Sonntag, 21. April 2024

überschwängliche Gerechtigkeit

Predigt am Sonntag Jubilate, 21. April 2024, über Psalm 98,4-5.9

Liebe Schwestern und Brüder,


„jauchzet dem Herrn alle Welt. Singet, rühmet und lobet!”


Singen und Musizieren sind etwas Wunderbares.

Vor allem, wenn man es miteinander tut.

Dabei entsteht ein Klangraum,

in dem man sich gemeinsam bewegt.

Der Klang der Stimmen, der Instrumente erfüllen den Raum,

erfüllen alle, die sie hören,

sodass alle empfinden, was die Musik mitteilt:

Freude, Glück, Erhabenheit, auch Schmerz und Traurigkeit.

Man stimmt ein in die Worte, die man singt,

wird von ihnen überwältigt, und sie werden wahr,

nehmen Gestalt an durch die eigene Stimme,

und dann ist es Wirklichkeit:

Wir jauchzen dem Herrn. Wir singen, rühmen und loben.


Nicht immer ist einem zum Singen zumute.

Sonst müssten wir nicht aufgefordert werden: Jauchzet!

Es ist ja im Gegenteil eher so:

Viel zu selten spürt man einen solchen Überschwang,

einen solchen Jubel in sich,

dass man jauchzen möchte vor Glück.

Es gehört nicht zu unserem Alltagsrepertoire.

Und doch kennen wir es.

Und wenn auch nicht unsere Stimme jauchzte,

dann tat es unser Herz:


„Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel,

die Nacht ist verflattert, und ich freue mich am Licht.

So ein Tag, Herr, so ein Tag!

Deine Sonne hat den Tau weggebrannt

vom Gras und von unseren Herzen.

Was da aus uns kommt, was da um uns ist an diesem Morgen,

das ist Dank.

Herr, ich bin fröhlich heute, am Morgen.

Die Vögel und Engel singen, und ich jubiliere auch.

Das All und unsere Herzen sind offen für deine Gnade.

Ich fühle meinen Körper und danke.

Die Sonne brennt meine Haut, ich danke.

Das Meer rollt gegen den Strand,

die Gischt klatscht gegen unser Haus, ich danke.

Herr, ich freue mich an der Schöpfung

und dass du dahinter bist und daneben

und davor und darüber und in uns.

Ich freue mich, Herr, ich freue mich und freue mich.

Die Psalmen singen von deiner Liebe,

die Propheten verkündigen sie, und wir erfahren sie.

Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel.

Ein neuer Tag, der glitzert und knistert,

knallt und jubiliert von deiner Liebe.

Jeden Tag machst du. Halleluja, Herr!”


I

Selten ist uns nach solchem Jubeln und Jauchzen zumute.

Wann bietet das Leben auch Anlass dazu?

Anstrengungen, Sorgen, das trostlose Einerlei des Alltags -

wer hat da Lust, zu jubeln?

Krankheit, Schmerzen, Einschränkungen, mit denen man leben muss,

Kummer, den man hat - wie sollte man da jauchzen?

Und selbst wenn man die Lust dazu in sich spürt,

bleibt es einem im Halse stecken

bei dem schlimmen Zustand, in dem sich unserer Welt befindet,

angesichts von Krieg, Zerstörung und Tod,

angesichts von Hunger, Unrecht und Unterdrückung.


So viel spricht dagegen, dass man sich kaum traut,

seiner Freude in der Weise Ausdruck zu verleihen,

wie es das Gebet aus Westafrika tut:

„Herr, ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel.”

Das ist zu viel des Guten, zu viel des Überschwangs.

So einseitig jubeln, ohne das Schlimme mitzudenken,

darf man das denn überhaupt?


Was dagegen spräche, wurde schon benannt.

Was spräche denn dafür?

Ein sonniger, warmer Tag - vielleicht sogar der Geburtstag.

Ein unverhofftes Geschenk, ein unerwarteter Besuch.

Das Konzert der Vögel bei Sonnenaufgang.

Der Wind in den Haaren am Strand oder an Bord eines Seglers.

Die frische Luft nach einem Regenschauer.

Der Sonnenuntergang, der die Welt in ein besonderes Licht taucht.

Die Musik.


Der 98. Psalm nennt noch einen weiteren Grund dafür,

das Lob Gottes anzustimmen:


„Gott kommt, das Erdreich zu richten.

Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit

und die Völker, wie es recht ist.”


Auch Gerechtigkeit kann ein Grund zum Jubeln sein:

Wenn man sie erfährt, oder wenn sie am Ende siegt.


II

Gerechtigkeit - darunter verstehen wir

eine ausgleichende Gerechtigkeit:

Den Ausgleich unterschiedlicher, einander widerstreitender Interessen.

Deshalb hält Iustitia, das Recht in Person, eine Waage in der Hand.

Gerechtigkeit als Interessenausgleich, ausgleichende Gerechtigkeit

erleben wir, wenn jede:r das gleiche bekommt,

bzw. wenn jede:r bekommt, was ihr, was ihm zusteht.


Leider scheitert die ausgleichende Gerechtigkeit regelmäßig.

Sie scheitert an einer Eigenheit unseres Gerechtigkeitsempfindens:

Zwar spüren wir Ungerechtigkeit sofort,

wenn wir meinen, weniger zu bekommen, als uns zusteht -

oder wenn wir meinen,

andere bekämen mehr, als sie verdient haben.


Wir fühlen uns aber nicht ungerecht behandelt,

wenn wir mehr bekommen als andere.

Das nehmen wir gern hin oder denken gar,

wir hätten ein Recht darauf, es würde uns zustehen.

So kommt es bei allen Versuchen, Gerechtigkeit zu schaffen,

mit unerbittlicher Regelmäßigkeit dazu,

dass zwar im Prinzip alle gleich sind,

aber am Ende einige gleicher als die anderen.


III

Gottes Gerechtigkeit ist anders.

Sie ist nicht auf Ausgleich bedacht, auf Ausgewogenheit.

Im Gegenteil: Gefragt, wie oft man jemandem vergeben solle,

der einem Unrecht tat, antwortet Jesus:

Sieben mal siebzig Mal.


Gottes Gerechtigkeit schafft keinen Ausgleich,

keine gerechte Verteilung.

Sie gibt mit vollen Händen und fragt nicht,

ob der Empfänger es verdient hat.

Sie gibt, ohne zu überlegen,

sodass die Linke nicht weiß, was die Rechte tut.

Gottes Gerechtigkeit ist eine überschwängliche Gerechtigkeit.

Überschwänglich wie das Gebet aus Westafrika.

Überschwänglich wie die Musik.


In ihrem Überschwang ist Gottes Gerechtigkeit parteiisch,

weil ihr Maßstab die Liebe ist.

Wie wir aus Liebe zu unserer Familie

oder unseren Freund:innen zuerst an sie denken

und dann erst an all die anderen;

wie auch wir selten Grenzen der Liebe kennen -

Grenzen des Verständnisses, der Vergebung,

des Mitgefühls oder der Hilfsbereitschaft -,

wenn es um unsere Freund:innen, unsere Familie geht.


Weshalb Jesus immer wieder einschärfen muss,

dass unsere „Nächsten” nicht unsere Liebsten sind,

sondern die, die wir uns nicht ausgesucht haben

und die wir uns auch nicht aussuchen würden:

Wildfremde Menschen, unbequeme,

vielleicht sogar unangenehme Menschen,

die uns Gott - manchmal im Wortsinn - vor die Füße legt.


Gottes Liebe gilt den Menschen, für die er Partei ergreift.

Sein Volk, das er sich erwählte;

Menschen, die benachteiligt wurden:

Waisenkinder, Witwen, Ausländer:innen

waren es zur Zeit, als der Psalm gedichtet wurde.


Und sie sind es heute noch, da hat sich nichts geändert.

Es sind sogar noch weitere dazu gekommen:

- Menschen, die anders leben, anders lieben,

sich anders definieren als die Mehrheit der Gesellschaft.

- Frauen, die sich immer noch dagegen wehren müssen,

dass Männer über sie und ihren Körper

bestimmen und verfügen wollen.

- Kinder und Jugendliche, die sich nicht gehört,

in ihren Sorgen und Ängsten nicht ernst genommen fühlen.

- Und auch - oder gerade, weil sie keine Stimme hat - die Natur:

Gottes Schöpfung und seine Geschöpfe,

deren Lebensräume wir vernichten,

deren Existenz wir bedrohen oder auslöschen.


IV

Gottes Gerechtigkeit ist parteiisch.

Gott ist auf der Seite derer, die nicht gehört werden,

weil man über sie hinweggeht,

weil man sie beiseite schiebt,

weil man sie niederbrüllt

oder mit Gewalt zum Verstummen bringt.


Wenn wir jauchzen, singen und loben,

leihen wir denen unsere Stimme, die keine haben.

Wir singen mit Maria von Gott,

der die Gewaltigen vom Thron stürzt

und die Niedrigen erhöht,

der die Hungrigen mit Gütern füllt

und die Reichen leer ausgehen lässt.


Wenn wir so singen, bewirken wir keinen Umsturz, keine Revolution,

auch wenn alles auf den Kopf gestellt wird - - -

oder vom Kopf auf die Füße?

Gottes Parteinahme gilt keiner Partei.

Sobald ehemals Niedrige, die reich und mächtig wurden,

sich über andere erheben und sie erniedrigen,

ist Gott nicht auf ihrer Seite.

Gottes Parteinahme gilt allen, die keine Stimme haben

oder die zum Verstummen gebracht wurden,

wer auch immer sie sind.


V

„Jauchzet dem Herrn, alle Welt!

Denn Gott kommt, das Erdreich zu richten.

Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit

und die Völker, wie es recht ist.”


Das Jauchzen und Loben, das Gott sich von uns wünscht,

ist nicht abhängig von unserer Stimmung.

Das kann es auch sein, wenn wir dadurch

unserem übervollen Herz Luft machen,

wenn wir Gott danken für das Glück, die Schönheit,

die Freude ode´r die Liebe, die wir erleben dürfen.


Das Jauchzen und Loben, das Gott sich von uns wünscht,

dient dazu, Gottes Gerechtigkeit in der Welt auszubreiten:

für die Partei zu ergreifen, die von keiner Partei vertreten werden;

denen unsere Stimmen zu leihen, die keine Stimme haben.

Wir singen von Gottes Gerechtigkeit.

Da richtet unser Gesang sie auf.

Unser Gesang richtet Menschen auf,

die bisher ihren Kopf einzogen,

sich nicht trauten, ihr menschliches Recht einzufordern,

sich verstecken oder verleugnen mussten.


Unser Gesang richtet Menschen auf,

die durch uns erfahren, dass es auch anders gehen kann.

An uns erleben sie Menschen, die anders sind.

Sie sehen, dass Menschen auch anders sein können:

Durchsichtig, durchscheinend für Gottes Liebe.

Wer Menschen so erlebt, so durchscheinend für Gottes Liebe,

so freundlich und mitmenschlich,

wird Gott jauchzen und loben.

Und dann ist es Wirklichkeit:

Wir jauchzen dem Herrn. Wir singen, rühmen und loben

mit unserem ganzen Sein, mit unserem ganzen Leben. Amen.

Montag, 1. April 2024

ganz hingerissen

Liedpredigt am Ostermontag, 1.4.2024, über EG 112


Liebe Schwestern und Brüder,


wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

An Ostern ganz besonders.

Der Überschwang der Osterfreude lässt uns singen vom Sieg.

Lässt uns den Tod auslachen: Halleluja-ha-ha

und das Leben feiern:

Christus ist auferstanden!


Mitten in der Osterfreude,

ganz hin- und mitgerissen vom österlichen Jubel

und in Vorfreude auf die Auferstehung,

die schon geschehen ist und geschieht, jetzt und hier,

schiebt sich die Wirklichkeit dazwischen

mit den Schmerzen und Sorgen, die wir zur Genüge kennen.

Mit all dem Leiden und Sterben auf der Welt,

dem Krieg und dem Terror, dem Hunger und der Angst.

Da wird der Osterjubel kleinlaut:

Darf man bei all dem Leid so fröhlich sein,

so unbeschwert aus vollem Halse lachen und singen?

Es ist ja auch unter uns, das Leid;

man war froh, es einen Moment vergessen zu können,

aber da drängt es sich schon wieder ins Bewusstsein.


Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Der Dichter Paul Gerhardt nimmt mit dem Lied

„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden” den Mund ganz schön voll

und sagt viel mehr, als man guten Gewissens sagen kann.

Johann Crüger schreibt dazu eine Melodie,

die wie eine Aufforderung zum Tanzen ist, die in Bewegung setzt

und in ihrer zweiten Hälfte voran drängt und aufwärts,

immer höher, bis in den Himmel.

Hören wir auf diese Melodie, singen wir die erste Strophe

und horchen dabei in uns hinein,

was Text und Melodie mit uns machen.


EG 112,1


Die Musik beschwingt, macht fröhlich, macht gute Laune.

Doch die erste Strophe ist in ihrem Jubel noch verhalten.

Da ist schon das österliche Licht,

aber noch ist es kaum zu glauben, nicht zu fassen:

Woher kommt dieses Licht?


Dann steigt Paul Gerhardt mit uns hinab.

Während die Melodie aufsteigt, nimmt er das Grab vorweg,

das auf alle wartet - ausgerechnet an Ostern muss er daran erinnern!

Aber die bittere Realität hat ja bereits einen Schatten

auf unsere Osterfreude geworfen.

Mit seinen Worten macht Paul Gerhardt das,

was wir quasi von selbst tun:

Er trübt die österliche Freude.

Wenigstens lässt er uns den Himmel,

der uns dermaleinst verheißen ist.


Mit der zweiten Strophe ändert sich alles.

Wie in einem Guckkasten, einem Kasperletheater

sehen wir ein eigenartiges, fast derbes Schauspiel vor uns.

Beim Kasperletheater flößen das böse Krokodil

oder der Schutzmann den zuschauenden Kindern Angst ein.

Aber dann kommt der Kasper und haut ihnen auf den Kopf,

dass die Kinder lachen müssen.

Sie lachen das Böse aus, sie lachen sich ihre Angst von der Seele.


Im Lied triumphiert der Teufel, dass er Christus besiegt hat -

da steht Christus schon wieder da wie die Kasperlepuppe

und schwenkt seine Siegesfahne.

Wie Paul Gerhardt hier die Auferstehung beschreibt,

hat sie etwas Befremdliches:

Darf man aus der Auferstehung ein Kasperletheater machen?


Aber er macht ja nicht aus Jesus einen Kasper,

sondern gibt Tod und Teufel der Lächerlichkeit preis.

Dieses Lustspiel schaut er sich in der 3. Strophe an -

und stellt fest, wie er dadurch die Angst verliert.

Lassen Sie uns sehen, ob es uns auch so geht,

wenn wir die 2. und 3. Strophe singen:


112,2+3


Was passiert hier?

Beim Singen geht es uns wie den Kindern,

die dem Kasperletheater zuschauen:

Was uns Angst macht, lachen wir aus.

Wir werden selbst zu fahnenschwingenden Sieger:innen.

Das Lied singt uns einen Heldenmut zu,

den wir bei uns nicht vermutet hätten.


Mit diesem Mut schauen wir an,

was uns die Osterfreude vergällt.

Es kommt uns nicht mehr so erdrückend,

so mächtig und überwältigend vor.

Mut macht uns die Auferstehung selbst -

das edle Gut, das Jesus uns erworben hat.

Sie lässt uns im Überschwang über alles wegtanzen,

was uns den Mut nehmen will.

Wir haben plötzlich Kraft für zwei.

Und wir haben keine Angst mehr.

Weder vor Tod und Teufel, noch vor der Welt.

Davon singen die nächsten beiden Strophen:


112,4+5


Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Aber, Paul Gerhardt, nimmst du den Mund nicht zu voll?

Du kommst mir vor wie ein Kind, das sich stark fühlt,

weil es sich hinter dem Rücken seines großen Bruders versteckt

und deshalb große Töne spuckt.

Bist du noch so mutig, wenn du allein

der Höll und ihren Rotten gegenüberstehst?

Wenn du die Macht des Todes erleben musst,

weil ein lieber Mensch stirbt?

Wenn dir der Hass der Wutbürger ins Gesicht schlägt,

wenn die Sorgen über dir zusammenschlagen?


Paul Gerhardt musste all das erleben:

Die Schrecken des 30jährigen Krieges,

den Tod vieler seiner Kinder

und schließlich sogar den viel zu frühen Tod seiner Frau.

Er erlebte Anfeindungen, und die Ausweisung aus Berlin,

wo er mit Johann Crüger an der Nikolaikirche

so gut zusammengearbeitet,

so viele schöne Lieder geschaffen hatte.


Gerade weil Paul Gerhardt so viel Schweres erlebte,

hat er seine schönen Lieder gedichtet.

Sie alle haben eines gemeinsam: In ihnen redet ein Ich.

Es ist Paul Gerhardts Ich, das sich mit diesen Gedichten

selbst Trost zuspricht.

Wenn wir diese Lieder singen, wird sein Ich zu unserem.

Seine Lieder sind Selbstgespräche - darum sprechen sie uns an.

Wir machen uns selber Mut, wenn wir sie singen,

werden wieder zuversichtlich und fröhlich.


Nun könnte man einwenden:

Ist das nicht ein Pfeifen im dunklen Wald?

Ja, das ist es.

Es hilft zu pfeifen oder zu singen, wenn man Angst hat,

allein im dunklen Wald.

Das Singen vertreibt die Angst -

oder lässt sie zumindest erträglicher werden.


Und es vertreibt möglicherweise auch das,

was im dunklen Wald Angst macht -

nicht nur, wenn man schiefe und falsche Töne singt,

auch, wenn man richtig schön singt.

Im italienischen Appenin, wo man Bären ausgewildert hat,

wird man jedenfalls auf Schildern dazu angehalten,

den Wald nur laut singend zu betreten,

weil die Bären dann reißaus nehmen.


Paul Gerhardts Lied ist aber mehr

als ein Pfeifen im dunklen Wald.

Und seine Worte sind mehr als die großen Töne,

die eine freche Göre oder ein Rotzbengel spucken.

Er hält sich an Christus,

von ihm lässt er sich mitreißen,

und das reißt ihn hindurch durch alles,

was ihm den Mut nehmen will.

Wenn wir davon singen,

werden wir ebenso mitgerissen,

durch Tod, Welt, Sünd und Not hindurch.

Davon singen wir mit der 6. und 7. Strophe:


112,6+7


Die Auferstehung lässt uns lachen und jubeln,

sie lässt uns den Lasten und Sorgen des Alltags die Stirn bieten.

Die Auferstehung ist aber nicht nur etwas,

was uns dermaleinst erwartet, am Ende der Zeiten.

Sie lässt uns schon jetzt nach Niederlagen wieder aufstehen.

Sie lässt uns den Aufstand wagen gegen todbringende Mächte

und gibt uns den Mut, es mit den Dunkelheiten aufzunehmen.

Den Dunkelheiten in der Welt und in uns.


Weil Christus auferstanden ist,

sind diese Worte mehr als ein Pfeifen im dunklen Wald.

Christi Auferstehung reißt uns mit,

sie ist eine Energie, ein Schwung,

der uns gar nicht erst zum Nachdenken

oder gar zum Grübeln kommen lässt,

sondern uns geradezu leichtsinnig und übermütig macht.


Und bevor wir uns besorgt fragen können,

ob wir das schaffen, haben wir es schon geschafft.

Wir sind schon hindurch, weil Christus uns den Weg bahnt

und weil wir an ihm festhalten.

Das Festhalten an Christus gibt uns Halt,

wie es Paul Gerhardt Halt gegeben hat

und die Zuversicht, die ihn dieses Lied schreiben ließ.

Dieser Halt bleibt uns auch und gerade,

wenn Jubel und Überschwang des Osterfestes hinter uns liegen.


Schweres, Leid und Schmerzen bleiben uns nicht erspart.

Eines - hoffentlich noch fernen - Tages

wird sich auch unser Lebenskreis vollenden.

Hier schließt sich auch der Kreis des Liedes.

In der ersten Strophe schwang er sich vom Grab zum Himmel auf.

In der letzten blickt er von der Himmelspforte aus

zurück auf das Leben.


Man mag sich eine Himmelspforte heute nicht mehr vorstellen,

ein womöglich metallenes Tor mit einem Messingschild,

gar einem Klingelknopf.

So befremdlich das Bild von der Himmelspforte und den

„güldenen Worten” über ihr sein mag,

die Worte selbst sind keine leere Parole,

wie sie früher auf Wänden und Transparenten zu lesen waren.

Es sind die Worte des Auferstandenen,

die unserem Leben ein gutes Ende versprechen.

Von diesem guten Ende her

hören wir den Auferstandenen zu uns sprechen,

wie er uns zusagt:

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.”


So lassen Sie uns diese Predigt und das Lied beschließen

mit seiner letzten Strophe:


EG 112,8 

Sonntag, 31. März 2024

Vorbestimmt

Predigt am Ostersonntag, 31.3.2024, über 1.Samuel 2,1-8a

Liebe Schwestern und Brüder,


Hannah, die das Lied singt,

hatte einen großen Wunsch:

Sie wünschte sich so sehr ein Kind.

Doch sie konnte keines bekommen.


Ihre Nebenbuhlerin Peninna kränkte sie deswegen.

Peninna war eifersüchtig auf Hannah,

weil ihr Mann Hannah mehr liebte als sie.

Aber Peninna hatte Kinder, und Hanna nicht.

Das ließ sie Hannah spüren.


Hannahs Kinderwunsch entsprang der Sehnsucht,

ihre Konkurrentin zu besiegen,

damit sie endlich Frieden hätte.

Wenn Hannah ein Kind bekäme,

wäre Peninnas Lästerei ein für allemal beendet,

sie könnte ihr nicht mehr die Lebensfreude nehmen.


Was Hannah erlebt, würde man heute „Mobbing” nennen.

Es ist weit verbreitet;

viele mussten es erleiden oder erleiden es gerade.

Mobbing kann einem die Freude an der Arbeit nehmen,

an der Begegnung mit den Kolleginnen und Kollegen;

es kann das Leben zur Hölle machen.


Eine Konkurrentin, ein Konkurrent kann es erreichen,

dass man ihn oder sie nicht mehr los wird:

Wie eine Zecke saugt sie sich in den Gedanken fest,

sodass sie selbst Zuhause ständig gegenwärtig ist.

Wer so etwas durchmachen musste, kann wohl verstehen,

warum sich Hannah ein Kind wünscht

und dass ihr Kinderwunsch so dringend für sie ist.


Hannah möchte ein Kind bekommen,

damit sie nicht mehr gemobbt wird.

Ihr Kind ist ein Wunschkind, aber in sehr besonderer Weise:

es soll ihr helfen, ihre Gegnerin zu besiegen.


Tatsächlich wird Hannah schwanger,

nachdem sie in ihrer Verzweiflung

einen Handel mit Gott eingegangen ist:

Sollte sie ein Kind bekommen, würde sie es Gott weihen.


Gott geweiht, das bedeutet:

das Leben des Kindes wird Gott gehören.

In ähnlicher Weise wurden im Mittelalter

Kinder ins Kloster gegeben,

wo sie ein Leben als Mönch oder Nonne erwartete.


Nachdem Hannahs Kind zur Welt gekommen und entwöhnt ist,

bringt sie es zum Tempel und übergibt es dem Priester.

Ohne ihr Kind kehrt sie nach Hause zurück.

Ihr Kind wächst ohne Mutter auf und ohne Spielgefährten.

Es wächst auf ohne Kindheit, in einer Welt der Erwachsenen,

im Tempel, der die Welt vor ihm aussperrt.


Das Kind, das Hannah geboren und dem Tempel übergeben hat,

trägt den Namen Samuel. Ein sprechender Name, er bedeutet:

Von Gott erbeten.

Samuel wird ein Prophet, ein Bote Gottes.

Man könnte ihn auch als ein Werkzeug Gottes bezeichnen.

Ein Werkzeug hat keinen eigenen Willen,

sondern führt den Willen dessen aus, der es benutzt.

Ein Werkzeug hat auch kein Eigenleben: Es dient.

Als Werkzeug dient es einem Zweck,

als Prophet dient Samuel Gott.


Ein Leben im Dienste eines anderen war früher alltäglich:

Mägde oder Knechte nannte man solche Menschen,

die nicht ihr eigenes Leben lebten.

Sie waren nicht angestellt,

sondern wohnten im Haus ihrer Dienstherren,

aßen von ihrem Essen und, wenn sie auf einem Hof arbeiteten,

auch mit der Bauersfamilie an einem Tisch.

Sie zahlte ihnen Kleidung und Schuhe und den Arzt,

und ansonsten ein Taschengeld.


Heute würden wir ein solches Leben nicht mehr führen wollen.

Leben, das bedeutet für uns: Freiheit und Selbstbestimmung.

Seine eigene Herrin, sein eigener Herr sein.

Selbst entscheiden, wie man lebt und was man tut,

frei sein in seiner Entscheidung und unabhängig.

Darum könnte man auf den Gedanken kommen,

Samuel zu bedauern: Er hatte kein eigenes Leben.

Sein Leben war ihm von seiner Mutter vorbestimmt worden.

Er hatte zu keinem Zeitpunkt eine Wahl.


Auch das war früher die Regel:

Früher musste der älteste Sohn den Hof übernehmen,

oder den Handwerksbetrieb des Vaters.

Keine Frage, dass der Junge den Beruf des Vaters erlernte

und den Hof, die Werkstatt weiterführte,

um sie eines Tages an die nächste Generation zu übergeben.

Das Schicksal der Mädchen war es,

möglichst vorteilhaft verheiratet zu werden,

eine „gute Partie” zu machen.

Sie wurden bei der Entscheidung über ihren Partner nicht gefragt.

Romantik, Liebe, Erfüllung, persönliches Glück spielten keine Rolle.


So wie Hannah bringt auch eine andere junge Frau in der Bibel

durch Gottes Einwirken ein Kind zur Welt.

Es scheint so, dass es diesmal sie ist, die man nicht fragt.

Ein Engel teilt ihr mit, was mit ihr geschehen wird.

Es ist alles vorherbestimmt, es ist schon alles entschieden.

Aber ausdrücklich wird berichtet, dass Maria einwilligt:

„Ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe nach deinem Wort”, sagt sie.

Sie hat zwar eigentlich keine Wahl,

aber es kommt doch auf ihre Entscheidung, ihre Zustimmung an.


Auch ihr Kind hat keine Wahl.

Sein Leben ist vorherbestimmt wie das Samuels,

und wie er, trägt auch dieses Kind einen sprechenden Namen:

Immanuel, Gott ist bei uns, und

Jesus, auf Hebräisch: Jehoschua, Gott hilft.

Sein Name weist voraus auf das Leben,

das diesem Kind bestimmt ist.

Durch dieses Kind kommt Gott den Menschen nah,

durch dieses Kind wird Gott den Menschen ein Helfer,

indem er ihnen vergibt und ihnen neues Leben schenkt.

Doch dafür muss dieses Kind eines schrecklichen Todes sterben.


Wenn ein Leben so vorbestimmt und festgelegt ist,

dass einem keine Wahl mehr bleibt, sprechen wir von „Schicksal”.

Das Schicksal erscheint wie eine unausweichliche Macht,

der man nicht entgehen kann und gegen die niemand ankommt.

Eine Vorstellung, die im Gegensatz zu unserem Glauben steht.

Der Bibel nach ist Gott allein allmächtig.

Neben oder unter ihm gibt es keine überweltlichen Mächte,

die unser Leben beeinflussen oder gar bestimmen könnten -

weder der Sternenhimmel, noch das Schicksal.


Vom Schicksal sprechen wir auch nur,

wenn es nicht so kommt, wie wir es uns wünschen.

Niemand sagt von einem Lottogewinn,

der sei „Schicksal” gewesen.

Wenn jemand krank wird ist es Schicksal,

wenn jemand gesund wird, nicht.


Diese Vorstellung vom Schicksal hängt damit zusammen,

dass wir so sehr an unsere Freiheit glauben

und an ein selbstbestimmtes Leben.

Aber die Erfahrung machen, dass wir zwar Pläne schmieden,

dass aber manchmal das Schicksal ein mieser Verräter ist,

das unsere Pläne durchkreuzt und zunichte macht.


Diese Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens

ist der Bibel fremd.

Die Bibel kennt Heldinnen wie Debora, Helden wie David.

Sie erzählt von Einzelschicksalen wie dem von Ruth,

von Hannah oder von Maria.

Aber sie alle stehen nicht für sich.

Sie sind eingebunden in die Geschichte des Glaubens:

In Gottes Geschichte mit seinem Volk,

in Gottes Handeln an seiner Schöpfung, der Welt.


Durch Jesus wurden wir ein Teil dieser Geschichte des Glaubens.

Wir gehören zu Gott, und damit sind wir eingebunden

in diese Geschichte des Glaubens,

auch wenn man wohl später nicht so von uns erzählen wird

wie von Hannah.

Weil wir zu Gott gehören, ist Gott unser Herr.

Wir sind - mit diesem altertümlichen Ausdruck -

seine Knechte und Mägde.

Unser Leben ist vorherbestimmt, wie es das von Samuel war.

Man nennt das mit einem Fachwort: Prädestination.


Vorherbestimmung, Prädestination, bedeutet nicht,

dass wie in einem Drehbuch jeder unserer Schritte,

jedes Wort, das wir sagen, im Voraus festgelegt ist.

Wir sind auch keine Automaten,

die ein Programm abspulen,

das ein Fremder geschrieben hat,

und das wir nicht beeinflussen können.


Prädestination bedeutet nur,

dass der Ausgang unseres Lebens schon fest steht:

Unser Leben geht gut aus.

Es gibt ein Happy End für uns.

Dieses Happy End ist die Auferstehung.

Durch die Auferstehung brauchen wir uns keine Sorgen zu machen,

dass wir unser Leben vermasseln,

dass wir nicht gut genug waren,

nichts aus uns und unserem Leben gemacht haben.

Gott hat bereits entschieden:

Unser Leben ist gut, ist gelungen,

und wir sind ihm recht so, wie wir sind.


Darum leben wir aus der Auferstehung.

Wir leben sozusagen vom Ende her,

vom glücklichen Ende unseres Lebens her zur Gegenwart.

Die Auferstehung lässt das Ende den Anfang sein,

macht aus Misserfolg und Scheitern neue Möglichkeiten,

aus Enttäuschung und Irrtum Erfahrungen.


Die Auferstehung stellt alles auf den Kopf:

Knechte werden zu Herren und Herren zu Knechten.

Starke werden schwach und Schwache stark.

Satte hungern und Hungernde bekommen zu essen.

Reiche werden arm und Arme reich.

Wer nichts galt, wird bedeutend,

wer berühmt war, verschwindet in der Versenkung.

Und wer tot war, wird wieder lebendig.


Die Auferstehung stellt alles auf den Kopf.

Aber aus der Sicht Gottes stellt sie alles

vom Kopf auf die Füße.

Denn Gott wünscht sich Gerechtigkeit und Mitgefühl.

Gott ist auf der Seite der Schwachen und der Kleinen,

weil die nicht auf eigene Kraft,

auf eigene Fähigkeiten vertrauen,

sondern auf Gott.


Gott wird unser Herr, wenn wir ihn machen lassen.

Nicht um jeden Preis an unseren Plänen festhalten,

nicht wie mit Scheuklappen nur in eine Richtung gehen,

Misserfolge, Irrtümer, Scheitern nicht als Katastrophen,

sondern als notwendige Schritte auf unserem Weg

anzusehen lernen.


Weil Gott ein gutes Ende für unser Leben vorgesehen hat

und weil Gott Gutes für uns im Sinn hat,

Glück und Lebensfreude,

können wir ihn machen lassen.

Das gibt uns die Freiheit, unser Leben zu gestalten,

wie wir es möchten.

Es befreit uns von der Befürchtung,

wir hätten etwas verpasst,

wir hätten nicht richtig gelebt,

wir hätten keine Wahl gehabt.


Wir haben jetzt eine Wahl, und wir haben sie jeden Tag neu.

Wir können wählen, alles auf den Kopf zu stellen,

alles neu und anders zu machen.

Wir können wählen, das Leben anzunehmen, wie es ist.

Wir auch immer wir uns entscheiden:

Gott bleibt an unserer Seite

und wartet am Ende unseres Lebensweges auf uns,

um uns in seine Arme zu schließen

und uns ein neues, das ewige Leben zu schenken.

Samstag, 30. März 2024

Hier gibt es Nichts zu sehen

Predigt in der Osternacht, 30. März 2024, über Johannes 5,19-21:

Im Johannesevangelium spricht Jesus:


Ich sage euch wirklich und wahrhaftig,

der Sohn kann nichts von sich aus tun,

sondern nur, was er den Vater tun sieht.

Denn was jener tut,

das tut der Sohn genauso.

Der Vater liebt nämlich den Sohn

und zeigt ihm alles, was er tut,

und er wird ihm noch größere Werke zeigen,

da werdet ihr staunen!

Wie nämlich der Vater die Toten auferweckt

und lebendig macht,

genauso macht der Sohn lebendig, wen er will.


Liebe Schwestern und Brüder,


Ostern gibt uns etwas zu sehen.

In dreifacher Weise gibt es uns etwas zu sehen.

Dieses Sehen beginnt in der Osternacht,

es beginnt in der Dunkelheit, wo man nichts sieht.

In dieser Dunkelheit erstrahlt ein Licht.

Zuerst war es nur ein Punkt,

der sich bewegte und dem wir folgten wie einem Stern:

Die Flamme der Osterkerze.

Das Licht breitete sich aus. Nun erhellt es den Dom.

Das Licht, das uns umgibt,

nimmt den strahlenden Glanz des Ostermorgens vorweg.

Was gibt uns dieses österliche Licht zu sehen?


I

Zuerst ist es das Licht selbst, das wir sehen.

Das Licht, das die Dunkelheit vertreibt.

Das Licht, das in der Finsternis scheint,

und die Finsternis hat’s nicht ergriffen:

Jesus Christus, das Licht der Welt.

Dieses Licht war am Karfreitag verloschen.

Es hatte sich unseren Händen anvertraut.


Hände, die so behutsam sein können,

so liebevoll, so zärtlich.

Hände, die heilen, die trösten und helfen.

Hände, die Instrumenten Töne und Melodien entlocken,

die etwas gestalten und erschaffen.

Hände des Vaters, der Mutter, die ein Kind bergen und halten.

Hände des Liebsten, der Liebsten,

die von seiner, ihrer Liebe zu uns sprechen.

Hände der Ärztin, des Arztes, denen man sein Leben anvertraut.


Diese wunderbaren Hände können auch zerstören.

Sie schlagen zu, sie schwingen einen Stock, eine Geißel.

Sie winden Dornenzweige zu einer Krone.

Sie zimmern ein Kreuz.

Sie nageln das Licht der Welt ans Kreuz

und lassen es verlöschen.


Das Licht der Welt kann nicht verlöschen.

Denn dann wären wir der Dunkelheit ausgeliefert,

unserer eigenen inneren Dunkelheit,

die zerstört, statt etwas zu schaffen;

die schlägt, statt zu heilen;

die Waffen führt, statt die Hand zu reichen.

Diese Dunkelheit gibt es um uns herum.

Nicht weit von uns, in der Ukraine und in Gaza.

Sie gibt es auch in nächster Nähe;

wir spüren sie manchmal in uns selbst.


Gott lässt nicht zu, dass das Dunkel zu uns spricht.

Gott hält die Flamme lebendig, die wir auslöschen.

Das Licht der Welt leuchtet wieder.

Es setzt die Liebe ins Recht, die Sanftmut,

die Barmherzigkeit, den Frieden.

Das Schöpferische behält die Oberhand über die Zerstörung.

Im österlichen Licht erkennen wir,

dass das Leben stärker ist als der Tod,

dass die Schöpfung sich gegen ihre Zerstörung behauptet:

„Freunde, dass der Mandelzweig

wieder blüht und treibt,

ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?”


II

Das andere, was das österliche Licht uns sehen lässt ist,

was Gott, der Vater, tut.

„Denn was jener tut, das tut der Sohn genauso.”

In seinem Sohn Jesus Christus offenbart sich Gott,

weil Gott selbst in ihm redet und handelt.


Offenbarung ist mehr als Sehen.

Sehen können wir nur durch das Licht;

in der Dunkelheit gehen zuerst die Farben verloren

und dann alle Formen und Umrisse.

Die Offenbarung aber ist das Licht selbst.

Ein Licht, das uns überwältigt,

wie man geblendet wird,

wenn man aus dem Dunkel plötzlich ins Licht tritt.


Überwältigung: Das ist die Art und Weise,

in der Gott uns begegnet.

Als Jesus seine Jünger beruft, genügen drei Worte:

Folge mir nach!, und sie lassen alles stehen und liegen,

lassen ihr bisheriges Leben hinter sich,

lassen sich auf die Zukunft ein,

die der Ruf Jesu für sie bereit hält,

weil sie überwältigt wurden.


Sie wurden überwältigt, aber nicht gezwungen.

Die Entscheidung, dem unwiderstehlichen Ruf zu folgen,

lag bei ihnen.

Sie entschieden sich für die Nachfolge,

weil sie erkannt hatten,

dass ihnen nichts besseres passieren konnte

als dieser Ruf, der eine Berufung war.

Eine Berufung in die Gegenwart Gottes,

wie sie Mose zuteil wurde, Samuel und den Propheten.


Die Offenbarung überwältigt,

indem sie in Gottes Gegenwart ruft.

Sie hat nichts mitzuteilen,

es gibt kein geheimes Wissen, keine neue Erkenntnis.

Sie versetzt in Gottes Gegenwart,

und damit ist alles klar: Die vollkommene Klarheit,

die alles Wissen und alle Erkenntnis übersteigt:

„Der Vater wird dem Sohn noch größere Werke zeigen,

da werdet ihr staunen!”


III

Schließlich das Dritte,

was uns das österliche Licht zu sehen gibt:

Das, was die Jüngerinnen Jesu am Ostermorgen vorfinden.

Das leere Grab.

Mit anderen Worten: Es gibt Nichts zu sehen.


Dieses Nichts ist nicht die Vernichtung,

die Auslöschung des Lichtes durch die Finsternis,

die Auslöschung des Lebens durch den Tod.

Dieses Nichts ist der schöpferische Anfang,

aus dem neues Leben entsteht:


In der Stille erklingt ein Ton, eine Melodie.

Auf der leeren Fläche des Papiers entsteht ein Text, ein Bild.

Durch farbiges Glas fällt Licht,

und dieses Licht wird plastisch, fast mit Händen zu greifen.

Alls das sind Metaphern für die Schöpfung aus dem Nichts,

mit der wir das, was am Ostermorgen geschieht,

die Auferstehung, beschreiben - und doch nicht begreifen.


So unbeschreiblich, unbegreiflich die Auferstehung ist,

sie überwältigt uns.

Durch sie geraten wir in Gottes Gegenwart:

„Wie nämlich der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht,

genauso macht der Sohn lebendig, wen er will.”

Gottes Liebe, die am Ostermorgen die Oberhand behält

über die Dunkelheit, ergreift, überwältigt und verwandelt uns:

Sie macht uns lebendig.


Das österliche Licht fällt auf unsere Gesichter

und lässt sie durchscheinend werden

für Gottes Liebe und Gottes Freundlichkeit.

Durch die Auferstehung werden wir selbst

eine Stille, in der sich eine Melodie entfaltet;

eine leere Fläche, auf der ein Gedicht entsteht oder ein Gemälde;

ein Glas, durchsichtig auf den hin,

den Christus am Werk sieht in der Schöpfung und an den Menschen

und der uns in Christus anschaulich geworden ist.


IV

Der Vater wird dem Sohn noch größere Werke zeigen,

da werden wir staunen!

Die Auferstehung ist das Ziel, auf das wir zugehen,

die Hoffnung, die einmal Wirklichkeit werden wird.

Und sie ist der Anfang. Der Anfang von allem.


Gottes schöpferische Macht überwältigt uns.

Wir finden die Kraft, aufzustehen, jeden Morgen neu.

Wir entdecken schöpferische Energien in uns.

Wir erkennen unsere Schönheit,

erkennen, dass wir diese Stille sind, diese leere Fläche,

dieses Glas, durch das Christus anschaulich wird.


Wie durch einen Spiegel wird Christus durch uns anschaulich.

Er wird anderen anschaulich, und er wird uns anschaulich:

Wir sehen ihn im jeweils anderen.

So ist der Auferstandene unter uns gegenwärtig,

indem er anderen durch uns

und uns in anderen begegnet.

Donnerstag, 28. März 2024

sich die Hände schmutzig machen

Predigt am Gründonnerstag, 28. März 2024, über Johannes 13,1-17.34f:

Liebe Schwestern und Brüder,


was man tagtäglich oder regelmäßig tut,

darüber denkt man nicht weiter nach.

Händewaschen zum Beispiel:

Das macht man ganz automatisch.

Nur wenn man sehr dreckige Hände hat,

wenn der Schmutz partout nicht abgehen will,

sieht man genau hin und greift notfalls noch einmal zur Seife.


Im Altertum war das Füßewaschen das,

was das Händewaschen heute für uns ist:

Eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht nachdachte.

Nur, dass man es in bestimmten Kreisen nicht selber tat:

Füße zu waschen war Aufgabe des Personals.

Sobald man das Haus betrat,

war eine Sklavin oder ein Sklave zur Stelle,

um die Füße von Schmutz und Staub der Straße zu befreien.


Das Evangelium beschreibt diesen alltäglichen Vorgang

wie in einer Großaufnahme oder wie in Zeitlupe:

Wie Jesus seine Kleidung ablegt,

damit sie beim Knien auf dem Boden nicht schmutzig wird,

wie er ein Handtuch umbindet

und Wasser in ein Waschbecken gießt,

mit dem er anschließend von einem zum anderen geht,

um seinen Jüngern die Füße zu waschen.

Sogar das Abtrocknen der Füße wird nicht vergessen.


Normalerweise würde man eine solche alltägliche Verrichtung

nicht so ausführlich beschreiben.

In Romanen liest man nichts davon,

wie sich die Heldin die Zähne putzt,

wie sie ihre Wäsche wäscht, das Frühstück macht

oder die Wohnung aufräumt.


Sie müssen mal im Kino darauf achten:

Die Schauspieler gehen so gut wie nie aufs Klo,

sie duschen nicht und bügeln auch nicht ihre Kleidung.

Wird eine Alltagsszene doch einmal gezeigt,

wird gleich etwas Schreckliches geschehen,

wie bei der berühmten Duschszene

in Alfred Hitchcocks Horrofilm „Psycho”.


Nicht ganz so heftig wie im Horrorfilm ist Petrus’ Reaktion,

als Jesus ihm die Füße waschen will.

Immerhin sagt er sehr theatralisch:

„Niemals sollst du mir die Füße waschen!” -

als sei es etwas völlig Unmögliches, Undenkbares,

dass Jesus ihm die Füße wäscht.


Aber, könnte man fragen, wenn es so unmöglich ist,

dass Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht:

Warum sieht Petrus dann erst seelenruhig zu?

Und auch ein anderer Gedanke legt sich nahe:

Warum kommt Petrus nicht selbst auf die Idee,

Jesus und seinen Freunden die Füße zu waschen?


Gibt es da etwa ein ungeschriebenes Gesetz,

dass man bestimmte Tätigkeiten

ab einem bestimmten hierarchischen Level

nicht mehr ausüben darf?

Wäre es unfein, vielleicht sogar anstößig,

wenn ein Meister seinen Schülern die Füße waschen würde?

Darf eine Chefin ihren Gästen keinen Kaffee kochen,

weil das die Aufgabe der Sekretärin ist?

Darf ein Abteilungsleiter keine Stühle rücken,

sondern muss warten, bis der Hausmeister kommt?


Man könnte auf diesen Gedanken kommen.

Einmal im Jahr wäscht der Papst

einer ausgewählten Schar von Menschen die Füße.

Dass er es sonst nicht tut,

macht diesen Akt so besonders und außergewöhnlich.

In diesem Ritual soll sich seine Demut zeigen:

Seht, dieser, der das höchste Amt innehat,

das die Kirche vergeben kann,

ist sich nicht zu schaden, in die Knie zu gehen vor Leuten,

die weit unter ihm stehen!


Ob Jesus das gemeint hat, als er sagte:

Ein Beispiel habe ich euch gegeben … ?

Wenn ich schon so frage: Wahrscheinlich nicht.

Was Jesus meinte, verrät der eigenartige Vergleich,

dass der Sklave nicht größer ist als sein Herr

und ein Apostel nicht größer als der, der ihn sendet.

Damit will Jesus wohl sagen:

Der Sklave eines berühmten oder mächtigen Herrn

soll sich nichts darauf einbilden,

denn er ist und bleibt sein Sklave.

Und ein Apostel soll sich nicht zu schade sein,

zu tun, was Jesus getan hat.


Dabei geht es nicht um das Füßewaschen an sich -

es hat sich in der Christenheit nicht durchgesetzt

als Zeichen der Liebe und Wertschätzung.

Nicht zuletzt deshalb, weil geschlossene Schuhe in Mode kamen,

die das Waschen der Füße - naja, nicht unnötig machten,

aber in den privaten Bereich verdrängten.

Es geht Jesus um eine Haltung.


Wenn die Managerin oder der Manager eines Dax-Konzerns

vor seinem Büro die Straße fegen würde,

wäre das eine Schlagzeile oder käme sogar in den Nachrichten.

Nach wie vor gibt es ein ungeschriebenes Gesetz,

wonach bestimmte Tätigkeiten zu einem bestimmten Platz

auf der Karriereleiter gehören:

Der Lehrling hat das Bier zu holen und den Hof zu fegen.

Putzen oder Müll entsorgen ist ein Job für Ungelernte,

und entsprechend schlecht wird er bezahlt.


Die Bezahlung richtet sich nicht nach der Schwere der Tätigkeit,

nach ihrer Notwendigkeit oder ihrem Nutzen für die Gesellschaft.

Sondern danach, wie aufwändig die Ausbildung war

und vor allem danach, wie viel Gewinn erzielt wird.

Am Einkommen hängt auch das gesellschaftliche Ansehen -

ob man im Hotel oder Restaurant zuvorkommend behandelt wird,

ob man gekannt und auf der Straße gegrüßt wird.


Diese Unterschiede sind fatal,

wenn es um das Gebot geht, einander lieb zu haben.

Natürlich kann eine Chefin ihre Angestellten lieb haben,

eine Managerin freundlich zu ihrer Putzfrau sein.

Aber es bleibt ein Gefälle zwischen beiden:

ein Gefälle des Ansehens und der Macht.

Dieses Gefälle kann nur von oben nach unten überwunden werden,

nicht von unten nach oben.

Die unten sehen über sich die berühmte gläserne Decke,

durch die sie nicht hindurch kommen.


Darum ist es Jesus so wichtig,

gar nicht erst ein Gefälle des Ansehens aufkommen zu lassen.

Es ist für Jesus keine außergewöhnliche Tat,

seinen Jüngern die Füße zu waschen,

wie sie es für den Papst ist

oder für einen hochgestellten Menschen wäre.

Für Jesus ist es eine Selbstverständlichkeit.

So, wie es für jeden und jede von uns selbstverständlich ist,

die Spülmaschine ein- und auszuräumen,

die Wäsche zusammenzulegen oder das Wohnzimmer zu saugen.


Das bedeutet nicht, anderen die Arbeit wegzunehmen

oder Berufe überflüssig zu machen,

die Menschen diese Arbeit abnehmen.

Es bedeutet, ein Gefühl dafür zu bekommen,

was jeder Mensch leistet - und dass jeder Mensch

für seine Leistung nicht nur einen gerechten Lohn verdient,

von dem man leben und sich auch etwas leisten kann,

sondern auch Anerkennung.

Erst dann ist ein von Liebe geprägtes Miteinander möglich,

wie Jesus es seinen Jüngern ins Stammbuch schreibt.


„Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander lieb habt.”

Die Gemeinde ist ein geschützter Raum,

in dem wir das probieren können:

Einander zu respektieren und anzuerkennen.

In dem wir uns ausprobieren können in Tätigkeiten,

die sonst nicht zu unserem Aufgabenprofil zählen,

wie zum Beispiel beim Kirchenputz am 20. April.


Je öfter man es probiert, desto selbstverständlicher wird es.

Es kann zur Gewohnheit werden, mit anzufassen

und sich auch mal die Hände schmutzig zu machen.

Es kann zur Gewohnheit werden, auch die Arbeit derer zu würdigen,

die im Hintergrund wirken, die vorbereiten,

damit andere im Rampenlicht stehen können,

und hinterher alles wieder wegräumen und sauber machen.


Wenn es uns zur Gewohnheit wird,

keinen Unterschied mehr zu machen,

kann von der Gemeinde ein Impuls ausgehen,

der bis in unsere Gesellschaft hinein wirkt.

Daran werden alle erkennen, dass wir Jesu Jünger sind,

weil wir einander auf diese Weise Respekt bezeugen,

weil wir nicht auf andere herabsehen

oder Menschen meiden,

die nicht unsere Klasse haben, kurz:

weil wir uns untereinander lieb haben. Amen.