Samstag, 26. Januar 2019

HaSchem - der Name

Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 27. Januar 2019, über Exodus 3,1-15:

Als Mose die Schafe seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian, hütete, trieb er sie einmal über die Steppe hinaus und gelangte zum Berg Gottes, dem Horeb.
Da erschien ihm ein Bote Gottes in einer Feuerflamme mitten in einem Brombeerstrauch. Mose blickte hin: Der Brombeerstrauch brannte im Feuer, aber er verbrannte nicht. Er dachte sich:
- Ich will hingehen und dieses großartige Spektakel ansehen, warum der Brombeerstrauch nicht verbrennt.
Gott sah, dass er vom Weg abbog, um zu schauen, und rief ihn mitten aus dem Brombeerstrauch:
- Mose, Mose!
- Ja?
- Komm nicht näher! Streife deine Sandalen von deinen Füßen! Denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden. Ich bin der Gott deines Vaters: Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.
Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott zu sehen.
Gott sprach:
- Das Leiden meines Volkes in Ägypten habe ich wahrgenommen. Ihre Klage über ihre Fronvögte habe ich gehört. Ich kenne ihre Qualen. Darum bin ich herabgekommen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und sie heraufzuführen aus diesem Land in ein gutes und weites Land, ins Land, in dem Milch und Honig fließen, in das Gebiet des Kanaaniters, Hetiters, Amoriters, Perisiters, Hiwwiters und Jebusiters. Jetzt hat mich die Klage der Kinder Israels erreicht. Auch habe ich die Bedrückung gesehen, mit der Ägypten sie quält. Nun geh, ich sende dich zum Pharao. Du sollst mein Volk, die Kinder Israels, aus Ägypten herausbringen.
Mose sprach zu Gott:
- Wer bin ich, dass ich vor den Pharao treten könnte? Und wie soll ich die Kinder Israels aus Ägypten herausbringen?
- Weil ich dir helfen werde. Und das soll das Zeichen für dich sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgebracht hast, werdet ihr Gott auf diesem Berg dienen.
Mose sprach zu Gott:
- Angenommen, ich gehe zu den Kindern Israels und sage ihnen: Der Gott eurer Väter schickt mich zu euch, dann werden sie mich doch fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen antworten?
Gott antwortete Mose:
- Ich werde da sein, wie ich da sein werde. So sollst du den Kindern Israels antworten: „Ich werde da sein“ hat mich zu euch gesandt.
Weiter sprach er:
- Das sollst du den Kindern Israels sagen: Gott, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für alle Zeit; damit sollt ihr mich nennen von Generation zu Generation.


Liebe Schwestern und Brüder,

wie heißt du?
Diese Frage steht am Beginn einer Beziehung - einer Bekanntschaft, einer Freundschaft oder einer Liebesbeziehung.
Wie heißt du?
Der Name an sich sagt nichts über einen Menschen aus. Ob einer Hinz oder Kunz heißt, spielt keine Rolle. Manche Namen klingen eigenartig oder lustig, andere prägen ihrem Träger einen Stempel auf. Aber letztlich sind Namen, wie das Sprichwort sagt, nichts als Schall und Rauch. Sie sind es solange, wie keine Beziehung zum Träger des Namens besteht. Sobald man aber jemanden näher kennen gelernt hat, bedeutet sein oder ihr Name etwas. Dann ist er das genaue Gegenteil von Schall und Rauch: Im Namen hat man, wie in einem Kern, den ganzen Menschen. In der Gemeinde, unter Freunden, in der Familie genügt es, den Namen zu nennen, damit der ganze Mensch vor Augen steht mit seinem Äußeren und Inneren, seinen Stärken und Schwächen, seiner Geschichte und Gegenwart. Je näher man sich ist, desto größer die Welt, die sich beim Nennen des Namens eröffnet.

I. Die Frage nach dem Namen ist also ein erster Versuch zu einer Beziehung. Noch kennt man einander nicht. Aber um sich kennen zu lernen, muss man den Namen kennen. Er ist der Behälter, in dem alle Erfahrungen mit dem anderen Menschen abgelegt und aufbewahrt werden. Deshalb steht uns unsere Geschichte mit dem anderen Menschen sofort vor Augen, sobald sein Name genannt wird. Sogar dann, wenn dieser Mensch nicht mehr lebt. Der Name ist eine Zeitkapsel, in der unsere gemeinsame Beziehung eingeschlossen ist. Dadurch bleibt sie lebendig. Solange einer von uns lebt, besteht auch die Beziehung weiter.

Mose erwartet, dass die Kinder Israels den Namen Gottes wissen wollen. Er erwartet also, dass sie eine Beziehung zu Gott eingehen wollen. Gott steht bereits in einer Beziehung mit den Kindern Israels: Er nimmt Anteil an ihrem Leben und Leiden, lässt sich von ihrem Schicksal anrühren und will ihnen helfen.
Und Gott steht in einer Beziehung zu Mose: Er macht ihn zu seinem Botschafter, den er zum Pharao schicken, und zu seinem Anführer, mit dem er die Kinder Israels aus Ägypten herausführen will.

In welcher Beziehung Mose zu Gott steht - wie gut, wie lange er ihn kennt, ob er ihm am Horeb zum ersten Mal begegnet oder schon lange mit ihm verkehrt - spielt dabei keine Rolle. Man darf vermuten, dass es auf Moses Seite zumindest ein Vorwissen gibt - sein Schwiegervater Jitro ist Priester, und er hält sich bestimmt nicht zufällig in der Nähe des Gottesberges auf. Aber das spielt letztlich keine Rolle. Gott beginnt die Beziehung in diesem Moment.
Bei uns ist das anders: Wir müssen einander erst einmal kennen lernen. Es dauert einige Zeit, bis man einander traut; bis aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft entsteht; bis man einander etwas von sich, von seinem Leben anvertraut.
Bei Gott ist die Beziehung sofort voll da. Er benötigt keine Bedenkzeit, kein Kennenlernen, keinen Beweis der Vertrauenswürdigkeit. Er vertraut den Menschen, zu denen er sich in Beziehung setzt, und sie können sich auf ihn verlassen: „Ich werde dir helfen“.

II. Darum ist sein Name auch „Ich werde da sein“.
Natürlich ist das kein Nomen, kein Name, sondern ein Verb, ein Tuwort. Gott sagt, wer er ist, indem er sagt, was er tut. Er hat keinen Namen, weil er keinen braucht. Denn die Beziehung zu Gott geht nicht von uns aus, sondern nur von Gott. Nicht wir sind es, die wir uns Gott aussuchen und in eine Beziehung zu ihm treten. Gott setzt sich zu uns in Beziehung. Darum haben wir einen Namen, mit dem wir ansprechbar sind, der uns unverwechselbar macht und zur Zeitkapsel auch unserer Geschichte mit Gott wird. Und Gott hat keinen - außer „Gott“. Aber das ist kein Name, sondern ein Gattungsbegriff wie „Mensch“, „Tier“, „Pflanze“.
Trotzdem ist es nicht irgendein Gott, den wir anreden. Es ist nur einer, ein ganz bestimmter. Heute, wo sich - zumindest in unseren Breiten - der Monotheismus, der Glaube an einen einzigen Gott, durchgesetzt hat, käme man nicht auf den Gedanken, dass „Gott“ ein Gattungsbegriff ist, dass es also mehr als einen Gott geben könnte. In der Antike war er das. Da war es notwendig, zwischen verschiedenen Göttinnen und Göttern zu unterscheiden. Deshalb hatten sie Namen - Zeus, Athene, Poseidon, oder Jupiter, Minverva, Neptun.

III. Der Gott Israels aber hat keinen Namen. Er identifiziert sich durch die Beziehung: „Ich bin der Gott deines Vaters: Der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“. Gott wird erkennbar und unterscheidbar von anderen Göttern dadurch, dass er eine Geschichte hat - dass Menschen mit ihm eine Geschichte haben. Nun muss man allerdings sagen: Diese Geschichte Gottes mit seinen Menschen ist nicht unsere Geschichte. Unsere Vorfahren hießen nicht Abraham, Isaak und Jakob. Sie gehörten nicht zu denen, die von Gott aus der Knechtschaft in Ägypten befreit wurden. Wie aber kann dann der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs unser Gott sein?

„Ich werde da sein, wie ich da sein werde“: Gott stellt sich vor als der, der für die Menschen da ist. Zuerst für sein Volk, die Kinder Israels. Die Menschen jüdischen Glaubens, die Söhne und Töchter Israels, sind und bleiben für alle Zeit Gottes Volk, das er sich aus allen Völkern erwählt hat. Wären sie es nicht, könnten wir niemals zu Gott in Beziehung treten. Denn, wie gesagt, nicht wir erwählen uns Gott zum Freund, sondern Gott erwählt uns, wie er einst Abraham, Isaak und Jakob erwählte.

IV. Von dieser Erwählung erzählt die Bibel. Sie erzählt die Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Indem wir diese Geschichte hören oder sie lesen, werden wir ein Teil der Geschichte. Gott redet uns aus der Geschichte heraus an, wie er Mose anredete im brennenden Brombeerstrauch. Gott sucht die Beziehung zu uns, will unsere Freundschaft, will für uns da sein. Gott ruft uns bei unserem Namen, wie er Mose rief. Die Bibel ist sozusagen unser brennender Busch. Überall, wo wir sie aufschlagen, ist heiliger Boden. Immer, wenn wir sie aufschlagen, ruft Gott uns beim Namen.

Weil Gott die Beziehung zu uns sucht und begründet, gehören wir zu ihm als seine Töchter und Söhne. Wir haben uns Gott nicht ausgesucht - das können wir nicht. Und wir können nicht die verdrängen, die Gott schon erwählt hat, wie ein Kuckuck seine Geschwister aus dem Nest wirft. Gottes Volk umfasst alle, die Gott beruft: Die, die er am Anfang erwählt hat, und die, zu denen er heute in Beziehung tritt. Darum darf man auch niemandem den Glauben absprechen, oder die Zugehörigkeit zu Gott und seiner Gemeinde. Gott allein entscheidet, wer zu ihm gehört. Im Zweifel ist sein Herz immer noch größer und weiter, als unseres es ist.

V. Gott hat keinen Namen. Den braucht er nicht. Solange wir den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs anrufen, wird er uns hören. Wenn wir aber Gott von seiner Geschichte und seinem Volk trennen, verlieren wir ihn. Dann haben wir nur noch einen Götzen, einen Pappkameraden, der uns nicht helfen und nicht für uns da sein kann. Weil er nicht lebendig ist, sondern ein Kunstprodukt, das wir uns selbst gebastelt haben.
Der lebendige Gott: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs - der auch der Gott Saras, Rebekkas, Leas und Rahels ist - wird sich immer wieder als der Gott erweisen, der für uns da ist. Der mit uns mitgeht und uns bei unserem Namen ruft - heute, morgen und in der zukünftigen Welt.

Freitag, 18. Januar 2019

Wie's geht

Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias, 20.1.2019, über Römer 12,9-16:

Liebe Schwestern und Brüder,

wann ist man eine* gute* Christin*?
Ich denke, darüber gibt es fast so viele Meinungen, wie Leute hier im Raum sind.
Das liegt zu einem nicht geringen Teil daran,
dass wohl jeder selbst eine* gute* Christin* zu sein meint.
Dann ist natürlich das, was man selbst am Glauben für wichtig oder entscheidend hält,
auch das, was eine* gute* Christin* ausmacht.

Für die* eine* mag das der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes und die Teilnahme am Leben der Gemeinde sein,
wozu auch die Mitarbeit in der Gemeinde und die Bereitschaft, etwas zu spenden, gehören.
Eine* andere* hält sich vom Gottesdienst und der Gemeinde fern, weil sie den Glauben der anderen als Heuchelei empfindet.
Sie* glaubt lieber für sich, und wie sie* das tut, geht niemanden etwas an.
Eine* dritte* sucht und findet Gott in der Stille, Weite und Erhabenheit der Natur.
Ihr* Gebet besteht nicht in Worten, sondern im Schauen und Staunen.
Einer* vierten ist das, was die anderen für Glauben halten, viel zu wenig;
sind die Gottesdienste nicht feierlich, nicht lebendig oder nicht modern genug.
Sie* sucht nach größerem Ernst, größerer Verbindlichkeit, tieferem Glauben.
Sie* sucht nach Gleichgesinnten, die ihren Glauben mit ihr zusammen fröhlich bekennen wollen.

Finden Sie sich in einem der vier Typen wieder?
Oder leben und erfahren Sie Ihren Glauben noch einmal ganz anders?
Wie gesagt, ich denke, es gibt fast so viele Meinungen, was „richtiger“ Glaube ist, wie Leute hier im Raum sind.

Aber wie glaubt man denn nun richtig?
Auf diese Frage gibt es, fürchte ich, keine Antwort.
Mit dem Glauben ist es wie mit der Liebe:
Da kann Ihnen auch niemand sagen, wie es richtig geht.
Deshalb ist es schrecklich aufregend, sich zu verlieben.
Weil man sich so unsicher ist und glaubt, alles falsch zu machen;
weil man nichts wissen, nur fühlen und vermuten kann -
und manchmal furchtbar daneben liegt.
Und zugleich ist es so schön, sich zu verlieben,
dass man es am liebsten immer wieder tun würde -
wenn es nicht noch schöner wäre, einen Menschen zu haben,
den man liebt und von dem man geliebt wird.

Weil man in Liebesdingen so unsicher ist, beobachtet man, wie die anderen es machen.
Man holt sich Rat bei der* Freundin*, guckt Liebesfilme oder liest Romane.
In Glaubensdingen macht man es nicht anders.
Man orientiert sich anfangs an jemandem, von der* man annimmt, dass sie* weiß, wie‘s geht.
Bis man selbst ein Gefühl dafür entwickelt hat, wie Glauben funktioniert.
Oder bis man von seinem Vorbild enttäuscht wird, weil es etwas tut, das im Widerspruch zum Glauben steht.
Auf der Suche nach Antworten in Glaubensfragen kann man auch Filme schauen oder Bücher lesen.
Die Bibel bietet sich da natürlich ganz besonders an.
Und da finden wir heute einen Text von Paulus, in dem er uns schreibt,
wie er meint, dass Glauben geht, und wie man in seinen Augen eine* gute* Christin* ist:
„Macht euch, was die Liebe angeht, keine Illusionen.
Verabscheut das Schlechte, indem ihr
- das Gute anstrebt;
- euch lieb habt wie Geschwister;
- euch gegenseitig an Respekt übertrefft;
- euch nicht zurückhaltet, wenn euer Einsatz gefragt ist;
- euch begeistern lasst;
- das, was ihr tut, für den Herrn tut;
- voller Hoffnung seid;
- Kummer ertragt;
- beharrlich betet;
- Anteil nehmt an der Not eurer Mitchristen;
- euch um Gastfreundschaft bemüht.
Segnet, die euch übelwollen. Verflucht sie nicht, sondern segnet sie.
Freut euch mit den Fröhlichen.
Weint mit den Weinenden.
Strebt miteinander nach einem Konsens.
Seid nicht hochnäsig, sondern lasst euch mit denen ein, die unter euch stehen.
Werdet keine Besserwisser.“

Sieht man sich die Liste der Dinge an, die nach Paulus eine* gute* Christin* ausmachen,
fällt neben der Länge dieser Liste auf, dass Paulus sie mit der Liebe beginnt.
Liebe ist nicht gleich Liebe, auch wenn wir im Deutschen nur ein Wort dafür haben.
Es ist etwas anderes, die Partnerin zu lieben oder seine Eltern;
Nächstenliebe unterscheidet sich völlig vom Verliebtsein,
und sogar sich selbst kann man auf unterschiedliche Weise lieben.
Die christliche Liebe ist die Liebe, über die man sich, Paulus zufolge, keine Illusionen machen soll.
Das könnte eine Szene aus einem französischen Spielfilm sein,
in der eine vom Leben und von der Liebe enttäuschte Mutter ihrer Tochter sagt:
„Mach dir über die Liebe keine Illusionen!“.

Paulus geht es nicht darum, uns Enttäuschungen zu ersparen.
Er möchte uns eine Spur, auf die seiner Meinung nach richtige Spur, setzen:
Wir sollen die Liebe zu Gott nicht als Schwärmerei verstehen,
oder gar als Ersatz oder Überbietung der irdischen Liebe,
- wie Nonnen im Kloster einen Ring tragen, weil sie mit Christus verheiratet sind.
Die christliche Liebe, wie Paulus sie darstellt, ist eine nüchterne Art der Liebe,
mehr Haltung als Gefühl.
Tatsächlich ist für die Nächstenliebe nicht einmal Sympathie nötig.
Mann muss seinen Mitmenschen nicht mögen,
um ihm zu helfen und freundlich zu ihm zu sein.

Die Liebe, die Paulus meint und die auch Jesus gepredigt hat,
ist also im Wesentlichen ein Dasein für andere.
Ein Glaube, dessen Fundament diese Art der Liebe ist, äußert sich im Dasein für andere,
im Miteinander, in Gemeinschaft: in der Gemeinde.
Damit macht Paulus deutlich, dass Glaube keine Privatsache ist.
Auch wenn ich es bin, die* glaubt,
ist mein Glaube nicht wie eine Kerze,
mit der ich mir zuhause im stillen Kämmerlein eine anheimelnde Stimmung schaffe.
Sondern Glaube ist wie ein Licht, das auf einen Leuchter gehört,
damit es für mich und andere hell wird.

Dieses Licht vertreibt die Dunkelheit - das Schlechte, wie Paulus schreibt.
Gegen dieses Schlechte geht der Glaube an.
Er ist also nicht nur ein Gefühl, ein Träumen von einer besseren Welt,
eine Flucht aus dieser Welt in die himmlische, ein Versinken oder eine Versenkung in Gott.
Sondern er ist Arbeit: ein tatkräftiges Angehen gegen das Schlechte.
Dieses Schlechte ist nicht irgendwo auf der Welt.
Es ist auch nicht eine einzelne Person, wie der Teufel.
Das Schlechte geschieht unter uns, in unserem Zusammenleben, in unserer Gemeinde.
Es geschieht, wie Paulus schreibt, immer dann, wenn man sich nicht anstrengt.
Das Schlechte passiert sozusagen von selbst.
Das Gute muss man wollen und dafür richtig hart arbeiten.

Der Glaube, wie Paulus ihn beschreibt,
hat so gar nichts von der Ergriffenheit, die einen in manchen Kirchen befällt,
bei einem Orgelstück oder einem besonders gelungenen Gottesdienst.
Er hat nichts Ekstatisches, ist kein Flug über die Unbilden des Alltags, hinauf in himmlische Gefilde.
Der Glaube, den Paulus beschreibt, ist anstrengend.
Er ist richtige Arbeit. Und nicht einmal Arbeit, die mir zugute kommt,
sondern Arbeit für andere. Dasein für andere.

Warum sollte man sich das antun?
Warum sollte man so glauben wollen?

Glaube ist, wie die Liebe, etwas, das man nicht beherrschen kann.
Wie man sich plötzlich verliebt, so kommt man auch unversehens zum Glauben.
Man kann den Glauben auch verlieren, wie einem die Liebe abhanden kommen kann.
Und wie man sich der Liebe der* Partnerin* nie sicher sein kann,
sondern immer wieder Zeichen der Liebe braucht,
so braucht auch der Glaube Vergewisserung.
Diese Vergewisserung kann man sich nicht selbst geben.
Sie kommt von der* anderen.
Die Vergewisserung durch die* andere* ist der Lohn dafür,
dass der Glaube ein Dasein für andere ist.

Und noch etwas bekommt man, wenn der Glaube ein Dasein für andere ist:
Man verliert sich selbst.
„Wer mir nachfolgen will,
der verleugne sich selbst“, 
sagt Jesus (Mt 16,24 parr). Und Paulus schreibt:
„Nun aber lebe nicht mehr ich,
sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20).
Der Glaube als Dasein für andere führt zur Selbstvergessenheit.
Man geht sich verloren, damit Gott eine* erfüllen kann.
So, wie ein Kind selbstvergessen im Sand spielt,
vergisst man als Erwachsene* sich selbst, wenn man für andere da ist.

Paulus hat uns gezeigt, wie er den Glauben versteht,
Ob wir seine Sicht auf den Glauben annehmen und für uns übernehmen wollen,
muss jede* selbst entscheiden.
Mit dem Glauben ist es wie mit der Liebe:
Da muss jeder seinen eigenen Weg finden und gehen.

Anders als in der Liebe aber geht man im Glauben nicht zu zweit, sondern in einer Gemeinschaft.
Und weil wir nun einmal besser darin sind, etwas Gutes zu zerstören als aufzubauen,
sollten wir Paulus‘ Worte bedenken.
Sie könnten uns dabei helfen, Gemeinde zu sein und zu bleiben
und unser Licht leuchten zu lassen in der Welt.

Amen.

Samstag, 12. Januar 2019

Lass Gott nur machen!

Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias, 13.1.2019, über Josua 3,5-11.17

Josua sprach zum Volk:
Macht euch bereit, denn morgen wird Gott mitten unter euch ein Wunder tun!
Und er sprach zu den Priestern:
Hebt die Bundeslade auf und geht dem Volk voran!
Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.

Gott sprach zu Josua:
Heute beginne ich damit, dich vor ganz Israel groß zu machen,
damit sie erkennen, dass ich mit dir sein werde, wie ich mit Mose war.
Jetzt weise die Priester, die die Bundeslade tragen, an:
Wenn ihr das Ufer des Jordan erreicht, dann bleibt im Jordan stehen!

Josua sprach zu den Israeliten:
Kommt her und hört die Worte des Herrn, eures Gottes!
Daran sollt ihr erkennen, dass ein lebendiger Gott in eurer Mitte ist:
Er wird gänzlich vertreiben
den Kanaaniter und den Hetiter und den Hiwwiter,
den Perisiter und den Girgasiter und den Ammoniter
und den Jebusiter.
Seht, die Bundeslade des Herrn über alle Welt geht vor euch her in den Jordan!

Und die Priester, die die Lades des Gottesbundes trugen,
blieben im Trockenen stehen, mitten im Jordan.
Und ganz Israel zog im Trockenen hindurch,
bis das ganze Volk vollzählig durch den Jordan gezogen war.


Liebe Schwestern und Brüder,

was willst du einmal werden, wenn du groß bist?,
wird man schon als kleines Kind gefragt.
Und irgendwann fragt man sich selbst: Was will ich werden?
Was fange ich mit meinem Leben an?
Was mache ich aus mir und meinem Leben?

Es ist ein gewisser Luxus, wenn man sich diese Frage stellen kann.
Es bedeutet, dass man eine Wahl hat.
Frühere Generationen hatten oft keine Wahl;
sie mussten den Hof oder den Betrieb der Eltern weiterführen.
Das war so selbstverständlich, dass niemand fragte, ob sie das auch wollten.
Sie selbst wagten nicht, sich dieser Tradition zu widersetzen:
der Hof, der Betrieb waren ja nun einmal da.

Auch heute noch ist es ein gewisser Luxus,
wenn man frei entscheiden kann, was man einmal werden will.
Vor noch gar nicht so langer Zeit gab es kaum Lehrstellen,
und nur wenige Jobs.
Mancher verschickte 50, 60 oder 80 Bewerbungen,
bevor er eine Zusage erhielt;
da konnte man nicht allzu wählerisch sein.

I. Nicht jeder kann das werden, was er will.
Trotzdem spürt man die Verpflichtung, etwas aus sich zu machen.
Es ist zu wenig, einfach nur dazusein;
man muss auch etwas wollen, etwas schaffen, etwas erreichen.
Heinrich Böll erzählt dazu eine Geschichte,
die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“:

Ein portugiesischer Fischer wird von einem deutschen Touristen angesprochen,
als er gerade dösend in der Sonne liegt.
Der Tourist fragt ihn, wann er zum Fischen ausfahre.
Er habe seinen Fang für heute schon gemacht, antwortet der Fischer.
Der sei so reichlich gewesen,
dass er morgen und übermorgen nicht auszufahren brauche.
Der Tourist fühlt sich von dieser Antwort herausgefordert.
Er malt dem Fischer aus, was er alles erreichen könnte,
wenn er, statt faul in der Sonne zu liegen, noch einmal ausfahren würde:
Bald könnte er sich ein Motorboot leisten,
mit dem er dann noch mehr Fische fangen könnte.
Von dem Erlös des größeren Fangs könnte er Mitarbeiter einstellen
und weitere Boote kaufen.
Er würde eine ganze Fangflotte besitzen, die für ihn fischen würde.
Dann könnte er ein Fischrestaurant eröffnen und eine Fischfabrik, und …
„… ja, und was dann?“, fragt der Fischer. -
„Dann sind Sie so reich, dass Sie es sich leisten können,
faul in der Sonne zu liegen!“, ruft der Tourist aufgeregt.
„Das kann ich doch jetzt auch schon“, antwortet der Fischer.

Unsere Gesellschaft erwartet, dass man etwas aus sich macht
und dass man die Möglichkeiten, die man hat, so gut wie möglich nutzt.
„Wachstum“, „Wohlstand“, „Profit“ sind die Stichworte.
Nach den Maßstäben unserer Wirtschaft gemessen, ist der Fischer dumm,
wenn er nur so viel fängt, wie er braucht.
Genauso dumm ist es, Steuern zu zahlen
oder einen finanziellen Vorteil nicht zu nutzen.
Es ist dumm, mehr Geld für eine Ware zu bezahlen,
die man anderswo viel billiger bekommen kann.
Wegen dieser Logik gibt es in den Dörfern keine Geschäfte mehr.

II. In der Geschichte von der wunderbaren Überquerung des Jordan
geht es auch darum, dass einer etwas aus sich macht:
„Heute beginne ich damit, dich vor ganz Israel groß zu machen“,
verspricht Gott dem Josua.
Wie Mose das rote Meer teilte, damit die Israeliten es trockenen Fußes überqueren
und den Soldaten des Pharao entkommen konnten,
so wird Gott den Jordan aufstauen,
damit das Volk Israel keine nassen Füße bekommt.
Damit kann Josua beweisen, dass er der wahre und würdige Nachfolger des Mose ist.
„Wie ich mit Mose war, werde ich mit dir sein“.
Und wie Gott das Wasser des Jordan verdrängt,
so wird er auch alle Gegner vertreiben,
die das Volk Israel daran hindern wollen,
im Land jenseits des Jordans Fuß zu fassen.

Im Unterschied zur Geschichte vom Fischer
und zu den Erwartungen unserer Gesellschaft
ist es nicht Josua, der etwas aus sich macht.
Gott macht etwas aus ihm; er macht ihn „groß“.

Etwas aus sich machen, das kann jeder -
den Willen und die nötigen Mittel vorausgesetzt.
Aber groß gemacht werden, das passiert nur wenigen.
Dazu muss man entweder ganz besonders begabt sein,
oder man muss jemanden kennen, der einem dabei hilft, groß zu werden.
Man braucht Beziehungen. „Vitamin B“.

III. Aber muss man denn überhaupt etwas werden,
muss man unbedingt etwas aus sich machen?
Was ist daran so toll, „groß“ zu sein?

Jeder, der einmal am Ende der Befehlskette stand,
kann sich vorstellen, worin der Vorteil liegt,
wenn man nicht der ist, der tun muss, was andere sagen,
sondern selbst die Anweisungen gibt.

Und wenn man, wie der portugiesische Fischer,
faul in der Sonne liegen möchte,
braucht man zumindest ein Grundstück,
auf dem man seinen Liegestuhl aufstellen kann.
Man braucht genug zu Essen im Kühlschrank
und ein Dach über dem Kopf,
wenn die Abendkühle oder ein Regenschauer kommen.
Auch ein einfaches Leben wie das des Fischers muss man sich leisten können.

Und dann gibt es immer noch den Nachbarn,
der sich gerade ein neues Auto gekauft hat;
die Mitschülerin, die das neueste Smartphone besitzt.
Man möchte auch haben, was der andere hat;
man möchte auch einmal eine große Urlaubsreise machen,
auch einmal so schicke Sachen tragen,
auch einmal jemand sein, nach der andere sich umdrehen,
auf die andere neidisch sind;
man möchte jemand sein, der auf der Straße erkannt und gegrüßt wird,
dem man Bewunderung zollt, öffentlich dankt oder applaudiert.
Man möchte gesehen werden.

IV. Am heutigen Sonntag geht es um die Taufe.
Man fragt sich, was die Geschichte von der wunderbaren Überquerung des Jordan damit zu tun hat.
Na klar, es ist das Stichwort „Wasser“!
Aber das Wasser ist in dieser Geschichte verschwunden,
das ist ja gerade das Wunder!
Der Grund, warum diese Geschichte mit der Taufe in Verbindung steht, ist ein anderer:
Es ist die Zusage Gottes, Josua groß zu machen.
Groß wird man, wenn man etwas Besonderes leistet,
oder wenn man sehr erfolgreich ist.
Groß wird man auch, wenn man jemanden kennt, der einen groß machen kann.

Durch die Taufe werden wir in das Volk Gottes aufgenommen.
Wir sind jetzt per Du mit Gott,
der in der Geschichte der „Herr über alle Welt“ genannt wird.
Wir sind mit dem Oberboss befreundet.
Besser kann man es nicht treffen.
Eine wichtigere, berühmtere, mächtigere Person kann man im Leben nicht kennen lernen.
Wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen,
es könnte nichts aus uns werden:
Wir sind schon wer, weil wir zu Gott gehören.

Und zugleich wird durch diese Zugehörigkeit zu Gott deutlich:
Es geht bei Größe nicht um Geld, Macht, Besitz oder besondere Begabungen.
All das bekommen wir nicht von Gott.
Die Taufe gibt uns überhaupt nichts, was man in Geld umtauschen könnte.
Geld und Besitz sind für das Leben notwendig.
Aber sie sind nichts, was uns groß macht.
Wer sich an die Taufe hält, verzichtet nicht auf Geld und Besitz -
er braucht sie nicht. Oder nur so, wie man sie eben braucht,
wenn man sich morgens Brötchen holen
oder wenn man eine Freundin anrufen will.

V. Man kann arbeiten oder faul in der Sonne liegen;
man kann sich ein neues Auto kaufen oder das alte fahren, bis es auseinanderfällt.
Es spielt keine Rolle.
Wirklich wichtig ist nur das Ansehen, das wir bei Gott haben.
Und da müssen wir uns, Gott sei Dank!, keine Sorgen machen:
Gott findet uns großartig!
Gott ist mit uns so zufrieden, wie wir es nur ganz selten sind.
Gott ist stolz auf uns - und das, ohne dass wir dafür etwas leisten müssten.
Denn es ist viel schwerer, zu sein, als zu haben oder zu tun.
Es ist viel schwerer, ein Mensch zu sein,
der auf Gottes Liebe vertraut und sich von Gott angesehen weiß,
als sich durch Leistung sein Ansehen zu erarbeiten.
Es ist unendlich schwer, Gott machen zu lassen,
statt selbst alles machen zu wollen.
Dabei wären wir die Größten, wenn wir Gott nur machen ließen!

Samstag, 5. Januar 2019

A Star is born

Predigt an Epiphanias, 6.1.2019, über Matthäus 2,1-12

Als Jesus im judäischen Bethlehem geboren worden war zur Zeit des König Herodes,
da kamen plötzlich Weise aus dem Osten in Jerusalem an und fragten:
Wo ist der König der Juden, der geboren wurde?
Wir sahen seinen Stern aufgehen und kamen, ihn anzubeten.
Als König Herodes das hörte, geriet er in Unruhe, und ganz Jerusalem mit ihm.
Er versammelte alle Hohenpriester und Schriftgelehrten aus dem Volk
und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus geboren wurde.
Sie sagten: Im judäischen Bethlehem, wie es vom Propeten geschrieben steht:
„Auch du, Bethlehem im Lande Juda,
bist keineswegs der kleinste Ort unter den Fürsten Judas.
Aus dir wird schließlich der Fürst kommen,
der mein Volk Israel leiten wird.“
Daraufhin rief Herodes heimlich die Weisen
und erkundigte von ihnen genau die Zeit, wann der Stern erschienen war.
Er sandte sie nach Bethlehem und sagte:
Geht und forscht genau nach dem Kind.
Gebt mir Bescheid, sobald ihr es findet, damit auch ich komme und es anbete.
Nachdem sie den König gehört hatten, brachen sie auf.
Und da war der Stern, den sie hatten aufgehen sehen!
Er ging ihnen solange voraus, bis er den Ort erreichte, wo das Kind war;
dort blieb er stehen.
Als sie den Stern sahen, freuten sie sich gewaltig.
Sie gingen in das Haus und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter.
Sie fielen nieder und beteten es an.
Dann öffneten sie ihre Schatzkisten und brachten ihm Geschenke:
Gold, Weihrauch und Myrrhe.
Nachdem sie im Traum die Anweisung erhalten hatten,
nicht zu Herodes zurückzukehren,
reisten sie auf einem anderen Weg in ihr Land zurück.


Liebe Schwestern und Brüder,

die Geschichte von den drei Weisen aus dem Morgenland kennt jedes Kind.
Kein Wunder - sie kommen ja in fast jedem Krippenspiel vor.
Wenn man aber am Heiligen Abend im Weihnachtsgottesdienst sitzt,
wundert man sich, dass die drei Weisen gar nicht in der Weihnachtsgeschichte auftauchen,
obwohl sie doch zur Krippe gehören.
Heute, am Epiphaniastag, gibt es die Aufklärung dieses Rätsels:
Die drei Weisen haben ihre eigene Geschichte.

Die drei Weisen kommen aus dem Osten.
Vielleicht von daher, wo heute Syrien, der Irak und der Iran liegen.
Dort hatte man sich schon zur Zeit des Alten Testaments,
als das Land noch Babylon hieß,
mit den Sternen beschäftigt und sie als Götter verehrt.
Sie kommen, weil sie einen neuen Stern aufgehen sahen.
„A star is born“, sagt ihnen dieser neue Stern.
Nicht nur irgendein Star,
keiner von den Promis aus dem Dschungelcamp,
sondern der, auf den wirklich alle warten: Der Messias.

Auf den Messias warten sie in Israel seit Jahrhunderten.
Seit der Tempel in Jerusalem zum ersten Mal zerstört
und die Israeliten nach Babylon deportiert worden waren,
in das Land der Sterndeuter.
Wenn man so lange warten muss,
gibt man irgendwann die Hoffnung auf,
dass er noch kommt, der Messias.
Man arrangiert sich mit den Verhältnissen
und lebt so, als gäbe es den Messias nicht.
Man gibt zwar den Glauben an den Messias nicht auf.
Aber weil er so lange nicht gekommen ist,
ist es nur allzu wahrscheinlich,
dass er auch in Zukunft nicht kommen wird;
wahrscheinlich nie.

Deshalb müssen die Weisen aus dem Osten kommen.
Sie wissen nichts von einem Messias.
Sie haben nicht gewartet
und sind deshalb auch nicht des Wartens müde.
Ihre Augen sind noch nicht müde,
deshalb konnten sie den neuen Stern entdecken,
der in Israel einfach übersehen wurde,
weil man mit seinem Aufgehen nicht mehr rechnete.

Die Fremden erzählen den Einheimischen vom Messias.
Das ist putzig.
Das ist so, als würde ein Chinese, der nur Reis isst,
einem Thüringer etwas von Klößen erzählen wollen;
als würde einem ein Vegetarier eine Bratwurst schmackhaft machen.
Aber manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Da braucht es einen Außenstehenden, einen Fremden,
der noch nicht so betriebsblind ist,
um einem zu zeigen, was man selbst übersieht.

Manchmal findet man die Lösung nur durch Hilfe von außen.
Das fehlende Puzzleteil, das man nicht sieht,
das Wort im Kreuzworträtsel, das einem nicht einfällt,
den Schlüssel, den man partout nicht findet,
entdeckt ein anderer im Nu.
Und wenn er‘s einem zeigt, schlägt man sich an die Stirn:
Natürlich, da ist es ja!


Zu uns kommen Fremde aus dem Osten und aus dem Süden.
Es sind Weise darunter, aber auch ganz normale Leute.
Sie haben einen Stern gesehen im Internet,
oder haben in ihrer Heimat davon gehört,
dass in unserem Land sauberes Wasser aus der Wand kommt
und nicht mühsam über Kilometer in Eimern herangeschleppt werden muss;
dass es bei uns Krankenhäuser gibt
und Kinder nicht mehr bei der Geburt sterben müssen, weil kein Arzt da ist,
oder Menschen sterben wegen mangelnder Hygiene, fehlender Arzneimittel.

Zu uns kommen Fremde, die fliehen mussten,
weil ihnen jemand wie Herodes nach dem Leben trachtet.
Weil ihre Heimat bombardiert wird,
ihre Dörfer überfallen werden von Banditen.
Weil man sie verfolgt und tötet
wegen ihres Glaubens,
oder weil sie bei der letzten Wahl das Kreuz an der falschen Stelle gemacht hatten
oder den falschen Dialekt sprechen.

Uns sind diese Fremden lästig oder verdächtig.
Man begegnet ihnen mit Misstrauen und Vorbehalten.
Manche empfinden sie gar als Bedrohung:
Haben Angst, dass sie ihnen wegnehmen, was ihnen gehört.
Oder dass sie mit ihnen teilen müssen.

Aber was wäre, wenn es uns so ginge wie den Menschen zur Zeit Jesu:
Wenn auch wir das Warten aufgegeben hätten,
das Warten auf den Messias?

- Aber nein! Für uns ist der Messias ja gekommen!
Das kleine Kind in der Krippe, Jesus, ist der Messias,
auf Griechisch: Der Christus.
Wir brauchen nicht mehr zu warten.

Und - hat sich etwas verändert?

Muss sich denn immer gleich etwas ändern?
Der Messias ist gekommen,
und jetzt leben wir in der besten aller Welten.
Uns geht es so gut, wir haben alles, was wir brauchen -
und mehr als das!

Wir leben im Überfluss.
Trotzdem sind wir unzufrieden.
Die ganze bunte Warenwelt, der ganze Wohlstand,
die ganze Versorgung, Versicherung und Alterssicherung kann uns nicht geben,
was wir auch zum Leben brauchen: Einen Sinn.

Der Sinn des Lebens besteht nicht im Computerspielen
und nicht im Fernsehgucken;
nicht im immer mehr Haben
und nicht im Kauf des neuesten Smartphones.
Das ist eine Weile mal ganz nett,
aber es gibt dem Leben keinen Sinn.

Der Sinn des Lebens besteht im Miteinander.
Wir Menschen sind keine Einzelgänger:
Wir leben in Gemeinschaft.
Wir brauchen eine Partnerin, einen Partner.
Wir brauchen eine Familie.
Wir brauchen Freundinnen und Freunde.
Der Sinn des Lebens ist es, füreinander da zu sein.
Vor laute Kaufen und Konsumieren haben wir das vergessen.
Beim Starren auf das Smartphone übersehen wir,
dass neben uns ein Mensch darauf wartet,
gesehen und angesehen zu werden.

Die Fremden, die zu uns kommen, erinnern uns an unsere Mitmenschlichkeit.
Sie kommen aus der Not zu uns und zeigen uns,
was wir schon nicht mehr wissen,
weil wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen:
Wie man mit anderen zusammenlebt.
Wie man abgibt und teilt.
Wie man anderen hilft und sich als Mitmensch erweist.

Die Fremden, die zu uns kommen, folgen einem Stern.
Das ist nicht der Mercedesstern.
Sondern es ist die Hoffnung, hier Menschlichkeit zu finden.
Die Erlaubnis, hier unter uns leben zu dürfen
ohne Angst, ohne Bedrohung und Diskriminierung,
die sie von Zuhause zur Genüge kennen
und wegen derer sie zu uns geflohen sind.

Gebe Gott, dass dieser Stern der Menschlichkeit in uns aufgeht.