Sonntag, 16. Juni 2019

Eine Ansprache zur Taufe

Taufansprache über Psalm 23,4: Du bist bei mir

Liebe Eltern und Paten,
liebe Taufgemeinde,

„ich bin bei dir“ -
das sagt man, wenn jemand Angst hat:
„Hab keine Angst, ich bin bei dir!“
Es ist eine Geste der Beruhigung,
der Versicherung, dass man nicht allein ist.
Meine Oma war bei uns Kindern,
wenn unsere Eltern ausgegangen waren,
brachte uns zu Bett und wachte über unseren Schlaf.
Und wenn einmal ein Gewitter kam,
kroch sie zu uns ins Bett, weil sie sich so fürchtete:
sie war froh, dass sie bei uns sein konnte.

„Ich bin bei dir“ -
diesen Satz kann man sich auch unter Erwachsenen vorstellen,
bei einer Klettertour im Gebirge, wo einer sich auf den anderen verlässt.
Da bedeutet dieser Satz:
du kannst weitersteigen, ich sichere dich ab und passe auf dich auf.

Unter Hipstern hat dieser Satz noch eine andere Bedeutung bekommen,
da lautet er: „ich bin da ganz bei dir“ und will sagen:
Ich stimme dir zu, ich stimme mit dir überein.

„Ich bin bei dir“ -
Eltern sagen das, um ihre Kinder zu trösten.
Liebende sagen es zueinander.
Es sind Worte, die nicht nur trösten,
sondern auch Worte, die gut tun;
die Kraft spenden, Selbstvertrauen, Zuversicht.
„Ich bin bei dir“, das klingt fast genauso schön wie „Ich liebe dich“.

Aber sagt man auch, wie Ns Taufspruch aus dem 23. Psalm lautet,
„Du bist bei mir“?
Es ist nur ein Wechsel von der ersten zur zweiten Person,
dennoch bekommt der Satz dadurch einen ganz anderen Charakter:
Er wird zu einer Vertrauensaussage,
geradezu einem Vertrauensbeweis.

Anders als die Liebe,
die man nur fühlen und glauben, aber nicht beweisen kann,
ist das da-Sein wahrnehmbar und damit überprüfbar:
Du bist da - das sehe und das spüre ich.
Aber „Du bist bei mir“ sagt mehr aus als das bloße da-Sein.
„Du bist bei mir“ heißt:
Du stehst mir zur Seite und
Du stehst an meiner Seite.
Das gilt nicht nur für diesen Moment, in dem ich dich sehen und spüren kann.
Das gilt, wie das „Ich liebe dich“, im Prinzip für immer.

Im Prinzip, weil man die Erfahrung macht,
dass man es nicht in der Hand hat,
seinen heute gesprochenen und von Herzen gemeinten Worten eine Zukunft zu geben.
Wenn ich verspreche: „Ich bin bei dir“,
dann verspreche ich, auch in aller Zukunft bei dir zu sein,
wie ich jetzt bei dir bin.
Dass ich in Zukunft tatsächlich bei dir sein werde,
das kann ich nur wollen, aber nicht wissen.
Zu viele Unwägbarkeiten liegen in der Zukunft,
und es liegt nicht nur an mir, dass ich mein Versprechen halte.
Wenn du z.B. in Zukunft nicht mehr in meiner Nähe bist
oder in meiner Nähe sein willst,
kann ich nicht bei dir sein, auch wenn ich es möchte.

Das ist das Schicksal aller Eltern,
dass ihre Kinder eines Tages nicht mehr bei ihnen sind,
sondern ihre eigenen Wege gehen.
Man möchte weiterhin bei ihnen sein,
man macht sich Gedanken und Sorgen, möchte helfen und unterstützen,
aber kann es nicht mehr -
darf es nicht mehr, damit das Kind seinen eigenen Weg finden und gehen kann.
Und trotzdem sind wir als Eltern weiterhin da,
und wenn es gut geht, weiß das Kind,
dass es jederzeit zu uns kommen kann,
dass wir jederzeit für es da sind.

Wer das weiß, kann mit Ns Taufspruch sagen:
„Du bist bei mir“.
Aber wenn einem das so ins Gesicht gesagt würde,
mit vollem Vertrauen und ganzer Überzeugung:
„Du bist bei mir“,
würde man es wahrscheinlich mit der Angst bekommen.
Man würde selbstverständlich Ja sagen, ja, ich bin bei dir.
Aber im Geiste würde man ein Aber anfügen.
Ja - - - aber,
denn ich weiß, dass ich nicht immer werde bei dir sein können.
Ich möchte es, aber es wird Zeiten geben, da werde ich nicht da sein -
durch Verpflichtungen anderen Menschen gegenüber,
durch meinen Beruf gebunden,
oder einfach unterwegs, verreist.
Es wird Momente geben, da werde ich so mit mir selbst beschäftigt sein,
dass ich nicht bei dir sein kann oder will,
Momente, in denen ich selbst jemanden brauche, der für mich da ist.

Dieses Ja - - - aber erlebt der andere als Kränkung.
Eine notwendige Kränkung,
die einen Wachstums- und Reifungsprozess markiert
auf dem Weg vom Kind zum Erwachsenen,
auf dem Weg vom Verliebtsein zur Liebe.

Auf diesem Weg begleitet uns der Glaube an Gott,
der sich selbst bezeichnet als der, der da ist.
So stellt sich Gott Mose gegenüber vor, als der ihn nach seinem Namen fragt:
„Ich bin da, und er fügt hinzu:
Sag zum Volk Israel: Der Ich-bin-da hat mich zu euch geschickt“ (Exodus 3,14)
Gott ist der, der da ist.
Und zwar nicht nur jetzt,
und nicht nur an besonderen Orten wie dieser Kirche.
Sondern immer und überall.
Gott ist bei uns.
Wenn wir Angst haben vor Dunkelheit, sagt Gott: Ich bin bei dir.
Wenn wir uns einsam fühlen oder alleingelassen, sagt Gott: Ich bin bei dir.
Wenn uns Arbeit, Sorgen oder Belastungen über den Kopf wachsen, sagt Gott: Ich bin bei dir.

Auf dem Weg des Glaubens,
wenn der Glaube an den Gott, der alles kann und alles wieder gut macht, Risse bekommt;
wenn man an den „lieben Gott“ nicht glauben kann angesichts des Leidens in der Welt,
wenn man angesichts eines willkürlich wütenden Schicksals an Gott zweifelt und manchmal auch verzweifelt,
ist Gott trotzdem immer noch da.
Ist trotz allem da, was man gegen ihn vorbringen kann.
Gott geht davon nicht kaputt, dass man an ihm zweifelt,
ihn verantwortlich macht für das Leiden in der Welt.
Er selbst hat es sich angezogen, hat es auf sich gezogen und ist hindurchgegangen,
um bei uns sein zu können.

Gott ist bei N an jedem Tag ihres Lebens.
Die Taufe heute ist ein Versprechen, dass Gott bei ihr ist.
Dass er sie liebt, ebensosehr, wie Ihr sie liebt,
und sie annimmt, wie sie ist, und immer wieder annehmen wird, jeden Tag neu.
Immer wird Gott bei N sein und auf sie warten,
sodass sie eines Tages mit eigenen Worten sagen kann:
„Du bist bei mir“.

Amen.