Dienstag, 21. November 2017

Kein Showdon


Predigt am Buss- und Bettag, 22.11.2017, über Matthäus 12,33-37:

Jesus sprach zu den Pharisäern:
Gesetzt den Fall, ein Baum ist gut,
dann wird auch seine Frucht gut sein.
Oder gesetzt den Fall, ein Baum ist unbrauchbar,
dann wird auch seine Frucht unbrauchbar sein,
denn an der Frucht erkennt man den Baum.
Ihr Otterngezücht, wie könnt ihr Gutes reden,
da ihr doch schlecht seid?
Denn was der Mund redet,
kommt aus dem Überfluss des Herzens.
Der gute Mensch bringt aus dem Vorrat an Gutem Gutes hervor,
und der schlechte Mensch aus dem Vorrat an Schlechtem Schlechtes.
Ich versichere euch:
Jedes nutzlose Wort, das die Menschen sprechen,
werden sie rechtfertigen müssen am Tag des Gerichts.
Denn auf Grund deiner Worte wirst du gerechtfertigt,
und auf Grund deiner Worte wirst du verurteilt werden.
(eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

dabeizustehen, wenn jemand abgekanzelt wird,
ist eine zwiespältige Sache.
Wenn es jemanden trifft, den man nicht mag
und von dem man meint, er habe eine Abreibung verdient,
freut man sich innerlich
und kann sich ein Grinsen kaum verkneifen.
Wenn es aber die Freundin, den Freund trifft,
leidet man förmlich mit,
wird selbst immer kleiner mit der Schelte,
die über sie hereinbricht.

Wie steht es mit unserem Mitgefühl für die Pharisäer?

Sie haben sich die Schelte Jesu redlich verdient.
Schließlich waren sie bösartig,
unterstellten ihm, mit dem Teufel im Bunde zu sein,
wenn er die Dämonen austrieb.
Diesen gemeinen Lästermäulern geschieht es ganz recht,
wenn Jesus sie sich mal zur Brust nimmt!

Die Pharisäer kommen schlecht weg bei Matthäus
und in den anderen drei Evangelien.
Wie im klassischen Western müssen sie die Rolle der Schurken übernehmen,
die am Ende vom guten Helden besiegt werden.
Was die Evangelien vom Western unterscheidet, ist,
dass am Ende scheinbar die Schurken triumphieren.
Sie bringen den Guten am Kreuz ums Leben.
Aber dann gibt es mit der Auferstehung doch ein unverhofftes Happy End.
Dieses gute Ende der Evangelien ist wieder anders als die Western:
Die Bösen erhalten am Ende nicht ihre gerechte Strafe,
der Gute nimmt am Ende keine Rache.
Die Bösen kommen einfach nicht mehr vor.
Weil es sie nicht mehr gibt:
Gott hat ihnen vergeben.

Die Christen hielten es nicht aus,
dass Gott so barmherzig ist.
Sie wollten es denen, die sie für schuldig am Tod Jesu hielten, heimzahlen.
Dabei übersahen und vergaßen sie,
was Paul Gerhardt in seinem bekannten Passionslied bekennt:
„Nun, was du, Herr, erduldet
ist alles meine Last;
ich hab es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Schau her, hier steh ich Armer,
der Zorn verdienet hat.
Gib mir, o mein Erbarmer,
den Anblick deiner Gnad.
(EG 85,4)
Nun, es ist ja auch zu schwer, auszuhalten und durchzustehen,
wenn man als überführte Missetäterin vor dem stehen muss,
dem man das angetan hat.
Da weist man lieber mit dem Finger auf andere.

Den Christen kam die Pharisäerschelte sehr gelegen.
Da hatten sie den Sündenbock,
auf den sie abwälzen konnten,
was eigentlich sie hätten tragen müssen.
Und da die Pharisäer jüdischen Glaubens waren
- wie übrigens Jesus auch -,
machte man kurzerhand alle Menschen jüdischen Glaubens zu Sündenböcken
und zahlte ihnen mit grausamer Gewalt heim,
was man sich selbst nicht eingestehen und vergeben konnte.

Dabeizustehen, wenn jemand abgekanzelt wird,
ist eine zwiespältige Sache.
Wenn es jemanden trifft, den man nicht mag,
freut man sich innerlich
und kann sich ein Grinsen kaum verkneifen.
Zumal man Zeugin seiner Erniedrigung geworden ist.
Jetzt weiß man etwas, was diesem Menschen unangenehm ist.
Damit kann man ihn aufziehen,
kann Salz in seine Wunde reiben
und ihn immer wieder an diese Demütigung erinnern.

Wir werden Zeugen, wie Jesus die Pharisäer abkanzelt.
Er nennt sie abfällig - wie schon Johannes der Täufer vor ihm -
„Otterngezücht“.
Aber Schadenfreude will dabei so recht keine aufkommen,
auch, wenn die Pharisäer nicht unsere Freunde sind.
Wir merken, dass das, was Jesus ihnen vorwirft,
auch auf uns zutrifft.
Jesus spricht ja auch nicht mehr die Pharisäer allein an.
Er spricht alle Menschen an,
wenn er vom Vorrat an Gutem und Schlechtem spricht.

Prüfen wir uns selbst, was wir in uns tragen:

Sind es Wohlwollen, Respekt, Freundlichkeit?
Können wir uns mit anderen freuen,
auch wenn sie mehr Glück haben als wir,
erfolgreicher, beliebter, besser sind als wir?
Können wir anderen Gutes gönnen?
Können wir ein Auge zudrücken?
Sind wir in der Lage, ein falsches Wort zur falschen Zeit mit Humor zu nehmen,
guten Willen zu unterstellen, nichts nachzutragen?
Das ist der Vorrat an Gutem, über den wir verfügen.

Oder sind wir enttäuscht und verbittert?
Fühlen wir uns benachteiligt oder verkannt?
Halten wir andere für undankbar oder respektlos?
Fühlen wir uns angegriffen, kritisiert, herausgefordert?
Müssen wir uns verteidigen, rechtfertigen,
uns gegen Konkurrenten und Neider behaupten?
Fühlen wir uns ausgenutzt?
Will man uns für dumm verkaufen, uns übervorteilen?
Das ist der Vorrat an Schlechtem, über den wir verfügen.

Aus beiden Vorräten schöpfen wir.
Je nachdem, welcher Vorratsbehälter voller ist,
fällt unsere Reaktion mal freundlich, mal unfreundlich aus.

„Streit“ war das Thema der diesjährigen Friedensdekade.
Einen wichtigen Streit fechten wir in uns selbst aus:
Die Frage, ob wir immer in den Vorratsbehälter greifen,
der gerade am vollsten ist.
Denn das ist meistens der mit dem Schlechten.
Oder ob wir einen Moment zögern
und uns bewusst werden,
aus welchem Vorrat wir gerade schöpfen wollen.
Und uns überlegen,
ob wir nicht doch in den Behälter mit dem Guten greifen sollten,
obwohl der so leer ist,
dass wir mit den Fingerspitzen seinen Boden berühren.

Was wir nicht wissen können:
Dem Behälter mit dem Guten geht es wie dem Ölkrug der Witwe,
die der Prophet Elia um Brot bat (1.Könige 17):
Er wird niemals leer.
Im Gegenteil: Je öfter man hineinfässt und Gutes herausholt,
desto voller wird er,
während der Vorrat an Schlechtem,
der eben noch so groß war,
immer weniger wird.
Man schöpft aus dem Vorrat an Gutem
auf Kosten des Vorrats an Schlechtem.

Jesus streitet mit den Pharisäern.
Dieser Streit ist kein Rechtsstreit.
Jesu Worte sind - anders, als es Christen über die Jahrhunderte bis heute hören wollten - kein Urteil und keine Verurteilung.
Jesus redet den Pharisäern ins Gewissen,
weil er sie gerade nicht abgeschrieben hat.
Weil er trotz aller Meinungsverschiedenheiten und Gegnerschaft die Beziehung zu ihnen nicht abbrechen will.
Schließlich sind sie seine Glaubensbrüder.

Weil Jesus mit den Pharisäern streitet
und sie nicht verurteilt,
redet er auch uns ins Gewissen.
Wir können uns nicht zurücklehnen
und schadenfroh mit ansehen, wie er es den Pharisäern zeigt.
Wir sind mit gemeint.
Wir müssen uns fragen lassen,
ob unsere Gerechtigkeit eine bessere ist als ihre (Matthäus 5,20).

Dabeizustehen, wenn jemand abgekanzelt wird,
ist eine zwiespältige Sache.
Man leidet mit dem mit,
der das Donnerwetter über sich ergehen lassen muss.
Denn man weiß genau:
Es hätte auch mich treffen können.
Es war Zufall oder Glück, dass es ihn erwischte und nicht mich.
Darum schließt man sich mit dem anderen zusammen
in der Gemeinschaft der Sünder
und gibt ihm so das Gefühl,
die Strafpredigt nicht allein durchstehen zu müssen.

Aus der Gemeinschaft der Sünder
wird durch Gottes Barmherzigkeit die Gemeinschaft der Heiligen.
Gott vergibt uns unsere Schuld.
Besonders gern vergibt Gott,
wenn wir uns nicht aus der Gemeinschaft der Sünder ausschließen
und den anderen im Regen stehen lassen.
Sondern ihm den Arm um die Schulter legen,
uns mit ihm solidarisch zeigen
und gemeinsam durchstehen,
was auch uns treffen und gelten könnte.

Weil und wenn wir mit den Pharisäern in einer Gemeinschaft der Schuld stehen,
dürfen wir uns mit ihnen auch zur Gemeinschaft der Kinder Gottes zählen.
So, wie Jesus mit den Pharisäern streitet,
weil er sie nicht aufgibt,
so streitet er mit uns und gibt uns niemals auf.
Darum müssen wir die Worte Jesu nicht als Urteil über uns hören.
Wir dürfen sie als Zusage hören,
dass wir gute Bäume sind,
die gute Frucht tragen.
Amen.


Vor sechs Jahren predigte ich zum gleichen Text ganz anders.