Samstag, 28. November 2015

Gefäß sein


Predigt zum Emporenbild "Mariä Verkündigung" zum 1. Advent 2015 in der Johanniskirche Neudietendorf

Teil I: Der Engel

Liebe Schwestern und Brüder,

J.A.Heubach aus Arnstadt, der Künstler, von dessen Hand die Tafeln der Emporenbilder stammen, war kein Rembrandt oder Rubens. Seine Werke sind nicht in den Kunstmuseen zu finden, und sie werden auch nicht im Unterricht behandelt. Trotzdem war er ein Maler, der sein Handwerk verstand und sich etwas bei dem dachte, was er tat. Er "dekorierte" nicht nur, sondern gestaltete. Wohl vom Grafen erhielt er den Auftrag für die Emporenbilder, und der damalige Pfarrer wird ihm das Thema vorgegeben haben: das Leben Jesu sollte er darstellen, wie es die vier Evangelisten, die die Kanzel schmücken, überliefert haben.

Das Leben Jesu beginnt, wie jedes Leben, mit der Zeugung. Den Menschen auf dem Land war und ist, anders als den Städtern, dieser Vorgang aus eigener Anschauung vertraut. Damals, im ausgehenden 17. Jahrhundert mehr noch als heute, war nichts dabei, wenn der Eber die Sau bestieg, der Erpel die Ente oder der Kater die Katze. Schon für die Kinder war es ein normaler und alltäglicher Anblick, das natürlichste von der Welt. Und sie konnten sich denken, dass sie auf ähnliche, wenn auch nicht ganz so profane Weise gezeugt worden waren.
Aber Jesus wurde nicht so gezeugt; Maria wusste ja noch nichts von einem Mann. Wie aber soll man darstellen, was weder zu sehen, noch zu begreifen ist, weil der Vorgang sich jeder Vorstellung entzieht und im Geheimen stattfindet?

J.A.Heubach fand eine Lösung, die von seinen Zeitgenossen verstanden wurde und die auch wir noch verstehen.
Obwohl die Zeugung Jesu so geheimnisvoll und übernatürlich ist, wählt Heubach das Schlafzimmer Marias als Ort des Geschehens aus - der Ort, an dem Kinder zu allen Zeiten entstehen. Es kann also kein Zweifel daran sein, um was es geht; das große Bett im Hintergrund gibt der Phantasie jede Menge Spielmaterial. Und auch der Engel Gabriel ist alles andere als ein ätherisches Wesen: Seine muskulösen Arme, seine kräftigen Füße und sein derbes Gesicht mit den blonden Locken weisen ihn als kräftigen Bauernburschen aus, der dem Maler vielleicht Modell stand, und in dem sich die männlichen Betrachter wiedererkennen konnten.
Ein Mann und eine Frau, allein in ihrem Schlafzimmer. Bevor die Phantasie zu lebhaft werden kann, bemerkt sie den vor das Bett geschobenen Tisch, der den Weg hinein versperrt - als könne selbst ein Engel auf dumme Gedanken kommen. Doch auch der Engel ist bei näherem Hinsehen nicht auf ein Abenteuer aus. An seinem Gewand finden sich Stoffstreifen, die wie die Stola eines Priesters wirken. Sein Finger zeigt auf etwas in der Luft, so als wolle er der Taube die Flugbahn vorgeben. Er ist durch ein Wolkentor eingetreten, das sich in Marias Zimmer geöffnet hat. Der Himmel steht offen. Eine andere Dimension hat sich aufgetan. Es ist der Himmel, den Jesus das "Reich Gottes" nennt, der Himmel, in dem Gott uns ganz nah ist, wie jetzt der Maria. Diese Nähe Gottes drückt das Bild durch das Licht aus, das den Raum flutet, und durch die Taube, die vom Himmel herabschwebt - Sinnbild des Heiligen Geistes. Das Reich Gottes, eine andere, eine neue Wirklichkeit jenseits unserer oft so leid- und schmerzvollen Realität.

Auf diese neue, andere Wirklichkeit weist auch der zwölfblättrige Zweig, den der Engel in der Linken hält. Es ist kein Ölzweig, aber wie dieser soll er wohl ein Zeichen des Friedens sein, den das Reich Gottes bringt. Doch der Engel hält diesen Zweig wie ein Schwert und erinnert damit an die Cherubim mit dem feurigen Schwert, die den Eingang zum Paradies bewachen. Das Reich Gottes ist nahe, aber nicht da. Es scheint in unserer Welt auf als Licht, das Marias Zimmer erfüllt, aber wir können nicht hinein. Das Tor zum Himmel wird sich wieder schließen, das Licht wird verlöschen und auch der Engel wird nicht bleiben. Doch bevor er wieder gehen muss, lassen sie uns hören, was ein altes baskisches Volkslied von ihm erzählt:

Lied: „Der Engel Gabriel vom Himmel kam“

Teil II: Maria

Welche Lösung hat J.A.Heubach nun gefunden, um die geheimnisvolle Zeugung Jesu darzustellen? Im Gegensatz zur derben ländlichen Wirklichkeit draußen hat er eine sehr feine, geradezu subtile Darstellung gewählt. Sie erkennen sie, wenn Sie sich Maria genau ansehen.
Maria las in der Bibel, als das Wolkentor in ihrem Zimmer sich öffnete und der Engel aus dem Himmel zu ihr herübertrat. Ihre Hand, mit der sie den Zeilen beim Lesen gefolgt ist, liegt noch auf den Seiten des Buches. Maria zeigt damit quasi auf die Schrift, sie zeigt auf das Wort Gottes, mit dem sie sich bereits vor dem Kommen des Engels beschäftigt hat und das sie nun erfüllen wird. Denn nichts anderes ist Marias Schwangerschaft: Sie geht mit dem Wort Gottes schwanger; dem Wort Gottes, von dem der Johannesprolog sagt, dass Gott durch dieses Wort die Welt schuf und dass es Fleisch wurde. Maria nimmt das Wort Gottes in sich auf und gibt ihm durch sich selbst Gestalt. Wodurch nimmt sie das Wort auf? Durch die einzige Stelle, die bei Maria sichtbar entblößt ist. Sie ist ja mehr als züchtig bekleidet, lässt nicht das kleinste Fitzelchen Haut sehen. Sogar ihr Fuß, der unter dem bodenlangen Rock hervorlugt, ist beschuht, während der Engel Gabriel barfuß geht. Etwas aber lugt frech unter all dem Stoff und den Haaren hervor: Ihr linkes Ohr. Das Ohr ist der Weg, durch den das Wort Gottes zu Maria gelangt, und auf diesem Weg gelangt es auch zu uns. Denn so wie Maria gehen auch wir mit dem Wort Gottes schwanger, geben ihm Gestalt durch unser Leben, unser Handeln. Manchmal geht es uns so wie in dem Lied, das wir gleich hören: da ist unser Leben dornig und dunkel. Doch dann kommt ein Wort, das sich in uns festsetzt und ausbreitet, das wächst, bis wir ihm eine Gestalt geben. Dieses Wort hat die Kraft, die Dornen in Rosen zu verwandeln.

Allerdings können wir nicht machen, dass es geschieht. Schön wär's, wenn man bei Kummer, Sorgen, Leid oder Trauer einfach nur das richtige Wort bräuchte, und - schwupps! -, wären sie verflogen. Man kann das richtige Wort nicht einfach so hervorholen, man kann es auch nicht herbeizwingen. Es fliegt einem zu, wie die Taube auf dem Bild. Es ist der Heilige Geist, der das bewirkt; deshalb darf er auf dem Bild nicht fehlen. Er bewirkt das Wunder, dass die Dornen Rosen tragen, wie es das Lied uns singt:

Lied: "Maria durch ein Dornwald ging"

Teil III: Der Krug

Eine Sache haben wir noch nicht betrachtet. Etwas ganz Nebensächliches, geradezu Banales, das man übersehen könnte, wenn es sich nicht so aufdrängen würde, weil es in der Bildmitte steht, und dazu noch im Vordergrund: der Korb. Ein eigenartig geformter Weidenkorb, aus dem ein Stück weißer Stoff herausschaut. Sollte Maria so liederlich sein, dass sie ihr Nähzeug nicht ordentlich weggeräumt hat? Oder hat sie gar nicht in der Bibel gelesen, sondern gestickt und, als der Engel kam, schnell die Stickerei in den Korb gestopft und sich an die Bibel gesetzt, damit er ja keinen schlechten Eindruck von ihr bekommt?
Man könnte sagen, so ein Korb gehörte nun einmal in einen bäuerlichen Haushalt, deshalb ist er eben auf dem Bild dargestellt. Aber der Künstler, der auf alles Überflüssige verzichtete und sich bei jedem Detail seines Bildes etwas dachte, wird doch nicht ausgerechnet den Korb als reines Dekorationsstück gemalt haben?

Da ist zunächst einmal die eigenartige Form des Korbes; sie erinnert mehr an einen Topf, ein Gefäß: ein Hinweis auf die Schwangerschaft Marias.
Dann fällt einem vielleicht ein, dass Mose als Baby in einem Korb im Nil ausgesetzt wurde, wo ihn die Tochter des Pharaos fand und als ihren Sohn aufzog. Mose steht für den Bund Gottes mit seinem Volk Israel und für das Alte Testament. Jesus begründet das neue Testament, den neuen Bund, zu dem auch wir gehören; daran erinnern die Eisetzungsworte zum Abendmahl, wo es heißt: "dieser Kelch ist das Neue Testament (oder: der neue Bund) in meinem Blut".
Schließlich und endlich ist der Korb ein Gefäß: dazu da, etwas hineinzulegen, um es zu sammeln, aufzubewahren oder zu transportieren, seien es Eier, Äpfel oder Frühstücksbrote.
Mit diesem Korb gelangen wir in den Blick und ins Bild, wir, die Betrachterinnen und Betrachter. Der Korb lässt uns erkennen, dass auch wir, wie Maria, *Gefäße* sind: Gefäße für das Wort Gottes, um es einzusammeln und aufzubewahren. Deutlich wird das in der Weihnachtsgeschichte, deren vorletzter Vers lautet: "Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen". Und im Evangelium des heutigen Sonntages bekennt sie sich selbst dazu, dieses Gefäß für das Wort Gottes zu sein: "Siehe, ich bin des Herrn Magd", sagt Maria zum Engel Gabriel, "mir geschehe nach deinem Wort".

Wir sollen dem Vorbild Marias folgen und Gefäße für das Wort Gottes werden. Gefäße, in die es gelegt werden kann, die es aufbewahren, aber auch weitertragen zu Menschen, die es hören müssen. Indem wir Gefäße für das Wort Gottes sind, gewinnt Jesus, das Wort Gottes, Gestalt in uns. So werden, so sind wir der Leib Christi: indem Gottes Wort uns zu Herzen geht, uns ergreift und bewegt.

Heute, am 1. Advent, beginnt die Zeit des Wartens auf die Ankunft des göttlichen Kindes. Wir warten auf die Geburt Jesu und gehen ihm an den Sonntagen des Advent dabei entgegen. Auch wir machen uns auf einen Weg im Advent, der uns schließlich zur Krippe, zu Jesus führen wird. Denn Jesus wird unter uns geboren, hier, in dieser Gemeinde, die sein Leib heißt und ist. Er wird unter uns geboren, wenn und weil das Wort Gottes in uns wohnt, durch uns und unter uns Gestalt gewinnt.

Samstag, 21. November 2015

Sehnsucht

Predigt am Ewigkeitssonntag, 22.11.2015, über Matthäus 25,1-13


Liebe Gemeinde,

was wohl dahinter liegen mag?
Das Kind, das durch das Haus gestromert ist,
hat eine Tür gefunden, die es noch nicht kannte.
Nun steht es davor und würde zu gern wissen,
was dahinter ist. Soll es sie öffnen? Darf es sie öffnen?
Was wird es da erwarten?

Viele von uns haben wohl schon einmal so vor Türen gestanden 
- vor Keller- und Bodentüren, vor Schränken oder Truhen -, 
neugierig, was sich wohl dahinter befindet,
und zugleich ein bisschen ängstlich.
Vor solch einer geheimnisvollen Tür spielt auch der Predigttext für den heutigen Sonntag bei Matthäus im 25. Kapitel:

Jesus erzählte dies Gleichnis:
Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen,
die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus,
dem Bräutigam entgegen.
Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.
Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.
Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen,
samt ihren Lampen.
Als nun der Bräutigam lange ausblieb,
wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.
Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen:
Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!
Da standen diese Jungfrauen alle auf
und machten ihre Lampen fertig.
Die törichten aber sprachen zu den klugen:
Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.
Da antworteten die klugen und sprachen:
Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein;
geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.
Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam;
und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit,
und die Tür wurde verschlossen.
Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen:
Herr, Herr, tu uns auf!
Er antwortete aber und sprach:
Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.

I
Hinter der Tür, da feiern und tanzen sie.
Wie schön muss es auf dieser Hochzeit sein!
Was wohl die Brautjungfern hinter der Tür, auf der anderen Seite, erwartet? 
Wie wunderbar darf man sich das Fest vorstellen,
für das man sich eine Nacht um die Ohren schlägt?
Für das man Ewigkeiten lang auf den Gastgeber,
den Bräutigam, wartet - bis er endlich kommt
und die Tür aufschließt.
Hinter der Tür, da feiern und tanzen sie.
Aber nicht alle dürfen mitfeiern.

Wir sind mit 10 Brautjungfern aus der Stadt hinausgegangen. 
Hinaus aufs freie Feld,
wo es keine Lampen mehr gibt
und wo man sich selbst leuchten muss.
Die Öllampen der Brautjungfern werfen Licht auf den Weg,
auf dem der kommen wird, den wir erwarten, der Bräutigam. 
Gleich, jeden Augenblick, oder irgendwann später,
man weiß es nicht.
Die Zeit wird lang, die Brautjungfern werden müde.
Sie haben sich hingesetzt, schon fallen den ersten die Augen zu.
Sie lehnen sich aneinander, jetzt schlafen sie.
Nur ihre Lampen leuchten weiter,
werfen ihr Licht auf den Weg und verzehren das Öl, das in ihnen ist.
Auf einmal ist etwas zu hören, da ruft jemand: Er kommt!
Alles ist plötzlich auf den Beinen,
rückt die Kränze zurecht, greift nach den Lampen.
Aber nun, als alle fertig sind, stellt sich heraus:
Fünf haben nicht genug Öl. Ihre Lampen gehen bald aus,
wenn sie nicht Öl nachfüllen,
und sie müssen dem Bräutigam doch den Weg leuchten!
Die anderen fünf können nichts hergeben von dem,
was sie mitnahmen, also müssen die ersten fünf in die Stadt zurück, neues Öl kaufen.
Wir folgen ihnen nicht, wir lassen sie in die Stadt rennen.
Wir bleiben bei den anderen, sehen, was passiert.
Wir sehen den Bräutigam kommen.
Die fünf Brautjungfern setzen sich an die Spitze des Zuges
und ziehen mit in das Haus, wo die Hochzeit gefeiert wird.
Hinter ihnen schließt sich die Tür, und wir bleiben außen vor.
Wie die fünf, die gerade atemlos keuchend
mit ihrem Öl aus der Stadt kommen - zu spät.
Sie dürfen nicht mehr hinein.

Wozu erzählt Jesus dieses Geschichte?
Wozu lässt er uns, seine Zuhörerinnen und Zuhörer,
diesen Weg mit den zehn Brautjungfern nicht wirklich mit gehen? 
Wir bleiben weder bei denen,
die schnell noch um Öl in die Stadt laufen,
wir dürfen aber auch nicht mit den anderen zum Fest hinein,
als die Tür sich für sie öffnet.
Wir dürfen nicht einmal einen Blick hinein tun.
Höchstens einen Lichtstrahl haben wir erhascht,
ein paar Töne der himmlischen Musik.
Das Geheimnis bleibt gewahrt,
hinter diese Tür können wir nicht schauen.
Das, was wir sehen können, liegt vor dieser Tür.

II
Vor der Tür liegt die Nacht.
Dunkelheit, von der Jesus an anderer Stelle sagt,
dass dort "Heulen und Zähneklappern" ist.
Heulen und Zähneklappern vor Angst, vor Kälte oder vor Einsamkeit.
Solche Dunkelheit kennen wir.
Jede und jeder hat sie erlebt und erlebt sie wieder:
Dunkelheit der Angst. Dunkelheit des Schmerzes.
Und, heute besonders, Dunkelheit,
die einen beim Verlust eines lieben Menschen überfällt.
Darum ist es gut, wenn man schlafen kann wie die zehn Brautjungfern. 
"Wir sind ja Schläfer aus Furcht, uns und unsere Welt wahrnehmen zu müssen" (Ingeborg Bachmann).
Wer schläft, muss die Wahrheit nicht ertragen, die Angst nicht und nicht den Schmerz. 
Der Schlaf kann gnädig sein.
Aber der Schlaf ist auch düster und bedrohlich. 
"Der Schlaf der Vernunft bringt Ungeheuer hervor" (Wolf Biermann).
An den Schlaf liefern wir uns auch aus,
er ist der kleine Bruder des großen Schlafes Tod.
Manchmal wird einem das beim zu-Bett-gehen bewusst.
Kinder haben manchmal Angst, einzuschlafen.
Angst vor den Türen, die sich öffnen, wenn man die Augen schließt.
Angst vor der Reise über die unendliche Tiefsee der Nacht.
"Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt",
sang mir die Mutter am Bett. Und ich wusste nicht:
War es Verheißung, dass ich wieder geweckt werden würde,
oder war es eine Drohung: "wenn Gott will"?
Gott wollte. Am nächsten Morgen kitzelte mich die Sonne aus dem Schlaf, 
oder meine Mutter kam und weckte mich.

Was weckt uns heute - außer dem Wecker mit seinem schrillen Gebimmel, 
lästigen Piepsen oder nervigen Radiogedudel?
Was elektrisiert uns heute so wie bei den Brautjungfern der Ruf: 
"Der Bräutigam kommt!"? 
Was gibt uns die Spannung, die Kraft, aufzuspringen oder aufzustehen 
und uns dem neuen Tag zu stellen?

III
Das, was wir sehen können, liegt vor der Tür.
Aber das, was wir sehen sollen, liegt dahinter.
Darin unterscheiden sich die fünf klugen Brautjungfern von den fünf törichten: 
Die Klugen sahen voraus.
Das Symbol dafür ist das Öl,
das sie zusätzlich mitgenommen hatten.
Die Törichten sahen nur das, was vor ihnen lag
- im Gleichnis gesprochen: Sie hatten nicht genug Öl mit.
Das hat nichts mit Fleiß zu tun.
Die klugen und törichten Brautjungfern sind nicht wie Goldmarie und Pechmarie, 
so sehr sie uns daran erinnern mögen.
Sie sind nicht fleißig oder faul - im Gegenteil:
Beide werden vom Schlaf überwältigt.
Der einzige Unterschied zwischen beiden ist die Menge Öl,
die sie dabei hatten, und die im Gleichnis für die Vorausschau steht.
Mit einem anderen Wort: Für die Sehnsucht.

Die Sehnsucht ist das Öl,
das die Lampen der Brautjungfern am Brennen hält.
Wenn der Bräutigam halbe Ewigkeiten braucht, bis er kommt,
wie hält man da die Vorfreude wach?
Die Sehnsucht ist auch das Öl, das unserem Motor die Kraft gibt, 
jeden Morgen wieder neu anzuspringen und zu laufen
- auch und gerade in und gegen Dunkelheit und Angst und Schmerzen.
Denn die Sehnsucht kehrt die Blickrichtung um:
Sie blickt von der Tür her zurück auf den dunklen Weg.
Wir stehen schon im Licht der Hochzeit,
wir hören schon die Musik
und sehen zurück auf die Wegstrecke, die wir gegangen sind.
Sie war anstrengend, steinig, düster,
aber das ist jetzt, wo wir am Ziel sind, nicht mehr wichtig.
Das, was uns am Ziel erwartet,
verdrängt die Beschwernis des Weges 
- diese Erfahrung macht jeder, der schon einmal einen Berg bestiegen hat.

Was uns Christinnen und Christen in die Wiege gelegt ist,
ist diese Sehnsucht nach Leben und Gerechtigkeit,
von dem wir immer schon einen Zipfel in der Hand halten.
Mit einem Begriff: Sehnsucht nach dem Reich Gottes.
Das Reich Gottes - das ist die Hochzeit, von der Jesus erzählt,
zu der die Brautjungfern sich aufmachen
und auf der sie erwartet werden.
Leben und Gerechtigkeit
- diese Sehnsucht ist es,
die wir nicht aus dem Blick verlieren dürfen.
Die Sehnsucht nach einem neuen Himmel und einer neuen Erde,
wo Gott alle Tränen abwischt.
Wo Leid, Geschrei und Schmerz nicht mehr sind
und wo den Tod niemand kennt.
Die Sehnsucht blickt vom Reich Gottes,
auf dessen Schwelle wir schon stehen,
zurück auf unser Leben, unsere Welt.
In der Vorschau, in der Sehnsucht,
die zugleich eine Rückschau ist,
schrumpfen Angst, Sorgen und Leid.
Sie schrumpfen auf eine Größe,
in der wir sie ertragen können.
Und auch der Tod, der uns liebe Menschen nahm,
schrumpft auf das, was er ist:
Das Ende unseres biologischen Lebens, nicht weniger
- aber auch nicht mehr.

IV
Die Sehnsucht nicht aufgeben.
Dazu will uns Jesus mit seinem Gleichnis aufrufen.
Wir sollen uns die klugen Brautjungfern zum Vorbild nehmen,
die am Ende durch die offene Tür zum Fest gehen.
Die Sehnsucht nicht aufgeben.
Mit dieser Aufgabe hat Gott uns nicht allein gelassen.
Quer über unseren Lebensweg hat er Dinge gestreut,
Zipfel des Reiches Gottes,
die uns daran erinnern sollen wie der Knoten in einem Taschentuch.

Gras, das sich sanft im Wind kräuselt,
kann solch ein Taschentuch sein
und auch die wunderbaren Farben und tanzenden Sonnenflecken auf dem Herbstlaub.
Ein Brief von einem lieben Menschen
und auch eine wundervolle Melodie, die uns berührt und ergreift. 
Ein Blick und ein Lachen eines Kindes kann es sein
und eine Hand, die die unsere drückt und hält,
ein Gesicht, das unseren Blick erwidert und davon aufleuchtet.

All das sind Taschentücher,
die Gott über unseren Lebensweg gestreut hat.
Und wenn man genau hinsieht,
erkennt man das Monogramm des Eigentümers in der Ecke.
Es sind vier griechische Buchstaben:
Alpha und Omega, der Anfang und das Ende,
und Chi und Rho, die Anfangsbuchstaben des Namens,
der über alle Namen ist: Christus.
Und diese vier Buchstaben ergeben ein griechisches Wort:
ἌΡΧΩ (archo), ich herrsche.
Ich herrsche, sagt Christus,
nicht die Gewalt und nicht der Tod,
sondern ich herrsche im Himmel und auf Erden.
Denn "ich lebe", sagt Jesus, "und ihr sollt auch leben."

Amen.

Donnerstag, 19. November 2015

Die Fremden willkommen heißen

Predigt in der Marienkirche Ingersleben zum Buß- und Bettag/ zum Ende der Friedensdekade am 18.11.2015 über Matthäus 2,13-15:

Als die drei Weisen fortgezogen waren, da erschien Josef ein Bote des Herrn im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; bleib dort, bis ich dir's sage. Denn Herodes will das Kind suchen, um es zu töten.
Er aber stand auf, nahm das Kind und seine Mutter bei Nacht und floh nach Ägypten und lebte dort bis zum Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Profeten sagte, der spricht: "Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen" (Hosea 11,11).
(Eigene Übersetzung)


Liebe Schwestern und Brüder,

"Grenzerfahrung" war das Motto der diesjährigen Friedensdekade. In den Friedensandachten hier in der Marienkirche haben wir über unsere persönlichen Erlebnisse mit der Grenze nachgedacht, haben ost- und westdeutsche Erfahrungen ausgetauscht. Aus der Partnergemeinde Wolfschlugen kam eine Andacht von Birgit Stoll über Pater Jacques, Priester der katholischen Gemeinde Qaryatein in Syrien, dessen Gemeinde viele hundert muslimische Flüchtlinge beherbergt hatte, bevor Pater Jaques von Terroristen des sog. "Islamischen Staates" entführt wurde. Er wurde von Muslimen aus den Händen der Terroristen befreit. Seine Arbeit und sein Schicksal: eine Ermutigung, dass unterschiedlicher Glaube nicht nur trennen und als Verbrämung terroristischer Grausamkeit dienen muss, sondern dass der Glaube die Grenzen zwischen den Religionen überwinden kann.

Heute, am letzten Tag der Friedensdekade und zugleich am Buß- und Bettag, hören wir von der Familie Jesu, die über die Grenze flieht, um der Verfolgung durch Herodes zu entgehen.
Wahrscheinlich sind Ihnen, wie mir, bei dieser Geschichte die Menschen eingefallen, die aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan zu uns fliehen. Wie der Familie Jesu sitzt auch ihnen eine Todesdrohung im Nacken, weil sie dem angeblich falschen Glauben angehören, der falschen Volksgruppe, oder weil die Kämpfe in ihrem Heimatort keine Rücksicht auf das Leben von Zivilisten nehmen.
Mancher hat vielleicht auch zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, dass am Anfang des Lebens Jesu eine Fluchterfahrung steht, die er mit vielen von uns, unseren Eltern oder Großeltern gemeinsam hat.

Flucht ist eine Grenzerfahrung im engsten Sinne: Erst, wenn man die Grenze eines anderen Landes überschritten hat, ist man in Sicherheit. Grenze ist hier etwas Gutes: Sie trennt Unrecht von Recht, Verfolgung von Sicherheit, Armut von Wohlstand, Diskriminierung von Gleichberechtigung, Unbehaustheit von Schutz.
Jesus' Eltern fliehen nicht in irgendein Land. Wie die Flüchtlinge heute wählen sie bewusst ein Land, das ihnen Sicherheit verspricht, gute Versorgung, eine Perspektive für die ungewisse Zeit, die sie in diesem Land zubringen werden.

Die Wahl des Fluchtortes ist in unserer Geschichte auch dseshalb nicht zufällig, weil dadurch ein Profetenwort erfüllt wird. Mit der Flucht nach Ägypten soll sich das Wort des Propheten Hosea bestätigen, der sagt: "Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen".
Nun ist dieses Wort Hoseas aber gar keine Prophezeihung, sondern eine Feststellung. Hosea erinnert damit an den Exodus, die Flucht des Volkes Israel aus der Knechtschaft in Ägypten unter Moses' Führung. Hosea erinnert Israel daran, dass es damals noch auf Gott hörte, sich von ihm rufen ließ, während es jetzt nichts mehr von Gott wissen will.

Matthäus reißt nun diesen Satz Hoseas aus seinem Zusammenhang und tut damit so, als stünde die Erfüllung des Profetenwortes noch aus; als sei die Flucht nach Ägypten teil eines göttlichen Plans. Man kann dadurch den Eindruck gewinnen, Gott habe das alles bloß inszeniert und sei letztlich sogar für den Kindermord des Herodes verantwortlich.
Aber so ist es natürlich nicht. Was sollte es für einen Sinn ergeben, Jesus in Ägypten aufwachsen zu lassen, wo Ägypten in der Geschichte Israels zwar immer wieder Asyl geboten hat, aber vor allem als Land der Knechtschaft in Erinnerung geblieben ist?
Wenn man denn von einem "Plan" Gottes sprechen will und kann; wenn Menschen überhaupt etwas von Gottes Absichten wissen oder auch nur vermuten könnten, dann spielt Ägypten in dieser Geschichte eine ganz andere Rolle: Es ist Ausland. Jesus, der Messias Israels, kommt nicht aus Israel. Er kommt nicht aus den Kreisen der Hohenpriester und Schriftgelehrten, nicht aus den Kreisen der Sadduzäer oder Pharisäer und nicht aus dem terroristischen Zirkel der Zeloten. Jesus ist ein Fremder.

Jesus muss aus der Fremde kommen, um ein Fremder zu sein.
Er muss ein Fremder sein, um nicht verquickt zu sein in die Kreise, wo die Strippen gezogen und die Politik gemacht wird.
Jesus muss ein Fremder sein, weil die Leute in Nazareth dem Sohn des Zimmermanns nicht zutrauen, der Messias zu sein, weshalb Jesus feststellt: "Ein Prophet gilt nichts in seinem Heimatland" (Matthäus 13,57).

Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass die ältesten Schriften des Neuen Testaments nicht von den Geschwistern Jesu oder seinen Jüngern stammen, also weder von seiner Familie, noch von seinen Freunden, sondern von jemandem, der Jesus gar nicht persönlich kennen gelernt und ihn nur einmal gesehen hat, dazu noch in einer Vision: von Paulus. Paulus war für die christlichen Gemeinden ein Fremder; er hat sie sogar verfolgt. Aber gerade von ihm haben wir die meisten und wichtigsten Schriften über unseren Glauben!

Jesus ging in die Fremde, um als Fremder zurück zu kehren.
Nur ein Fremder nimmt keine Rücksicht auf alte Freunde und alte Feinde; er geht auf alle mit der selben Offenheit und Unbefangenheit zu.
Nur ein Fremder muss niemandem gefallen, niemandem nach dem Munde reden.
Nur ein Fremder sieht, was wir alles besitzen; wie reich wir sind an Gütern und an Begabungen.
Nur ein Fremder sieht, wie bedürftig wird sind, was wir vor anderen verbergen möchten, was uns fehlt.

Deshalb sollen wir die Fremden bei uns willkommen heißen.
Und sie sind vielleicht gerade deshalb nicht willkommen: Weil sie nicht mitspielen bei unseren Freund-Feind-Spielen. Weil sie uns einen Spiegel vorhalten, der unser Klagen als Jammern entlarvt, der aber auch unsere kleinen und großen Schwächen aufdeckt.
Die Flüchtlinge, die als Fremde zu uns kommen, zeigen uns, wie gut es uns in Wahrheit geht, wie viel wir besitzen, wie klein unsere Sorgen eigentlich sind, verglichen mit ihren.
Die Terroranschläge in Paris waren schrecklich und grausam, sie haben in ganz Europa Mitgefühl und Solidarität geweckt. Was die Augenzeugen dieser Anschläge erleben und mit ansehen mussten: diese Bilder und Erfahrungen werden sie ihr Leben lang verfolgen.
Aber das, was an diesem einen, schrecklichen Abend in Paris geschah, erleben Menschen in Syrien Tag für Tag. Die Bewohner Israels leben jeden Tag mit der Angst vor einem Raketenangriff, einem Selbstmordattentat.

Vielleicht ziehen die Flüchtlingen gerade deshalb den Hass derer auf sich, die sich von unserer Gesellschaft benachteiligt fühlen. Es sind ja nicht die Flüchtenden, die sie benachteiligen, sondern es ist unsere Gesellschaft, es sind wir alle, die einer Frau, die ihr Leben lang schwer gearbeitet hat, nur eine lächerlich kleine Rente zugestehen; die nicht genug dafür tun, Jugendlichen, gerade in ländlichen Gebieten, eine Perspektive zu geben; die Senioren mit den gravierenden Veränderungen unserer Gesellschaft allein lassen. 
Aber im Vergleich zu den Ländern, aus denen die Flüchtlinge fliehen, geht es selbst diesen benachteiligten Menschen noch ausgesprochen gut. Durch die Flüchtenden werden sie Tag für Tag daran erinnert, dass sie - wie wir alle - auf hohem Niveau jammern.

Die Flüchtenden machen Menschen wütend, weil sie ihnen ungewollt den Spiegel vorhalten und ihnen zeigen, wie gut sie es haben, und wie viel besser sie es haben könnten, wenn sie nicht nur jammern würden.
Und sie machen Menschen wütend, weil sie angeblich unsere Kultur zerstören, indem sie ihre fremde Kultur mitbringen. Schon bald, so das Szenario mancher Unheilspropheten, wird Deutschland muslimisch sein, und niemand wird mehr ein Gedicht von Goethe zitieren können.
Aber das Gegenteil ist der Fall. Die vielen katholischen Flüchtlinge, die nach dem Krieg aus Schlesien in die evangelischen Stadtteile zogen, haben auch nicht zu einer Rekatholisierung Deutschlands geführt. Sie haben den Gemeinden, in die sie kamen, oft gut getan, sie bereichert und ihnen neues Leben eingehaucht; aber die Reformation haben sie denn doch nicht rückgängig gemacht …
Die Fremden lassen uns erkennen was uns unsere Kultur bedeutet, was uns so wertvoll ist, dass wir es erhalten und pflegen wollen. Durch sie werden wir uns bewusst, was wir an unserer Kultur schätzen, welche Werte uns wichtig sind.

So ist es auch in der Kirche. Auch hier gibt es Grenzen zwischen den Konfessionen, aber es gibt auch Grenzerfahrungen wie diesen Gottesdienst, es gibt die Ökumene. Wenn wir als Katholiken und Protestanten zusammen feiern, zeigen wir uns, was uns an unseren jeweiligen Glaubenstraditionen wichtig ist und was wir auf keinen Fall aufgeben wollen. So können wir zusammenkommen und gemeinsam Gottesdienst feiern: wir schätzen wert, was der andere hat, ohne es ihm zu neiden, aber auch, ohne es abzuwerten oder schlecht zu reden.

Der Fremde, die Fremde ist unser Spiegel. In ihr erkennen wir, wer wir wirklich sind. In ihr erkennen wir, was wir haben, worauf wir stolz sein können. In ihr erkennen wir, was uns fehlt, was sie uns lehren und geben kann.
Am Buss- und Bettag erinnern wir uns an Gottes Gebot, die Fremden nicht zu unterdrücken, sondern sie zu achten und ihnen die gleichen Rechte zuzugestehen wie uns.
So sollen wir die Fremden achten und willkommen heißen.
Weil sie unser Gegenüber sind, durch das wir erst ganz und vollkommen die werden, die wir sind.
Weil Gott die Fremden besonders liebt und schützt und sie uns wieder und wieder ans Herz legt.
Weil wir selbst immer wieder Fremde sind - nicht nur in unserem Alltag, in den Kreisen und Gruppen, denen wir begegnen, sondern auch und vor allem als Christen in dieser Welt: "Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir" (Hebräer 13,14).
Und schließlich, weil Jesus selbst ein Fremder wurde, um wahrhaft unser Bruder sein zu können.
Amen.

Montag, 16. November 2015

Krippenspiel

Zur Abwechslung - und für den Notfall - ein Krippenspiel für eine kleine Gruppe (8 Spieler):

Die drei Sternkundigen


Präludium: Die drei Sternkundigen werden vorgestellt.


Engel tritt vor. Im Hintergrund sieht man die drei Sternkundigen durch ihre Fernrohre spähen.

Engel: Willkommen, willkommen, ihr lieben Leute
zur Feier der heiligen Christnacht heute.
Wie alle Jahre stell'n wir für euch dar,
was im Stall von Bethlehem damals geschah.

Bevor das Christkind zur Welt gebracht,
haben sich drei auf den Weg gemacht.
Drei Sternenkundler, ihr lernt sie jetzt kennen;
ihre seltsamen Namen will ich euch nennen:

Caspar wird der erste genannt.

Caspar geht nach vorn zum Engel, schaut weiter durch sein Fernrohr

Alle Sterne am Himmel sind ihm bekannt.

Melchior kennt die Kometen

Melchior kommt nach vorn

und die Namen sämtlicher Planeten.

Balthasar aber, jetzt gebt gut acht!,
hat grad eine große Entdeckung gemacht:

Engel tritt zur Seite

1. Szene: Aufbruch


Balthasar läuft nach vorn zu den beiden anderen Sterndeutern

Balthasar aufgeregt:
Ihr glaubt nicht, was ich eben fand:
am Himmel ein neuer Stern entstand!

Melchior nimmt das Fernrohr herunter, sieht Balthasar skeptisch an.

Melchior: Ein neuer Stern? Das ist unmöglich!
Die Sterne gibt es doch schon ewig.
Zwar wird einmal jeder Stern vergeh'n,
doch niemals wird ein neuer entsteh'n.

Balthasar zeigt auf den Herrnhuter Stern, triumphierend:

Balthasar: Dann sag mir doch, der du so weise bist,
was das dort oben für ein Ding ist.
Ein Stern, sagst du, kann es ja nicht sein
- dann ist es vielleicht ein leuchtendes Schwein?

Caspar und Melchior starren auf den Stern, lassen vor Schreck ihre Fernrohre fallen

Caspar: Potzblitz, der Balthasar hat recht!
Ein neuer Stern, und er leuchtet nicht schlecht!
Das hat bestimmt etwas zu sagen.
Ich will mal mein Gedächtnis befragen …

Holt Smartphone aus der Tasche, tippt

Melchior: Die Lösung liegt doch auf der Hand:
Der Stern steht genau über dem Land
wo geboren wird das Königskind,
das der ganzen Welt den Frieden bringt.

Balthasar: Was für ein Land könnte das denn sein?
Dort ist doch nur Wüste, Stein neben Stein.
Dann kommt ein schmaler Streifen Land,
der bei uns "Israel" wird genannt.

Die Römer halten das Land besetzt,
haben ihren König dort eingesetzt.
Der hat dem Land nur Krieg gebracht.
Ich glaub' nicht, dass ihr König Frieden macht.

Caspar: Wir können hier noch lang diskutieren,
lasst es uns doch einfach probieren!
Gehen wir los, finden wir das Kind
- mal sehen, ob wir dann schlauer sind!

Melchior: Caspar hat recht. Wenn wir jetzt gehen,
können wir das Kind, das geboren wird, sehen.
Dann erzählen wir aller Welt,
wie es sich mit diesem König verhält.

Die drei Könige gehen ab.

2. Szene: Maria und Josef auf Herbergssuche


Engel: Während die Sterndeuter westwärts wandern,
reisen im römischen Reich viele andre.
Ein Paar ist dabei, aus Nazareth,
das eben gerade nach Bethlehem geht.

Engel tritt zur Seite

Maria: ächzt, hält sich ihren dicken Bauch

Josef, Josef, trag' mich ein Stück!
Oder, noch besser: geh'n wir zurück!
Warum machen wir überhaupt diese Fahrt?
Ach, hätten wir uns doch die Mühe gespart!

Josef: Maria, mach bitte 'ne Meckerpause!
Auch ich bliebe doch am liebsten zuhause.
Aber wir müssen nun mal nach Bethlehem fort,
denn das ist mein Geburts- und Heimatort.

Maria: wütend

Na und? Die Nachbarn sind auch nicht gegangen!
Meinst du, man hätt' uns deswegen gefangen
genommen, eingesperrt?
Von so etwas hab' ich noch nie gehört!

Du warst einfach nicht dazu zu kriegen
die Beamten des Kaisers anzulügen.
Ein klein bisschen Mut und Widerstand,
und wir säßen noch immer auf unserem Land!

Josef: Maria, Liebste, so große Wut
tut dir in deinem Zustand nicht gut!
Wir müssen nun mal ins Land meiner Väter.
Ob's falsch oder richtig war, zeigt sich erst später.

Sieh' mal, wir sind doch schon fast da!
Der Ort Bethlehem ist ganz nah.
Jetzt brauchen wir bloß ein Bett und zu Essen,
dann hast du die Anstrengung gleich vergessen.

Maria: Siehst du nicht die vielen Leute?

Zeigt auf die Gemeinde

Ich fürchte, wir sind nicht die einzigen heute,
die sich eine Unterkunft suchen …
ach, ich könnte schon wieder fluchen!

Josef: Sei ruhig, Maria, ich mache das schon!
Hier ist ja schon eine schmucke Pension.
Da klopf ich an, und im Handumdrehen
haben wir ein Zimmer - du wirst schon sehen!

Klopft

Wirt: Hallo, wer stört zu dieser Stunde?

Josef: Wir sind's, für Sie: Ein neuer Kunde!

Wirt: Gäste hab' ich so viel wie noch nie.
Sie sitzen einander schon auf dem Knie!
Tut mir leid, ihr kommt einfach zu spät.

Josef: Aber seh'n Sie denn nicht, wie es meiner Frau geht?
Sie bekommt jeden Augenblick ihr Kind!
Ich glaub einfach nicht, dass Sie ein Unmensch sind!

Wirt: Ein Bett könnt ihr von mir wirklich nicht kriegen.
Wenn ihr wollt, könnt ihr in dem Stall da liegen.

Zeigt Richtung Krippe

Maria: wütend

Na, super! Da bin ich aber froh!
Jetzt kriege ich mein Kind auf Stroh!
Eine Futterkrippe ist seine Wiege,
während ich bei Ochs und --- zwei Eseln liege …

3. Szene: Die Könige suchen das Königskind bei Herodes


Engel: Die drei Sterndeuter sind fast da,
der Stern scheint ihnen zum Greifen nah.
Herodes' Palast ist vom Licht erhellt.
Ob dort ein Kind sich eingestellt?

Die Sterndeuter, Herodes

Melchior: Edler König, seid herzlich gegrüßt!
Könnt Ihr uns sagen, ob bei euch ist
ein Kindlein geboren, ein Königssohn,
der Euch wird folgen auf dem Thron?

Herodes: Huch!, ein fremdes Gesicht! Wer seid ihr, Mann?
Ich kenne euch nicht. Was geht euch das an?

Balthasar: Ein neuer Stern, den ich gefunden,
zeigt an, dass hier heut ein Kind wurd' entbunden.

Herodes: Ihr irrt euch. Doch sagt mir, was für ein Kind
heut geboren wurde, und wo man es find't?

Melchior: Einer, der Frieden bringt, ein Königssohn,
der die Mächtigen stürzt von ihrem Thron.

Caspar: Wir haben gedacht, hier wäre das Kind,
weil hier doch so viele Lichter sind.

Herodes: Nein, hier ist es nicht, ich sagt' es schon.
Und leider habe ich keinen Sohn.
Doch findet ihr es, kommt wieder zu mir!
Ich gebe euch Gold und Silber dafür.
Denn ich muss das Kind unbedingt sehen und töten
--- äh, ich meine: ich muss es anbeten!

Herodes geht. Ein kleiner Engel erscheint

Kleiner Engel: Ihr weisen Leute, hört mich an!
Der König macht einen schlimmen Plan!
Geht nicht wieder in seinen Palast,
damit er den Friedenskönig nicht fasst!

4. Szene: Die Sternkundigen suchen das Königskind beim Wirt


Balthasar: Das Licht des Palastes hat uns verwirrt.
Ich glaube, wir haben uns verirrt.
Der Stern war vorhin doch so groß.
Jetzt seh' ich ihn nicht mehr - wo ist er bloß?

Melchior: Er kam über jenem Ort dort zu stehen.
Was steht auf dem Straßenschild? Bethlehem?
Du meine Güte, was für ein Nest!
Ob der König sich hier finden lässt?

Caspar: Ich werde mal bei der Herberge fragen.
Ist der König hier geboren, wird man's uns sagen.

Klopft an

Wirt: Wer stört? Ich habe kein Zimmer mehr!

Will wieder ins Haus

Caspar: So wartet doch bitte, werter Herr!
Wir wollten nur etwas von Ihnen wissen.

Wirt: Dafür werdet Ihr bezahlen müssen.
Worum geht es? Sagen Sie schon,
ich muss zurück in meine Pension!

Melchior: Wurde hier heute ein König geboren?

Wirt: Ein König? Den haben wir lang schon verloren.

Tausend Jahre sind verflossen,
seit König David von hier entsprossen.
Schon lange Zeit dienen wir fremden Herrn.
Wir müssen es, wir tun das nicht gern.

Schön wär's, wenn einer wie David käme,
der den Römern die Herrschaft nähme!

begeistert

Mit Feuer und Schwert und hunderten Rittern,
dass alle Völker vor uns erzittern!

Balthasar: So einen König suchen wir nicht.
Vielmehr einen, der das geknickte Rohr nicht zerbricht.
Einen, der freundlich ist und mild
und nicht so zerstörerisch und wild!

Wirt: Was sollte so ein König uns nützen?
Kann er uns denn vor den Römern beschützen?

Balthasar: Nicht durch die kommt Frieden, die mächtig sind,
sondern durch den, der wehrlos wie ein Kind
mit Liebe die harten Herzen erweicht:
der Frieden, der alle Menschen erreicht.

Wirt: Dieses Kind wurde heute zur Welt gebracht.
Dass es ein Königssohn ist, hätt' ich nicht gedacht.
Dort drüben findet ihr's, in meinem Stall.
In einer Krippe, auf Stroh, liegt der Herrscher des Alls.

Caspar: Habt Dank für die Auskunft! In dieser Nacht
habt ihr viele Menschen glücklich gemacht!
Nun sagt, was wollt ihr dafür haben?

Wirt: Nichts. Ich fand Antwort auf meine Fragen,
die mehr wert ist als Gold oder Geld.
Seid meine Gäste, wann's euch gefällt.

5. Szene: Die Sternkundigen finden das Königskind im Stall


Maria, Josef sitzen an der Krippe. Der Kleine Engel steht daneben. Ein Hirt kniet an der Krippe.

Evtl. Lied: Vom Himmel hoch, Str. 1-6

Engel: Die Hirten sind zuerst gekommen.
Sie haben das Lied der Engel vernommen
und haben erkannt, was keiner versteht:
dass Gottes Macht in Liebe besteht.

Hirte: Du nimmst uns an, du kleines Kind,
auch wenn wir arm und schmutzig sind.
Denn du hast alle Menschen lieb,
die Guten ebenso wie den Dieb.

Maria: Mein Kind macht keinen Unterschied,
ob jemand weiß, gelb oder braun aussieht.
Ob jemand hier zuhaus ist oder fremd,
ob jemand 'nen Pelz anhat oder ein Hemd.

Josef: Deine Liebe, mein Kind, strahlt auf alle hier aus.
Sie umgibt uns schützend wie ein Haus.
Wir wollen von deiner Liebe leben
und sie an andere weitergeben.

Postludium: Die Sterndeuter schenken die Liebe zum Kind


Engel, dahinter in einer Reihe die drei Sternkundigen

Engel: Das ist das Geheimnis der Heiligen Nacht.
Wir haben es heute zu euch gebracht.
Nun tragt es weiter in Dorf oder Stadt
damit jeder heut' Grund zur Freude hat.

Doch bevor wir nun von euch gehen
seht ihr hier die drei Sterndeuter stehen.
Sie haben euch ein Geschenk mitgebracht,
das bringen sie euch jetzt; gebt alle gut acht!

Engel tritt zur Seite

Caspar: Wer nach Bethlehem fliegen will in den Stall
und meint, dort ist in jedem Fall
der Frieden billig zu kriegen

Alle: der sollte woanders hin fliegen.

Melchior: Wer nach Bethlehem reisen will zu dem Sohn
und glaubt, dort ist die Endstation
mit Vollpension für die Seelen

Alle: der sollte was anderes wählen.

Balthasar: Wer nach Bethlehem gehen will zu dem Kind
und weiß, dass dort der Weg beginnt
ein jedes Kind nur zu lieben

Alle: der könnte es heute schon üben.


Evtl. zum Abschluss: Vom Himmel hoch, Str. 7-12