst und leidvoll ist,
sollen wir spielerisch damit umgehen.
Wenn wir gut aufgepasst und von Jesus gelernt haben,
wenn wir uns von seiner Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit haben anstecken lassen,
dann wissen wir besser als jeder andere,
wie schnell sich das Leben ändern kann.
Wie leicht man sein Haus, seine Heimat verlieren kann.
Wie plötzlich man daraus vertrieben werden, es einem weggenommen werden kann.
Wir wissen darum, wie zerbrechlich eine Beziehung ist.
Dass die Partnerin, der Partner sterben
oder sich so verändern kann,
dass man in ihm nicht mehr den Menschen wiedererkennt,
in den man einmal verliebt war.
Und dass unsere Welt bedroht ist, z.B. durch den Klimawandel,
daran zweifeln nur noch ganz Hartgesottene.

Wie leicht man verlieren kann, was man hat,
wie gefährdet das Leben, wie zerbrechlich jede Beziehung ist,
wie nahe wir dem Tod sind,
das hört man nicht gern.
Man denkt auch nicht gern darüber nach.
Aber wer, wenn nicht wir, die wir mit einem Bein im Reich Gottes stehen
und von der Welt nichts mehr zu befürchten haben,
hätte den Mut, dieser Wahrheit ins Auge zu sehen,
ihr stand zu halten und damit zu leben?
Dazu will uns das Spiel des Paulus verhelfen:
Diese Furchtlosigkeit der Welt gegenüber zu entwickeln,
um mit der Wahrheit über das Leben,
über die Welt und über uns leben zu können.

IV. Aber wie spielt man dieses Spiel des Paulus?
Wie man so tut, als ob, das weiß jedes Kind.
Wie aber tut man so, als ob nicht?

Es geht, wie gesagt, um die Wahrheit,
die Wahrheit über das Leben, über die Welt und über uns.
Offenbar gibt es viele Wahrheiten über die Welt,
wie das Beispiel der verschiedenen Religionen gezeigt hat.
Daneben gibt es auch das, was die Wissenschaft
über die Welt und das Leben herausfindet.
Und dann gibt es auch noch die sogenannten „alternativen Fakten”.
Präsident Trump, ein prominenter Vertreter dieser „alternativen Fakten”,
der auch ein sehr - sagen wir: spielerisches - Verhältnis zur Wahrheit hat,
sagte zum Bericht über den Klimawandel,
es gebe viele Berichte,
und er achte darauf, wer den Bericht geschrieben habe.
Mit anderen Worten:
Wenn die falschen Leute den Bericht geschrieben haben, liest er ihn nicht.
Statt um die Wahrheit geht es darum, wer etwas sagt, ob Freund oder Feind.
Aber natürlich hängt eine Wahrheit nicht davon ab, wer sie vertritt.
Wahrheit ist nicht beliebig.
Wahrheit kann, muss und wird bewiesen werden.
Manchmal bekommt man den Beweis schneller geliefert, als man denkt …

Wenn es aber um die Wahrheit über die Welt, über das Leben oder über uns geht,
funktionieren Beweise nicht.
Wie soll man beweisen, dass die Welt Gottes Schöpfung ist;
dass die Welt vergeht, weil wir mit einem Fuß bereits im Reich Gottes stehen;
dass Gott uns liebt und uns vergibt, jeden Tag neu?
Man kann das nicht beweisen.
Ebensowenig kann man beweisen, dass der Stärkere immer Recht hat;
dass die Gewalt siegt;
dass die Wirtschaft ständig wachsen muss;
dass man nur glücklich ist, wenn man sich etwas kauft.
Ob das eine oder das andere wahr ist, wird sich erweisen.
Leider erst, wenn es zum Schwur kommt:
Wenn man schwer krank wird oder das Leben zuende geht.
Dann erkennt man mit einem Schlag, ob das, worauf man vertraute, trägt,
oder ob man den Boden unter den Füßen verliert.

V. „So tun, als ob nicht” spielt man,
indem man der Wahrheit vertraut,
dass diese Welt vergeht,
weil Jesus sie bereits überwunden hat.
Indem man auf die Wirklichkeit der Auferstehung vertraut,
die nicht nur am Ende auf uns wartet,
sondern der Anfang jedes neuen Schrittes ist, den wir tun.
Dieses Vertrauen kann man üben, man kann es lernen,
aber man kann es nicht kaufen.
Es wird einem geschenkt.
Deshalb sagte ich vorhin,
dass man von Gott dazu berufen wird, Christ zu sein.

„So tun, als ob nicht” ist ein Spiel, ein sehr ernstes Spiel.
Aber es ist nötig und tut auch mal gut, das Leben nicht allzu ernst zu nehmen.
Dann gelingt es einem nämlich hin und wieder,
einen neuen Blick auf das Leben zu erhaschen.
Als man eine Ehebrecherin zu Jesus brachte,
malte er im Sand, obwohl es für die Frau um Leben und Tod ging.
Aber die Antwort, die Jesus bei seinem spielerischen Malen fand,
rettet der Frau das Leben und beschämte ihre Ankläger.
Zu diesem spielerischen Umgang mit dem Leben will Paulus uns befreien,
damit wir die Wahrheit entdecken,
die kein Auge je sah und kein Ohr je vernommen hat.
Amen.

Samstag, 6. Oktober 2018

Wunderbare Warenwelt

Predigt zum Erntedankfest, 7. Oktober 2018, über 1.Timotheus 4,4-5:
Jedes Geschöpf ist schön.
Und man muss nichts verachten, wenn man es mit Dank annimmt.
Denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und das Gebet.

Liebe Schwestern und Brüder,

drei kurze Sätze, einfach und verständlich.
Und doch verstehen sie sich nicht von selbst.
Letzten Sonntag haben wir über die ersten beiden Sätze nachgedacht:
Wie es sein kann, dass jedes Geschöpf schön ist,
und welche Rolle die Dankbarkeit dabei spielt.

Heute möchte ich mit Ihnen über den letzten Satz nachdenken:
„Es wird geheiligt durch das Wort Gottes und das Gebet”,
genauer gesagt über das Wort „heiligen”.
Ein Wort, das man im Alltag nicht benutzt -
oder haben Sie schon einmal etwas geheiligt?
Auch ich als Pfarrer, der ich von Berufs wegen viel mit dem Heiligen zu tun habe,
habe noch nie etwas geheiligt.
Das darf ich auch nicht, selbst wenn ich's könnte und wollte.
Man weiht manchmal etwas - z.B. eine neu gebaute Kirche.
Daher kommt ja das Fest der Kirchweih.
Die Weihe widmet ein Gebäude für den Gottesdienst.
Sie sagt: Dieses Gebäude ist für Gott bestimmt.
Aber damit ist die Kirche nicht geheiligt.

Heilig ist das, was Gott gehört,
und Gott allein ist heilig.
Nur Gott kann etwas heiligen.
Deshalb heißt es: „Es wird geheiligt”.
Etwas, das geheiligt wurde, gehört jetzt Gott.
Es hat ein unsichtbares Etikett bekommen, auf dem Gott als Besitzer vermerkt ist.
Es wird von den alltäglichen Dingen ausgesondert,
wird reserviert für den Gebrauch im Dienst und Auftrag Gottes.
Was geheiligt ist, darf man nicht einfach so verwenden.
Man muss vorher fragen - wie bei allem, was einem anderen gehört.
Man darf ja auch nicht einfach in einen fremden Garten,
einen fremden Schuppen, ein fremdes Haus spazieren
und sich holen, was man gerade benötigt.

Was geheiligt wurde, ist ausgesondert, reserviert und mit einem Etikett versehen.
Ausgesondert, reserviert und mit einem Etikett versehen - das kennen wir:
Im Supermarkt, im Kaufhaus präsentieren sich so die Waren.
Wenn „heiligen” bedeutet, dass man etwas aussondert, reserviert und mit einem Etikett versieht,
dann sind auch die Waren im Geschäft „geheiligt”.
Dafür spricht, dass Waren mit einer besonderen Aura umgeben sind.
Man darf sie nicht einfach nehmen und einstecken -
das ist Ladendiebstahl, der wird schwer bestraft.
Manche, besonders wertvolle Waren darf man nicht einmal anfassen.
Sie stehen in verschlossenen Vitrinen; man muss fragen, um sie genauer ansehen zu dürfen.
Es wird viel Aufhebens betrieben um die Waren.

Für den Vergleich der Waren mit der Heiligung spricht auch,
dass man große oder schicke Kaufhäuser „Konsumtempel” nennt,
in denen mit den Waren eine Art Gottesdienst gefeiert wird.
Aber es ist natürlich keine echte Heiligung,
die in den Kaufhäusern durch das Aussondern und Etikettieren geschieht.
Heiligen kann allein Gott.
In den Konsumtempeln wird die Heiligung nachgeahmt.
Der Gott, oder besser gesagt, der Götze, der dort die Waren heiligt, ist das Geld.
Das Geld macht Dinge zur Ware.
Wenn sie Waren geworden sind, darf man sie nicht mehr einfach so verwenden.
Es reicht auch nicht, höflich zu fragen, ob man sie sich mal ausleihen darf.
Man muss dafür bezahlen, wenn man etwas haben will, das eine Ware ist.
Das ist so selbstverständlich, dass man nicht mehr darüber nachdenkt.
Dass man kaufen muss, was man haben will, und es sich nicht einfach nehmen kann,
das lernt schon ein kleines Kind.

Dass man für Waren bezahlen muss, ist selbstverständlich.
Aber dass etwas zur Ware wird, ist nicht selbstverständlich.
Und doch kann alles zur Ware werden, wofür jemand Geld zu zahlen bereit ist.
Nicht nur das, was es in den Geschäften zu kaufen gibt.
Land kann zur Ware werden.
Plötzlich darf man einen Wald, eine Wiese, einen Strand nicht mehr betreten,
weil es Privatbesitz geworden ist und der Eigentümer das nicht möchte.
Trinkwasser kann zur Ware werden.
Große Firmen wie Nestlé kaufen Quellen auf, füllen das Wasser in Flaschen
und verkaufen es wieder an die, denen sie die Quellen zuvor abgekauft hatten.
Pflanzen und Tiere sind Waren, natürlich,
aber nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Erbgut,
das patentiert wird, damit es verkauft werden kann.
Sogar der Mensch kann zur Ware werden.
Man kann sein Blut, statt es beim Roten Kreuz zu spenden, auch verkaufen.
Für menschliche Organe wird soviel Geld geboten,
dass in armen Ländern manche Menschen eine ihrer Nieren verkaufen.
Die Sklaverei war ein Geschäft mit Menschen, die Prostitution ist es noch heute.

Wenn Geld im Spiel ist, kann alles zu Ware werden.
Es gibt auf unserem Planeten nichts -
keinen Stein, keine Pflanze, kein Tier, kein Fleckchen Erde -,
das nicht irgendwann zur Ware werden könnte.
Die Erde, die eigentlich uns allen gehört - allen Menschen, allen Lebewesen -,
und die als Kugel keine Grenzen kennt,
wird abgesondert, reserviert und etikettiert.
Die Erde, die die Bibel Gottes Schöpfung nennt,
wodurch sie und alles, was auf ihr lebt, Gott geheiligt ist,
hat einen neuen Herrn bekommen: Das Geld.
Jesus nannte das Geld einen Götzen: den Mammon,
und forderte, man müsse sich entscheiden, wem man dienen wolle:
Gott, oder dem Mammon.

Die ganze Welt ist Ware.
Nein, nicht die ganze Welt.
Es gibt einige kleine gallische Dörfer,
die sich dagegen wehren, zur Ware zu werden.
Das sind die Kirchen.
Die Kirchen, solange sie noch dem Gottesdienst dienen,
sind Reservate, letzte Orte auf dieser Erde,
an denen das Geld keine Macht hat,
an denen es nicht um Kaufen und Verkaufen geht.
Zwar geht es in der Kirche auch oft ums Geld -
Kirchen brauchen Geld zu ihrer Unterhaltung, viel Geld sogar.
Und jeden Sonntag wird eine Kollekte eingesammelt.
Aber mit diesem Geld wird nichts gekauft - im Gegenteil:
Damit werden Menschen beschenkt.

Etwas wird geheiligt, das bedeutet:
Es wird ausgesondert, reserviert und mit dem Etikett des Besitzers versehen.
Wenn etwas dem Mammon geheiligt wird, ist es eine Ware.
Wenn etwas Gott geheiligt ist, wird es bewahrt.
Dann ist es den strengen Regeln Gottes, dem Gesetz, unterworfen.
Wer etwas, das Gott geheiligt ist, benutzen oder ausleihen will,
muss sich an diese Regeln, an die Gebote, halten.
Im Umgang mit anderen Menschen schreiben diese Gebote z.B. vor,
dass man den anderen respektieren soll;
dass man ihn nicht verletzen oder ihm gar das Leben nehmen darf;
dass man seine Beziehung achten soll,
dass man ihn nicht bestehlen, nicht belügen und nicht übervorteilen darf.
Man darf ihm nicht wegnehmen, was er zum Leben braucht,
und man soll ihm nicht nehmen, was er liebt.

Was Gott geheiligt ist, wird davor bewahrt, zur Ware zu werden.
Menschen, Tiere und Pflanzen, unser ganzer Planet werden durch die Heiligung bewahrt.
Das ist auch der Auftrag, den Gott dem Menschen gibt:
Die Erde zu bebauen und zu bewahren.
Bebauen und bewahren - es ist also nicht alles tabu, was geheiligt ist.
Die Schöpfung ist nicht nur zum Anschauen da;
sie ist kein großer, eingezäunter Garten, an dessen Tor „Privat” steht.
Wir dürfen sie auch genießen und benutzen.
Wir dürfen Tiere töten, um sie zu essen, dürfen säen und ernten.
Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass sie keine Waren sind,
sondern Geschöpfe, wie auch wir Geschöpfe sind.
Gott hat sie uns anvertraut
und vertraut darauf, dass wir sie bewahren vor Qualen, Verschwendung,
Misshandlung und Zerstörung.

Aber Gott scheint weit weg zu sein,
wie ein Hausherr, der außer Landes reiste und so bald nicht wiederkommt.
Was werden seine Angestellten tun?
Werden sie sich an den Auftrag des Hausherren halten, seinen Besitz zu bewahren?
Wenn er lange nichts von sich hören lässt,
fangen die ersten an, auf eigene Rechnung zu arbeiten.
Bald wird der Besitz aufgeteilt. Jeder macht sich selbst zum Herrn.
Die Menschen früherer Zeiten hatten Angst vor Gottes Zorn und Gericht.
Aus dieser Angst heraus scheuten sich viele, Gottes Gebot zu übertreten.
Aber es gibt immer einen Mutigen, der es wagt, die Linie zu überschreiten.
Als man sah, dass ihm nichts passierte, trauten sich auch die anderen.
Heute fürchten wir nichts mehr;
es gibt keine Grenze mehr, die wir noch respektieren.

Es ist gut, dass wir keine Angst mehr vor einem zornigen und strafenden Gott haben müssen.
Mit dieser Angst wurden über Jahrhunderte Menschen klein gehalten,
während die, die ihnen diese Angst einredeten,
fröhlich ein Gebot nach dem anderen übertraten.
Wir sehen heute fassungslos auf die Missbrauchsskandale in den Kirchen,
in denen genau diese Haltung zutage tritt.

Aber wie können wir die Schöpfung bewahren,
wenn man keine Angst mehr vor Gottes Zorn haben muss?
Wenn die, die sie zur Ware machen, keine Konsequenzen befürchten müssen?
Wer hält sich schon freiwillig an die Gebote, wenn es ohne viel besser geht?

Der Glaube, den Jesus verkörperte, setzt nicht auf Macht und Gewalt,
er setzt auf die Liebe.
Liebe kann man nicht erzwingen.
Liebe kann man nicht befehlen.
Liebe ist die ohnmächtigste Macht von allen.
Und doch entfaltet sie eine unglaubliche Energie in denen, die sie ergreift.

Wir werden die Schöpfung bewahren, wenn wir von der Liebe ergriffen werden.
Von der Liebe zu unseren Mitgeschöpfen, den Pflanzen und Tieren.
Von der Liebe zur Natur, zu klarem Wasser, sauberer Luft,
einem weiten Horizont ohne Mauern und Zäune.
Und von der Liebe zu unseren Mitmenschen,
von denen jede und jeder ein Ebenbild unsres Schöpfers ist.

Wer die Schöpfung lieben lernt, dem offenbart sie ihre Schönheit.
So erkennen wir, dass jedes Geschöpf schön ist, und darum liebenswert.
So weckt umgekehrt die Schönheit dieser Welt und ihrer Geschöpfe die Liebe in uns,
und damit den Willen, sie zu bewahren.
Dabei helfen uns das Wort Gottes und das Gebet.
Das Wort Gottes, weil es uns an unseren Auftrag und Gottes Gebote erinnert.
Das Gebet, weil es uns immer wieder vom Götzen Mammon wegführt,
zurück zu Gott, dessen Geschöpfe wir sind.

Als Gottes Geschöpfe sind wir frei.
Frei davon, zur Ware zu werden,
und befreit davon, andere zu Waren zu machen.
In dieser Freiheit der Kinder Gottes lasst uns leben
und sie auch unseren Mitgeschöpfen bringen,
der ganzen schönen, weiten Welt.
Amen.

Donnerstag, 4. Oktober 2018

Du musst dich entscheiden!

Predigt zur Kirchweih in Rohr am 7.10.2018 über Josua 24,14-16:

Josua spricht:
Nun denn, verantwortet euch vor Gott und verehrt ihn aufrichtig und treu!
Entfernt die Götter, die eure Eltern verehrten jenseits des Euphrat und in Ägypten,
verehrt statt dessen Gott.
Wenn ihr aber meint, es sei verkehrt, Gott zu verehren,
dann entscheidet jetzt, wen ihr verehren wollt:
Die Götter, die eure Eltern verehrten jenseits des Euphrat,
oder die Götter der Amoriter, in deren Land ihr euch aufhaltet.
Aber ich und meine Familie werden Gott verehren.
Das Volk antwortete:
Keinesfalls verlassen wir Gott, um andere Götter zu verehren!


Liebe Festgemeinde,

ständig muss man sich entscheiden!
Sekt oder Selters;
ganz oder gar nicht, gehn oder bleiben;
das Kleine Schwarze, oder Jeans und Pulli?
Manche Entscheidung fällt leicht.
Bei anderen braucht man Zeit zum Überlegen.
Und bei einigen tut man sich richtig schwer,
braucht manchmal einen Anstoß von außen,
bis man sich endlich zu einem Entschluss durchgerungen hat.

Neben diesen bewussten Entscheidungen entscheidet man vieles,
ohne dass es einem überhaupt bewusst wird oder dass man es merkt.
Manches erledigt sich scheinbar von selbst,
indem man es liegen lässt oder aussitzt -
aber, wenn man's ganau nimmt, auch das ist eine Entscheidung.
Manchmal lässt man andere die Entscheidung treffen -
und auch da hat man sich entschieden, nämlich:
andere für mich entscheiden zu lassen.

In die Gruppe der unbewussten, nicht direkt getroffenen Entscheidungen
gehört auch der Glaube.
Wer gläubig ist, kann gewöhnlich nicht sagen, wie lange er oder sie glaubt.
Gefühlt würde man sagen: „schon immer”.
Dabei gebietet es die Logik,
dass der Glaube irgendwann einmal angefangen haben muss.
Man hat es nicht gemerkt; man weiß nicht, wie man dazu gekommen ist.
Nur wenige können den Tag und die Stunde benennen,
in der sie zum Glauben kamen.
Die meisten sind durch Eltern und Großeltern,
durch Kindergottesdienst, Christenlehre und Konfirmandenunterricht
irgendwie hineingerutscht.
Und irgendwann sind sie wieder herausgerutscht aus dem Glauben.
Vielleicht nicht ganz herausgerutscht:
Er spielt keine Rolle im Leben, ist nicht wichtig.
Er stört nicht weiter, man weiß einfach nichts damit anzufangen.

II. Ständig muss man sich entscheiden!
Oder, anders formuliert:
Alles, was man tut, hat Konsequenzen.
Meistens merkt man davon nichts;
darum rechnet man nicht mit den Folgen seines Handelns.
Aber wenn etwas schief geht, bekommt man sie zu spüren.
Dann wird einem unterstellt, man habe sich bewusst so entschieden;
dann wird verlangt, dass man die Folgen trägt und dafür gerade steht.
Dabei hat man doch nur auf einen Link geklickt,
einen Knopf gedrückt, einen Schalter umgelegt,
einen Zettel unterschrieben, ohne groß darüber nachzudenken.

Ständig muss man sich entscheiden,
und man entscheidet ständig -
auch, wenn einem das meist nicht bewusst ist.
Allem, was man tut oder lässt, ist eine Entscheidung vorausgegangen.
Und im Zweifel wird man dafür zur Verantwortung gezogen,
dass man sich so oder so entschieden hat.

Irgendwie ist das unfair.
Wenn man vorher gewusst hätte, dass man dafür geradestehen muss,
hätte man sich anders entschieden.
Wenn man gewusst hätte, dass es schief geht, hätte man es natürlich gelassen.
Bei vielem, was man tut, kann man das Ende noch nicht absehen.
Wenn man bei jedem Fehler zur Rechenschaft gezogen wird,
traut sich niemand mehr, etwas zu riskieren!
Wen wundert's da, dass kaum noch jemand Verantwortung übernehmen will!

Trotzdem bleibt es dabei: Entscheidungen müssen getroffen werden.
Um den Konsequenzen zu entgehen, gibt es verschiedene Strategien:

Man hält sich an bewährte Methoden.
Dann muss man sich, wenn's schief geht, nicht anhören,
dass andere es besser gewusst und gekonnt hätten.
Oder man macht, was alle machen.
Dann ist man, wenn's schief geht, nicht allein schuld.

III. Auch Josua verlangt von den Israeliten eine Entscheidung.
Er stellt ihnen drei Möglichkeiten zur Wahl:
Sie können sich an bewährte Methoden halten;
zurückkehren zu dem, was ihre Eltern glaubten.
Eine solche Rückkehr zum Bewährten legt sich nahe,
wenn die Zeiten unsicher sind.
Es hat zwar schon damals nicht funktioniert,
aber wenigstens wusste man damals,
wer schuld war, dass es nicht geklappt hat.

Die zweite Möglichkeit:
Sie können machen, was alle tun;
den Glauben und die Werte der Gesellschaft übernehmen, in der sie leben.
Das verhindert, dass man aus der Masse heraussticht und negativ auffällt.
Und im Zweifel sind alle schuld.
Und wenn alle schuld sind, ist niemand wirklich schuld.
So kann man am besten vermeiden, die Konsequenzen tragen zu müssen.

Der dritte Weg, den Josua beschreibt und selbst beschreitet,
ist der Glaube an Gott.
Dieser Glaube ist etwas Neues gegenüber den Traditionen der Vorväter.
Er ist auch anders als das, was die Gesellschaft vorlebt.

IV. Der Glaube, den Josua zur Wahl stellt,
ist kein Festhalten an alten Traditionen -
auch, wenn es schön ist, Traditionen zu erhalten und zu pflegen.
Er ist auch kein Anpassen an die Gesellschaft -
auch, wenn es das Zusammenleben in einem Staat erfordert,
dass man sich in die Gesellschaft einbringt,
indem man Steuern zahlt, wählen geht und sich engagiert.

Der Glaube ist vielmehr ein dauerndes Entscheiden.
Nicht für oder gegen Gott; diese Entscheidung ist längst gefallen.
Sondern zunächst einmal dafür,
die Konsequenzen seines Handelns zu akzeptieren
und nicht zu versuchen, sich vor den Folgen zu drücken.
Was man tut, was man lässt, hat Auswirkungen auf andere,
und für diese Konsequenzen ist man verantwortlich. Punkt.
Man kann sich nicht damit herausreden,
dass alle anderen das auch machen;
dass man von nichts gewusst habe;
dass man allein doch sowieso nichts ändern könne.

Glauben bedeutet, sein Leben im Wissen um die Konsequenzen zu leben
und bereit zu sein, dafür gerade zu stehen.
Mit anderen Worten:
Sein Leben zu leben im Bewusstsein,
dass es jemanden gibt - Gott -,
vor dem man es verantworten muss,
und dass es jemanden gibt - die Mitmenschen -,
für die man verantwortlich ist.

V. Wie werden wir entscheiden?
Wenden wir uns zur Vergangenheit zurück,
zu vermeintlicher Größe,
zu angeblich besseren Zeiten,
die doch in Wahrheit niemals so gut waren,
wie sie sich in der verklärenden Rückschau darstellen?

Schwimmen wir mit dem Strom,
lassen wir uns in der Masse treiben,
und wenn man uns fragt,
dann haben wir von nichts gewusst?

Oder wagen wir es,
unser Leben in die Hand zu nehmen
und für die Folgen unserer Entscheidungen geradezustehen?

Wie auch immer wir uns entscheiden:
Gott weicht nicht von unserer Seite.
Gott ist da und macht uns Mut,
unser Leben und unsere Verantwortung anzunehmen.
Wenn wir das wagen,
werden wir kein Abklatsch unserer Vorfahren;
kein namenloses Gesicht in der Masse.
Dann werden wir wahrhaft wir selbst -
so, wie Gott uns gewollt hat und wie er uns haben will.

Amen.