Freitag, 4. Januar 2013

Hoffnung für das neue Jahr

Predigt am Sonntag Epiphanias, 6.1.2013 über Jes 60,1-6:


Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt,
und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!
Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich
und Dunkel die Völker;
aber über dir geht auf der Herr,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen
und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
Hebe deine Augen auf und sieh umher:
Diese alle sind versammelt und kommen zu dir.
Deine Söhne werden von ferne kommen
und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden.

Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen,
und dein Herz wird erbeben und weit werden,
wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren
und der Reichtum der Völker zu dir kommt.
Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken,
die jungen Kamele aus Midian und Efa.
Sie werden aus Saba alle kommen,
Gold und Weihrauch bringen
und des Herrn Lob verkündigen.



Liebe Schwestern und Brüder,

was für großartige Worte,
was für ein prächtiges Bild!
Schiffe sieht man heranfahren,
Kamelkarawanen ziehen durch die Wüste,
Abendland und Morgenland treffen sich in Jerusalem,
dem Mittelpunkt der Welt.
Die Stadt Jerusalem selbst erstrahlt im Licht
- im Licht, das Gott selbst ist.
Und es erfüllt sich die alte und immerwährende Hoffnung,
dass Gott sich den Menschen zu erkennen gibt.
Dass Gott nicht hinter Leid, Schmerz und Zweifeln verborgen ist, 
sondern als Licht jedem Menschen ins Herz scheint.
Eine Hoffnung, wie sie der Seher Johannes im letzten Buch der Bibel zum Ausdruck bringt:

Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde;
denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen,
und das Meer ist nicht mehr.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem,
von Gott aus dem Himmel herabkommen.
Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her,
die sprach:
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und Gott wird bei ihnen wohnen,
und sie werden sein Volk sein,
und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,
und der Tod wird nicht mehr sein,
noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein;
denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!

I
Ein neues Jahr hat begonnen.
Ein Jahr voller Hoffnung, voller guter Vorsätze.
Ein Jahr, das vor uns liegt wie ein weites Feld,
das bearbeitet werden will.
Die erste Furche ist gezogen.
Man kann die Aussaat gar nicht erwarten
und freut sich schon auf die reiche Ernte.

Für manche ist dieses weite Feld,
dieser Neujahrsacker,
keine Verheißung, sondern ein Grund zur Sorge und Unruhe.
Sie fürchten, dass das Unkraut vom letzten Jahr
dieses Jahr wieder hochkommt und die Saat erstickt.
Sie fühlen in sich nicht mehr die Kraft,
auch dieses Jahr wieder den Pflug anzusetzen,
den Samen auszustreuen;
sie würden das Feld am liebsten sich selbst überlassen.

Und wieder andere,
denen hat schon in der ersten Woche des neuen Jahres
ein Sturm das Feld verwüstet,
und sie wissen noch gar nicht,
wie es dieses Jahr gehen, wie es werden soll.

Ein neues Jahr hat begonnen.
Ein Jahr, das vor uns liegt wie ein weites Feld.
Was werden wir säen,
was werden wir ernten in diesem Jahr?

II
Vollmundig klingen die Worte Jesajas,
und siegessicher.
Aber hört und sieht man genauer hin,
fragt man sich: kann das denn sein?
Sind jemals Könige mit ihren Gaben nach Jerusalem gezogen,
die Völker zum Zion, dem Tempelberg, gewallfahrtet?
Haben je Kamele wie Sand am Meer die Stadt bedeckt
und Schätze sie erfüllt?

Nein, so ist es nie gewesen.
Es ist alles nur ein Traum.
Ein Traum, wie ihn Verlierer träumen.
Solch grandiosen Bilder malt sich in seiner Phantasie aus,
wer in der Wirklichkeit unterlegen ist:

Das Mädchen, das von seinen Mitschülerinnen getrietzt und gepiesackt wird, sieht sich in seinen Träumen als Albert Einstein, zu dem seine Peiniger am Ende aufsehen, den sie demütig um ein Autogramm, um einen Ratschlag bitten.

Der Junge, der nie genug Geld hatte, sich das zu leisten, was alle anderen besaßen, träumt vom Lottogewinn, vom großen Los, mit dem er sich alle Wünsche erfüllt.

Der Angestellte, den der Chef vor den Kollegen wegen eines Fehler demütigte, träumt sich in die Rolle des Chefs – und dann wird er es ihm mal richtig zeigen und ihm spüren lassen, wie das ist ...

Allmachtsträume, wie wir sie alle wohl schon einmal geträumt haben. Der Trost der Ohnmächtigen, der die peinliche Wirklichkeit ausblendet – und Kraft gibt, es wieder mit ihr aufzunehmen.

Solche Kraft geben die Worte Jesajas.
Gesprochen sind sie zu den Israeliten im Exil. Zu Menschen, die von ihrer Heimat weggerissen worden waren, weil ihr Land im Krieg unterlegen war, und die nun in der Fremde als Menschen zweiter Klasse leben müssen – ohne zu wissen, wann sie endlich wieder nach Hause gehen, wann sie endlich wieder Menschen mit Rechten und mit einer Zukunft sein dürfen.
Ihnen verspricht Jesaja nicht weniger, als dass Gott selbst sich ihnen zuwenden wird. Nicht weniger, als dass die, die sie jetzt ausbeuten und ausgrenzen, als Bittsteller mit Geschenken zu ihnen kommen werden.

III
Ist es nicht unverantwortlich, so etwas zu versprechen?
Wie kommt Jesaja dazu, Israel in seinem größten Elend eine Herrlichkeit vor Augen zu malen, die so unrealistisch ist, dass man es sofort durchschaut?

Auch Jesaja spricht seine Worte am Beginn eines neuen Jahres. Das Laubhüttenfest, zu dem diese Worte möglicherweise gesprochen wurden, beginnt zwei Wochen nach dem jüdischen Neujahr. Es geht Jesaja darum, das Feld für das kommende Jahr zu bereiten, Hoffnung zu geben, den Pflug noch einmal in die Furche zu setzen, trotz der Steine im Acker. Noch einmal mühsam den Samen auszustreuen, trotz der vielen Raben in der Luft, und trotz Dürre und heißem Wind auf die karge Ernte zu warten. Es geht ihm darum, Hoffnung zu geben auf Gott, der versprochen hat, dass nicht aufhören werden Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Gott, der angesichts des Elends seines Volkes die Distanz zu seinen geliebten Menschen aufgegeben hat, der als Licht aus dem Himmel auf die Erde kommt und seine Menschen erfüllt.
Gott, der sich an seine geliebten Menschen verschenkt, so dass sie sich fühlen wie die Fürsten. Größer noch als die Königin von Saba, die zwar unermessliche Reichtümer hatte, aber nicht Gott an ihrer Seite, Gottes Fülle in ihrem Leben.

Deshalb also der vollmundige Überschwang seiner Worte.
Deshalb also das so offensichtlich unrealistische Versprechen.
Und wir spüren es ja auch, dass diese Worte Mut machen, einfach durch ihren Klang, durch ihren Übermut, durch die Fülle, die aus ihnen spricht und strömt.

IV
„Mitten im Laubhüttenfest ging Jesus hinauf in den Tempel und lehrte. Er sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ 

Wieder ein Laubhüttenfest, wieder ein Jahresanfang, und wieder ist vom Licht die Rede. Und jetzt ahnen wir, was Jesaja meinte, als er schrieb: „über dir geht auf der Herr,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir“.

Es sind keine Könige nach Jerusalem gezogen.
Wohl aber zum ärmlichen Stall von Bethlehem,
wo sie dem Kind in der Krippe ihre Gaben brachten:
Gold, Weihrauch und Myrrhe.
In der Aufnahme der Weissagung Jesajas hat Matthäus gezeigt, wo die Herrlichkeit Gottes aufgeht, wo sie zu finden ist:
In einfachsten Verhältnissen.
Im Stall, bei den Armen, den Verlierern der Gesellschaft -
so wie auch der erwachsene Jesus sich den Außenseitern,
den Gedemütigten, den Verlierern zugewandt hat.

Gott ist sich selber treu geblieben.
So, wie er an Israel festgehalten hat
trotz aller seiner Fehler, seiner Uneinsichtigkeit.
Obwohl es seinen Feinden unterlag,
sein Land verlor -
so hält er an jeder und jedem von seinen geliebten Menschen fest.
Und so geht Jesus ganz nach unten,
um uns nah zu sein,
wenn der Jahresacker uns zu groß und zu steinig erscheint,
als dass wir ihn je würden bestellen können;
wenn der Sturm des Lebens alle unsere Arbeit zunichte,
alle Hoffnungen zerstört, allen Lebensmut genommen hat.

V
Ein neues Jahr hat begonnen.
Ein Jahr, das vor uns liegt wie ein weites Feld.
Was werden wir säen,
was werden wir ernten in diesem Jahr?
Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte,
Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
Gottes Glanz geht über uns auf auch in diesem Jahr.
Wir werden ihn entdecken
auf den Tautropfen, die auf dem Unkraut liegen,
im Schimmer der Steine auf dem Acker
und im Leuchten der Gesichter unserer Mitmenschen.
Und auch wenn wir zu kraftlos oder zu müde sind,
uns in den Pflug zu stemmen,
wieder einmal zu säen, wo doch die Raben schon kreisen,
dann will uns ein anderes Wort Jesajs Mut machen,
nach dem zu sehen, was von selbst in unserem Acker wächst:

Siehe, ich will Neues schaffen,
jetzt wächst es auf,
erkennt ihr's denn nicht?“

Amen.