Sonntag, 23. Februar 2025

was von Träumen zu halten ist

Predigt am Sonntag Sexagesimae über Apg 16,9-15

Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht:
ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn:
Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!
Als er aber die Erscheinung gesehen hatte,
da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen,
gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte,
ihnen das Evangelium zu predigen.
Da fuhren wir von Troas ab
und kamen geradewegs nach Samothrake,
am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi,
das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.
Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss,
wo wir dachten, dass man zu beten pflegte,
und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.
Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia,
eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu;
der tat der Herr das Herz auf,
so dass sie darauf acht hatte, was von Paulus geredet wurde.
Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach:
Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube,
so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.


Liebe Gemeinde,

Wohin führen uns unsere Träume?
Das Sprichwort sagt: „Träume sind Schäume!“
Martin Luther King dagegen sagte: "I have a dream",
und dieser Traum von einer gemeinsamen Zukunft
weißer und schwarzer Kinder
macht ihn bis heute zum Hoffnungsträger und Vorbild für viele.

Auch Paulus hat einen Traum.
Der Traum des Paulus führt uns zwei Jahrtausende zurück,
in einen Landstrich, der früher Asia minor, Kleinasien, hieß
und heute zur Türkei gehört.
Versetzen wir uns in die Situation vor fast 2000 Jahren.
Reisen wir in Gedanken in den Nordwesten Kleinasiens, nach Mysien,
zu einem bedeutenden Ort: nach Troas.
Dort entdeckte Heinrich Schliemann 1873 das antike Troja,
dessen Fall Homer einst besang.

Stellen wir uns Paulus vor, wie er dort auf einer Rasenbank sitzt,
geschützt durch eine niedrige Steinmauer vor dem Wind,
der vom Bosporus herüberweht.
Um ihn herum Trümmer antiker Bauten –
vielleicht sogar von Troja selbst.
Trichterwinden blühen weiß:
ein verzauberter Ort, wie man ihn im Traum sehen mag,
ein Ort, nicht von dieser Welt.
Paulus stützt den Kopf mit seiner Hand.
Sein Blick schweift ab in die Weite, ins Ungewisse: er träumt.
Im Traum sieht er einen Mann vor sich,
der Kleidung nach ein Mazedonier,
der ihn bittet: „Komm herüber und hilf uns!”

Paulus ist hier ganz für sich, aber er ist nicht allein.
Timotheus, ein junger Mann, den Paulus unterwegs getroffen,
den er getauft und in seine Reisegruppe aufgenommen hat,
und Silas, mit dem er gemeinsam zur Missionsreise aufgebrochen war, begleiten ihn.
Ihnen erzählt er seinen Traum.
Gemeinsam deuten sie ihn als einen Wink des heiligen Geistes,
der sie gewiss macht, „dass Gott uns nach Mazedonien berufen hatte,
ihnen das Evangelium zu predigen."
Mit diesem Traum ist ein entscheidender Moment beschrieben:
Der Moment, in dem das Evangelium die Meerenge des Bosporus überspringt und Europa erreicht.

II
Das Evangelium - ist es das,
was der Mann aus Mazedonien sich von Paulus erhofft?
Mazedonien – ein Landstrich, der einmal sehr berühmt war:
Heimat Alexanders des Großen,
der mit seinen Eroberungen ein Weltreich gründete.
Aber das war lange vor Paulus.
Das Reich Alexanders war zerfallen.
Die Römer hatten Mazedonien besetzt
und zu einer römischen Provinz gemacht.

Komm herüber und hilf uns!”
Diesen Ruf hören wir heute von verschiedenen Seiten.
Aus der Ukraine. Aus Syrien. Aus dem Sudan.
Von indigenen Völkern, Küsten- und Inselbewohnern.

Die einen suchen Beistand gegen einen übermächtigen Aggressor,
der ihre politische Selbständigkeit beenden
und ihr Land seinem Staat einverleiben will.
Andere brauchen Hilfe, um ihr zerstörtes Land wieder aufzubauen,
andere, um nicht zu verhungern.
Wieder andere sehen sich von einem steigenden Meeresspiegel bedroht,
von Vertreibung und der Zerstörung ihrer Heimat durch Brandrodung
oder den Abbau von Rohstoffen.

Welche Hilfe erwarten die Mazedonier von Paulus?
Und welche Hilfe könnte er ihnen geben?
Paulus und seine Gefährten sind überzeugt,
dass Gott uns nach Mazedonien berufen hatte,
ihnen das Evangelium zu predigen."
Was außer guten Worten hätte Paulus sonst auch zu bieten.
Aber - reicht das?

III
Im Traum erschien Paulus ein Mann.
Als sie in Philippi ankommen
und an den Fluss gehen, wo sie eine Synagoge vermuten,
sitzen da lauter Frauen.
Und was passiert?
Man(n) setzt sich dazu und kommt ins Erzählen.
Die Frauen werden gefragt haben:
Woher seid ihr? Was führt euch hier her?
Die fremden Männer interessieren sich dafür,
wie es den Frauen in Philippi geht, nach allem, was sie gehört haben -
und schon ist man und frau mitten im Gespräch.

Es entsteht eine Gemeinschaft,
in der Lebens- und Glaubensgeschichten in Bewegung geraten,
aufeinander zu fließen, sich mitteilen.
Eine Gemeinschaft, in der auch der Geist die Gemüter bewegt
und mit den Worten des Paulus das Herz der Lydia berührt.

Lydia - keine "von hier". Sie stammt aus Kleinasien,
wo Paulus gerade erfolglos missioniert hatte.
Aus Lydien, wie ihr Name verrät.
Sie ist wohlhabend und Haushaltsvorstand, Herrin eines Hauses
und damit Herrscherin über Kinder, Mägde, Knechte,
Nichten und Neffen, Sklavinnen und Sklaven.

Lydia lässt sich und ihr Haus taufen, das heißt:
alle, die zu ihr gehören:
Kinder, Mägde, Knechte, Nichten und Neffen, Sklavinnen und Sklaven.
Diese Taufe ist nicht nur der Beitritt zu einem neuen religiösen Verein,
der Wechsel der Weltanschauung, eine Segenshandlung.
Sie ist eine neue Geburt, ein neues Leben.

Genau hier sind wir an dem Punkt angelangt,
an dem sich entscheidet, was von Träumen zu halten ist,
und was die süßen Worte des Evangeliums
gegen die bittere Not der Mazedonier vermögen.

IV
Aber zuerst noch einmal zurück zur Geschichte:
Was geschieht dann, nach der Taufe?
Am Anfang ruft ein Mann: Komm herüber und hilf uns!
Am Ende bittet eine Frau: Kommt in mein Haus und bleibt da!
Lydia lädt die Reisegesellschaft zu Tisch -
die Reisegesellschaft, die mit den Frauen zusammen zur Gemeinde
und dann zu einer Taufgesellschaft wurde,
und die jetzt eine Tischgemeinschaft ist.

Man tauscht nicht mehr nur Worte aus,
sondern teilt, Brot und Wein - teilt das Leben,
das in der Taufe neu geschenkt wurde.
Das ist das Evangelium, das Paulus mitbringt nach Europa:
Geteiltes Leben.
Glaube, der gemeinsam gelebt wird, hier und dort in den Häusern.

In Philippi entsteht die erste christliche Gemeinde Europas
mit Lydia als deren erster Pastorin.
Das Evangelium verbreitet sich durch das Netz der römischen Straßen
über das ganze römische Reich, erreicht England und Irland.
Von dort kamen die ersten Missionare,
die unseren Vorfahren das Evangelium brachten.

Paulus’ Traum hat die Welt verändert.
Als der Glaube unter Kaiser Konstantin ein Bündnis
mit der staatlichen Gewalt einging,
erhielt er die Macht, alles umzugestalten.
Aus dem Traum des Paulus wurde für viele Menschen und Völker ein Alptraum.
Träume sind nicht davor gefeit,
für gegensätzliche, einander widersprechende Interessen
in Anspruch genommen zu werden.

Wenn der Glaube vom Staat vereinnahmt wird,
wenn er politischen Zielen dienen, Macht legitimieren soll,
wird aus dem Traum ein Alptraum.

V
Die Gemeinschaft im Haus der Lydia lebt einen Traum,
den die Apostelgeschichte so beschreibt:
Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel
und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.
Alle, die gläubig geworden waren, waren beieinander
und hatten alle Dinge gemeinsam.
Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle,
je nachdem es einer nötig hatte.
Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel
und brachen das Brot hier und dort in den Häusern,
lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk.”

Das ist keine frühe Form des Sozialismus
oder gar des Kommunismus,
es ist überhaupt kein politisches Programm.
Das ist die Folge, wenn der Überschwang der Liebe Gottes
Menschen dazu bewegt, einander „Nächste”, Mitmenschen zu sein.
Es geschieht dort, wo Menschen ihr Leben ändern.

Nicht so, dass sie mit dem Rauchen aufhören,
nicht mehr so fett essen oder Sport treiben,
weil die Hausärztin das empfohlen hat.
Es ist eine radikale Änderung des Lebens,
die man selbst gar nicht bewerkstelligen kann.
Umkehr” nennt es die Bibel.
Sie geschieht durch die Taufe,
die uns zu Kindern Gottes, zu neuen Menschen macht.

Die Taufe schließt uns an Gottes Liebe an
wie an einen Stromkreis.
Und sie legt das Samenkorn eines Traumes in unser Herz:
Des Traumes, dass der Mensch nicht des Menschen Wolf sein muss,
sondern dass wir Geschwister sein und als Geschwister leben könnten,
weil wir alle aus der Liebe des einen Vaters aller Menschen leben.

Das Wasser der Taufe gießt sozusagen dieses Samenkorn,
sodass es keimen und wachsen kann wie das Senfkorn,
mit dem Jesus das Reich Gottes vergleicht.
Von diesem Reich Gottes träumen wir,
einem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.

Es ist kein Traum. Es will Wirklichkeit werden.
Es wird wirklich durch das Wort das Evangeliums,
das hier unter uns erklingt.
Hier im Gottesdienst, wo wir zusammenkommen.
Wo aus der Gesellschaft der Reisenden im Kirchen-Schiff
eine Gemeinschaft, eine Gemeinde wird.

Eine Gemeinschaft, die nicht die Unterschiede sucht,
sondern darauf besteht, dass alle Menschen gleich sind:
gleich wichtig, gleich viel wert, mit gleichen Rechten,
weil sie alle Gottes geliebte Kinder sind.

Eine Gemeinschaft, die sich nicht durch Aus- und Abgrenzung bildet,
sondern durch die eine Taufe, die uns zu Kindern Gottes macht.

Eine Gemeinschaft, in der nicht eine oder einer bestimmt,
sondern alle denHerr” nennen,
der sich für uns geopfert und den Tod auf sich genommen hat,
damit wir leben können.

Diese Gemeinschaft wird uns, wird unsere Stadt,
sie wird die ganze Welt verändern,
weil sie vorlebt, dass es anders geht,
und wie es anders geht.


Sonntag, 2. Februar 2025

Berufen

Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias, 2.2.2025, über Exodus 3,1-14


Liebe Schwestern und Brüder,


für jeden Menschen gibt es einen Weg,

auf dem er oder sie Gott begegnet.

Für jede und jeden ist er anders.

Manche haben das Gefühl, 

sie stünden seit jeher in einer Beziehung mit Gott.

Gott begegnete ihnen, als sie noch Kinder waren.

Sie wuchsen auf mit Gott als Freund.


Im Laufe der Zeit wandelte sich diese Beziehung,

wandelte sich auch die Art, wie sie Gott wahrnahmen:

Gott konnte freundlich, zugewandt, liebevoll, 

aber auch abweisend, furchteinflößend, unverständlich sein,

und manchmal auch sehr fern.

Aber trotzdem war Gott immer da.


Andere erfuhren die Begegnung mit Gott

als einschneidendes Erlebnis, das ihr Leben veränderte.

Sie können sich genau an den Moment erinnern,

wissen das Datum, sogar die Stunde, in der es geschah.


Von einer solchen einschneidenden Begegnung mit Gott

erzählt der heutige Predigttext im Buch Exodus im 3. Kapitel:


Mose hütete die Schafe Jitros, 

seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, 

und trieb die Schafe über die Wüste hinaus 

und kam an den Berg Gottes, den Horeb.

Und der Engel des Herrn erschien ihm 

in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. 

Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte 

und doch nicht verzehrt wurde.

Da sprach er: Ich will hingehen 

und diese wundersame Erscheinung besehen, 

warum der Busch nicht verbrennt.


Als aber der Herr sah, dass er hinging, um zu sehen, 

rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! 

Er antwortete: Hier bin ich.

Er sprach: Tritt nicht herzu, 

zieh deine Schuhe von deinen Füßen; 

denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

Und Mose verhüllte sein Angesicht; 

denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 

Und der Herr sprach: 

Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, 

und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; 

ich habe ihre Leiden erkannt. 

Und ich bin herniedergefahren, 

dass ich sie errette aus der Ägypter Hand 

und sie aus diesem Lande hinaufführe

in ein gutes und weites Land, 

in ein Land, darin Milch und Honig fließt.

So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, 

damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Mose sprach zu Gott: 

Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe 

und führe die Israeliten aus Ägypten? 

Er sprach: Ich will mit dir sein. 

Mose sprach zu Gott: 

Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: 

Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, 

und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, 

was soll ich ihnen sagen? 

Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. 

Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: 

»Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.


Mose kannte Gott noch nicht.

Er war als hebräisches Kind von seiner Mutter im Nil ausgesetzt

und von der Tochter des Pharao gefunden worden.

Als Ägypter war er aufgewachsen.


Von seinem Schwiegervater, der ein Priester war, hatte er gelernt,

dass nicht nur der Körper Fenster zur Wirklichkeit hat -

Augen, Nase, Ohren, Mund -,

sondern auch die Seele.

Sie öffnet sich auf Gottes Wirklichkeit hin.


Doch die Fenster der Seele sind von außen verschlossen.

Man kann sie nicht selbst öffnen.

Das muss durch jemand anderen geschehen.

Oder durch ein Erlebnis, so stark, so intensiv,

dass es die Fenster regelrecht wegsprengt.


Für Mose ist dieses Erlebnis das Wunder des Dornbusches,

der nicht verbrennt.

Im Rätseln über dieses Phänomen begegnet ihm Gott.

Damit beginnt seine Geschichte mit Gott: seine Berufung.


Berufung - ein gewichtiges Wort.

Man nimmt es nicht so ohne weiteres für sich in Anspruch.

Professor:innen, Richter:innen werden berufen,

Dirigent:innen, oder Kantor:innen.

Um für eine Berufung infrage zu kommen,

muss man über besondere, gar außerordentliche Fähigkeiten

oder Gaben verfügen.


Beim Glauben ist das anders:

Jeder Christenmensch ist in seinem Stand berufen, 

lehrt Martin Luther.

Da, wo jemand steht, soll er, soll sie ihren Glauben

mit ihren Fähigkeiten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten leben.

Keine Berufung ist mehr wert, keine ist wichtiger als die andere:

Ein Pastor steht nicht über der Küsterin,

eine Bischöfin nicht über einem Ehrenamtlichen.

Wir alle sind gleichermaßen von Gott Berufene.

Dass wir berufen sind: Das wird durch den Glauben erkannt.


Glaube heißt also nicht, unglaubliche Tatsachen zu glauben -

dass Gott die Welt in sieben Tagen schuf, z.B.,

oder dass Jesus auf dem Wasser gehen konnte.

Glaube ist auch nicht die Erwartung,

dass Gott auf unseren Wunsch hin die Naturgesetze aufhebt.

Glaube ist keine Fähigkeit, 

die man trainieren könnte wie einen Muskel.

Und Glaube ist keine Pflicht.

Niemand „muss” glauben,

und niemand kann dazu gezwungen werden,

etwas Bestimmtes zu glauben.


Glauben bedeutet, zu erkennen,

dass man von Gott berufen ist

als die, als der, der man ist,

mit genau den Stärken und Schwächen,

den Fehlern und Fähigkeiten, die man besitzt

und die eine:n zu einem Menschen machen.


Glauben bedeutet, zu erkennen,

dass Gott einen Sinn in meinem Leben sieht

und mir eine Aufgabe gegeben hat.

Keine unlösbare, übermenschliche Aufgabe.

Keine Aufgabe, die Entbehrungen verlangt

oder gar den Verzicht darauf, an mich zu denken.

Nur die Aufgabe, an meinem Ort

und mit meinen Fähigkeiten zu tun,

was Gott mich tun heißt:

Seine Liebe anzunehmen und weiterzugeben.


Mose wird von Gott dazu berufen,

das Volk Israel aus Ägypten zu führen.

Mit seiner Berufung findet er den Glauben.

Nicht so, wie man eine Muschel am Strand findet,

oder etwas Seltenes wie einen Bernstein oder einen Hühnergott.

Der Glaube findet ihn.


Glaube ist nichts, was wir „haben” oder „besitzen”,

keine Eigenschaft oder Fähigkeit.

Glaube ist ein Geschenk, das Gott uns macht -

jeder und jedem von uns.


Allerdings keines, mit dem wir machen könnten, was wir wollen.

Wir bekommen den Glauben nicht,

damit wir uns gut fühlen, mit ihm angeben

oder uns anderen überlegen fühlen können.

Das Geschenk des Glaubens gibt es nur als Berufung,

also: verbunden mit einer Aufgabe.

Er ist Auftrag, nicht Besitz.


Man merkt, dass man glaubt,

wenn man diese Berufung spürt.

Eher nicht als klar formulierten Auftrag, wie Mose ihn erhält:

„geh, ich will dich zum Pharao senden, 

damit du mein Volk aus Ägypten führst.”

Oft ist es nur so ein Gefühl.

Das Gefühl, dass das Leben nicht alles ist.

Dass da noch mehr sein, dass da noch was kommen muss.


Darum sucht der Glaube, sich auszudrücken.

Manchmal im Tun, und manchmal in Kontemplation,

im Gebet oder im Gottesdienst.

Dadurch zeigt sich unsere Berufung:

Dass der Glaube sich ausdrücken möchte.

Er möchte durch unser Leben Gestalt annehmen.


Wenn wir dem Glauben Ausdruck verleihen,

dann glauben wir.

Darum kann man manchmal über das Tun zum Glauben 

oder wieder zum Glauben zurück finden:

Der Ausdruck des Glaubens führt zum Glauben.


Nicht immer glaubt man.

Zum Glauben gehört der Zweifel.

Der Zweifel ist die andere Seite des Glaubens:

Glaube und Zweifel sind Geschwister.

Auch Mose befallen Zweifel,

kaum, dass er den Glauben kennengelernt hat:

„Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe 

und führe die Israeliten aus Ägypten?”


Manchmal glaubt man sich selbst seinen Glauben nicht mehr -

bis hin zu dem Gefühl, den Glauben verloren zu haben.

Wie gut, dass der Glaube nicht unsere Fähigkeit, unser Besitz ist!

Was man nicht besitzt, kann man auch nicht verlieren.


Gott stupst uns hartnäckig immer wieder an.

Appelliert an unsere Hilfsbereitschaft, an unser Mitgefühl.

Weckt unsere Sympathie für Menschen, denen wir begegnen.

Da bekommt der Glaube einen neuen Impuls.


In diesen Begegnungen begegnet uns Gottes Liebe.

Da bekommt der Glaube neuen Halt:

Während man das Gefühl hatte, sich im freien Fall zu befinden,

war man die ganze Zeit in Gottes Hand geborgen.


Diese Erfahrung wird Mose machen.

„Ich will mit dir sein”, verspricht Gott.

„Ich werde sein” ist sein Name und zugleich sein Versprechen.

Mit seinem Versprechen bereitet Gott den Boden,

damit Mose den ersten Schritt des Glaubens tun kann:

Seiner Berufung zu folgen.


Gott wird ihm noch oft helfen, noch oft für ihn einspringen.

Die Wunder der Wüstenwanderung -

dass plötzlich Wasser aus dem Felsen springt,

oder dass es Manna und Wachteln regnet -

könnten dazu verleiten, solche Wunder auch für sich zu erhoffen.

Bzw. ihr Ausbleiben mit einem Mangel an Glauben zu erklären.


Aber so ist der Glaube nicht.

Gott hilft uns nicht, wenn wir die Hände in den Schoß legen

und darauf warten, dass ein Wunder geschieht.

Wunder geschehen, wenn wir tun,

was wir an unserem Ort, mit unseren Fähigkeiten tun können

und tun sollen.


Glaube ist ein Geschenk - ein Geschenk, das angenommen werden will.

Mit dem Geschenk des Glaubens verbunden ist ein Auftrag,

unsere Berufung.

Viele riechen den Braten und verweigern die Annahme.

Sie wollen sich nicht einspannen lassen für einen Auftrag Gottes.


Das ist ihr gutes Recht.

Glaube ist kein Zwang, kein Muss.

Er ist eine Möglichkeit, die Gott uns eröffnet

und die wir ergreifen können.


Wenn wir zugreifen, das Geschenk des Glaubens annehmen,

verwickelt Gott uns in sein Geschäft mit der Welt:

Sie ganz zu machen, sie heil zu machen.

Wer sich darauf einlässt, kann Wunder erleben.