Predigt am 22. Sonntag nach Trinitatis, 27.10.2024, über Micha 6,1-8:
Hört doch, was Gott sagt:
Los, streite mit den Bergen
und lass die Hügel deine Stimme hören!
Hört, ihr Berge, wie Gott wettert,
hört hin, Grundfesten der Erde!
Denn Gott streitet sich mit seinem Volk,
mit Israel liegt er im Clinch:
Mein Volk, was habe ich dir getan?
Womit habe ich dich ermüdet? Antworte mir!
Weil ich dich aus Ägypten heraufführte,
dich aus dem Sklavenhaus befreite?
Weil ich Mose, Aaron und Mirjam vor dir hersandte?
Mein Volk, erinnere dich doch daran,
was Balak, der Königs Moabs, vorhatte
und was ihm Bileam, der Sohn Beors, antwortete,
was zwischen Schittim und Gilgal geschah,
damit du die gerechten Taten Gottes erkennst.
Womit soll ich Gott gegenübertreten,
mich Gott in der Höhe beugen?
Soll ich ihm gegenübertreten mit Brandopfern von einjährigen Stieren?
Gefallen Gott tausende Widder,
unermessliche Ströme von Öl?
Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Auflehnung geben,
meine Leibesfrucht als Sühne meiner Verfehlung?
Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott von dir fordert,
nämlich: Gerechtigkeit zu üben, Liebe zur Treue,
und demütig mit deinem Gott zu gehen.
Liebe Schwestern und Brüder,
in jeder Freundschaft, jeder Beziehung gibt es mal Streit,
aus den unterschiedlichsten Ursachen und Gründen.
Eine Freundschaft, eine Beziehung hält das aus -
manche finden sogar, so ein Streit gäbe ihr erst die richtige Würze.
Bei einem Streitpunkt aber wird es gefährlich.
Wenn es um Loyalität geht, um Treue:
Die Freundin, den Freund zu verraten,
den Partner, die Partnerin zu hintergehen
bedeutet in aller Regel das Ende der Beziehung -
oder zumindest eine handfeste Krise, die alles infrage stellt,
was zwischen Zweien bisher als selbstverständlich erschien.
Mit dem heutigen Predigttext werden wir Zeug:innen
einer solchen Krise zwischen Gott und seinem Volk Israel.
An vielen anderen Stellen der Bibel
begegnet uns diese Wut Gottes auf sein Volk, das ihm untreu geworden ist.
Die Beziehung Gottes zu seinem Volk ist wie eine Liebesbeziehung.
Darum hat das Hohelied Salomos, in dem die Schönheit der Liebenden,
die Sehnsucht, und die Freuden der Liebe besungen werden, einen Platz in der Bibel gefunden:
Weil die Liebe Gottes zu seinen Menschen genauso tief und intensiv ist
wie die von Zweien, die sich lieben.
Gott tritt dabei nicht in Konkurrenz zu unseren Partner:innen.
Wenn man den Zölibat, wenn man freiwillige Enthaltsamkeit so versteht,
dass man sich zwischen Gott und dem Menschen, den man liebt, entscheiden muss,
hat man den Glauben missverstanden.
Wir können ja auch unsere Partner:in und zugleich unsere Eltern lieben,
unsere Geschwister und unsere Kinder.
Wir können eine beste Freundin, einen besten Freund haben,
dem wir auf andere Weise vertrauen, Anderes anvertrauen
als unserer Partnerin, unserem Partner, und ihr, ihm trotzdem treu sein.
Die Liebe zu den Kindern, zu den Eltern oder Geschwistern,
die große Nähe zu Freundin oder Freund
sind in der Regel kein Problem für eine Beziehung.
Untreue schon.
Warum ist da so ein gewaltiger Unterschied -
und warum macht Gott da einen so großen Unterschied?
Es muss wohl das Vertrauen sein, das mit der Treue einhergeht:
Das Vertrauen, dass ich mit meiner Partnerin, meinem Partner
gemeinsam auf dem Weg bin - dass er, sie „mit mir geht”,
wie man früher gesagt hat.
Dabei handelt es nicht nur um gegenseitige Begleitung,
nicht nur darum, dass man im Leben nicht allein unterwegs ist.
Uns begleiten auf den Stationen unseres Lebens unterschiedliche Menschen,
Eltern, Freundinnen und Freunde, die Kinder, die Enkel,
aber nur eine, nur einer geht den ganzen Lebensweg mit uns.
Eine:r, mit der, mit dem wir alles teilen: Geld und Besitz, Freude und Leid.
Eine:r, der, dem wir alles sagen und dem wir vertrauen können.
Eine:r, der, dem wir alles, geben: Nähe, Liebe, Verständnis, Rückhalt und Treue.
Statt Treue könnte man auch sagen: Solidarität, oder: Loyalität.
Treue bedeutet: ich habe mich für meine:n Partner:in entschieden.
Ich habe eine Wahl getroffen mit allen Konsequenzen, die das hat -
z.B. die Einschränkungen zu akzeptieren,
die der Beruf oder ein Handicap des anderen mit sich bringt;
die Sorge um die Kinder oder die alten Eltern,
den häuslichen Alltag miteinander zu teilen;
die selben Werte, die gleichen Ziele zu haben;
einander nicht im Stich zu lassen.
Solche Treue erwartet auch Gott von seinen Menschen.
Sie sollen sich für Gott entscheiden.
Sie sollen die Konsequenzen dieser Entscheidung tragen
und Gott zum Leitstern ihres Lebens machen.
Das bedeutet: keine Werte haben, die Gottes Geboten widersprechen.
Oder, in der Sprache der Bibel: keine anderen Götter haben.
Der wichtigste dieser anderen Götter ist der Mammon, das Geld.
Dem Geld ist alles heilig, alles ist dem Geld geweiht:
Es gibt nichts, das man nicht kaufen könnte,
nichts, das nicht käuflich wäre - es kommt nur auf die Summe an.
Geld ist nicht wirklich ein Gott - so würde es die Bibel nennen,
und so nennt es Jesus: „Mammon”.
Geld hat keinen eigenen Willen, hat keine Macht außer der, die wir dem Geld geben.
Aber wir verhalten uns dem Geld gegenüber wie einem Gott:
Wir verehren es. Wir geben ihm Macht über uns.
Wir lassen zu, dass es unser Leben bestimmt.
Wir richten uns nach den Maßstäben des Geldes.
Gott will, dass wir uns zwischen ihm und dem Geld entscheiden.
Das heißt nicht, auf Geld zu verzichten oder in Armut zu leben.
Aber es bedeutet, die Maßstäbe des Geldes nicht zu übernehmen,
das alles nach seinem Preis, seinem Wert, seinem Ertrag taxiert.
Das Lebewesen wie Gegenstände in wertvoll und wertlos einteilt.
Das Lebewesen wie Gegenstände besitzen und über sie verfügen will.
Was kann man tun, wenn man seine Untreue bereut,
wenn man die Beziehung, die man durch Untreue zerstört hat, wieder herstellen möchte?
Das Volk Gottes überlegt sich, es mit Geschenken wieder gut zu machen:
Wertvolle Rinder und tausende Widder sollen geschlachtet,
Unmengen von Öl vergossen werden,
damit Gott sieht, wie ernst es seinem Volk mit seiner Beziehung zu Gott ist, wie sehr es Gott liebt.
Doch solche Verschwendung macht nichts wieder gut.
Sie bewegt sich immer noch im Rahmen der Beziehung zum Mammon.
Dem vergötterten Geld würde man damit dienen,
indem man möglichst viel konsumiert - je mehr, desto besser.
Aber die Maßstäbe Gottes sind nicht die Maßstäbe des Geldes:
„Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist und was Gott von dir fordert,
nämlich: Gerechtigkeit zu üben, Liebe zur Treue,
und demütig mit deinem Gott zu gehen.”
Treue kann man sich nicht erkaufen, weder durch Geschenke, noch durch Opfer.
Treue erweist sich durch das Verhalten.
Dieses Verhalten wird dadurch begründet,
dass die Beziehung zur/zum Anderen für mich wertvoll ist -
wertvoller als alles, was dieser Beziehung Konkurrenz machen könnte.
Wenn mir die Beziehung am Herzen liegt,
werde ich sie nicht um des eigenen Vorteils willen aufs Spiel setzen,
sondern danach suchen, was für Beide gut ist.
Das gilt nicht nur für eine Partnerschaft.
Es gilt überall, wo es auf Solidarität, auf Loyalität ankommt.
Und es gilt auch für unsere Beziehung zu Gott.
Für unsere Beziehung zu Gott ist Gerechtigkeit ausschlaggebend.
Eine Gerechtigkeit, die nicht nur darum sorgt,
dass ich zu meinem Recht komme,
dass ich nicht weniger habe als andere,
nicht weniger gesehen, geachtet, geliebt werde als andere.
Die Gerechtigkeit, die Gott fordert, ist eine Lebenshaltung, die von Fairness geprägt ist.
Fairness bedeutet, dass ich einen Vorteil nicht ausnutze,
Schwächere nicht übervorteile, sondern auf sie Rücksicht nehme, und mich an die Regeln halte.
Fair play - das möchte Gott von uns,
und darunter kann man auch die Gebote zusammenfassen.
Dann möchte Gott, dass wir Treue lieben - mit anderen Worten:
Dass uns an unseren Beziehungen etwas liegt.
Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, sich selbst zu verwirklichen,
so viel wie möglich für sich herauszuholen.
Der Sinn des Lebens ist Beziehung - zu Gott, zu den Mitmenschen, zu Gottes Schöpfung.
Und das Dritte: demütig gehen mit deinem Gott.
Gemeint ist der Lebensweg, weshalb Luther übersetzt: „wandeln”.
Demütig gehen heißt nicht, dass wir uns klein machen sollen, weil Gott so groß ist.
Wir müssen uns nicht ständig zurücknehmen, ständig verzichten.
Wir dürfen strahlen, stolz sein, Erfolg haben und gewinnen.
Demut meint, dass wir uns in unserer Beziehung zu Gott an seinen Werten orientieren sollen
und nicht meinen sollen, Gott müsse sich nach uns richten.
Wir sollen uns an Gottes Werten orientieren, weil Gott in Vorleistung gegangen ist:
Er hat seine unerschütterliche Liebe, seine Treue zu uns bereits gezeigt:
Gott liebt uns so sehr, jede und jeden Einzelnen von uns.
Wie sehr, das hat sein Sohn Jesus Christus mit seinem Leben bewiesen.
Gott liebt alle Menschen auf dieser Welt in der selben Weise.
Gott ist so groß, dass in seinem Herzen Alle Platz haben,
ohne dass auch nur eine oder einer weniger geliebt wird als die anderen.
Die Liebe ist der entscheidende Wert, den Gott mit uns teilen möchte.
Unsere Beziehung zu Gott hängt daran,
dass die Liebe das Wichtigste auch in unserem Leben ist.
Dass wir sie nicht um eines vermeintlichen Vorteils willen verraten
und Gott dadurch untreu werden.
Gott hat sich seine Treue zu uns bewahrt,
und er ist dabei bis zum Äußersten gegangen:
Sein Sohn hat für unsere Beziehung zu Gott den Tod auf sich genommen.
Der Vorschuss an Vertrauen, den Gott dadurch gewonnen hat,
ermutigt uns dazu, uns auf die Beziehung mit Gott einzulassen,
uns ganz auf Gott zu verlassen.
Gott ist treu. Er wird uns niemals im Stich lassen.