Sonntag, 4. März 2018

Der richtige Dreh

Predigt am Sonntag Okuli, 4.3.2018, über 1.Petrus 1,13-21:

Ihr habt euren Entschluss, Christ zu sein, wohlüberlegt gefasst.
Darum hofft auf die Gnade, die dadurch zu euch kam, dass Jesus Christus euch offenbart wurde.
Ihr seid im Glauben gehorsam; darum verfallt nicht wieder den früheren Begierden eurer Unwissenheit. Wie der heilig ist, der euch berufen hat,
sollt auch ihr Heilige werden in allem, was ihr tut,
weil geschrieben steht:
„Ihr sollt heilig sein, weil ich heilig bin“ (3.Mose 19,2).
Gott, unser Vater, urteilt unvoreingenommen nach dem, was jeder getan hat.
Wenn ihr zu ihm betet, lebt die Zeit, die ihr hier in der Fremde weilt, in Ehrfurcht.
Ihr wisst ja:
Nicht mit Vergänglichem, Silber oder Gold, seid ihr freigekauft
aus der falschen Lebensweise eurer Eltern,
sondern mit dem kostbaren Blut Christi wie eines tadel- und fehlerlosen Lammes.
Er war vor der Gründung der Welt dazu ausersehen,
erschienen ist er aber am Ende der Zeiten um euretwillen.
Durch ihn glaubt ihr an Gott,
der ihn von den Toten auferweckte und ihm Herrlichkeit gab,
damit euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott gerichtet seien.
(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

einen ungeheuren, unvorstellbaren Zeitraum umfasst der Predigttext,
von der Gründung der Welt bis zum Ende der Zeiten.
Wenn man es genau nimmt, ist es die Zeit selbst, die er umfasst.

Die Gründung der Welt und das Ende der Zeiten,
Anfang und Ende,
Neubeginn und Abschied,
in der Kirche stehen sie uns vor Augen,
wenn wir Kinder taufen und von Gestorbenen Abschied nehmen;
wenn wir dem Lauf des Kirchenjahres folgen,
an Weihnachten von der Geburt des göttlichen Kindes hören
und an Karfreitag seines Todes gedenken.

I. Anfang und Ende,
Neubeginn und Abschied,
das beschreibt auch gut das Leben eines Menschen:
unser Leben.
Wir werden geboren, wir müssen eines Tages sterben.
Wir fangen neu an - als Schülerin, Lehrling, Studentin;
wir fangen etwas Neues an als Freund oder Freundin, Vater oder Mutter, Oma oder Opa.
Und wir nehmen Abschied - aus dem Kindergarten, aus der Schule,
vom Elternhaus, von Kolleginnen und Kollegen, vom Berufsleben.

Unsere persönliche Zeit beginnt mit unserer Geburt,
und sie endet mit unserem Tod.
Vor unserer Geburt und nach unserem Tod gibt es für uns keine Zeit.
Wir wissen, dass die Welt vor uns existiert hat und nach uns weitergehen wird,
aber das hat für unser Leben keine Bedeutung.
Wenn ein Mensch geboren wird, beginnt seine Zeit, seine Welt.
Eine neue Welt, die mit seinem Tod wieder vergeht.
Das Leben eines Menschen ist seine Welt.
Die alten Griechen sagten dazu: sein Kosmos.

Jetzt verstehen wir vielleicht den Satz des Predigttextes besser,
dass Jesus vor der Gründung der Welt ausersehen wurde.
Aus wissenschaftlicher Sicht ergibt dieser Satz keinen Sinn.
Aber wenn wir unter der Gründung der Welt verstehen,
dass da unser Leben begann,
dann ist Jesus das Fundament, das unsere Lebens-Welt begründet.

II. Am Anfang dieser Lebens-Welt jedoch stehen die Eltern.
Sie prägen. Sie legen das Fundament, auf dem man sein Leben aufbaut.
Zuerst, indem man sie nachahmt:
So klug wie die Mutter, so liebevoll wie der Vater möchte man auch mal sein.
Später, indem man sich von ihnen abgrenzt:
Dieses Leben, das die Eltern führen, will man nicht;
man will alles ganz anders machen.

Als Christinnen und Christen nennen wir Gott „Vater“.
Indem wir Gott Vater nennen, tritt er an die Stelle unserer Eltern.
Und damit ändert sich das Fundament unseres Lebens:
Es ist nicht mehr das, was wir von den Eltern übernommen haben
oder was wir selbst in Abgrenzung zu ihnen aufbauten.
Es ist etwas Neues.

Etwas, das uns der Welt entfremdet.
Diese Welt, so schön und einzigartig sie ist,
diese Orte - seien es Rohr, Kühndorf oder Dillstädt,
oder aus welchem Ort sonst wir kommen mögen -
sind nicht unser Zuhause.
Das, was wir unser „Zuhause“ nennen, ist nicht unser Zuhause.
Wir sind „Gäste und Fremdlinge“ in dieser Welt,
weil wir in Gottes Reich gehören und darauf warten, dass es kommt.
Wir sind den Geflüchteten näher,
die in unser Land kommen auf der Suche nach Schutz
und einer Erfüllung ihrer Träume und Hoffnungen,
als denen, die behaupten, dies sei „ihr“ Land
und sie hätten zu entscheiden, wer hier leben dürfe und wer nicht.

Der Glaube an Gott macht uns nicht nur zu Fremden im eigenen Volk,
er entfremdet uns auch von dem,
was allgemein als wertvoll angesehen wird: von Geld und Besitz.
Der Glaube lehrt uns, dass nicht das wertvoll ist, was man besitzt,
sondern das, was man für andere Menschen tut:
Das, was man anderen zuliebe tut, schafft einen Schatz im Himmel,
den Motten und Rost nicht zerstören können.
Darum ist auch das Blut Christi kostbarer als alles Geld der Welt,
weil es das Ergebnis einer einmaligen und besonderen Tat ist:
Es wurde uns zuliebe vergossen.
Jesus gab sein Leben hin für uns, für Sie, für Sie, für mich.
Das ist ein Guthaben, das uns gutgeschrieben wurde
und das wir niemals aufzehren können.

III. Jedes Menschenleben ist ein Kosmos, eine Welt.
In diese Welt kommt Christus.
Wie er an Weihnachten zur Welt kommt,
so tritt er in die Welt einer jeden und eines jeden von uns ein.
Er war schon da, bevor wir geboren wurden.
Aber irgendwann gibt es einen Moment,
an dem man begreift: Er kam für mich.
Hat man das einmal erkannt,
sieht man mit anderen Augen auf die Welt und seine Mitmenschen:
Christus kam um meinetwillen.
Für Jesus dreht sich alles um mich,
für ihn bin ich der wichtigste Mensch der Welt.

Darum muss ich mich nicht mehr um mich selber drehen.
Ich kann mich aus mir selbst herausdrehen
und mich zu anderen hindrehen, mich ihnen zuwenden.
In dem Augenblick, indem ich nicht mehr auf mich sehe,
sondern auf die andere, den anderen,
entdecke ich, dass er, dass sie ein Kosmos ist.
Und wie wunderbar und einzigartig ist diese Welt,
die dieser andere Mensch ist!

IV. Versuchen wir, diese Drehbewegung nachzuvollziehen:
Aus uns heraus und von uns weg zum anderen.
Entdecken wir, dass der andere, die andere eine Welt, ein Kosmos ist,
genau wie wir.

Wissen Sie, wie man solche Leute nennt,
die fremde Welten entdecken?
Kosmonauten.
Um Kosmonautin oder Kosmonaut zu werden,
braucht man nicht in Baikonur zu trainieren.
Man kann das in Dillstädt tun, in Kühndorf, in Rohr, und an jedem anderen Ort der Welt.
Dazu muss man nur diese eine Drehbewegung erlernen,
mit der man sich aus sich heraus dreht,
von sich weg zur anderen, zum anderen schaut.

Wer verliebt ist, macht das ganz automatisch.
Schwieriger ist es mit denen, die man nicht so gern hat.
Und noch schwerer ist es, sich denen zuzuwenden,
mit denen man eigentlich nichts zu tun haben will
aber nun eben einmal zusammenlebt. Oft wohnen sie direkt nebenan.
Es ist nicht leicht, zu solchen Leuten hinzugehen.
Es fällt schwer, sich für Menschen zu interessieren, die einem fremd sind.
Da hilft es, wenn man sich bewusst macht,
dass diese Welt, dieses Dorf, unser Zuhause,
so schön sie sind, nicht unser Zuhause ist.
Wir leben in der Fremde.
Wenn man sich in der Fremde aufhält, ist einem alles und jeder fremd.
Da verhält man sich automatisch vorsichtiger,
respektvoller, sorgsamer, aber auch neugieriger.

Wir leben in einer Welt, der die Christinnen und Christen fremd geworden sind
und die dadurch sich selbst fremd geworden ist.
Wir werden belächelt, bestaunt, bemitleidet, manchmal sogar beschmipft.
Was uns in dieser Welt hält und trägt,
sind nicht die eigenen vier Wände,
nicht das Guthaben auf der Bank oder die Vollkaskoversicherung.
Es ist Christus, das Fundament, auf dem sich unser Leben aufbaut,
der uns durch alles, was kommen mag, hindurch trägt.
Für uns christliche Kosmonauten ist er das Raumschiff,
mit dem wir fremde Welten entdecken:
Unsere Nachbarin, unseren Nachbarn.
Die Kollegin auf der Arbeit, den Fremden im Bus oder hier, direkt neben mir, auf der Kirchenbank.

V. Anfang und Ende,
Neubeginn und Abschied,
beschreiben das Leben eines Menschen:
unser Leben.
Irgendwann erscheint Christus in unserem Leben,
und alles wird anders.
Das ist manchmal nicht leicht.
Es ist nicht leicht, wenn einem diese Welt zur Fremde wird,
man quasi heimatlos ist, und das unter Menschen,
für die dieses Land, dieser Ort ihr Ein und Alles ist.

Es fällt nicht leicht, in einer Welt zu leben,
der die Christinnen und Christen fremd geworden sind.
Die nicht versteht, was wir feiern, woran wir glauben,
und die das auch gar nicht zu intreressieren scheint.
Zum Glück sind wir nicht allein.
Zum Glück kommt es dabei nicht auf unsere kleine Kraft an.
Denn wenn Christus erscheint,
tritt die Gnade in unser Leben.

Diese Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.