Sonntag, 2. November 2025

einen Bogen schlagen

 Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis, 2. November 2025, über 1.Mose 8,18-22; 9,12-17

Liebe Schwestern und Brüder,

 

heute schlagen wir einen Bogen - und das in mehrfacher Hinsicht:


1. Der Predigttext erzählt vom Regenbogen als Zeichen des Bundes, den Gott mit Noah schließt. Noah wird nach der Sintflut, die alles Leben bis auf die wenigen Seelen auf der Arche auslöschte, zum neuen Stammvater der Menschheit. 

Das Bündnis mit Noah ist kein Vertrag zum Vorteil eines Einzelnen; es ist Gottes Bund mit der gesamten Menschheit. Dieses globale Bündnis wird zur Blaupause und zur Grundlage der partikularen Bündnisse, die Gott mit einem Einzelnen, Abraham, oder einer Familie, der von Jakob, schließt. Durch den Noahbund werden auch die anderen Bundesschlüsse Gottes für uns durchlässig, dürfen wir uns eingeladen und mitgemeint fühlen.

Gerade heute werden Bündnisse wieder enorm wichtig. Staaten verbünden sich, um ihre Interessen, ihre Werte, ihre Lebensweise und ihre Regierungsform gegen andere Staaten zu verteidigen. Auch Verteidigung - so notwendig, so legitim sie ist - bedeutet, in einen Krieg verwickelt zu werden. Krieg entfesselt Gewalt, die Leben auslöscht, wie es die Sintflut tat. Einzelne Menschen und ganze Staaten sind dazu bereit, Gewalt anzuwenden, Natur und Städte zu zerstören, Menschen zu töten, damit sie so weitermachen können wie bisher, damit alles so bleibt, wie es war. 

Gottes Bündnis mit Noah ist keines, das den Tod in Kauf nimmt oder billigend mit einschließt. Es ist ein Bündnis des Lebens: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.” Das klingt nach einer Garantie, dass alles so bleibt, wie es ist; der Fortbestand dessen, was wir seit jeher gewohnt sind. Aber auch wenn es so klingt: Der Kreislauf der Natur von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht dreht sich nicht auf der Stelle. Die Natur entwickelt sich weiter - „Evolution” hat Charles Darwin das genannt. Darwin wurde - und wird bis heute - bekämpft von denen, die an eine unerschütterliche Ordnung der Schöpfung glauben wollen. Die glauben wollen, dass Gott will, dass alles so bleibt, wie es ist. 

Auch Gott steht nicht auf der Stelle. Gott ändert seine Meinung über den Menschen. Gott lässt sich nicht festlegen, und Gott legt den Menschen nicht fest: Er legt ihn nicht fest auf das Böse, zu dem jeder Mensch fähig ist. Er glaubt an die Fähigkeit des Menschen zur Veränderung - „Umkehr” nennt das die Bibel. Darum gibt er der Menschheit eine neue Chance. Und nicht nur eine. Der Bogen Gottes in den Wolken ist das Zeichen: Wie die Natur in Zyklen voranschreitet und auf jede Ernte eine neue Aussaat folgt, so können auch wir immer wieder neu beginnen in Versuch und Irrtum, ohne dass Gott noch einmal die Geduld mit uns verliert. 

Die Menschen früherer Zeiten sahen in dem Bogen die Waffe, die damals neben dem Speer die einzige Fernkampfwaffe war. Sie sahen im Regenbogen eine Waffe, wie die ersten Christen das Kreuz nicht als Deko-Element wahrnahmen, sondern als das Folterinstrument, das es damals war. Wenn Gott seinen Bogen in die Wolken setzt, dann hängt er ihn damit sozusagen an den Nagel. Gott verzichtet darauf, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen. Statt dessen setzt er auf die Liebe. Die Liebe, die er für die Menschen empfindet, berührt und bewegt sie, so hofft er, dass sie sich selbst, ihre Mitmenschen und Gott zu lieben beginnen. Diese Liebe hört niemals auf. Sie ist eine Naturgewalt, die den Menschen zu den radikalsten Veränderungen fähig macht: Dazu, über den eigenen Schatten zu springen, Verantwortung zu übernehmen, Schuld einzugestehen und von einem falschen Weg umzukehren. 


2. Vom Predigttext schlagen wir einen Bogen in den Dom, zu den Lichtbögen Günter Ueckers. Gestern Abend konnten wir hören, wie Christian Domke sie sieht. Ich möchte heute, ausgehend vom Predigttext, einen weiteren Blickwinkel beisteuern:

Als der Bogen als Kriegswaffe noch allgegenwärtig war, sah man im Regenbogen eine Waffe. Er war nicht nur schön, faszinierend, zauberhaft. Er war auch bedrohlich. Er erinnerte an Gewalt und Zerstörung, die Gott mit der Sintflut über die Erde gebracht hatte. Und er erinnerte Gott daran, dass er Noah geschworen hatte, auf Gewalt zu verzichten und sich selbst in seiner Allmacht zu beschneiden, damit Leben auf der Erde möglich sein und fortbestehen konnte.

Günter Uecker sprach vom Lichtbogen in seinen Fenstern als einer „Narbe”, über die man hinaus in das Licht gelangt. Der Regenbogen am Himmel ist sozusagen die Narbe, die der Welt von der Sintflut geblieben ist. Sie ruft uns dazu auf, über Gewalt und Zerstörung hinauszugehen, uns zu entwickeln zu einer Spezies, die nicht einander bekämpft, sondern friedlich und einträchtig diesen Planeten bevölkert.

Ueckers Lichtbogen mag uns auch an unsere persönlichen Narben erinnern: Die körperlichen, und die Narben der Seele. Man denkt nicht gern an solche Narben. Was uns die Narbe beibrachte, hat weh getan, war schrecklich, war unerträglich. Man wünschte, man könnte es vergessen. Groß ist die Angst, dass besonders eine Seelen-Narbe wieder aufbrechen könnte. 

Gottes Liebe trägt uns über solche Erinnerungen hinaus. Sie verwandelt die Erinnerung. Dadurch sind wir in der Lage, die Veränderung anzunehmen, deren Zeichen diese Narbe ist. Veränderungen bringen nicht automatisch Gutes. Manche würden sagen: Sie bringen selten etwas Gutes. Veränderungen sind oft anstrengend, unerfreulich, unbequem. Oft geht dabei etwas verloren, das man sehr vermisst; etwas, von dem man glaubte, ohne es nicht leben zu können. Aber weil wir von Gottes Liebe umfangen sind, muss jede Veränderung uns unweigerlich zum Guten dienen und uns neue Räume eröffnen, auch wenn uns jetzt alle Türen verschlossen scheinen.


3. Und so schlagen wir einen dritten Bogen, gehen noch einen Schritt weiter zu dem neuen Kapitel, das mit Domkantor Christian Domke heute in der Musik am Dom aufgeschlagen wird.

Auch hier war ein erster Impuls die Abwehr jeglicher Veränderung; der Wunsch, alles möge so bleiben, wie es war. Auch hier sehen und spüren wir zunächst die Narbe, die der Weggang von Jan Ernst hinterlässt. Aber auch hier gilt das Versprechen, das Gott Noah gibt: Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht werden nicht aufhören. Jan Ernst hat gesät, und Christian Domke wird die Saat begießen, wird ernten und wiederum Neues säen, wie Jan Ernst die Früchte der Arbeit von Winfried Petersen begossen, geerntet und seinerseits Neues gesät hat. Zugleich arbeitet jeder ein wenig anders im schönen Garten der Gemeinde, setzt andere Pflänzchen, gestaltet die Beete anders als sein Vorgänger, hat die Blumen lieber als Obst und Gemüse - oder umgekehrt. Und natürlich entwickelt sich die Kirchenmusik weiter, sind die Sängerinnen und Sänger andere als vor 30 Jahren.

Was von Winfried Petersen über Jan Ernst zu Christian Domke weitergeht, ist die Verheißung, dass Christus seine Kirche durch die Zeit begleitet. Seine Einladung ergeht weiter, dass wir alle Steine sein dürfen und sein sollen im Bauwerk der Gemeinde, dessen Eckstein Jesus Christus ist - ob als Sängerinnen und Sänger in den Kantoreien, als Kirchenälteste, als Kirchenführer, bei der Domaufsicht, als Mitarbeitende in der Kinder- und Jugendarbeit, beim Kindergottesdienst, der Frauengruppe oder den vielen anderen Orten. Oder, wie Paulus im 1.Korintherbrief schreibt: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. So ist nun weder der etwas, der pflanzt, noch der begießt, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe ich den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.”