Sonntag, 27. Mai 2012

Baustelle "Leib Christi"


Predigt am Pfingstmontag, 29. Mai 2012, über Epheser 4,11-16

Liebe Gemeinde,

willkommen auf der Baustelle!
Sie werden es nicht gemerkt haben,
aber wir sind hier gerade schwer am Bauen.
Zwar ist keine Baugrube ausgehoben,
noch nicht einmal ein Bauplatz abgesteckt,
und weder Bagger noch Bauwagen,
geschweige denn Sand, Steine und Zement sind da.
Trotzdem sind wir mitten drin,
schon lange wird hier gebaut.

Wir hätten auch Sie gern dabei,
wir bitten Sie um Ihre Unterstützung und Mithilfe
als Bauarbeiter, Handlanger,
als Installateur, Elektriker, Zimmermann, Dachdecker
- je nachdem, was und wieviel Sie können,
was und wieviel Sie sich zutrauen.

"Ja, was wollen die denn bauen?", werden Sie sich fragen.
Die Klosterkirche muss doch nicht schon wieder renoviert werden?
Oder soll hier, direkt neben der schönen, großen Klosterkirche,
mitten im Klostergarten ein zweiter Bau aufgeführt werden?
Das wäre doch mehr als überflüssig!
Die Denkmalpflege würde da auch gar nicht mitspielen,
geschweige denn all die Menschen,
die die Klosterkirche und den Klostergarten lieben.

Aber wir wollen ja auch keine zweite Kirche bauen,
und auch kein anderes Gebäude neben die Klosterkirche setzen.
Wir versuchen nur, uns an das zu halten,
was uns der Predigttext aus dem Epheserbrief aufträgt:

"Christus setzte Amtsträger ein:
Apostel, Propheten, Evangelisten, Gemeindeleiter und Lehrer,
mit dem Ziel, die Heiligen zur Dienstleistung anzuleiten.
Dadurch wird der Leib Christi gebaut, 
bis alle die Einheit des Glaubens 
und die Erkenntnis des Sohnes Gottes erreichen werden,
das Erwachsensein, die Größe der Fülle Christi,
damit wir keine Kinder mehr sind,
die von jedem Wind der Lehre hin- und hergeworfen 
und umhergetrieben werden im Spiel der Menschen
mit den Taschenspielertricks des Irrtums.
Weil wir aber Wahrheitsliebende sind,
werden wir aus Liebe alles zu ihm wachsen lassen,
zu Christus, der das Oberhaupt ist.
Durch ihn wird der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten 
durch jedes Band der Unterstützung,
die auf Grund seiner Kraft
in dem Maß, wie jeder Einzelne daran Anteil hat,
das Wachstum des Leibes bewirkt,
der sich selbst baut durch die Liebe."
(Eigene Übersetzung)

II
Sie sehen, wir wollen etwas ganz Besonderes bauen:
den Leib Christi.
Zunächst einmal: es ist eigenartig,
dass man einen Leib, einen Körper "bauen" kann.
Denn es geht hier ja nicht um ein Standbild,
wie die beiden Herzöge hoch zu Ross vor dem Schloss.
Der "Leib Christi" ist ein lebendiger Körper,
- und trotzdem wird er gebaut.
Es wird ein Gebäude, in dem wir zuhause sind,
aber es wird keine Kirche - die haben wir ja schon.
Der "Leib Christi", das ist die Gemeinde,
die "Gemeinschaft der Heiligen",
wie wir im Glaubensbekenntnis beten.
Dabei handelt es sich nicht um eine besondere Gemeinschaft,
einen Club, zu dem nur Auserwählte Zutritt hätten
oder nur solche, die vom Papst heilig gesprochen wurden.
"Gemeinschaft der Heiligen" sind wir alle,
und deshalb richten sich die Worte des Epheserbriefes auch
an uns alle:
wir, die Heiligen, sollen uns zur Dienstleistung anleiten lassen.
Wir sollen alle Dienstleister werden
- auch, wenn wir es beruflich schon sind
als Sozialarbeiter oder Ärztin,
als Lehrerin oder Krankenpfleger.

Gemeinde wird nicht zusammengeschweißt oder genietet,
nicht gemauert oder gezimmert;
sie entsteht aus Dienstleistungen.
Gemeinde wird auch nicht herbeigeredet oder -gepredigt,
nicht durch einen Verwaltungsakt verordnet
oder durch Mehrheitsentscheidung beschlossen;
sie entsteht durch Dienstleistungen:
Gemeinde entsteht da,
wo Menschen nicht einfach nur nebeneinander her leben,
nicht einfach nur während des Gottesdienstes nebeneinander sitzen
und hinterher wieder ihre eigenen Wege gehen,
sich ins Private, in die eigenen vier Wände zurückziehen.
Gemeinde, wenn sie Leib Christi ist,
entsteht da, wo Menschen sich füreinander interessieren
und einander helfen, wenn das nötig wird.

III
Dieses Gemeindebild, das der Epheserbrief zeichnet,
mutet uns einiges zu.
Es ist, genau genommen, eine ziemliche Zumutung.
Wir haben uns und unser Leben anders eingerichtet.

Wir sind ja keine Unmenschen:
Wir helfen, wenn jemand Hilfe braucht.
In der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft.
Auch im Alltag halten wir Türen auf,
machen Plätze im Bus für Ältere frei
oder fassen schnell mal mit an, wenn das nötig ist.

Aber damit hat es dann auch sein Bewenden.
Sein Leben, das lebt jede und jeder selbst.
Jede und jeder muss selber sehen,
wie er es meistert und da am besten durchkommt.
Wir können uns ja schlecht um jeden kümmern.
Wer seinen Job verloren hat, muss sich eben einen neuen suchen;
wer als Alleinerziehende mit Kind, Beruf und Haushalt überfordert ist,
muss eben eine Hilfe anstellen oder einen Krippenplatz finden,
und wer im Alter keine Angehörigen hat,
die ihr oder ihm helfen können, der muss eben ins Heim.

So ist das nun mal.
Dafür gibt es ja das Arbeitsamt, den Kindergarten, das Altersheim.
Damit wir uns nicht auch noch darum kümmern müssen.
All das, was Probleme macht,
haben wir an Einrichtungen delegiert,
die sich kümmern sollen.
Dafür zahlen wir unsere Steuern:
dass wir uns nicht selbst kümmern müssen,
sondern unser Ding machen, unser Leben leben können.
Blöd ist es für alle, die es so hart trifft.
Aber so ist es eben, das Leben.

IV
Ja, so ist das Leben.
Wir haben uns darin eingerichtet,
wir sind damit groß geworden.
Und so schlecht ist es ja auch nicht.
Jedenfalls solange uns nicht
Arbeitslosigkeit, Alleinsein oder Alter treffen.

Heute, an Pfingsten,
am Fest, an dem der Heilige Geist weht,
uns neue und andere Gedanken zumutet,
werden wir gefragt,
ob es wirklich so sein und bleiben muss, wie es ist;
ob es nicht auch anders ginge, das Leben,
und ob dieses Andere nicht vielleicht sogar besser wäre.

Der Epheserbrief trägt uns auf,
den Leib Christi zu bauen.
Als hätten wir nicht schon Gebäude genug.
Aber der Leib Christi ist ja ein ganz besonderes Gebäude.
Er ist unsere geistliche Heimat: die Gemeinde.
Und er ist noch mehr.

An Himmelfahrt haben wir uns daran erinnert,
dass Jesus seine Jünger verließ.
"Aufgefahren in den Himmel" - das bedeutet:
Jesus ist nicht mehr hier.
Gott wurde Mensch,
aber diese Erdung Gottes,
dieses zur-Welt-Kommen ist ja schon gar nicht mehr wahr.
Wäre schon gar nicht mehr wahr.
Wenn es den Leib Christi nicht gäbe.
In der Gemeinde ist Jesus noch immer leibhaft gegenwärtig.
Er ist mitten unter uns,
spürbar, sichtbar, erfahrbar in Ihnen und mir.
Wir verkörpern als Gemeinde Christus
mit Hand und Fuß, mit Herz und Mund.

Christus hat viel gepredigt.
Was er aber vor allem tat und was das Wichtigste war:
Er hat sich den Menschen zugewandt.
An Christus konnten seine Zeitgenossen erfahren,
dass Gott nicht oben in den Wolken thront
und ihm die Menschen hier unten herzlich egal sind.
Gott wendet sich vielmehr den Menschen zu,
jeder und jedem Einzelnen.
Keine ist ihm zu klein, keiner zu unbedeutend,
kein Schicksal zu unwichtig.

V
Deshalb sollen wir Dienstleister werden.
Wir sollen uns liebevoll unseren Mitmenschen zuwenden,
damit sie durch uns erfahren, dass Gott da ist
und dass sie Gott nicht egal sind.
Sondern dass Gott sich ihnen liebevoll zuwendet
und an ihrem Leben, ihrem Schicksal Anteil nimmt.

Das ist nicht der Auftrag an die hauptamtlich in der Kirche Tätigen.
Die sollen vielmehr immer wieder daran erinnern,
dass es unser aller Auftrag ist.
Sie sollen die Menschen in der Gemeinde davon überzeugen,
mitzuarbeiten - jede und jeder nach ihren und seinen Fähigkeiten,
niemand über das Maß seiner und ihrer Kraft hinaus -,
mitzuarbeiten am Bau des Leibes Christi,
der sich nicht aus Sand und Steinen erbaut,
sondern aus Liebe.

Wenn wir diese Liebe aufbrächten,
würde sich manches ändern. Vielleicht sogar alles.
Es könnte sein, dass sich dann Werte und Gewichte verschieben.
Es ist sogar sehr wahrscheinlich,
dass manches, was uns unverzichtbar erschien,
mit einem Mal nebensächlich wird.
Dass Auto, Urlaub und Haus nach wie vor wichtig,
aber nicht mehr alles sind.
Dass wir unsere Erfüllung nicht mehr nur
in der Familie, im Haustier, im Hobby finden,
sondern darin, einem Menschen geholfen zu haben.
Dass wir großes Glück erleben,
wenn wir jemanden zum Lächeln bringen konnten.
Und dass wir den Sinn unseres Lebens darin entdecken,
anderen Menschen ein kleines Stück von dem Glück zu schenken,
das wir genießen können.

Vielleicht haben Sie ja Lust bekommen, mitzubauen.
Man kann ihn nicht sehen, den Bau des Leibes Christi.
Aber er ist schon ziemlich groß
- viel größer und schöner als die Klosterkirche.
Es arbeiten viele daran mit,
es ist schon ganz schön was los auf dieser Baustelle.
Kommen Sie doch dazu, helfen Sie mit!
Willkommen im Team!

Amen.