Samstag, 28. November 2015

Gefäß sein


Predigt zum Emporenbild "Mariä Verkündigung" zum 1. Advent 2015 in der Johanniskirche Neudietendorf

Teil I: Der Engel

Liebe Schwestern und Brüder,

J.A.Heubach aus Arnstadt, der Künstler, von dessen Hand die Tafeln der Emporenbilder stammen, war kein Rembrandt oder Rubens. Seine Werke sind nicht in den Kunstmuseen zu finden, und sie werden auch nicht im Unterricht behandelt. Trotzdem war er ein Maler, der sein Handwerk verstand und sich etwas bei dem dachte, was er tat. Er "dekorierte" nicht nur, sondern gestaltete. Wohl vom Grafen erhielt er den Auftrag für die Emporenbilder, und der damalige Pfarrer wird ihm das Thema vorgegeben haben: das Leben Jesu sollte er darstellen, wie es die vier Evangelisten, die die Kanzel schmücken, überliefert haben.

Das Leben Jesu beginnt, wie jedes Leben, mit der Zeugung. Den Menschen auf dem Land war und ist, anders als den Städtern, dieser Vorgang aus eigener Anschauung vertraut. Damals, im ausgehenden 17. Jahrhundert mehr noch als heute, war nichts dabei, wenn der Eber die Sau bestieg, der Erpel die Ente oder der Kater die Katze. Schon für die Kinder war es ein normaler und alltäglicher Anblick, das natürlichste von der Welt. Und sie konnten sich denken, dass sie auf ähnliche, wenn auch nicht ganz so profane Weise gezeugt worden waren.
Aber Jesus wurde nicht so gezeugt; Maria wusste ja noch nichts von einem Mann. Wie aber soll man darstellen, was weder zu sehen, noch zu begreifen ist, weil der Vorgang sich jeder Vorstellung entzieht und im Geheimen stattfindet?

J.A.Heubach fand eine Lösung, die von seinen Zeitgenossen verstanden wurde und die auch wir noch verstehen.
Obwohl die Zeugung Jesu so geheimnisvoll und übernatürlich ist, wählt Heubach das Schlafzimmer Marias als Ort des Geschehens aus - der Ort, an dem Kinder zu allen Zeiten entstehen. Es kann also kein Zweifel daran sein, um was es geht; das große Bett im Hintergrund gibt der Phantasie jede Menge Spielmaterial. Und auch der Engel Gabriel ist alles andere als ein ätherisches Wesen: Seine muskulösen Arme, seine kräftigen Füße und sein derbes Gesicht mit den blonden Locken weisen ihn als kräftigen Bauernburschen aus, der dem Maler vielleicht Modell stand, und in dem sich die männlichen Betrachter wiedererkennen konnten.
Ein Mann und eine Frau, allein in ihrem Schlafzimmer. Bevor die Phantasie zu lebhaft werden kann, bemerkt sie den vor das Bett geschobenen Tisch, der den Weg hinein versperrt - als könne selbst ein Engel auf dumme Gedanken kommen. Doch auch der Engel ist bei näherem Hinsehen nicht auf ein Abenteuer aus. An seinem Gewand finden sich Stoffstreifen, die wie die Stola eines Priesters wirken. Sein Finger zeigt auf etwas in der Luft, so als wolle er der Taube die Flugbahn vorgeben. Er ist durch ein Wolkentor eingetreten, das sich in Marias Zimmer geöffnet hat. Der Himmel steht offen. Eine andere Dimension hat sich aufgetan. Es ist der Himmel, den Jesus das "Reich Gottes" nennt, der Himmel, in dem Gott uns ganz nah ist, wie jetzt der Maria. Diese Nähe Gottes drückt das Bild durch das Licht aus, das den Raum flutet, und durch die Taube, die vom Himmel herabschwebt - Sinnbild des Heiligen Geistes. Das Reich Gottes, eine andere, eine neue Wirklichkeit jenseits unserer oft so leid- und schmerzvollen Realität.

Auf diese neue, andere Wirklichkeit weist auch der zwölfblättrige Zweig, den der Engel in der Linken hält. Es ist kein Ölzweig, aber wie dieser soll er wohl ein Zeichen des Friedens sein, den das Reich Gottes bringt. Doch der Engel hält diesen Zweig wie ein Schwert und erinnert damit an die Cherubim mit dem feurigen Schwert, die den Eingang zum Paradies bewachen. Das Reich Gottes ist nahe, aber nicht da. Es scheint in unserer Welt auf als Licht, das Marias Zimmer erfüllt, aber wir können nicht hinein. Das Tor zum Himmel wird sich wieder schließen, das Licht wird verlöschen und auch der Engel wird nicht bleiben. Doch bevor er wieder gehen muss, lassen sie uns hören, was ein altes baskisches Volkslied von ihm erzählt:

Lied: „Der Engel Gabriel vom Himmel kam“

Teil II: Maria

Welche Lösung hat J.A.Heubach nun gefunden, um die geheimnisvolle Zeugung Jesu darzustellen? Im Gegensatz zur derben ländlichen Wirklichkeit draußen hat er eine sehr feine, geradezu subtile Darstellung gewählt. Sie erkennen sie, wenn Sie sich Maria genau ansehen.
Maria las in der Bibel, als das Wolkentor in ihrem Zimmer sich öffnete und der Engel aus dem Himmel zu ihr herübertrat. Ihre Hand, mit der sie den Zeilen beim Lesen gefolgt ist, liegt noch auf den Seiten des Buches. Maria zeigt damit quasi auf die Schrift, sie zeigt auf das Wort Gottes, mit dem sie sich bereits vor dem Kommen des Engels beschäftigt hat und das sie nun erfüllen wird. Denn nichts anderes ist Marias Schwangerschaft: Sie geht mit dem Wort Gottes schwanger; dem Wort Gottes, von dem der Johannesprolog sagt, dass Gott durch dieses Wort die Welt schuf und dass es Fleisch wurde. Maria nimmt das Wort Gottes in sich auf und gibt ihm durch sich selbst Gestalt. Wodurch nimmt sie das Wort auf? Durch die einzige Stelle, die bei Maria sichtbar entblößt ist. Sie ist ja mehr als züchtig bekleidet, lässt nicht das kleinste Fitzelchen Haut sehen. Sogar ihr Fuß, der unter dem bodenlangen Rock hervorlugt, ist beschuht, während der Engel Gabriel barfuß geht. Etwas aber lugt frech unter all dem Stoff und den Haaren hervor: Ihr linkes Ohr. Das Ohr ist der Weg, durch den das Wort Gottes zu Maria gelangt, und auf diesem Weg gelangt es auch zu uns. Denn so wie Maria gehen auch wir mit dem Wort Gottes schwanger, geben ihm Gestalt durch unser Leben, unser Handeln. Manchmal geht es uns so wie in dem Lied, das wir gleich hören: da ist unser Leben dornig und dunkel. Doch dann kommt ein Wort, das sich in uns festsetzt und ausbreitet, das wächst, bis wir ihm eine Gestalt geben. Dieses Wort hat die Kraft, die Dornen in Rosen zu verwandeln.

Allerdings können wir nicht machen, dass es geschieht. Schön wär's, wenn man bei Kummer, Sorgen, Leid oder Trauer einfach nur das richtige Wort bräuchte, und - schwupps! -, wären sie verflogen. Man kann das richtige Wort nicht einfach so hervorholen, man kann es auch nicht herbeizwingen. Es fliegt einem zu, wie die Taube auf dem Bild. Es ist der Heilige Geist, der das bewirkt; deshalb darf er auf dem Bild nicht fehlen. Er bewirkt das Wunder, dass die Dornen Rosen tragen, wie es das Lied uns singt:

Lied: "Maria durch ein Dornwald ging"

Teil III: Der Krug

Eine Sache haben wir noch nicht betrachtet. Etwas ganz Nebensächliches, geradezu Banales, das man übersehen könnte, wenn es sich nicht so aufdrängen würde, weil es in der Bildmitte steht, und dazu noch im Vordergrund: der Korb. Ein eigenartig geformter Weidenkorb, aus dem ein Stück weißer Stoff herausschaut. Sollte Maria so liederlich sein, dass sie ihr Nähzeug nicht ordentlich weggeräumt hat? Oder hat sie gar nicht in der Bibel gelesen, sondern gestickt und, als der Engel kam, schnell die Stickerei in den Korb gestopft und sich an die Bibel gesetzt, damit er ja keinen schlechten Eindruck von ihr bekommt?
Man könnte sagen, so ein Korb gehörte nun einmal in einen bäuerlichen Haushalt, deshalb ist er eben auf dem Bild dargestellt. Aber der Künstler, der auf alles Überflüssige verzichtete und sich bei jedem Detail seines Bildes etwas dachte, wird doch nicht ausgerechnet den Korb als reines Dekorationsstück gemalt haben?

Da ist zunächst einmal die eigenartige Form des Korbes; sie erinnert mehr an einen Topf, ein Gefäß: ein Hinweis auf die Schwangerschaft Marias.
Dann fällt einem vielleicht ein, dass Mose als Baby in einem Korb im Nil ausgesetzt wurde, wo ihn die Tochter des Pharaos fand und als ihren Sohn aufzog. Mose steht für den Bund Gottes mit seinem Volk Israel und für das Alte Testament. Jesus begründet das neue Testament, den neuen Bund, zu dem auch wir gehören; daran erinnern die Eisetzungsworte zum Abendmahl, wo es heißt: "dieser Kelch ist das Neue Testament (oder: der neue Bund) in meinem Blut".
Schließlich und endlich ist der Korb ein Gefäß: dazu da, etwas hineinzulegen, um es zu sammeln, aufzubewahren oder zu transportieren, seien es Eier, Äpfel oder Frühstücksbrote.
Mit diesem Korb gelangen wir in den Blick und ins Bild, wir, die Betrachterinnen und Betrachter. Der Korb lässt uns erkennen, dass auch wir, wie Maria, *Gefäße* sind: Gefäße für das Wort Gottes, um es einzusammeln und aufzubewahren. Deutlich wird das in der Weihnachtsgeschichte, deren vorletzter Vers lautet: "Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen". Und im Evangelium des heutigen Sonntages bekennt sie sich selbst dazu, dieses Gefäß für das Wort Gottes zu sein: "Siehe, ich bin des Herrn Magd", sagt Maria zum Engel Gabriel, "mir geschehe nach deinem Wort".

Wir sollen dem Vorbild Marias folgen und Gefäße für das Wort Gottes werden. Gefäße, in die es gelegt werden kann, die es aufbewahren, aber auch weitertragen zu Menschen, die es hören müssen. Indem wir Gefäße für das Wort Gottes sind, gewinnt Jesus, das Wort Gottes, Gestalt in uns. So werden, so sind wir der Leib Christi: indem Gottes Wort uns zu Herzen geht, uns ergreift und bewegt.

Heute, am 1. Advent, beginnt die Zeit des Wartens auf die Ankunft des göttlichen Kindes. Wir warten auf die Geburt Jesu und gehen ihm an den Sonntagen des Advent dabei entgegen. Auch wir machen uns auf einen Weg im Advent, der uns schließlich zur Krippe, zu Jesus führen wird. Denn Jesus wird unter uns geboren, hier, in dieser Gemeinde, die sein Leib heißt und ist. Er wird unter uns geboren, wenn und weil das Wort Gottes in uns wohnt, durch uns und unter uns Gestalt gewinnt.