Samstag, 27. Februar 2021

Gott wartet

Gedanken zum Predigttext für den Sonntag Reminiszere, 28.2.2021, Jesaja 5,1-7

„Gott wartete auf Rechtsspruch,
siehe, da war Rechtsbruch,
auf Gerechtigkeit,
siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.”

„Hoffen und harren hält manchen zum Narren”, pflegte meine Großmutter zu sagen. Jesaja scheint ihr Sprichwort zu bestätigen: Gott wartet offenbar vergeblich auf Recht und Gerechtigkeit. Unrecht und Schlechtigkeit, wohin man sieht. Nachrichten und Zeitung sind täglich voll davon. Und fühlen sich nicht auch viele Menschen in unserem Land durch die Corona-Maßnahmen ungerecht behandelt?

Wenn das Sprichwort meiner Großmutter recht hat, wird dann nicht auch Gott zum Narren gehalten, wenn er noch immer auf Recht und Gerechtigkeit wartet, obwohl er es doch besser wissen müsste? Vor allen anderen müsste Gott doch wissen, wie wir Menschen sind! „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf”, stellt Gott nach der Sintflut ernüchtert fest (1.Mose 8,21) - so, als habe Gott noch vor dem Neuanfang der Menschheit bereits die Hoffnung aufgegeben, dass der Mensch zum Guten fähig sei. Aber trotzdem wartet Gott.
Gott wartet nicht vergeblich. Wenn wir in uns hineinhorchen, können wir nicht bestätigen, dass unser Herz nach Bösem trachtet. Im Gegenteil: Wir sind meistens ziemlich nett, manchmal sogar zu Leuten, die nicht nett zu uns sind. Wir bemühen uns, gut zu sein. Und öfter als man denkt gelingt es uns, an andere zu denken, ihnen etwas Gutes zu tun, uns um andere zu kümmern oder ihnen zu helfen. Möglicherweise nicht so oft und nicht so sehr, wie wir könnten und sollten. Aber im Großen und Ganzen können wir doch ganz zufrieden mit uns sein. Und Gott ist es auch. Gott wartet nicht vergebens, weil wir und viele andere Menschen sich darum bemühen, gut zu sein und Gutes zu tun. Wir tun unser Teil dafür, dass Recht und Gerechtigkeit herrschen, und so hält Gottes Harren ihn nicht zum Narren.

Würden wir das Gute auch tun, wenn Gott nicht darauf warten würde?
Für unsere Familie, unsere Freunde sicherlich. Doch damit wir uns für unsere Gesellschaft, unsere Umwelt verantwortlich fühlen, damit fremdes Leid und das Unrecht in anderen Teilen der Welt uns nicht kalt lassen, ist es nötig, dass Gott auf Recht und Gerechtigkeit wartet. Es braucht das Warten Gottes. Gottes Warten ist nicht wie unser ungeduldiges Warten darauf, dass wir endlich an die Reihe kommen. Gottes Warten ist nicht wie unser sorgenvolles Warten auf die Liebste oder den Liebsten, wenn er oder sie länger ausbleibt als gedacht. Gottes Warten ist nicht wie unser genervtes Warten darauf, dass der Hund sein Geschäft gemacht, das Kind die Hausaufgaben fertig, Partnerin oder Partner das Essen gekocht hat. Gottes Warten ist ein geduldiges Zutrauen, dass wir das Richtige tun werden. Obwohl Gott sich keine Illusionen über das menschliche Herz macht, glaubt Gott an uns. Gott glaubt daran, dass wir uns einsetzen werden für Recht und Gerechtigkeit. Gott glaubt, dass wir das Rechte tun, wenn er geduldig darauf wartet.
Und wir tun es.

Samstag, 20. Februar 2021

Leidensgeschichte

Gedanken zum Predigttext für den Sonntag Invocavit, 21. Februar 2021, über Johannes 13,21-30

„Da sprach Jesus zu Judas: Was du tust, das tue bald.” (Johannes 13,27)

Jesus wird von Judas verraten. Mit dieser Geschichte beginnt die Passionszeit. Damit beginnt auch die Leidensgeschichte, in der Jesus auf seinen Tod am Kreuz zugeht. Eine Leidensgeschichte ist etwas, was man erleidet, was als Schicksalsschlag über einen kommt, dem man machtlos ausgeliefert ist. Nicht so Jesus. Er wird nicht wie seine Jünger weglaufen, als man ihn verhaftet, wird Spott, Misshandlung und Demütigungen ertragen. Wird sich auch nicht wehren, als man ihn ans Kreuz schlägt und einen langsamen, qualvollen Tod sterben lässt. Jesus wehrt sich nicht, und dennoch - und das macht den ganzen Unterschied aus - erleidet er dieses Schicksal nicht. Er hat es selbst so gewählt. Er selbst reicht Judas den Bissen, durch den er zum Verräter wird. Er treibt ihn sogar an: „Was du tust, das tue bald”, als könne das Ende nicht schnell genug kommen.

Unsere Leidensgeschichte wählen wir nicht selbst. Krankheit oder Tod eines lieben Menschen kommen über uns als Schicksalsschläge und verändern unser Leben - manchmal so sehr, dass wir es nicht wiedererkennen. Auch die Corona-Pandemie ist ein solcher Schicksalsschlag, der unser aller Leben nachhaltig beeinträchtigt hat. Wir haben uns das nicht ausgesucht, und wir hätten uns das auch nicht ausgesucht, wenn wir die Wahl gehabt hätten.

Hätte - dieses kleine Wort macht den ganzen Unterschied aus. Weil wir wissen, wie es vorher war, wie es anders sein könnte, darum ist das Leiden so unerträglich, darum erscheint es so ungerecht. Wir könnten gesund sein, frei, unbeschwert, glücklich - aber wir sind es nicht. Der Verzicht auf das „Hätte” fällt schwer, ist vielleicht gar nicht möglich. Doch wo er gelingt, wo man akzeptieren kann, dass das Leben so ist, wie es nun einmal ist, gewinnt man Freiheit. Freiheit, die Möglichkeiten zu sehen, die man trotz allem immer noch hat. Man erleidet sein Schicksal nicht, sondern nimmt es an - und entdeckt, dass das Leben noch immer Möglichkeiten, noch immer Schönes bereit hält.

Jesus weiß, was ihn erwartet. Er sieht den Weg vor sich, den er gehen muss, und geht ihn. Er sorgt selbst dafür, dass sein Schicksal sich erfüllt, indem er Judas zum Verräter macht und ihn losschickt. Wir sind nicht wie Jesus, und müssen es auch nicht sein. Was wir aber von ihm lernen können, ist, dass wir auch in scheinbar ausweglosen Situationen, in Verzweiflung, Leid und Schmerz, Herren unseres Lebens sind und bleiben. Denn unser Leben steht in Gottes Hand. Es steht in Gottes Hand, das bedeutet: das Urteil über unser Leben ist längst gesprochen. Es ist das „Siehe, es war sehr gut”, das Gott über seine Schöpfung gesagt hat. Unser Leben ist gelungen, ist gut, auch wenn wir es nicht so leben können, wie wir oder andere es sich vorgestellt haben. Es kommt nicht darauf an, dass sich erfüllt, was wir uns wünschen, dass wir erfolgreich sind, reich und berühmt - so schön das vielleicht wäre. Vielmehr kommt es darauf an, dass wir verstehen, dass Gott uns unser Leben gab. Wenn wir beten „Dein Wille geschehe”, bitten wir darum, das Leben, das Gott uns gab, annehmen zu können und es nicht anders haben zu wollen. Wir bitten darum, vom „Hätte” wegzukommen, zu sehen und anzunehmen, was ist. Das gibt uns die innere Freiheit, unser Leben anzunehmen. Dann erleiden wir das Leben nicht, sondern nehmen unser Schicksal an und entdecken die Möglichkeiten, die das Leben für uns bereithält.

Samstag, 13. Februar 2021

Licht sein

Gedanken zum Predigttext für den Sonntag Estomihi, 14. Februar 2021, Jesaja 58,1-9a

„Dein Licht wird hervorbrechen wie die Morgenröte.” (Jes 58,8)

Endlich werden die Tage wieder spürbar länger! Wenn man morgens aufsteht, wird es bereits hell. Dieser Tage wird man für’s Frühaufstehen mit einem wunderbaren Morgenrot belohnt. Und man muss auch nicht schon am Nachmittag das Licht in der Wohnung anschalten, sondern tatsächlich erst zum Abend. Diese Helligkeit ist tröstlich nach den dunklen Tagen. Wenn die Sonne scheint, hat man gleich gute Laune. Wir können die Dunkelheit aushalten und mögen sie auch hin und wieder ganz gern, aber wir brauchen das Licht, um uns wohlzufühlen und glücklich zu sein.

Der Prophet Jesaja spricht davon, dass in uns Licht steckt, und dass dieses Licht hervorbricht wie die Morgenröte, die einen verzaubern und in ihren Bann ziehen kann. Da wir nicht im Dunkeln leuchten, kann Jesaja das mit dem Licht nur im übertragenen Sinne gemeint haben. Die Morgenröte gibt uns den Hinweis: So, wie die Morgenröte den Betrachter bezaubert, können auch wir bezaubern. Wir können ganz bezaubernde Menschen sein. Wann sind wir das, und wie machen wir das? Auch darauf gibt Jesaja einen Hinweis: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus”. Wir sind immer dann bezaubernd, wenn wir uns anderen Menschen zuwenden. Menschen, die Hilfe suchen. Menschen, die einsam sind. Menschen, die von anderen geschnitten und gemieden werden. Menschen, die nicht mehr damit rechnen, dass jemand an ihnen und ihrem Schicksal Interesse hat. Menschen, die sonst keinen haben, der sich für sie und ihre Belange einsetzt. Die Liste ist lang; man kann sie leicht verlängern. Es gibt viele Menschen, die im Dunkeln sitzen - auch wir gehören manchmal dazu.

Wenn wir uns anderen zuwenden, leuchten wir nicht aus uns selbst, wie gesagt. Auch das Morgenrot leuchtet nicht aus sich selbst. Es reflektiert das Licht der Sonne. Wenn wir uns Menschen zuwenden, leuchtet ihr Gesicht vor Freude. Unser Leuchten ist ein Widerschein ihres leuchtenden Gesichtes; wir reflektieren ihr Leuchten, wie die Morgenröte das Licht der Sonne.

Noch immer können wir uns nicht treffen. Noch immer können wir nicht Gottesdienst feiern, wie wir es gewohnt sind. Aber wir können uns anderen zuwenden, einander helfen. Jesaja meint, das sei etwas, an dem Gott Freude hat: ein Gottes-Dienst im wahrsten Sinne des Wortes. Solange wir nicht zusammenkommen können, feiern wir Gottesdienst auf diese Weise: indem wir einander nicht vergessen und uns besonders um Verletzliche, Schwache und Einsame kümmern. Dann leuchten ihre Gesichter, und dann leuchten wir - wie die Morgenröte.

Samstag, 6. Februar 2021

Tausend weise Sprüche

Gedanken zum Predigttext für den Sonntag Sexagesimae, 7.2.2021, Lukas 8,4-15

„Seht zu, wie ihr hört!” (Lukas 8,18)

„Kannst du nicht hören!?”, rufen Eltern verzweifelt, wenn ihr Kind tut, was man ihm verboten hat. Natürlich kann das Kind hören, was seine Eltern sagen, aber das ist hier nicht gemeint. Es geht nicht um den Vorgang des Hörens, der an sich schon wunderbar ist, wenn man sich einmal mit dem komplizierten Aufbau unseres Hörapparates beschäftigt hat. Sondern darum, was man mit dem Gehörten macht. Das „Gleichnis vom vierfachen Acker”, das Evangelium des heutigen Sonntages, gibt vier Beispiele, was aus dem Gehörten werden kann:

  1. Es geht sozusagen daneben. Man hört gar nicht richtig zu, das Gehörte kommt gar nicht erst an.
  2. Es kann nicht Fuß fassen. Das Gehörte kann nirgendwo anknüpfen, sich nicht festsetzen und bleibt deshalb ohne Folgen.
  3. Das Gehörte wird unterdrückt von all den anderen Dingen, die uns beschäftigen. Und
  4. das Gehörte fällt auf fruchtbaren Boden. Man macht etwas daraus und kann seine Früchte ernten.

Wir haben wahrscheinlich mit allen vier Arten des Hörens unsere Erfahrungen gemacht. Oft ist das Hören von der Tagesform abhängig. Wer müde ist, kann nicht richtig zuhören, ebenso, wen Sorgen belasten.

Doch Jesus erzählt sein Gleichnis nicht, um damit zu demonstrieren, wie gut oder schlecht wir manchmal zuhören. Jesus erzählt vom Reich Gottes. Dieses Reich Gottes verwirklicht sich nur, wenn wir wirklich gut und aufmerksam auf Gottes Wort hören. Um des Reiches Gottes willen können wir es uns nicht leisten, zu müde oder zu belastet zum Hören zu sein. Deshalb mahnt Jesus: „Seht zu, wie ihr hört!” Wie man zuhört, kann man beeinflussen; Zuhören kann man lernen und üben. Lernen und üben können wir, was wir aus dem Gehörten machen. Ob wir uns Gottes Wort zu Herzen gehen lassen und zu Herzen nehmen.

Wir suchen wichtige Worte aus, die uns viel bedeuten. Wir schreiben sie in ein Buch, hängen sie uns an die Wand oder legen sie auf unseren Nachttisch. Weise Sprüche, die uns trösten, uns an etwas Wichtiges erinnern. Worte, die wir uns ausgesucht haben oder die uns sozusagen über den Weg gelaufen sind, uns sehr berührt haben und uns seitdem begleiten.

Gottes Wort dagegen kann man sich nicht aussuchen. Es kommt unerwartet, ungelegen und ungebeten. Oft konfrontiert es uns mit einer Wahrheit, die uns nicht gefällt, die wir nicht hören möchten. Oder es sagt uns etwas zu, das wir nicht hören können, weil wir uns nicht gemeint fühlen, weil wir meinen, es nicht wert zu sein. Darum ist es gar nicht so einfach, auf Gottes Wort zu hören. Und darum muss man dieses Hören lernen und üben – lernen und üben, sich Gottes Wort gesagt sein zu lassen. Denn Gottes Wort beurteilt und verurteilt uns nicht. Gottes Wort macht uns stark und schön, damit unser Leben Frucht bringen kann. Gottes Wort vertreibt alle giftigen Worte, die andere in uns gelegt haben – vertreibt auch das Gift, das wir selbst in uns legen. Nicht sofort, sondern allmählich, wenn wir lernen und üben, darauf zu hören. Wenn wir auf Gottes Wort zu hören lernen, bekommen wir manchmal ein Stück vom Reich Gottes zu sehen.