Ansprache am Buss- und Bettag, 20.11.2024, über Lukas 13,6-9:
Jesus erzählte dieses Gleichnis:
Da besaß jemand einen Feigenbaum, der war in seinem Weinberg gepflanzt worden. Und er ging, nach Früchten zu suchen, fand aber keine. Er sagte zum Winzer: Jetzt sind es schon drei Jahre, dass ich an diesem Feigenbaum nach Früchten suche, aber keine finde. Darum hau ihn ab; wozu soll er noch den Boden auslaugen? Der antwortet: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich die Erde um ihn gelockert und Mist gestreut habe. Wenn er dann im kommenden Jahr Frucht trägt, ist es gut; andernfalls hau ihn ab.
Liebe Schwestern und Brüder,
der Feigenbaum steht im Mittelpunkt des Gleichnisses, bekommt alle Aufmerksamkeit, obwohl er sie nicht verdient hat: Er tut ja nicht, was man von ihm erwartet und wofür er einst gepflanzt wurde. Für den Besitzer des Weinbergs ist er eine einzige Enttäuschung. Jahr für Jahr hoffte er auf Feigen, aber da waren keine. Seine Geduld mit dem Feigenbaum ist jetzt zu Ende.
Er könnte ihn einfach sich selbst überlassen und es aufgeben, Früchte von ihm zu erwarten. Aber der Feigenbaum verbraucht die Nährstoffe im Boden, die dann den Reben fehlen; darum muss er weg. Ein Feigenbaum, der nicht trägt, hat in seinem Weinberg nichts zu suchen. Er befiehlt dem Winzer, ihn abzuhacken.
Aus wirtschaftlicher Perspektive ist das vernünftig. Es ist vernünftig, keine Arbeit, keine Mittel mehr an etwas zu verschwenden, das keinen Ertrag bringt.
Wenn vom Abhacken die Rede ist, erinnert das aber auch an die Bußpredigt Johannes des Täufers (Lukas 3,9): „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.”
Jesus erzählt das Gleichnis nicht, um uns etwas über Ackerbau beizubringen, sondern über unseren Glauben. Mit der Bußpredigt Johannes des Täufers im Ohr, denken wir beim Feigenbaum an uns und fragen uns, ob der Weinbergbesitzer wohl mit uns zufrieden wäre.
Wie der Weinbergbesitzer erwarten kann, dass sein Feigenbaum Früchte trägt, und wie es wirtschaftlich vernünftig ist, den Feigenbaum abzuhacken, wenn er es nicht tut, so ist auch Gott enttäuscht, wenn Menschen keine Früchte bringen - und das hat Konsequenzen.
Aber nicht nur Gott ist enttäuscht. Auch wir erleben, dass unsere Erwartungen enttäuscht werden - von der Partnerin, dem Partner, von den Kindern, den Eltern, von Freundinnen oder Freunden, vom Arbeitgeber, den Kolleginnen und Kollegen oder den Angestellten, von der Regierung, den Politikerinnen und Politikern.
Wie der Weinbergbesitzer meint man, im Recht zu sein, zu recht erwarten zu dürfen, was einem zusteht. Wenn die Enttäuschung zu groß wird, wenn man, wie der Weinbergbesitzer, mehrmals vergeblich gewartet hat - - - holt man nicht gleich die Axt, aber macht doch einen Schnitt: Man geht auf Distanz, wendet sich ab, man beendet die Beziehung und trennt sich.
Diese Erfahrungen, diesen Umgang mit Enttäuschungen finden wir im Gleichnis wieder. Wir meinen, Gott sei so, wie dort der Weinbergbesitzer beschrieben wird: Gott wird ebenso unzufrieden mit uns sein, wenn wir seine Erwartungen an uns enttäuschen, und dann droht uns vielleicht ein ähnliches Schicksal wie dem Feigenbaum.
Doch das Schicksal das Feigenbaums ist noch nicht besiegelt! Da ist ja noch der Winzer, der sich für den Feigenbaum stark macht. Der Winzer setzt sich für den Feigenbaum ein und will ihn auf keinen Fall abhacken. Es ist nicht schwer zu erraten, wer mit dem Winzer gemeint sein könnte: Es ist der, der das Gleichnis erzählt, Jesus.
Die Beschreibung des Weinbergbesitzers entspricht unseren Erfahrungen, entspricht dem, was wir für recht und billig halten. Der Winzer widerspricht ihm, widerspricht unserem Bild von Gott und setzt diesem Bild etwas entgegen. Der Weinbergbesitzer im Gleichnis ist nicht so, wie Gott ist, sondern so, wie wir uns Gott vorstellen. Eine Vorstellung, die nicht im Einklang steht mit Gottes Liebe zu uns, wie Jesus sie verkündet und verkörpert hat.
Wir hätten uns das denken, wir hätten das wissen können. Bei Jeremia heißt es (Jer 29,11): „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht Gott: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.”
Unser Gott ist keiner, der das Beil schwingt. Unser Gott will, dass wir leben. Wir leben nicht nur für uns selbst. Wir leben in Verbindung und in Gemeinschaft mit anderen. Unsere Erwartungen an andere zerstören diese Gemeinschaft. Das heißt nicht, dass unsere Erwartungen nicht berechtigt wären. Aber der Widerspruch des Winzers zeigt uns, dass es Geduld braucht. Und ein Entgegenkommen, das der anderen, dem anderen die Möglichkeit gibt, die in ihn, in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen.
Der Winzer bereitet den Boden dafür, er sorgt dafür, dass die Voraussetzungen gegeben sind. Bevor er etwas vom Feigenbaum erwartet, tut er etwas für ihn. So ist unser Verhältnis zu Gott: Gott ist in Jesus Christus in Vorleistung gegangen. Sein Sohn ist der Winzer, der in unserem Leben den Boden bereitet und die Voraussetzungen erfüllt, dass wir Früchte bringen können.
Diese Früchte wachsen und reifen, ohne dass Gott uns Druck machen, uns drohen müsste. Sie wachsen und reifen auch, ohne dass wir uns Druck machen, uns anstrengen, uns fürchten oder uns schlecht fühlen müssten. Sie wachsen und reifen von selbst, weil Christus sie in uns bewirkt. Wenn wir darauf vertrauen können, werden wir die Früchte sehen.