Montag, 26. Dezember 2011

Das erste Wort - Predigt am 2. Weihnachtstag

Predigt am 2. Weihnachtstag, 26.12.2011, über Johannes 1,1-5.15:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in die Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.


Liebe Gemeinde,

ein Kind malt auf einem Blatt Papier.
"Sieh mal, eine Katze" sagt es und zeigt auf sein Bild.
Ich sehe es mir an. Da sind viele bunte Kringel,
und ich bemühe mich, darin eine Katze zu erkennen.
"Ist das vielleicht der Schwanz?"
"Nein!" Das Kind schüttelt den Kopf. "Das ist doch der Kopf!"

Das Kind hat etwas gemalt, und das ist eine Katze,
weil das Kind sagt, dass es eine Katze ist.
Was für mich aussieht wie Gekringel, ist also eine Katze.
Das Kind hat aus den formlosen Kringeln eine Katze erschaffen.
Indem es gesagt hat: "Katze" sind die Kringel nicht mehr formlos.
Sie sind jetzt eine Katze, auch für mich.

Im Anfang war das Wort.
Im Anfang steht ein Wort, das deutet und benennt
und aus Kringeln eine Katze erschafft.
Am Anfang unseres Lebens steht ein Wort,
auch wenn wir am Anfang unseres Lebens
noch keine Worte hervorbringen, sondern nur Geräusche.
"Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen",
heißt es deshalb auch im Weihnachtsoratorium.
Das kindliche Lallen, noch ohne Form,
wird von Gott gehört und verstanden.

Am Anfang unseres Lebens steht ein Wort,
und wenn wir es auch noch nicht verstehen,
wissen wir doch, dass dieses Wort uns meint,
weil wir dabei angesehen werden,
liebevoll, oder voller Stolz.
Es ist unser Name.

Im Anfang war das Wort.
Und das erste Wort, das wir hören, ist unser Name.
Der Name, der uns zu einem besonderen,
unverwechselbaren Menschen macht.
Der mir, wenn ich ihn höre, immer wieder sagt,
dass ich ich bin, dass ich gemeint bin.

II
Im Anfang war das Wort.
Welches Wort spricht Gott im Anfang?
Welches war das erste Wort?
Das Wort, das bei Gott war,
und Gott war dieses Wort?

Das Wort im Anfang ist ein Name,
wie am Anfang unseres Lebens ein Name steht.
Der Name Jesus.
Jesus, auf hebräisch: Jehoschua, bedeutet: Gott hilft.
Gottes Wort im Anfang ist ein Name,
der bedeutet: Gott hilft.
Gott ist dieses Wort:
Gott ist ein helfender Gott.
Ein Gott in Beziehung.
Gott ist seiner Schöpfung, ist uns Menschen
freundlich und helfend zugewandt.
Gott ist mit diesem Namen ansprechbar
auf sein Wohlwollen. Seine Hilfe. Seine Barmherzigkeit.

Jehoschua, dieser Name im Anfang
kommt bereits an anderer Stelle in der Bibel vor.
Es ist die hebräische Form des Namens,
den wir als "Josua" kennen.
Josua, der Helfer des Mose,
nach dem ein eigenes Buch der Bibel benannt ist.
Josua, der das Volk Israel,
das 40 Jahre unter Moses' Führung durch die Wüste zog,
über den Jordan ins verheißene Land führt.

Jesus, der Josua des neuen Testaments,
ist auch ein Helfer des Mose.
Am Anfang seines Weges steht ebenfalls der Jordan,
in dem er sich von Johannes taufen lässt.
Er ist auf die Welt gekommen, um das Gesetz,
das Mose dem Volk Israel gab, zu erfüllen:
"Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin,
das Gesetz oder die Propheten aufzulösen"
, sagt er.
"Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen."
(Matthäus 5,17)

III
"Das Wort wurde Fleisch".
Jesus - Gott hilft - wurde im Stall von Bethlehem geboren.
Gott wird mit diesem Namen für uns ansprechbar.
Der Name Jesus wird für uns zum Schlüssel,
mit dem wir die Worte der Bibel lesen und verstehen.
So, wie das Kind zu den Kringeln auf dem Papier sagte:
Das ist eine Katze,
so schließt der Name Jesus uns die Schrift auf.
Wir lernen von ihm,
dass Gott für uns ist, nicht gegen uns.
Dass Gott Leben für uns will, nicht den Tod.
Dass Gott uns glücklich sehen will,
nicht leidend, voller Zweifel, mit schlechtem Gewissen.

Paulus war der erste, der diesen Jesus-Schlüssel benutzt hat.
Er, der das Gesetz des Mose ernst genommen hatte,
todernst sogar, verstand auf einmal,
dass Jesus der Helfer des Mose ist,
indem er uns hilft, das Gesetz zu erfüllen.
Er hilft uns, weil er das ganze Gesetz auf sich genommen
und es dadurch erfüllt hat.
Wir müssen es nicht wortwörtlich befolgen,
um Gottes Kinder zu sein.
Das Gesetz verurteilt uns nicht mehr,
das Gesetz macht uns nicht mehr zu Sündern
und trennt uns dadurch von Gott.
Das Gesetz ist ein Geländer, an dem wir gehen können.
Wir dürfen es befolgen,
weil es uns den Weg zum Leben,
den Weg in die Freiheit der Kinder Gottes zeigt.

Auch Martin Luther hat den Jesus-Schlüssel verwendet.
Er war auf der verzweifelten Suche nach Gottes Liebe.
Aber er hatte gelernt, die Worte "Gottes Gerechtigkeit" so zu verstehen, dass Gott allein gerecht ist.
Kein Mensch kann vor Gott gerecht sein,
jeder Mensch ist eine Sünderin, ein Sünder
- wie sollte ihn Gott da lieben, wie sollte er Gottes Kind sein können?
Da schloss ihm der Jesus-Schlüssel diese Worte auf.
"Gottes Gerechtigkeit", entdeckte er,
bedeutet nicht nur, dass Gott gerecht ist,
sondern auch, dass er uns diese Gerechtigkeit schenkt.
Weil Gott uns hilft, und weil er möchte, dass wir seine Kinder sind,
lässt er uns nicht in Versagen, Irrtum und Schuld,
sondern befreit uns davon und macht uns durch Jesus gerecht.

IV
Im Anfang war das Wort.
Das Wort steht am Anfang, ohne Worte geht es nicht.
Wir brauchen Worte, um unsere Welt, unser Leben
zu deuten und zu verstehen.

Zwar gibt es auch die Musik,
die uns wortlos ergreift,
die uns ins Blut geht, in den Bauch, in die Beine.
Aber ohne Worte verstehen wir nicht,
was die Musik da mit uns tut.
Ohne Worte können wir nicht schwärmen vom Zauber der Musik,
können wir nicht mitteilen, was wir da fühlen, wie sie uns ergreift.

Es gibt die Kunst,
Bilder, die uns unmittelbar ansprechen,
die uns nicht loslassen,
die in eine Form bringen, was wir fühlten, erlebten, dachten.
Aber um zu sagen, was das genau ist,
dazu fehlen uns die Worte, wenn wir nur das Bild haben.
Manchmal schließen uns Worte erst ein Bild auf;
es braucht Worte, um in den Kringeln die Katze zu erkennen.

Es gibt auch Blicke, es gibt Gesten.
Es gibt das wunderbare Gefühl von Haut auf Haut.
Aber um zu verstehen, dass das Liebe ist,
muss es ausgesprochen werden, das Wort,
müssen wir angesprochen werden mit unserem Namen.
Es gibt kein schöneres Wort als den Namen des geliebten Menschen,
und es gibt nichts schöneres,
als unseren Namen aus seinem oder ihrem Mund zu hören.

V
Im Anfang war das Wort.
Ein Name. Jesus. Gott hilft.
Auf diesen Namen sind wir getauft.
Dieser Name wurde über uns ausgerufen.
Unter diesen Namen stellen wir uns in jedem Gottesdienst,
den wir im Namen Gottes beginnen.
Unser ganzes Leben steht unter der Zusage,
dass Gott uns hilft.
Unser ganzes Leben ruft Gott uns bei unserem Namen.
So, wie unsere Mutter, unser Vater uns liebevoll gerufen haben,
so, wie unser Name aus dem Mund der Liebsten, des Liebsten klingt,
so ruft Gott uns:

"Fürchte dich nicht.
Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.
Du bist mein."

(Jesaja 43,1)

Wir brauchen uns vor nichts zu fürchten.
Gott hilft.
Gott ist da.
Wir gehören zu ihm.

Amen.

Dazugehören - Predigt am 1. Weihnachtstag

Predigt am 1.Weihnachtstag, 25.12.2011, über 1.Johannes 3,1-6:

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.


Liebe Gemeinde,

das Schönste an Weihnachten,
wenn auch nicht das Wichtigste, ist die Bescherung.
Gestern abend wurden die Geschenke überreicht,
ausgepackt und bewundert.
Auch heute und morgen war und ist noch einmal Gelegenheit,
bei Eltern oder Schwiegerelten,
bei Kindern oder Enkelkindern
die Freude des Schenkens und beschenkt Werdens zu erleben.

Eine Frage, die dabei immer wieder gestellt wird,
lautet: gefällt es dir?
Es ist keine wirkliche Frage,
denn man erwartet natürlich nicht die Antwort
"Nöö, überhaupt nicht!"
Das weiß jeder so Befragte,
und deshalb heißt es auch pflichtschuldig:
"Oh jaaa, seeehr, vielen Dank!"

Manchmal, wenn man etwas sehr Schönes,
etwas sehr Teures oder sehr Besonderes überreicht,
wird man gefragt: "Ist das für mich?"
Auch das ist eine Frage,
deren Antwort schon im Vornherein feststeht:
Natürlich ist das für dich.
Es steht ja Dein Name drauf.

Warum stellt man solche eigentlich überflüssigen Fragen?
Ganz überflüssig sind sie ja nicht.
Man fragt damit schon etwas ab.
Mit der ersten Frage: "Gefällt es dir?"
möchte man bestätigt bekommen,
dass man dem anderen eine Freude gemacht hat.
Deshalb kann man guten Gewissens auch dann mit Ja antworten,
wenn der Geschmack nicht hundertprozentig getroffen wurde.
Denn gefreut hat man sich ja in jedem Fall.
Erst im Nachhinein zeigt sich,
ob das Geschenk tatsächlich angekommen ist:
Dadurch, dass es benutzt und nicht achtlos in eine Ecke gestellt
oder gar im nächsten Jahr weiter verschenkt wird
- hoffentlich nicht an den, von dem man es bekam!

Mit der zweiten Frage: "Ist das für mich?"
drückt man seine Überraschung aus,
etwas so Besonderes, Wertvolles, Schönes zu erhalten.
Und zugleich seinen Zweifel, ob man das denn verdient.
Die Frage soll diesen Zweifel zerstreuen,
soll ausdrücklich bestätigen, was das Geschenk schon sagte:
Dass man schön ist.
Dass man jemand Besonderes, jemand Wertvolles ist.


II
Man stellt oft solche Fragen, nicht nur an Weihnachten,
zur Bescherung.
Nicht immer spricht man sie aus,
aber unausgesprochen sind sie doch gegenwärtig.
Zum Beispiel die Frage: "Liebst du mich?"
Oder die Frage: "Traust du mir das zu?"

Kleine Kinder wollen wissen, dass Mama oder Papa da sind.
Wenn sie sie nicht sehen, rufen sie nach ihnen.
Das ist die kürzeste aller Fragen: "Mama?" "Papa?"

Eine wichtige Frage, die man sich immer wieder stellt,
die man fast nie ausspricht,
die man aber auch immer wieder wortlos gefragt wird, lautet:
"Gehöre ich dazu?" - "Gehört der, gehört die dazu?"

Wir Menschen sind soziale Wesen.
Wir leben in Familien, in Gruppen, in Gemeinschaften.
Dazuzugehören ist für uns fast genauso wichtig wie
geliebt zu werden.

Auch deshalb ist Weihnachten ein so wichtiges Fest:
Wenigstens an diesem Tag im Jahr kommt die ganze Familie zusammen,
werden, allen Nervereien und Scharmützeln zum Trotz,
die Familienbande gefestigt.
Wie bei Harry Potter, der in den Schulferien immer bei seiner Familie sein muss,
die er nicht mag und die ihn hasst,
durch die aber der Schutz erhalten bleibt,
mit dem seine Mutter ihn versehen hat.
In diesem Zwiespalt erlebt sich mancher an Weihnachten:
Die Familie ist so anstrengend - aber es ist doch auch schön,
wenn alle wieder zusammen sind,
und man braucht ihn, diesen Rückhalt der Familie,
das Dazugehören.

Dazuzugehören ist wichtig, beinahe lebenswichtig.
Jeder fürchtet die Rolle des Außenseiters,
mit dem keiner spielen, mit dem niemand befreundet sein will;
wer sie erlebte, hat darunter gelitten.
Die vielen Vereine und Gruppen,
denen man so angehört, dienen neben ihren Zielen
des Taubenzüchtens oder der Heimatpflege,
des Gesangs oder des Sports
vor allem der Geselligkeit und der Gemeinschaft.

III
Die Kirche ist in diesem Sinne nicht anders als ein Verein.
Auch hier geht es um die Frage: "Gehöre ich dazu?"
Aber hier wird die Frage gleich in einem doppelten Sinn gestellt:
Gehöre ich zur Gemeinde?
Und: Gehöre ich zu Gottes Familie? Bin ich ein Kind Gottes?

Der Predigttext antwortet auf diese zweite Frage
mit einer Klarheit, die nichts zu wünschen übrig lässt:
"Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen,
dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!"

Deutlicher kann man es doch wohl nicht ausdrücken.
Wir heißen nicht nur Gottes Kinder, wir sind es.
Wir sind Töchter und Söhne Gottes,
von Gott adoptiert durch die Taufe,
in der Gott uns sagt, was er seinem eigenen Sohn
bei dessen Taufe sagte:
Du bist mein lieber Sohn, du bist meine liebe Tochter,
an dir habe ich Wohlgefallen.

Durch die Taufe werden wir Gottes Kinder.
Und bleiben es, lebenslang.
Das Siegel der Taufe, obwohl nur mit Wasser aufgedrückt,
kann niemals abgewischt werden, von niemandem.
Man kann die Taufe nicht verlieren,
auch nicht durch einen Kirchenaustritt,
und sie kann einem auch nicht aberkannt werden.
Wir sind und bleiben Gottes Kinder, Punkt.
Das kann uns niemand nehmen.

Aber gehören wir deswegen schon dazu?
Gehören wir, das war die erste Frage, zur Gemeinde?
Beobachten wir, wie sich Gottesdienstbesucher verhalten:
Wenn man als Fremder in eine Kirche kommt,
setzt man sich nicht in die erste Reihe.
Wer weiß, wessen Platz das ist.
Als Fremder stellt man sich besser hinten an.
Man möchte ja nicht die Peinlichkeit erleben,
vor aller Augen seines Platzes verwiesen zu werden.

Also setzt man sich nach hinten.
Da kann man dann auch schön beobachten,
wie die Gemeinde nach und nach eintrudelt.
Wie sich manche begrüßen, und wie manche übersehen werden,
wie kurz oder wie lang man miteinander spricht,
wie die einen umarmt werden - und die anderen nicht.
Man kann beobachten, wer den Pastor, die Pastorin kennt,
und auf wen sie zugeht
So bekommt man schnell ein Gespür für das Netzwerk der Gemeinde,
für die wichtigen, die maßgeblichen Leute, und für die Außenseiter.

IV
Wir sind Gottes Kinder, adoptiert durch die Taufe.
Darum gehören wir fraglos und selbstverständlich zur Gemeinde.
Und doch fragt man sich, auch - oder gerade -
in der Kirche immer wieder, ob man tatsächlich dazu gehört.
Woher kommt diese Unsicherheit, dieser Zweifel?

Möglicherweise sät ihn der Predigttext selbst,
wenn er sagt:
"Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder;
es ist aber noch nicht erschienen, was wir sein werden."

Wir sind Gottes Kinder - aber irgendwie sind wir es auch nicht,
weil ja noch gar nicht heraus ist, was wir sein werden?
Ist das gemeint?

Wie ist, oder wie wird man denn "jemand"?
Darauf wird es wohl unterschiedliche Antworten geben.
- Man ist jemand, wenn man es zu etwas gebracht hat:
Ein Beruf mit gutem Einkommen. Ein Haus. Eine Familie.
- Bei der Bank ist man jemand,
wenn man ein festes Einkommen hat.
Und je besser das Einkommen, je höher die Einlagen,
desto angesehener ist man dort.
- Im Verein ist man jemand, wenn man schon sehr lange dabei ist,
wenn man sich besonders einsetzt
oder wenn man ein Amt innehat.
- In der Gesellschaft ist man jemand,
wenn man in der Zeitung steht, am besten mit Foto.
Und wenn man dann sogar im Fernsehen zu sehen ist,
dann hat man es geschafft.
- Mit einem Titel ist man jemand,
der "Herr Doktor" oder die "Frau Professorin".
- Man ist jemand, wenn man in besondere Clubs aufgenommen wird,
oder wenn man mit Leuten befreundet ist,
die schon "jemand" sind.

"Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder;
es ist aber noch nicht erschienen, was wir sein werden."

Bei Gott sind wir jemand, ohne jemand zu sein.
Wir wurden als Kinder, als Babys, getauft,
als wir noch unbeschriebene Blätter waren, "Nobodys".
Wir sind jemand, weil wir Gottes Kinder sind.
Und, ehrlich gesagt,
etwas besseres können wir doch gar nicht sein!

Und gleichzeitig ist noch offen, was wir sein werden.
Wir werden nicht darauf festgelegt,
wie wir zu sein haben,
wie wir uns kleiden müssen,
was wir zu denken, zu meinen, zu glauben haben.

Allerdings - eine Regel gibt es:
"Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht."
Wer zu Gott gehört, der bemüht sich darum,
nichts zu tun, was ihn von Gott trennt.
Man ist ja auch nicht Mitglied in einer Partei,
und wählt dann eine andere.

Und man trennt sich ja nicht willentlich von dem,
der einen annimmt so, wie man ist,
in dessen Augen man "jemand" ist -
ja, mehr als das: ein über alle Maßen geliebter Mensch.

V
Gehöre ich dazu?
Die Bibel sagt: Ja!
Ja, du bist ein Kind Gottes.
Diese Kirche ist auch dein Zuhause.

Aber wir untereinander ---
wir grenzen uns ab, wir grenzen aus.
Unsere Blicke und Gesten sagen oder fragen:
"Na, gehörst DU dazu?" - "Gehört DIE etwa zu uns???"

"Darum kennt uns die Welt nicht,
denn sie kennt ihn nicht."

Wo Menschen ausgegrenzt werden,
wo man nach Zugehörigkeit fragt,
wo man jemanden nicht kennen will,
da hat man Gott nicht verstanden.
Da hat man nicht begriffen, dass die Botschaft Jesu
von der grenzenlosen Liebe Gottes
nicht nur mir gilt, sondern ebenso meinen Mitmenschen -
ja, ihnen ganz besonders.
Da hat man nicht erkannt, dass jeder Mensch ein Kind Gottes ist.

Zugleich kommt in diesem Satz
"darum kennt uns die Welt nicht" zum Ausdruck,
dass Christinnen und Christen nicht ganz von dieser Welt sind.
Sie sind immer ein wenig Außenseiter.
Sie gehören nicht wirklich dazu.

Wenn wir, wie Jesus es uns zusagt (Matthäus 5,13),
Salz der Erde sind,
dann würzen wir ja nicht, weil wir so sind wie alle anderen.
Christinnen und Christen würzen die Welt,
weil und indem sie anders sind.
Weil sie glauben.

Mit ihrem Glauben daran, dass wir alle Gottes Kinder sind,
stehen sie denen im Weg,
die Menschen übervorteilen und ausnutzen,
die ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen.

Mit diesem Glauben sind sie sich nicht zu schaden,
sich gemein zu machen mit denen,
die in der Gesellschaft nichts gelten,
mit denen, die angeblich "überflüssig" sind.

Mit diesem Glauben lassen sie sich nicht blenden von Titeln,
Ämtern, Popularität,
lassen sie sich nicht einschüchtern von "großen Tieren",
von Rechthabern und Demagogen.

Mit diesem Glauben ist es ihnen gleichgültig,
ob sie in den Augen anderer "jemand" sind.
Hauptsache, Gottes Augen leuchten,
Gottes Antzlitz strahlt, wenn er uns anblickt.
Und das tut es.

Amen.

Sonntag, 25. Dezember 2011

Feier der Christnacht

Am Heiligen Abend um 23.00 Uhr haben wir eine schöne Form der Christnacht gefeiert. Eine Besonderheit war, dass wir die Generationenfolge aus Matthäus 1 verlesen haben. Für jeden Vorfahren Jesu wurde ein Teelicht entzündet - und für die Mütter, auf die es in dieser Genealogie eigentlich ankommt, eine große rote Adventskerze. Maria wurde durch eine Altarkerze repräsentiert, und bei der Nennung des Namens Jesus wurde die Osterkerze entzündet.
So war der Kerzentisch aufgebaut (er ist von links unten nach rechts oben zu "lesen"):



So sah der Tisch mit den brennenden Kerzen aus.

Eine zweite Besonderheit war, dass wir versucht haben, den "Quempas" ohne vorherige Probe in der Gemeinde zu singen. Die Gottesdienstbesucher hatten am Eingang Liedblätter erhalten und wurden vor dem Gottesdienst in die vier Gruppen des Quempas eingeteilt. Die Orgel unterstützte den Gesang. Es "trauten" sich nur wenige, aber mit jeder Strophe wurde es besser.

Eine dritte Besonderheit war, dass wir das Licht erst mit dem Fürbittengebet verteilten. Dazu eignet sich sehr gut ein Fürbittengebet aus dem Evangelischen Gottesdienstbuch; unten eine von mir leicht überarbeitete Fassung.

Hier der Ablauf der Christnacht:

Gottesdienstbesucher bekommen Kerzen am Eingang
Benötigte Mitwirkende:
4 Personen, die in ihrer "Ecke" Quempas anstimmen
5 Leser/innen für das Fürbittengebet, die Licht austeilen
1-2 Kerzenanzünder/innen


Musik zum Eingang
Begrüßung
EG 46 (1-3) Stille Nacht
Psalm 2 im Wechsel
Psalmkollekte
AT-Lesung Jesaja 7,10-14
EG 541,1-5 Wir singen dir, Immanuel M=EG 24 Vom Himmel hoch
Evangelium, 1. Teil Matthäus 1,1-17

Beim Verlesen des Stammbaums Jesu werden von zwei Helfern 3x14 Teelichter, die auf einem Tisch bereitstehen, entzündet - für jeden Namen eines. Für die 5 Frauen des Stammbaumes (Tamar, Rahab, Rut, Bathseba und Maria) werden große rote Lichter entzündet. Die letzte Kerze (Jesus) ist die Osterkerze.
Reihenfolge:
4 - 1rot - 6 - 1rot - 1 - 1rot - 3
1 - 1rot - 13
13 - 1rot - 1Osterkerze


EG 27,1-3+6 Lobt Gott, ihr Christen alle gleich
Evangelium, 2. Teil Matthäus 1,18-25
Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel
EG 44 (1-3) O du fröhliche
Predigt
EG 29 (1-4) Quempas in 4 Gemeindegruppen
I = links vorne
II = rechts hinten
III = rechts vorne
IV = links hinten

Abkündigungen
Fürbitten mit 7 Sprechern (EGb S. 567ff)
Jede/r Sprecher/in geht, nachdem er/sie seine/ihre Bitte vorgetragen hat, in die Gemeinde und gibt an eine Reihe sein/ihr Licht weiter; währenddessen wird die nächste Bitte vorgetragen. Der Ablauf für jede/n Sprecher/in:

Kerze an der Osterkerze entzünden
Bitte vortragen
Licht in die Gemeinde bringen
Platz nehmen


Vaterunser
EG 571 (1-4) Tragt in die Welt nun ein Licht
Segen
Musik zum Ausgang

Fürbittengebet mit dem Entzünden von Kerzen

1. Christus ist geboren.
Lasst uns ein Licht anzünden und bitten:
für die Kinder überall in der Welt,
dass ihre kleinen und großen Hoffnungen
nicht enttäuscht werden,
dass sie in eine Welt hineinwachsen,
die gut und freundlich zu ihnen ist.
Lasst uns rufen: Erhöre uns, Gott.

2. Christus ist geboren.
Lasst uns ein Licht anzünden und bitten:
für Ehepaare, Familien und andere Lebensgemeinschaften,
dass sie offen sind und bleiben für andere,
dass sie Streit bewältigen und Unterschiede aushalten
mit Vergebung und Liebe
und an Enttäuschungen nicht zerbrechen, sondern wachsen.
Lasst uns rufen: Erhöre uns, Gott.

3. Christus ist geboren.
Lasst uns ein Licht anzünden und bitten:
für die Einsamen und Kranken,
dass sie Menschen finden, die sich ihnen zuwenden,
die ihnen nichts vormachen,
sondern das Leid mit ihnen aushalten.
Lasst uns rufen: Erhöre uns, Gott.

4. Christus ist geboren.
Lasst uns ein Licht anzünden und bitten:
für alle, die eine Veränderung zum Guten erhoffen
und bewirken wollen,
dass sie den Mut nicht verlieren,
sondern gestärkt werden
und immer wieder von neuem beginnen,
damit der Frieden auf Erden wirksam werde
und Menschen Gottes Wohlgefallen erleben können.
Lasst uns rufen: Erhöre uns, Gott.

Pastor: Dein Kommen, Gott, bringt der Welt Licht und Hoffnung.
Schenke uns von deinem Licht, damit es uns erleuchtet
und wir für andere zum Licht werden.
Ehre sei dir, Gott, in der Höhe
und Frieden auf Erden
allen Menschen, die du liebst.
Gemeinsam beten wir:

Vater unser im Himmel

Freitag, 23. Dezember 2011

Predigt in der Christnacht, 24.12.2011

Predigt in der Christnacht, 24.12.2011, über Jesaja 7,14:

Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel - Gott ist mit uns.


Liebe Gemeinde der Christnacht,

durch Dunkelheit hat Sie der Weg in die Kirche geführt.
Sie haben die wohlige Wärme des Weihnachtszimmers,
den Schein der Christbaumkerzen verlassen
und sind in die Nacht hinaus gegangen.

Eine laue Sommernacht kann sehr romantisch sein.
In einer nass-kalten Winternacht wie dieser
zeigt die Nacht sich von ihrer düsteren, unheimlichen Seite.
Man verlässt ungern das schützende Haus
und beeilt sich, wieder ins Licht zu kommen.

Die unheimliche Dunkelheit ist zum Symbol geworden
für alles, was bedrohlich, gefährlich ist.
Wenn sie in einem Krimi auftaucht ahnen wir:
gleich wird etwas Schlimmes passieren.
Ist vom Schatten die Rede, in dem sich etwas regt
oder der auf einen Menschen fällt, ist der Möder nicht weit.

Dunkelheit kann sich auf einzelne Menschen legen,
wenn sie die Hoffnung verlieren,
aber auch auf ganze Gesellschaften und Völker.
Vom Volk, das im Finstern wandelt, spricht der Prophet Jesaja.
Und auch wir leben in finsteren Zeiten.

Das Klima ist nicht gut.
Damit meine ich nicht nur das Wetter,
das sich so gar nicht weihnachtlich verhalten will.
Es ist das Weltklima, das uns Sorgen macht,
die globale Erwärmung,
und die Unfähigkeit der Staaten,
sich über den Schutz des Klimas einig zu werden.

Auch das soziale Klima bietet Anlass zur Sorge,
weil die Schere zwischen Reichen und Armen
immer weiter auseinandergeht.

Man muss sich Sorgen um das Wirtschaftsklima machen,
um den Euro, ja vielleicht sogar um unser ganzes Wirtschaftssystem,
weil es fraglich ist, ob der Aufschwung anhält
- und was dann kommt.
Vielleicht können wir uns diese Art des Wirtschaftens nicht mehr lange leisten. Wir können unsere Staatsschulden nicht mehr bezahlen - und unsere Umweltschulden erst recht nicht.

Muss ich da noch erwähnen,
dass auch das Klima in der Kirche nicht gut ist?
Auch hier gehen wir harten Zeiten entgegen:
Weil der Kirche das Geld ausgeht,
werden Gemeinden zusammengelegt,
Kirchgebäude geschlossen und aufgegeben werden müssen.

Mit einem Wort:
Die Großwetterlage ist katastrophal.
Wir gehen finsteren Zeiten entgegen.

II
Heute feiern wir Weihnachten und zünden Lichter an.
Lichter, die die Finsternis vertreiben sollen.
Aber so leicht lässt sich die Dunkelheit nicht vertreiben.
Wir haben sie hierher mitgebracht,
wir haben sie eigentlich immer dabei.
In Form beruflicher oder privater Sorgen,
als Angst um den Arbeitsplatz,
Angst vor den Folgen einer Krankheit.
Und auch als Angst vor der Zukunft,
als Sorge, wie es weitergeht
mit unserer Gemeinde, mit unserem Land,
mit unserer Welt.

Wir wandeln im Dunkeln
wie weiland das Volk Israel, von dem der Prophet Jesaja spricht.
Das ist schon eine ganze Weile her. Menschenalter.
Dunkelheit und finstere Zeiten hat es wohl schon immer gegeben.
Seit Menschengedenken machen Menschen sich Sorgen,
kleine und große,
Sorgen über private Dinge
und Sorgen über die politische, die wirtschaftliche Großwetterlage.
Seit Menschengedenken kämpfen Menschen gegen überwältigende Probleme, die sich wie eine Dunkelheit auf sie legen.
Und seit Menschengedenken warten sie darauf,
dass einer die Probleme löst
und sie von ihren Sorgen befreit.

Konzepte sind gefragt. Strategien.
Fallschirme und Rettungsfonds.
Krisengipfel und Konferenzen,
auf denen versucht wird,
eine Lösung zu finden.

III
Gottes Lösung sieht ganz anders aus.
"Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel - Gott ist mit uns."
Gott bietet keine fertige Problemlösung an,
keine Handlungsanweisung, die man nur noch befolgen müsste,
damit alles gut wird.
Gott wirkt an den Politikern, den Managern, den Machern vorbei
auf eigene, geheimnisvolle Weise.
"Eine Jungfrau ist schwanger"
- das neue, das Gott kommen lässt,
geschieht ohne menschliches Zutun,
abseits politischer Netzwerke,
ohne die Kniffe und Regeln des Managements.
Es geschieht einfach von sich aus,
wie ein Kind im Bauch einer Mutter eben wächst.

Es geschieht einfach ...
Kann es sein, dass sich Probleme auf so simple Weise lösen,
indem man es einfach geschehen lässt?
Man darf dieses Geschehenlassen nicht verwechseln
mit dem Aussitzen mancher Politiker und Funktionäre.
Auch ist damit nicht gemeint, die Hände in den Schoß zu legen.

Seit dem 17. September hat sich eine neue Bewegung gegründet,
Sie haben sicher schon davon gehört:
"Occupy Wallstreet" ist das Motto dieser Bewegung,
besetzt die Wallstreet.
Die Occupy-Bewegung will nicht zulassen,
dass die Wallstreet von Bankern und Börsianern dominiert wird.
Sie will das Gebaren der Banken ins Licht der Öffentlichkeit zerren.
Sie will nicht, dass einzelne Banken und Rating-Agenturen
Menschen und ganze Staaten in den Ruin stoßen können.

Die Occupy-Bewegung hat sich ausgebreitet.
Sie ist eine Macht geworden.
Und schon fangen die ersten an zu fragen, was denn die Ziele sind.
Die Occupyer sollen Forderungen aufstellen,
ein Programm, einen Plan.
Aber das tun sie nicht. Sie protestieren.
Sie sagen, was ihnen nicht gefällt.

Occupy-Bewegungen hat es schon früher gegeben,
auch wenn sie sich nicht so nannten.
Da gab es z.B. die, die das Gelände über dem Salzstock von Gorleben besetzten und eine "Republik freies Wendland" ausriefen.
Oder die, die leerstehende Häuser besetzten,
um damit günstigen Wohnraum zu erhalten.

Früher hat man diesen Leuten vorgehalten:
Dann geht doch nach drüben!
Aber "drüben" gibt es nicht mehr.
Man hat ihnen vorgehalten,
sie seien nur "dagegen",
sie wüssten selbst nicht, wie es besser geht.
Aber man darf trotzdem protestieren,
auch wenn man nicht weiß, wie es anders oder besser geht.
Vielleicht ist es genau richtig,
nicht schon wieder zu wissen,
wie's gemacht wird,
nicht schon einen fertigen Plan zu haben.
Sondern erst einmal abzustellen, was falsch ist,
und zu beobachten, was sich statt dessen entwickelt.

IV
Neun Monate wächst ein Kind im Bauch der Mutter.
Neun Monate, die eine Mutter abwarten und aushalten muss,
die sie nicht verkürzen kann.
Ganz schön anstrengend, diese Warterei!
Aber nicht zu ändern.
Warum nehmen wir uns nicht die Zeit abzuwarten,
bis die Zeit für Veränderungen reif ist?
Warum nehmen wir uns nicht die Zeit, abzuwarten,
ob etwas geschieht, und was geschieht?

Vielleicht, weil wir kein Vertrauen haben?
Vertrauen darauf, dass etwas wachsen wird,
auch wenn wir erst einmal nichts tun.
Vertrauen darauf, dass wir ihn schon nicht verpassen werden,
den Augenblick, in dem wir gefragt sind.
Eine Schwangere kann den Augenblick der Geburt nicht verpassen.
Er kündigt sich unmissverständlich an,
und dann ist ihr Einsatz gefragt
- und in begrenztem Maße auch der des Vaters.

V
Das Neue, das durch Gott auf die Welt kommt,
ist ein Kind, das einen ganz besonderen Namen trägt:
Immanuel.
Wir kennen es unter einem anderen Namen:
Jesus.
Immanuel, das ist Gottes Plan gegen unsere Sorgen,
Gottes Programm zur Rettung seiner und unserer Welt:
Gott ist mit uns.

Gott ist mit uns
- nicht so, wie es die Soldaten früherer Zeiten
auf der Koppel ihres Gürtels stehen hatten,
zur Selbstvergewisserung,
auf der richtigen, der guten Seite zu stehen.

Gott ist mit uns in einem ganz anderen,
einem viel umfassenderen Sinn.
Gott ist mit uns in einer Weise, wie es Paulus formuliert hat:
"In ihm weben, leben und sind wir." (Apostelgeschichte 17,28)
Wir sind so eins mit Gott,
wie ein Fisch es mit dem Wasser ist,
in dem er schwimmt,
oder ein Kind im Mutterleib mit seiner Mutter.

So mit Gott verbunden, sitzen wir an der Quelle,
am Ursprung allen Seins.
Wenn wir Gott vertrauen, können wir ihm alles zutrauen.
Wir können gar nicht maßlos genug sein
in unserem Durst nach Freiheit, nach Glück,
nach Nähe, nach Liebe,
nach Erkenntnis, nach Frieden
- solange wir all das bei Gott suchen
und nicht in unserem Leben, bei unseren Mitmenschen.
Bei Gott finden wir die Erfüllung aller unserer Sehnsüchte,
wenn wir Vertrauen wagen
- den Absprung aus unserer begrenzten Wirklichkeit
hinein in Gottes unendliche, unergründliche Fülle.

VI
Gottes Sohn kommt zur Welt,
um uns zum Vertrauen,
zu diesem Sprung in Gottes Fülle, zu überreden.
Es ist ein Sprung mit Netz, Fallschirm und doppeltem Boden,
denn Gott ist mit uns.
Wir springen nicht ins Nichts.
Wir springen nur heraus aus allem,
was uns fesseln und zwingen will
hinein in die Freiheit der Kinder Gottes.
In eine Freiheit, in der wir alles von Gott erwarten
und skeptisch sein können gegenüber den Rezepten
der Wissenschaftler, Wirtschaftsweisen,
Politiker und Manager.

Wir leben ins finsteren Zeiten,
und wir tragen die Dunkelheit auch in uns.
Doch das Licht von Weihnachten scheint in die Dunkelheit.
Der Sohn Gottes erleuchtet uns als Stern den Weg,
auf dem wir gehen können.
Sein Licht vertreibt die Dunkelheit,
vertreibt Angst und Sorgen
und schenkt uns das Vertrauen:
Wir werden mit Gottes Hilfe den Weg schon finden.
Amen.

Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2011

Predigt am Heiligen Abend, 24.12.2011, über Jesaja 9,5-6:

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.


Liebe Gemeinde,

ein Kind ist geboren!
Das ist eine gute Nachricht!
Eine Nachricht, die Freude auslöst in der Familie
und in der engeren Verwandtschaft.
Eine Nachricht, die einen sofort gut gelaunt sein lässt,
wenn man sie erfährt.
Und für einen Moment ist man ganz bewegt,
denkt an die Mutter und hofft, dass sie alles gut überstanden hat.
Vor allem wünscht man dem Kind alles erdenkliche Gute.

Dann kommen die Fragen:
ist es ein Junge oder ein Mädchen?
Wie groß ist es, und wie schwer?
Wie soll es heißen?

"Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben;
und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst."
Ein Junge also.
Ein ganz besonderes Kind, offensichtlich -
es hat so ungewöhnliche Namen:
"Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst."
- So nennt man doch kein Kind.

"Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst"
sind ja auch nicht seine richtigen Namen.
Es sind sprechende Namen.
Sie reden davon, wofür dieses Kind steht,
sozusagen das Programm,
das diesem Kind bereits in die Wiege gelegt wird.

II
"Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben."
Was für eine gute Nachricht!
Ein neu geborenes Kind ist ein Wunder:
Es hat schon alles, was einen Menschen ausmacht,
aber alles ist noch winzig klein,
es muss sich erst noch entfalten.
Die Fingerchen mit winzigen Fingernägeln,
so klein, dass sie meinen kleinen Finger gerade so umschließen.
Aber sie können schon richtig zufassen.

Ein Kind - ein Wunder, das sich erst noch entfaltet.
Was könnte nicht alles aus diesem Kind werden?
Die Hoffnungen und Erwartungen an ein Neugeborenes sind grenzenlos.
Weil noch alles aus diesem Kind werden kann.
Weil es noch nicht festgelegt wurde auf eine Herkunft,
noch nicht einsortiert wurde in eine Schublade.

Das das wird gleich passieren.
Sobald das Kind zuhause ist, wird es losgehen.
Dann wird nicht mehr alles möglich sein,
dann wird nicht mehr alles aus ihm werden können.
Dann wird es eine Herkunft bekommen, eine Geschichte
und wird einsortiert werden.

Aber noch ist alles offen.
Noch darf man träumen,
dass dieses Kind einmal anders werden,
es einmal anders machen könnte als wir,
dass es die Welt verändern könnte.

III
Das Kind, das heute geboren wird,
tritt an, die Welt zu verändern.
So muss man seine Namen wohl verstehen:
"Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst".
Vor allem seinen letzten Namen: "Friede-Fürst".
Dieses Kind bringt Frieden.
Haben das in der Weihnachtsgeschichte nicht auch die Engel den Hirten verkündigt, "Frieden auf Erden"?

Frieden. Ein großes Wort.
Frieden war auch einmal eine große Hoffnung.
Aber wenn das Kind uns heute den Frieden bringen will,
sagen wir: danke, haben wir schon.
Wir leben seit über 60 Jahren im Frieden.
Seit dem Fall der Mauer brauchen wir auch keine Angst mehr davor zu haben, dass sich für uns etwas daran ändert.
Im Gegenteil: Die Bundeswehr wird verkleinert.
Wir benötigen keine Armee zur Abschreckung mehr.
Die Soldaten sind bloß noch zur Sicherheit da
und für Einsätze im Ausland.

Wir brauchen keinen Frieden.
Den haben wir schon,
wie die doppelten Weihnachtsgeschenke
- aber die kann man wenigstens umtauschen.
Was sollen wir mit dem Frieden anfangen,
den uns das Christkind bringt?

IV
Das Christkind bringt Frieden,
wir aber warten auf andere, auf bessere Geschenke.
Wir warten darauf, dass die Konjunktur wieder anzieht,
dass der Euro sich erholt, die Wirtschaft weiter wächst
und sich die Hiobsbotschaften vom Klimawandel
als heiße Luft erweisen.

Dabei wissen wir eigentlich schon lange,
dass es so nicht weitergehen kann.
Nichts kann ewig weiter wachsen,
auch die Wirtschaft nicht.
Irgendwann ist jedes Wachstum zuende,
weil die Ressourcen aufgebraucht sind.
Es ist abzusehen, wann das sein wird.
Aber wir wachsen weiter, wir wachsen auf Pump
und nehmen neue Kredite auf, um die alten abzulösen
- dabei können wir schon jetzt unsere Schulden nicht bezahlen.

Wir wachsen, wir müssen wachsen,
wir sind wie gefangen in dieser Wachstumsideologie,
zu der auch das Kaufen gehört, der Konsum,
und das Wegschmeißen,
damit wir schnell wieder neue Sachen kaufen können.

Wir selbst müssen immer weiter wachsen,
ein Leben lang besser werden,
auch unser Körper kann besser werden,
selbst, wenn er alt ist.
Es gibt keine Atempause und auch kein Ziel.
Wir laufen im Rad,
sind gefangen in einem Wachstumsprozess,
der immer weiter, immer weiter geht, ohne Ziel.

Wir sind Gefangene der Wachstumsideologie,
aber es geht uns gut damit,
wir wollen nicht heraus.
Wir möchten, dass alles so bleibt, wie es ist.
Wir möchten unseren Lebensstil nicht ändern,
auch wenn er zu Lasten unserer Umwelt
und zu Lasten der ärmeren Länder geht.
Wir möchten behalten, was wir haben - naja,
wenn wir ehrlich sind: Wir hätten gern noch ein bisschen mehr ...

V
Sollte das wirklich unsere Antwort auf die Weihnachtsbotschaft sein?
Wenn man der Werbung glaubt,
dann scheint es fast so:
"Weihnachten wird unterm Baum entschieden", heißt es da.
Ist das so? Geht es auch an Weihnachten
nur um die Geschenke, um Konsum und Wachstum?

Die Tatsache, dass Sie heute hierher in die Kirche gekommen sind,
zeigt, dass es an Weihnachten noch um etwas anderes geht.
Zum Beispiel um unsere Erwartungen,
dass es in der Welt gerecht zugehen sollte und ehrlich.
Dass die, die abschreiben,
die, die einen lässigen Umgang mit der Wahrheit pflegen
nicht jedes Mal ungestraft davonkommen.
Dass die, die sich von Geschäftsfreunden einladen lassen,
die, die Geld zum Fenster herauswerfen, das ihnen nicht gehört,
dafür bezahlen müssen.

Es geht um unsere Hoffnungen,
dass das Leben mehr ist als arbeiten und kaufen,
mehr zu bieten hat als Fernsehen und Autofahren.

Und schließlich und vor allem geht es um Frieden.
Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg.
Kriege werden um Märkte geführt, um Bodenschätze
und um Handelswege - so der Versprecher von Horst Köhler,
der ihn das Amt des Bundespräsidenten kostete.
Mit der Art, wie wir wirtschaften,
tragen wir zum Krieg bei - oder zum Frieden.

Es geht um Frieden in der Welt,
und um Frieden für uns.
Denn es ist deutlich zu spüren,
dass der Zwang zu immer mehr Leistung,
zu immer mehr Wachstum,
der schon im Kindergarten eingeübt wird,
Menschen nicht gut tut.
Er macht uns krank.

VI
Das Kind kommt zu uns,
wird unter uns geboren.
Dadurch kommt etwas Neues in die Welt.
Und das bedeutet,
dass wir nicht mehr so weitermachen können wie bisher.
Dass sich etwas ändern muss an unserer Art zu wirtschaften,
an unserer Art, diese Welt zu benutzen.
Es bedeutet,
dass wir uns werden ändern müssen.

Das Kind, das heute Nacht geboren wird, bringt Frieden.
Frieden für uns, und Frieden für die Welt.
Damit der Frieden zu uns kommen kann,
müssen wir anhalten
- innehalten, hat man früher gesagt,
ein schönes Wort. Es bedeutet:
Pause machen. Nachdenken.
Wohin bin ich unterwegs?
Und will ich da wirklich hin?

Ein Kind ist uns geboren,
das uns Frieden bringt.
Frieden für die Welt und Frieden für unsere Herzen.
Es ist ein Frieden, der uns unruhig macht.
Wenn man diesen Frieden gefunden hat,
kann man den Unfrieden nicht mehr übersehen,
den unsere Art zu leben und zu wirtschaften über die Welt bringt.

Zugleich ist es ein Frieden,
der unser Herz ganz ruhig werden lässt.
Weil er uns mit Gott verbindet
und uns wissen lässt:
Wir müssen nicht immer weiter wachsen,
wir sind doch bereits wer.
Denn das größte Geschenk haben wir ja schon bekommen:
Gott hat uns seinen Sohn geschenkt.
Er ist unser Bruder geworden,
wir seine Schwestern und Brüder.
Wir sind eine große Familie,
geborgen und zuhause bei Gott.

Ein Kind wird geboren,
und ein Wunder entfaltet sich:
das Wunder des Friedens,
der unter uns beginnt
und ausstrahlt auf unsere Art zu leben,
auf unseren Umgang mit unseren Mitmenschen,
auf die ganze Welt.
Amen.