Sonntag, 27. März 2016

Glauben an Geschichten

Predigt im Familiengottesdienst am Ostersonntag, 27. März 2016, über 1.Korinther 15,1-11:

Ich lasse euch aber, liebe Schwestern und Brüder, die Frohbotschaft wissen, die ich euch predigte, die ihr auch angenommen habt, in der ihr auch fest steht, durch die ihr auch gerettet werdet, in dem Wortlaut, in dem ich sie euch predigte, wenn ihr sie festhaltet, es sei denn, ihr glaubt ohne Sinn und Verstand.
Denn in erster Linie habe ich euch überliefert, was auch ich angenommen habe:
Dass Christus für unsere Sünden starb gemäß der Schrift,
dass er begraben wurde,
dass er am dritten Tag auferweckt wurde gemäß der Schrift,
und dass er Kephas erschien, darauf den Zwölfen.
Darauf erschien er mehr als 500 Schwestern und Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch leben, einige aber sind entschlafen. Darauf erschien er Jakobus, dann allen Aposteln. Als letztem von allem, quasi als einer Fehlgeburt, erschien er auch mir. Ich bin ja der geringste der Apostel, nicht einmal geeignet, Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgte. Gott sei Dank aber bin ich, was ich bin, und seine Gnadengabe für mich blieb nicht ohne Erfolg, sondern mehr als alle anderen plagte ich mich. Aber nicht ich, sondern Gottes Gnadengabe, die mit mir ist. Ob nun ich oder jene: so predigen wir, und so habt ihr geglaubt.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

man muss nicht alles glauben, was einem so erzählt wird.
Das lernt man schon als Kind, wenn man veräppelt und hereingelegt wird. Dann ärgert man sich, dass man man so leichtgläubig war, und nimmt sich vor, nicht mehr so schnell auf etwas hereinzufallen. In ein paar Tagen schicken wir uns wieder gegenseitig in den April. Dann darf man einen ganzen Tag lang andere hereinlegen, wenn man es schafft. Und sie dürfen einem nicht böse sein, dass man sie in den April geschickt hat.

I
Man muss nicht alles glauben, was einem so erzählt wird.
Muss man an die Auferstehung glauben?
Sie ist ziemlich starker Tobak und mit unserer Erfahrung und den Naturgesetzen nicht zu vereinbaren. Was einmal tot ist, so unsere Erfahrung, wird nicht wieder lebendig. Mit dem Tod geht etwas im Menschen kaputt, das kein Arzt der Welt reparieren kann. Von einem Moment zum nächsten wird aus einem lebendigen Menschen ein lebloser Körper, der nur noch so aussieht wie der Mensch, den man kannte und liebte. Aber der, den man kannte und liebte, ist nicht mehr da. Es ist, als sei er aus seinem Körper ausgezogen, fortgegangen und hätte den Körper als Hülle zurückgelassen, so, wie man abends seine Kleider ablegt.
Das alles soll jedoch für Jesus nicht gegolten haben. Bei ihm wurde es außer Kraft gesetzt. Er war tot - und wurde doch wieder lebendig. Kann man das glauben?

II
Wie ist es sonst, wenn wir etwas glauben?
Wenn z.B. jemand fragt: Glaubst du, dass es bald regnet?, was machen wir da? Wir gucken aus dem Fenster und schauen in den Himmel. Wir suchen nach Anzeichen, die auf Regen hindeuten, und wenn es nach Regen aussieht, sagen wir: Ja, du nimmst besser deinen Schirm mit.

Oder wenn jemand fragt: Glaubst du, du schaffst das? Dann sehen wir uns die Aufgabe an, überlegen, was dazu nötig ist, und wenn sie uns zu schwer erscheint, antworten wir: Nein, das schaffe ich nicht - oder: alleine schaffe ich's nicht, du musst mir helfen.

Oder wenn jemand fragt: Hast du mich lieb? …
Aber das ist keine Glaubensfrage - oder?
Dass man jemanden liebt, das glaubt man nicht, das fühlt man: Am Herzklopfen. An den plötzlich feuchten Händen. An den Schmetterlingen im Bauch. An der Wärme, die einen durchflutet, wenn man an den anderen denkt. Daran, dass dieser andere Mensch einen glücklich macht.
Aber wie ist es umgekehrt? Fühlt man auch, dass man geliebt wird?

Es ist wohl nicht so sehr das Gefühl, es sind eher Zeichen, die einen davon überzeugen, geliebt zu werden: Wenn der andere aufmerksam und zärtlich ist. Wenn er sich um einen bemüht.  Wenn man mit einem Kuss geweckt wird, eine Tasse Kaffee ans Bett gebracht wird. Wenn man Blumen geschenkt bekommt, oder einen Ring: Dann ist der oder die andere unübersehbar in einen verliebt.

Wie aber ist es im Alltag? Wie ist es zwischen Tür und Angel, wie, wenn man sich nervt, sich streitet? Wie ist es, wenn man dem anderen weh getan, sie oder ihn verletzt hat? Dann kann man oft nur glauben, dass der andere einen liebt - dass er einen trotzdem liebt. Manchmal fällt es ganz schön schwer, an die Liebe des anderen zu glauben …

III
Und unsere Kinder? Woher wissen die, dass wir sie lieben - mehr als alles andere? Woher wissen sie, dass sie für uns die schönsten, klügsten, wichtigsten, liebenswertesten Menschen der Welt sind? Wie wird der Glaube unserer Kinder an unsere Liebe so sicher und so fest, dass er nicht erschüttert wird, wenn wir mit ihnen schimpfen, wenn wir uns mit ihnen streiten, wenn wir keine Zeit für sie haben, wenn wir müde und genervt von der Arbeit heimkommen, wenn sie das erste Mal allein auf Klassenfahrt sind oder eines Tages von zuhause ausziehen?

Wir haben ihnen hoffentlich zeigen können, wie sehr wir sie lieben. Wir haben sie hoffentlich oft genug im richtigen Moment in den Arm genommen, ihnen Trost gespendet, wenn sie ihn brauchten, ihnen zugehört, wenn es nötig war, sie oft genug gelobt, sie oft genug angelächelt und angestrahlt, dass ihr Liebesakku voll aufgeladen ist, wenn sie ihre eigenen Wege als Erwachsene gehen.

Und wir haben ihnen, wenn es gut ging, Geschichten weitergegeben. Geschichten, die von unserer Liebe zu ihnen erzählen. Das können unvergessliche gemeinsame Erlebnisse sein - eine Übernachtung im Zelt, ein toller Urlaub, ein abendlicher Spaziergang, das gemeinsame Spielen, Toben, Malen oder Kochen. Das kann die Gutenachtgeschichte sein, oder ein Lied, das man immer gemeinsam sang. Diese Geschichten erinnern unsere Kinder an unsere Liebe, wie uns unsere Geschichten an die Liebe unserer Eltern erinnern. Es sind kleine Schätze, die wir in uns tragen, und die leuchten und Wärme spenden, wenn wir sie herausholen, um sie wieder einmal anzusehen.

IV
Wenn es um die Auferstehung geht, haben wir nur Geschichten, keine Beweise, keine Augenzeugenberichte, keine Bilder oder Filme. Wir haben nur Geschichten, und mit Geschichten lässt sich nichts beweisen. Aber diese Geschichten sind wie die, die wir aus unserer Kindheit in uns tragen: sie sind Schätze, die uns eine andere Wirklichkeit aufschließen. Die Geschichten der Kindheit rufen uns, wenn wir eine gute Kindheit hatten, die Geborgenheit und Liebe bei den Eltern in Erinnerung.

Paulus erinnert die Korinther an die Geschichte der Auferstehung, die er ihnen erzählt hat. All die Zeugen, die er anführt, sind keine Augenzeugen in einem Beweisverfahren. Sie stehen für Geschichten - deshalb erinnert Paulus auch zweimal an die Bibel, wenn er sagt, dass es "gemäß der Schrift" geschah.
Die Geschichten, die von der Auferstehung erzählen, rufen uns in Erinnerung, wie sehr Gott uns liebt: So sehr, dass sein Sohn sich für uns ans Kreuz schlagen lässt. Sie rufen uns in Erinnerung, wie groß Gottes Liebe ist: So groß, dass der Tod sie nicht besiegen kann. Die Liebe ist stärker als der Tod. Damals, bei der Auferstehung Jesu, und auch heute - trotz aller Gewalt und allem Terror, die uns glauben machen wollen, dass die Macht der Fäuste, der Waffen, der Einschüchterung und des Schmerzes die Liebe besiegen könnte. Aber die Liebe wird sich immer gegen die Gewalt durchsetzen. Darum glauben wir an die Auferstehung: Wir glauben daran, dass Liebe und Menschlichkeit, dass Barmherzigkeit und Vergebung unbesiegbar sind.

V
Die wirklich wichtigen und entscheidenden Dinge im Leben kann man nicht beweisen. An die wirklich wichtigen und entscheidenden Dinge im Leben muss man glauben. Manche glauben nur an sich, an ihre Kraft, ihre Stellung, ihren Einfluss; an die Macht des Geldes, an die Macht der Gewalt. Dieser Glaube hat die schlagenden Argumente auf seiner Seite, deshalb sind so viele davon überzeugt, dass nur Geld, Macht und Gewalt zum weltweiten Frieden und zum persönlichen Glück führen.

Es sind nur wenige, die es besser wissen. Diese Wenigen sind die, die an die Geschichten glauben. An die kleinen Geschichten der Familie, und an die großen Geschichten der Familie Gottes, an Gottes Geschichte mit uns Menschen.
Von Gottes Geschichte mit uns Menschen, von seiner unumstößlichen Liebe zu jeder und jedem einzelnen von uns, erzählt uns die Bibel. Die Predigt über die biblischen Texte vergegenwärtigt uns Sonntag für Sonntag, dass diese Geschichten aktuell sind, dass sie uns und unsere Welt betreffen und dass sie einen anderen Weg eröffnen als den der Macht, der Gewalt und des Geldes. 

Zu diesen Geschichten gehört die Auferstehung. Sie ist die wichtigste, denn sie öffnet uns die Tür zu Gottes Wirklichkeit. Vor allem aber zeigt sie uns, dass es sich lohnt, auf die Liebe zu setzen. Weil die Liebe am Ende siegt und stärker ist als alles, was sich ihr entgegenstellen will - Hass, Neid, Gier, Rassismus, Unmenschlichkeit, Egoismus. Die Liebe ist stärker, stärker sogar als der Tod. Das feiern wir heute, an Ostern. Amen.