Sonntag, 2. Februar 2025

Berufen

Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 2.2.2025, über Exodus 3,1-14


Liebe Schwestern und Brüder,


für jeden Menschen gibt es einen Weg,

auf dem er oder sie Gott begegnet.

Für jede und jeden ist er anders.

Manche haben das Gefühl, 

sie stünden seit jeher in einer Beziehung mit Gott.

Gott begegnete ihnen, als sie noch Kinder waren.

Sie wuchsen auf mit Gott als Freund.


Im Laufe der Zeit wandelte sich diese Beziehung,

wandelte sich auch die Art, wie sie Gott wahrnahmen:

Gott konnte freundlich, zugewandt, liebevoll, 

aber auch abweisend, furchteinflößend, unverständlich sein,

und manchmal auch sehr fern.

Aber trotzdem war Gott immer da.


Andere erfuhren die Begegnung mit Gott

als einschneidendes Erlebnis, das ihr Leben veränderte.

Sie können sich genau an den Moment erinnern,

wissen das Datum, sogar die Stunde, in der es geschah.


Von einer solchen einschneidenden Begegnung mit Gott

erzählt der heutige Predigttext im Buch Exodus im 3. Kapitel:


Mose hütete die Schafe Jitros, 

seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, 

und trieb die Schafe über die Wüste hinaus 

und kam an den Berg Gottes, den Horeb.

Und der Engel des Herrn erschien ihm 

in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. 

Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte 

und doch nicht verzehrt wurde.

Da sprach er: Ich will hingehen 

und diese wundersame Erscheinung besehen, 

warum der Busch nicht verbrennt.


Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu sehen, 

rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! 

Er antwortete: Hier bin ich.

Er sprach: Tritt nicht herzu, 

zieh deine Schuhe von deinen Füßen; 

denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

Und Mose verhüllte sein Angesicht; 

denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 

Und der Herr sprach: 

Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, 

und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; 

ich habe ihre Leiden erkannt. 

Und ich bin herniedergefahren, 

dass ich sie errette aus der Ägypter Hand 

und sie aus diesem Lande hinaufführe

in ein gutes und weites Land, 

in ein Land, darin Milch und Honig fließt.

So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, 

damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Mose sprach zu Gott: 

Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe 

und führe die Israeliten aus Ägypten? 

Er sprach: Ich will mit dir sein. 

Mose sprach zu Gott: 

Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: 

Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, 

und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, 

was soll ich ihnen sagen? 

Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. 

Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: 

»Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.


Mose kannte Gott noch nicht.

Er war als hebräisches Kind von seiner Mutter im Nil ausgesetzt

und von der Tochter des Pharao gefunden worden.

Als Ägypter war er aufgewachsen.


Von seinem Schwiegervater, der ein Priester war, hatte er gelernt,

dass nicht nur der Körper Fenster zur Wirklichkeit hat -

Augen, Nase, Ohren, Mund -,

sondern auch die Seele.

Sie öffnet sich auf Gottes Wirklichkeit hin.


Doch die Fenster der Seele sind von außen verschlossen.

Man kann sie nicht selbst öffnen.

Das muss durch jemand anderen geschehen.

Oder durch ein Erlebnis, so stark, so intensiv,

dass es die Fenster regelrecht wegsprengt.


Für Mose ist dieses Erlebnis das Wunder des Dornbusches,

der nicht verbrennt.

Im Rätseln über dieses Phänomen begegnet ihm Gott.

Damit beginnt seine Geschichte mit Gott: seine Berufung.


Berufung - ein gewichtiges Wort.

Man nimmt es nicht so ohne weiteres für sich in Anspruch.

Professor:innen, Richter:innen werden berufen,

Dirigent:innen, oder Kantor:innen.

Um für eine Berufung infrage zu kommen,

muss man über besondere, gar außerordentliche Fähigkeiten

oder Gaben verfügen.


Beim Glauben ist das anders:

Jeder Christenmensch ist in seinem Stand berufen, 

lehrt Martin Luther.

Da, wo jemand steht, soll er, soll sie ihren Glauben

mit ihren Fähigkeiten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten leben.

Keine Berufung ist mehr wert, keine ist wichtiger als die andere:

Ein Pastor steht nicht über der Küsterin,

eine Bischöfin nicht über einem Ehrenamtlichen.

Wir alle sind gleichermaßen von Gott Berufene.

Dass wir berufen sind: Das wird durch den Glauben erkannt.


Glaube heißt also nicht, unglaubliche Tatsachen zu glauben -

dass Gott die Welt in sieben Tagen schuf, z.B.,

oder dass Jesus auf dem Wasser gehen konnte.

Glaube ist auch nicht die Erwartung,

dass Gott auf unseren Wunsch hin die Naturgesetze aufhebt.

Glaube ist keine Fähigkeit, 

die man trainieren könnte wie einen Muskel.

Und Glaube ist keine Pflicht.

Niemand „muss” glauben,

und niemand kann dazu gezwungen werden,

etwas Bestimmtes zu glauben.


Glauben bedeutet, zu erkennen,

dass man von Gott berufen ist

als die, als der, der man ist,

mit genau den Stärken und Schwächen,

den Fehlern und Fähigkeiten, die man besitzt

und die eine:n zu einem Menschen machen.


Glauben bedeutet, zu erkennen,

dass Gott einen Sinn in meinem Leben sieht

und mir eine Aufgabe gegeben hat.

Keine unlösbare, übermenschliche Aufgabe.

Keine Aufgabe, die Entbehrungen verlangt

oder gar den Verzicht darauf, an mich zu denken.

Nur die Aufgabe, an meinem Ort

und mit meinen Fähigkeiten zu tun,

was Gott mich tun heißt:

Seine Liebe anzunehmen und weiterzugeben.


Mose wird von Gott dazu berufen,

das Volk Israel aus Ägypten zu führen.

Mit seiner Berufung findet er den Glauben.

Nicht so, wie man eine Muschel am Strand findet,

oder etwas Seltenes wie einen Bernstein oder einen Hühnergott.

Der Glaube findet ihn.


Glaube ist nichts, was wir „haben” oder „besitzen”,

keine Eigenschaft oder Fähigkeit.

Glaube ist ein Geschenk, das Gott uns macht -

jeder und jedem von uns.


Allerdings keines, mit dem wir machen könnten, was wir wollen.

Wir bekommen den Glauben nicht,

damit wir uns gut fühlen, mit ihm angeben

oder uns anderen überlegen fühlen können.

Das Geschenk des Glaubens gibt es nur als Berufung,

also: verbunden mit einer Aufgabe.

Er ist Auftrag, nicht Besitz.


Man merkt, dass man glaubt,

wenn man diese Berufung spürt.

Eher nicht als klar formulierten Auftrag, wie Mose ihn erhält:

„geh, ich will dich zum Pharao senden, 

damit du mein Volk aus Ägypten führst.”

Oft ist es nur so ein Gefühl.

Das Gefühl, dass das Leben nicht alles ist.

Dass da noch mehr sein, dass da noch was kommen muss.


Darum sucht der Glaube, sich auszudrücken.

Manchmal im Tun, und manchmal in Kontemplation,

im Gebet oder im Gottesdienst.

Dadurch zeigt sich unsere Berufung:

Dass der Glaube sich ausdrücken möchte.

Er möchte durch unser Leben Gestalt annehmen.


Wenn wir dem Glauben Ausdruck verleihen,

dann glauben wir.

Darum kann man manchmal über das Tun zum Glauben 

oder wieder zum Glauben zurück finden:

Der Ausdruck des Glaubens führt zum Glauben.


Nicht immer glaubt man.

Zum Glauben gehört der Zweifel.

Der Zweifel ist die andere Seite des Glaubens:

Glaube und Zweifel sind Geschwister.

Auch Mose befallen Zweifel,

kaum, dass er den Glauben kennengelernt hat:

„Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe 

und führe die Israeliten aus Ägypten?”


Manchmal glaubt man sich selbst seinen Glauben nicht mehr -

bis hin zu dem Gefühl, den Glauben verloren zu haben.

Wie gut, dass der Glaube nicht unsere Fähigkeit, unser Besitz ist!

Was man nicht besitzt, kann man auch nicht verlieren.


Gott stupst uns hartnäckig immer wieder an.

Appelliert an unsere Hilfsbereitschaft, an unser Mitgefühl.

Weckt unsere Sympathie für Menschen, denen wir begegnen.

Da bekommt der Glaube einen neuen Impuls.


In diesen Begegnungen begegnet uns Gottes Liebe.

Da bekommt der Glaube neuen Halt:

Während man das Gefühl hatte, sich im freien Fall zu befinden,

war man die ganze Zeit in Gottes Hand geborgen.


Diese Erfahrung wird Mose machen.

„Ich will mit dir sein”, verspricht Gott.

„Ich werde sein” ist sein Name und zugleich sein Versprechen.

Mit seinem Versprechen bereitet Gott den Boden,

damit Mose den ersten Schritt des Glaubens tun kann:

Seiner Berufung zu folgen.


Gott wird ihm noch oft helfen, noch oft für ihn einspringen.

Die Wunder der Wüstenwanderung -

dass plötzlich Wasser aus dem Felsen springt,

oder dass es Manna und Wachteln regnet -

könnten dazu verleiten, solche Wunder auch für sich zu erhoffen.

Bzw. ihr Ausbleiben mit einem Mangel an Glauben zu erklären.


Aber so ist der Glaube nicht.

Gott hilft uns nicht, wenn wir die Hände in den Schoß legen

und darauf warten, dass ein Wunder geschieht.

Wunder geschehen, wenn wir tun,

was wir an unserem Ort, mit unseren Fähigkeiten tun können

und tun sollen.


Glaube ist ein Geschenk - ein Geschenk, das angenommen werden will.

Mit dem Geschenk des Glaubens verbunden ist ein Auftrag,

unsere Berufung.

Viele riechen den Braten und verweigern die Annahme.

Sie wollen sich nicht einspannen lassen für einen Auftrag Gottes.


Das ist ihr gutes Recht.

Glaube ist kein Zwang, kein Muss.

Er ist eine Möglichkeit, die Gott uns eröffnet

und die wir ergreifen können.


Wenn wir zugreifen, das Geschenk des Glaubens annehmen,

verwickelt Gott uns in sein Geschäft mit der Welt:

Sie ganz zu machen, sie heil zu machen.

Wer sich darauf einlässt, kann Wunder erleben.