Freitag, 25. März 2016

Lasst euch versöhnen!

Predigt am Karfreitag, 25. März 2016, über 2.Korinther 5,14b-21:

Weil einer stellvertretend für alle gestorben ist, sind alle gestorben. Und er ist stellvertretend für alle gestorben, damit, wer lebt, nicht mehr sich selbst lebt, sondern für den, der für ihn gestorben und auferstanden ist. Daraus folgt, dass wir von jetzt an niemanden mehr nach seinem Äußeren kennen. Selbst wenn wir Christus nach seinem Äußeren gekannt hätten, kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so. Das liegt daran, dass, wer zu Christus gehört, eine Neuschöpfung ist. Das Alte verging; sieh da, Neues ist entstanden. Das alles aber kam von Gott, der uns mit sich versöhnt hat durch Christus und uns den Auftrag zur Versöhnung gab, nämlich, dass Gott es war, der durch Christus die Welt mit sich versöhnt hat und ihnen ihre Verfehlungen nicht anrechnet und uns die Predigt der Versöhnung gab. An Christi statt wirken wir jetzt als Botschafter, indem Gott euch durch uns auffordert. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Gott hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit uns durch ihn Gottes Gerechtigkeit zuteil werde.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn man Bilder von den PEGIDA-Protesten sieht oder von den Demonstrationen vor Flüchtlingsheimen; wenn man sich die Reden der AfD-Führer anhört; wenn man Gespräche in der Bahn, beim EDEKA oder auf der Straße mit anhören muss, dann fällt eine Gemeinsamkeit auf, die man auf einen Begriff bringen kann: unversöhnlich. Was die Menschen, die der AfD ihre Stimme geben, mit dem Nachbarn verbindet, der sich in Tiraden über die Ausländer, die Bekannte oder die Politik ergeht, ist ihre Unversöhnlichkeit.

I
Unversöhnlich ist, wer schwer gekränkt wurde. Wer so verletzt wurde, dass nicht vorstellbar ist, wie dieser Schaden je wieder gut gemacht werden könnte. Da ist etwas zerbrochen, etwas ganz Grundlegendes und Grundsätzliches. Bei den Anhängern der AfD z.B. das Vertrauen in die Freiheit der Presse. Sie unterstellen den Medien, dass sie nicht wahrheitsgemäß berichten, die Wirklichkeit verzerren würden. Und das Vertrauen in die Politik, die offensichtlich „das Volk“, als das sich die AfD-Anhänger fühlen - auch, wenn die große Mehrheit des Volkes anders denkt als sie - nicht mehr versteht und nicht mehr vertritt.
Aber unversöhnlich stehen die Anhänger der AfD nicht nur der Politik und der Presse gegenüber, sondern auch den Flüchtlingen, die in unserem Land Schutz und die Chance zu einem menschenwürdigen Leben suchen. 
Da muss man fragen: Was haben diese Flüchtlinge den AfD-Anhängern angetan, dass sie ihnen so unversöhnlich begegnen? Was haben die, die aus Lebensgefahr, vor Terror und Schrecken, aus menschenunwürdigen Lebensverhältnissen geflohen sind und nun betteln, dass wir sie aufnehmen: was haben die verbrochen, dass es kein Mitleid für sie gibt? Was haben sie denen, die sich so vehement gegen sie wehren, getan?
Man wird antworten müssen: nichts haben sie ihnen getan.

II
Die Unversöhnlichkeit der PEGIDA und der AfD tritt besonders grell zutage, weil sich die Aufmerksamkeit der Medien auf sie richtet. Außerhalb des Lichtkegels der Kamerascheinwerfer fällt nicht auf, dass Unversöhnlichkeit nicht eine Domäne der AfD ist. Auch unter uns ist sie gang und gäbe: 
Wie oft wird als Begründung für einen Kirchenaustritt angegeben, ein Pfarrer oder ein kirchlicher Mitarbeiter habe sich falsch verhalten, ein Gottesdienst oder eine Amtshandlung sei nicht so gewesen, wie man sich das gewünscht hätte, oder „Kirche“ sei ganz allgemein nicht da gewesen, als man sie brauchte. Während man bei eigenen Fehlern Nachsicht erwartet und das Recht, es noch einmal zu versuchen, scheinen manche nur auf einen Fehler kirchlicher Mitarbeiter gewartet zu haben, um endlich einen Schlussstrich ziehen zu können.
Oder wie oft lassen wir uns bei unseren Entscheidungen, in unseren Einschätzungen, bei unserer Meinungsbildung leiten von negativen Erfahrungen, die wir machen mussten, oder die andere machten? Da ist jemand von einem Ausländer bestohlen worden, also sind alle Ausländer Diebe. Da kennt jemand einen, der keine Arbeit suchen will, sondern mit der Sozialhilfe zufrieden ist, also sind alle Sozialhilfeempfänger faul und arbeitsscheu. Ebenso könnte man behaupten, dass alle Senioren Nazis oder Genossen sind, weil einige von ihnen in der entsprechenden Partei waren; dass alle Jugendlichen Drogen nehmen, weil einige es tun.
Oder manchmal, da reicht schon eine falsche Bemerkung, ein Fehlverhalten, und jemand ist für uns gestorben, bevor wir ihn oder sie überhaupt richtig kennen lernten.
Woher kommt es, dass wir manchmal sofort persönlich verletzt oder gekränkt sind? Woher kommt es, dass wir manchmal so unversöhnlich sind?

III
Es liegt daran, dass wir uns meist vom äußeren Eindruck leiten lassen. Hat jemand dunkle Haare, dunkle Augen, dunkle Haut? Das ist bestimmt ein Ausländer! Auch, wenn man versucht, sich gegen diesen ersten äußeren Eindruck zu wehren: die Angst vor'm „schwarzen Mann“ sitzt so tief in uns, dass sie uns schon beeinflusst hat, bevor unsere Vernunft uns dazu raten kann, uns nicht von unseren Vorurteilen leiten zu lassen. In Afrika ist es übrigens genau umgekehrt: Da hat man Angst vor'm „weißen Mann“.

Vorurteile, Angst vor Fremdem und Fremden sitzen tief in uns. Darum ist es keine Frage der Bildung, ob man Vorurteile hat oder nicht, sondern eine Frage des Glaubens. Wem der Glaube fehlt, dem fehlt die Möglichkeit, sich zu versöhnen: Sich mit der eigenen Begrenztheit zu versöhnen, mit den eigenen Fehlern und Schwächen. Und darum auch die Fähigkeit, anderen Fehler, Schwächen, Grenzen zuzugestehen. Ihnen zuzugestehen, dass sie, wie wir, Menschen sind, die genau wie wir einfach nur Ruhe, Frieden, Liebe und Glück suchen.

IV
Bevor Versöhnung geschehen kann, muss etwas Schreckliches passieren, etwas unfassbar Grausames und Ungerechtes: Ein Unschuldiger muss sterben, einen grausamen, schmerzvollen, erniedrigenden Tod. Der Tod dieses Einen, Christus, ist nötig, damit alles Äußerliche ein für allemal mit stirbt: Jeder erste Eindruck, jedes Vorurteil, jedes Beurteilen nach dem Aussehen, jedes Vertrauen auf eigene Schönheit, eigene Leistung, eigene Kraft. Sie sind mit Christus am Kreuz gestorben und gelten nicht mehr. Dafür gilt jetzt etwas Neues: das Neue, das mit dem Tod Jesu in die Welt gekommen ist, die Versöhnung. „Christ ist erschienen/ uns zu versühnen“, sangen wir schon zu Weihnachten. Christus hat die Versöhnung gebracht und hat uns mit Gott versöhnt.
Hat Gott denn Versöhnung nötig? Was haben wir ihm denn getan? Wer so fragt, den kann man zurückfragen: Was haben dir die Flüchtlinge getan? Wer den Flüchtlingen nur Schlechtes zutraut, sie für Menschen zweiter Klasse hält, der sollte sich sein Verhalten mal genauer ansehen, ob es über jeden Zweifel erhaben, ob Gott damit zufrieden ist.
Alle anderen aber müssen keine Angst vor Gott haben. Gott ist kein Oberlehrer, der pingelig jeden unser Fehler rot anstreicht und uns Noten für unser Verhalten gibt. Versöhnung mit Gott bedeutet nicht, dass wir Gott gegenüber etwas gut machen müssten - das können wir gar nicht, das hat Jesus für uns getan. Versöhnung mit Gott bedeutet vielmehr, dass wir mit unseren eigenen Ansprüchen, Idealen, Erwartungen versöhnt sind. Wir müssen nichts leisten, wir müssen nicht auf eine bestimmte Art und Weise sein, um vor Gott gut dazustehen. Und andere müssen das auch nicht. Gott erwartet nicht von uns, dass wir immer alles richtig machen. Gott erwartet nicht einmal, dass wir keine Angst vor Fremdem und vor Fremden haben. Aber er erwartet, dass, weil er uns diese Angst zugesteht; weil er uns zugesteht, dass wir fehlerhaft sind und Fehler machen, wir es auch anderen zugestehen. Also auch den Fremden zugestehen, dass sie Angst vor Terror, Gewalt und Krieg haben, die sie zur Flucht in unser Land treibt.

V
Durch Christus sind wir mit Gott versöhnt. Das ist eine gute und schlechte Nachricht zugleich. Gut ist sie, weil sie uns die Sorgen darüber nimmt, wie wir dastehen: Wir stehen gut da. Gott liebt uns so, wie wir sind. Schlecht ist sie, weil Gott möchte, dass wir auch alle anderen gut dastehen lassen, weil er sie genauso liebt wie uns. Das macht es uns schwer, die Versöhnung anzunehmen und gelten zu lassen. Darum wird immer wieder von ihr gepredigt. 
Hier, in der Gemeinde, im Gottesdienst ist der Ort, wo immer wieder und immer aufs Neue gebeten wird: lasst euch versöhnen mit Gott. Diese Bitte richtet sich nicht nur an die, die heute hier sind. Sie richtet sich an alle Menschen, auch an die Unversöhnlichen bei der AfD und bei PEGIDA.
Wir alle, die wir durch die Taufe zur Gemeinde gehören, sind Botschafterinnen und Botschafter dieser Versöhnung, für die Christus am Kreuz gestorben ist. Uns alle schickt er aus, seine Versöhnung zu predigen durch Wort und Tat. Christus hat den Tod auf sich genommen, damit wir unsere Unversöhnlichkeit aufgeben und uns um Versöhnung bemühen.

Lassen wir uns versöhnen.
Versöhnen wir uns mit unseren geplatzten Träumen, unseren verpassten Gelegenheiten, unseren falschen Entscheidungen.
Versöhnen wir uns mit unseren Vorurteilen über andere, mit unserer Angst vor ihnen, unserem Neid auf sie.
Versöhnen wir uns auch mit Gott, der so oft nicht will wie wir, der so oft schweigt, wenn wir nach einer Antwort suchen.

Lassen wir uns versöhnen und werden wir Botschafterinnen und Botschafter der Versöhnung! Führen wir die Sache Jesu weiter, für die er den Tod am Kreuz auf sich nahm!
Gerade heute, am Tag seines Todes, wiederholen wir für uns und für alle, die es hören wollen, seine Bitte und nehmen sie uns zu Herzen:
Lasst euch versöhnen mit Gott!
Amen.