Sonntag, 23. Februar 2020

Der dritte Blick

Predigt am Sonntag Estomihi, 23.2.2020, über Lukas 18,31-43

Jesus nahm die Zwölf zur Seite und sprach zu ihnen:
„Passt auf: Wir gehen hinauf nach Jerusalem.
Es wird sich alles erfüllen,
was von den Propheten über den Menschensohn geschrieben wurde.
Er wird den Heiden übergeben werden
und verspottet, beleidigt und angespuckt werden.
Und nachdem sie ihn ausgepeitscht haben, werden sie ihn töten.
Aber am dritten Tag wird er auferstehen.“
Aber die Jünger begriffen nichts von alldem,
diese Weissagung blieb ihnen verborgen
und sie verstanden das Gesagte nicht.

Als Jesus sich Jericho näherte, saß ein Blinder bettelnd am Weg.
Als der hörte, dass viele Leute vorübergingen, wollte er wissen, was das wäre.
Man berichtete ihm, dass Jesus, der Nazarener, vorbeiginge.
Da rief er: „Jesus, Davids Sohn, erbarme dich meiner!“
Aber die vorangingen, fuhren ihn an, er solle schweigen.
Er aber schrie noch viel mehr: „Davids Sohn, erbarme dich meiner!“
Da blieb Jesus stehen und wollte, dass man ihn zu ihm bringe.
Als der Blinde herangekommen war, fragte Jesus ihn:
„Was soll ich für dich tun?“
Er sprach: „Herr, dass ich wieder sehen kann!“
Jesus antwortete ihm: „Du sollst wieder sehen. Dein Glaube hat dich gerettet.“
Sofort konnte er wieder sehen und folgte Jesus, wobei er Gott lobte.
Und alle Leute, die das sahen, priesen Gott.


Liebe Schwestern und Brüder,

die „(dritte) Leidensankündigung“ und die „Heilung des Blinden“
bilden zusammen den heutigen Predigttext.
Warum zwei Geschichten?
Beide haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun,
und auf den zweiten auch nicht.
Erst der dritte Blick offenbart,
dass und wie sehr diese beiden Geschichten zusammengehören
und eigentlich eine sind,
und wie viel diese beiden Geschichten
aus einem anderen Land und einer anderen Zeit
mit unserem Leben heute zu tun haben.


Auf den ersten Blick handelt es sich bei der ersten Geschichte um ein Rätsel,
das Jesus seinen Jüngern aufgibt.
Ein Rätsel, das sie ratlos zurücklässt;
sie haben es nicht verstanden.
Das wird am Ende der Geschichte besonders, nämlich dreimal, betont.
Das Unverständnis der Jünger versetzt uns, die heutigen Hörerinnen,
in eine überlegene Position.
Denn für uns stellt das, was Jesus sagt, kein Rätsel dar, im Gegenteil:
Wir wissen genau, wovon er spricht.
Wir wissen, worauf Jesus zugeht.
Es ist kein Wissen, das stolz macht
oder das Gefühl der Überlegenheit gibt wie sonst,
wenn man etwas weiß, das andere nicht wissen.
Dieses Wissen bedrückt und stimmt traurig.
Es ist wie das Wissen des Arztes um eine schlimme Diagnose,
die er seinem Patienten mitteilen muss:
Wir wissen um Jesu Leiden und Tod.

Wir wissen auch von seiner Auferstehung.
Aber die tritt hinter den so großen Erniedrigungen, die ihn erwarten,
hinter seinem Tod in den Hintergrund.


Die zweite Geschichte erzählt auf den ersten Blick von einer wunderbaren Heilung.
Ein Blinder, der durch einen glücklichen Zufall direkt an dem Weg sitzt,
den Jesus und seine Jünger nehmen,
macht sich lautstark bemerkbar, als er hört, wer da an ihm vorbeigeht.
Er bringt sein Anliegen zu Gehör,
obwohl man sein aufdringliches Rufen verhindern will.
Und seine Hartnäckigkeit wird belohnt:
Jesus heilt ihn von seiner Blindheit. Er kann wieder sehen
und wird zu einem lautstarken Nachfolger Jesu
- diesmal nicht in eigener Sache, sondern zum Lobe Gottes,
dem er seine wunderbare Heilung verdankt.
In sein Lob stimmen alle ein, die Zeugen seiner Heilung waren.


Auf den zweiten Blick offenbaren die beiden Geschichten einige Merkwürdigkeiten
und auch Gemeinsamkeiten.

Gemeinsam ist beiden Geschichten, dass Jesus in ihnen unterwegs ist
- nach Jerusalem bzw. nach Jericho.
Beide Städte liegen nicht gerade nebeneinander,
Jericho liegt auch eher nicht auf dem Weg nach Jerusalem.
Aber man kann wohl sagen, dass Jerusalem das eigentliche Ziel des Weges Jesu darstellt.
Jesus ist dorthin unterwegs, um sich auszuliefern.
Auf diesem Weg begleiten wir ihn an den Sonntagen der Passionszeit,
bis wir ihn am Palmsonntag in Jerusalem einziehen sehen.
Nachdem er sich den Menschen zuwandte, von denen „das Volk“ sich abwendet,
liefert er sich „dem Volk“ aus.
Und dieses „Volk“, das ihn am Palmsonntag mit „Hosianna“ begrüßt,
wird schon bald seine Kreuzigung fordern.
Jericho stellt eine Art Abstecher von diesem Weg dar,
von denen es an den kommenden Passionssonntagen noch viele geben wird.
Bis er und wir dem Ende des Weges Jesu, dem Kreuz,
in der Karwoche nicht mehr ausweichen können.

Beide Geschichten haben auch etwas, über das man stolpert,
das stutzig macht und das man nicht gleich versteht.

In der ersten Geschichte ist es die ungewohnte Bezeichnung „Menschensohn“,
mit der Jesus von sich spricht
und die eine Ursache für das Unverständnis der Jünger darstellt.
Warum sagt Jesus nicht „ich“, wenn er doch sich und sein Schicksal meint?
Offenbar möchte er etwas verbergen,
etwas geheim halten, was erst ganz am Ende herauskommen soll.
Es sind nicht sein Leiden und sein Tod, die er verheimlichen will,
als wolle er die Jünger mit der bitteren Wahrheit so lange wie möglich verschonen.
Jesus ist, seit er sich mit der Obrigkeit anlegte,
ständig von Verfolgung und Tod bedroht.
Er und seine Jünger wissen das
- und sie wissen, welches Schicksal ihn erwartet,
sollte er seinen Gegnern in die Hände fallen.

Jesus will verbergen, dass er der Messias, auf Griechisch: der Christus, ist.
Für uns klingt „Christus“ wie ein Nachname.
Vorname: Jesus, Nachname: Christus.
Es ist aber kein Name, sondern ein Titel
- der höchste Titel, den die Bibel für einen Menschen bereithält.
Der Titel eines Königs, wie es einst der legendäre König David war.
Ein König wie David, den Gott am Ende der Zeiten schicken wird,
um sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufzurichten.
So haben es die Propheten Jesaja, Micha und Joel vorausgesagt.

Aber Jesus will nicht nur verheimlichen, dass er der Messias ist,
sondern vor allem, dass der Messias leiden und sterben muss.
Zu diesem Schicksal ist er jetzt unterwegs.
Aber genau dieses Schicksal war für die Menschen jüdischen Glaubens -
und das waren Jesus und seine Jünger
- etwas ganz und gar Undenkbares und Unvorstellbares.
Der Messias errichtet das Reich Gottes,
ein ewiges Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.
Undenkbar, dass er dabei unter die Räder kommen,
ja, dem Mutwillen der Menschen ausgeliefert sein könnte!
Offenbar können das seine Zeitgenossen und auch seine Jünger nicht verstehen.
Und auch für uns ist es nicht leicht zu verstehen, warum Jesus diesen Weg geht.
Wir kennen aus dem Kino und dem Fernsehen, aus Comics
Helden wie "Superman" und "Batman", die "X-Men", die „Avengers“, und wie sie alle heißen.
Sie verwenden ihre übernatürlichen Kräfte zum Guten, zum Schutz der Menschen und der Erde.
Warum ist Jesus nicht auch so wie sie?
Warum verwendet er seine gottgegebene Kraft nicht dazu,
die Welt in Ordnung zu bringen
und das Reich Gottes heraufzuführen, von dem er so oft spricht?


Die zweite Geschichte hat gleich zwei Dinge,
die einen auf den zweiten Blick stutzig machen.
Da ist einmal die Anrede, mit der der Blinde Jesus ruft
und die ihn zum Stehenbleiben und zum Helfen veranlasst: „Davids Sohn“.
Wir kennen die Anrede aus dem Adventslied „Tochter Zion“,
wo die zweite und dritte Strophe mit „Hosianna, Davids Sohn“ beginnen.
„Davids Sohn“ ist ein anderes Wort für „Messias“.
Die Propheten, die einen gerechten König weissagten,
der Gottes Reich auf Erden aufrichten würde,
erwarteten eine Wiedergeburt des legendären Königs David.
Der Messias kann deshalb nur aus dem Hause Davids kommen,
er muss ein direkter Nachkomme dieses Königs, also Davids Sohn sein.

Aber woher weiß der Blinde, dass Jesus der Messias ist?
Er weiß es ja sogar, bevor er mit Jesus gesprochen hat, bevor der ihn heilt.
Offenbar hat er schon von Jesus gehört
und sich auf das Gehörte seinen Reim gemacht.
Wie ja auch Jesus den Jüngern des Johannes
auf die Frage, ob er der Messias sei, antwortet:
„Blinde sehen, Lahme gehen und den Armen wird das Evangelium verkündigt“.
Mit seinen Heilungen und seiner Zuwendung zu den Armen und Ausgegrenzten
zeigt Jesus sich für den, der sehen will, als Messias.

Die zweite Besonderheit dieser Geschichte fällt nicht so leicht ins Auge.
Sie liegt in der Antwort, die Jesus dem Blinden gibt:
„Dein Glaube hat dich gerettet“.
Jesus spricht von einer „Rettung“.
Blindsein ist ein hartes und schweres Schicksal.
Der Blinde hat sich damit irgendwie abgefunden.
Er findet Helfer, die ihn zu Jesus führen.
Er weiß auf sich aufmerksam zu machen
und er weiß auch, seinem Willen Gehör zu verschaffen.
Die Heilung von seiner Blindheit ist das, was er am meisten ersehnt.
Aber diese Heilung als „Rettung“ zu bezeichnen, erscheint etwas übertrieben.
Der Blinde befand sich ja nicht in Lebensgefahr.
Es muss eine andere Rettung gemeint sein.
Eine, die noch umfassender ist
als das Wiedererlangen einer verlorenen Fähigkeit.
Es geht um eine Lebensrettung im übertragenen Sinn:
Ums Seelenheil.
Um ein gutes, gelingendes Leben.
Und um das ewige Leben, um eine Zukunft bei Gott.

Bei Paulus heißt es dazu (Römer 10,9):
„Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, (…) so wirst du gerettet.“
Das scheint hier der Fall zu sein:
Der Blinde bekennt Jesus lautstark als Davidssohn, als Messias,
und das rettet ihn.
Aber worin besteht diese Rettung?
Reicht es denn nicht, dass er wieder sehen kann?


Jetzt sind wir, denke ich, bereit für den dritten Blick.
Dieser dritte Blick ist paradoxerweise kein anderer als der des Blinden.
Was die Jünger, obwohl sie alle ihre Sinne beisammen hatten, nicht sehen konnten,
das erkannte der Blinde:
Dass Jesus der Messias, der Christus ist.
Und dass er diese Erkenntnis laut aussprach, hat ihn gerettet.
Die beiden Geschichten gehören also darin zusammen,
dass ein Blinder etwas erkennt, was die Jünger nicht zu begreifen vermögen.
Über das, was da erkannt wurde, ist damit zunächst gesagt,
dass einem dafür die Sinne nichts nützen.
Man wird an den „Kleinen Prinzen“ erinnert,
dem der Fuchs beim Abschied sein Geheimnis mitteilt,
dass man nur mit dem Herzen gut sieht.
Mit dem Herzen sieht man anders als mit den Augen:
Mit den Augen gelingt der erste und zweite Blick.
Aber für den dritten Blick braucht man das Herz.
Das Herz, das sich ergreifen lässt von Gottes Güte und Liebe.
Das sich entflammen lässt für eine Wahrheit,
an der es festhält, auch wenn andere die Wahrheit zu etwas Beliebigem machen.
Das Herz, das sich nicht vom Äußeren blenden oder ablenken lässt,
sondern beharrlich die Oberfläche durchdringt
und erkennt, was auf dem Grund liegt:
die Wahrheit, oder eine Lüge.

Die Erfüllung der Weissagungen der Propheten, ein bisschen Supermann sein,
das hätte seine Zeitgenossen davon überzeugt, dass Jesus der Messias war.
Aber genau das ist nicht eingetreten.
Die Wunder, die Jesus vollbrachte, retteten nicht die Welt.
Die Welt nahm sie ja nicht einmal wahr.
Denn seine Wunder veränderten nur das Leben einiger Weniger.
Und das waren keine wichtigen Leute,
keine „Influencer“ und „Meinungsmacher“,
sondern solche, die man übersah, wenn sie nicht lautstark auf sich aufmerksam machten,
wie der namenlose Blinde aus unserer Geschichte,
oder sogar moralisch fragwürdige wie der Zöllner Zachäus.

Jesus war der Messias der kleinen Leute,
der Fischer, der Huren, der windigen Typen - und der Kinder.
Er litt, so wie sie in der und unter der damaligen Gesellschaft litten.
Wie sie wurde er gedemütigt, verachtet und misshandelt.
Wie ihr Leben galt auch sein Leben nichts
und wurde ihm von denen, die das Sagen und die Macht hatten, genommen.

Diesen Messias bekennen wir, wenn wir Jesus den Christus nennen.
Zu diesem Messias bekennen wir uns - und werden gerettet.

Wir werden gerettet vor der Unmenschlichkeit,
die das Kleine und die Kleinen nicht achtet.
Einer Unmenschlichkeit, die Menschen verurteilt,
weil sie anders sind, nicht einer Norm entsprechen,
die andere willkürlich aufgestellt haben.
Eine Unmenschlichkeit, die das Andere, den Fremden, so sehr hasst,
dass sie es auslöschen will und vor Mord nicht zurückschreckt.

Unsere Seele wird gerettet,
damit sie nicht vom Neid auf andere,
vom Hass auf das Fremde und die Fremden befleckt, zerrissen und zerstört wird.

Unser Leben wird gerettet,
damit wir es nicht verfehlen durch Egoismus,
durch das Verherrlichen einer Herkunft,
einer Hautfarbe, eines Landes oder eines „Führers“.

Um diesen Jesus als Messias, als Christus zu erkennen, muss man blind sein -
blind für die Maßstäbe dieser Welt.
Für ihr Schönheits- und Schlankheitsideal,
ihren Gesundheits- und Sportfetischismus,
ihr Leistungs-, Wohlstands- und Wachstumsdenken.

Wenn wir taub genug geworden sind für die Meinungsmache und Überredungskunst derer,
die andere Meinungen, andere Lebensweisen, das Fremde nicht ertragen,
tritt uns Jesus gegenüber.
Wir erkennen ihn in den Armen, den Kleinen,
den Geflüchteten, den an die Seite Gedrängten, den Gemobbten.
Wir entdecken unsere Fähigkeit, menschlich zu sein,
barmherzig zu sein, liebevoll zu sein.
So retten wir unsere Welt und unsere Schöpfung.
So wird unser Leben gerettet.

Sonntag, 9. Februar 2020

Das leuchtende Angesicht

Andacht über Psalm 31,21
„Du birgst sie im Schutz deines Angesichs
vor den Rotten der Leute,
du verbirgst sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen.“
Diese Erfahrung hat wohl jede* schon einmal machen müssen:
Dass hinter dem Rücken über eine* geredet wird.
Und auch die Erfahrung, dass man sich Gegner*innen gegenübersieht,
die einer* nicht wohlgesonnen sind.
Denen man nicht passt,
die vehement eine andere Meinung vertreten,
sodass man sich in die Ecke gedrängt fühlt.

Das Psalmwort spricht Menschen,
die sich in einer solchen Situation befinden, Gottes Schutz zu.
Es spricht von Geborgenheit in „Gottes Hütte“.
Die „Hütte Gottes“ ist eine Umschreibung für ein Gebäude,
das durch seine Größe und Pracht das Gegenteil einer Hütte ist:
Der Tempel in Jerusalem.
In biblischer Zeit war der Tempel auch ein Flucht- und Rückzugsort.
Selbst ein Verbrecher, dem die Flucht in den Tempel gelang
und der sich dort an den Altar klammerte,
hatte dadurch sein Leben gerettet.
„Asyl“ nannte man das damals.
Ein Rechtsgut, das manche heute infrage stellen
und das immer mehr beschnitten wird.

Den Tempel gibt es nicht mehr.
Er wurde im Jahr 70 n.Chr. von den Römern zerstört.
Für uns Christ*innen ist die „Hütte Gottes“ die Kirche.
Kirchen waren schon immer auch Zufluchtsorte, und sie sind es bis heute.
Auch heute noch bieten sie Menschen, die vor Verfolgung fliehen, Asyl.
Auch uns, die wir nicht um unser Leben bangen müssen.
Auch wir finden Zuflucht in der Kirche,
wenn z.B. hinter unserem Rücken über uns geredet wird.
Wenn wir wegen unserer Meinung angefeindet, ausgegrenzt werden.
In eine Kirche kann man buchstäblich fliehen,
man kann sich in ihr verstecken, wie es im Psalm heißt.
Die bösen Worte, die giftigen Blicke hinter sich lassen.
Und Kraft schöpfen.
Kraft, die einer* von Gottes Angesicht zufließt.
Denn Gott sieht uns wohlwollend und freundlich an.
Im Gegensatz zu den unfreundlichen
oder sogar hasserfüllten Gesichtern der Gegner*innen
ist Gott uns freundlich zugewandt.
Ja, mehr noch: Gottes Angesicht leuchtet, wenn er uns ansieht.

Ein Gesicht leuchtet, wenn man sich über eine* andere* freut.
So leuchtet das Gesicht der Eltern, wenn sie ihr Kind ansehen.
So leuchten die Gesichter der Liebenden.
So leuchtet einer* das Gesicht über einen unerwarteten Besuch,
eine freundliche Geste.
So leuchtet Gottes Gesicht, wenn er uns ansieht.
Wir sind Gott eine Freude.
Diese Zu-Neigung Gottes zu uns gibt uns Kraft und Selbstvertrauen,
unseren Gegner*innen die Stirn zu bieten.
Solche Zuneigung Gottes finden wir nicht nur in der Kirche, auch im Gebet.
Die Kirche gibt uns den Freiraum und die Ruhe, Gott zu begegnen
um das Leuchten von Gottes Angesicht in unseren Alltag zu tragen.


EG 70,4 Von Gott kommt mir ein Freudenschein

Donnerstag, 6. Februar 2020

Gott, der HERR

Andacht zu Psalm 97,1: „Der HERR ist König“

Stolpern Sie auch manchmal über dieses Wort „HERR“,
„Gott, der HERR“?
Dieses Wort stammt aus einer Zeit,
als es noch Herren und Knechte gab -
Herren, die befahlen,
und Knechte, die zu gehorchen hatten.
Diese Zeit ist auch in unserem Land noch gar nicht so lange her.
Mein Großvater, der ein Landwirt war, wie mein Vater,
hatte noch Knechte, die auf dem Hof für ihn arbeiteten.
Damals aßen alle zusammen an einem Tisch,
und wenn mein Großvater mit dem Essen fertig war,
mussten auch die Knechte aufstehen.
Mein Großvater war ein schneller Esser.
„Wie ich arbeite, so esse ich“, pflegte er zu sagen.
Die Knechte mussten sich beim Essen mächtig beeilen,
wenn sie satt werden wollten.

Solche Zeiten sind zum Glück vorbei.
Aber in der Bibel finden wir sie sozusagen verewigt.
Da wird Gott alle naselang „HERR“ genannt.
In uns modernen Menschen lehnt sich etwas dagegen auf,
dass es einen „Herrn“ geben sollte - und sei es Gott.
Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie.
Wir schätzen unsere Freiheit.
Es gehört für uns mit zum Wichtigsten,
niemandes Knecht zu sein,
sein eigener Herr zu sein.

Außerdem haben viele Menschen
ein Gespür dafür bekommen,
dass unsere Namen für Gott
Gott auf ein Geschlecht festlegen:
Wenn wir Gott „Herr“ oder „Vater“ nennen,
denken wir unwillkürlich an einen Mann.
So wird Gott ja auch dargestellt:
Ein alter, weißer Mann mit Bart.
Aber Gott ist kein Mann.
Gott ist auch keine Frau.
Gott ist weder männlich noch weiblich,
oder Gott ist beides zugleich.
Jedenfalls kann man Gott nicht auf ein Geschlecht festlegen.
Unsere Sprache tut das aber:
Das Wort „Gott“ ist männlich.
DER Gott.

Dabei steht an den meisten Stellen,
an denen in der Bibel Gott „HERR“ genannt wird,
im Hebräischen Text etwas ganz anderes.
Dort stehen vier Buchstaben: J, H, W und H.
Diese vier Buchstaben bilden den unaussprechlichen Namen Gottes.
Weil es nur Konsonanten sind,
kann tatsächlich niemand mit Gewissheit sagen,
welchen Namen diese vier Buchstaben einmal gebildet haben.

Es wurde ein frommer Brauch,
für die vier Buchstaben des Gottesnamens
ein anderes Wort einzusetzen,
eben das Wort „HERR“.
Wobei dieses „Herr“ zunächst nichts weiter als eine Anrede ist -
wie bei uns „Herr Meier“ oder „Frau Ministerpräsidentin“.
Wenn wir also zu Gott „Herr“ sagen,
ist das eine Anrede, zu der uns noch der Name fehlt.

Die Anrede „Herr“ ist eine Höflichkeitsfloskel,
ein Zeichen des Respektes.
Wenn wir Gott „Herr“ nennen,
drücken wir damit unseren Respekt vor Gott aus.
Wir geben damit vielleicht auch zu verstehen,
dass wir Gott als Herrn über unser Leben anerkennen.
Dass wir uns Gott unterordnen,
weil er es gut mit uns meint.
Gott wird uns nicht klein machen oder übers Ohr hauen,
uns nicht ausbeuten oder antreiben.
Gott will Gutes für uns,
will, dass unser Leben gelingt,
dass wir Glück und Freude erleben.
Diesem Herren können wir uns anvertrauen.
Und vielleicht können wir mit Jesus auch sagen:
Herr, dein Wille geschehe.


EG 379,1-4 Gott wohnt in einem Lichte.

Mittwoch, 5. Februar 2020

Wegweisung

Andacht zu Psalm 86,11:
„Weise mir, Herr, deinen Weg,
dass ich wandle in deiner Wahrheit.“

Ist man fremd an einem Ort,
achtet man auf Straßenschilder
und ist froh, dass es Hinweise gibt
auf Sehenswürdigkeiten, Unterkünfte
oder das stille Örtchen,
das man manchmal so dringend braucht.
Lebt man länger an einem Ort,
kennt man sich aus
und achtet der Wegweiser nicht mehr.
Man weiß jetzt, wo's langgeht.

Auf unserem Lebensweg gab es viele,
die uns den Weg wiesen:
Eltern und Großeltern,
Verwandte,
Lehrer,
der Pastor,
Ausbilder oder Dozenten,
Vorgesetzte.
Sie alle sagten mehr oder weniger bestimmt,
wo's langgeht im Leben
und erwarteten, dass wir uns an ihrer Weisung orientierten.
Und wir taten, was sie uns sagen - mehr oder weniger.

Bis der Tag kam, an dem wir meinten,
nun wüssten wir selbst Bescheid,
an dem wir uns selbst unseren Weg wählten.
Seit diesem Tag lassen wir uns nicht mehr hineinreden
in unser Leben, von niemandem.
Jetzt bestimmen wir - und wir allein -,
wie unser Lebensweg verläuft.
Manche möchten sogar darüber bestimmen,
wann und wie dieser Weg einmal endet.

Quer zu diesem Wunsch, über sein Leben zu bestimmen,
steht die Bitte: „Weise mir, Herr, deinen Weg“.
Will man das wirklich,
sich seinen Weg von einem anderen vorgeben lassen?
Selbst, wenn dieser andere Gott ist?
Will man sich wirklich noch einmal klein fühlen,
wie ein Fremder, ein Zugezogener, ein Kind?

Wer bereit ist, sich den Weg zeigen zu lassen,
verlässt die alten, gewohnten Bahnen.
Lernt einen neuen Weg kennen,
von dem er bisher nichts wusste.
Entdeckt Sehenswürdigkeiten,
die er selbst nie gefunden hätte.
Wird auf Schönheiten aufmerksam gemacht,
die er selbst übersehen hätte.

Sich von Gott den Weg weisen zu lassen,
erhält jung und macht wieder jung -
nicht körperlich, sondern geistig.
Lässt einen überraschende, neue Dinge entdecken
und sein Leben der Aufrichtigkeit, der Wahrheit
und der Liebe widmen.


EG 361,1-4 Befiehl du deine Wege