Samstag, 10. März 2018

Sein dürfen, wer man ist

Predigt am Sonntag Lätare, 11. März 2018, über Phillipper 1,15-21:

Paulus schreibt aus der Untersuchungshaft in Rom an seine Gemeinde in Philippi:

Einige verkündigen Christus aus Neid oder Streitsucht, andere aus gutem Willen. Die letzteren tun es aus Liebe; sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums einsitze. Die ersteren verkündigen Christus aus Eigennutz und unaufrichtig, weil sie glauben, mich im Gefängnis damit kränken zu können.

Was soll's! Wenn nur auf jede Weise Christus verkündigt wird, sei es unter einem Vorwand, sei es wahrhaftig, dann freut mich das.
Ich werde mich aber auch in Zukunft freuen! Denn ich weiß: Was ich erleide, wird mir letztlich Rettung bringen durch eure Gebete und durch die Unterstützung des Geistes von Jesus Christus, die ich erwarte und erhoffe. Denn ich werde keineswegs scheitern, sondern wie sonst schon immer, wird auch jetzt Christus in aller Freiheit an meinem Körper verherrlicht, entweder durch mein Leben oder durch meinen Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben bringt mir Gewinn.

(Eigene Übersetzung)

Liebe Schwestern und Brüder,

„wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“.
Ein bekanntes Sprichwort, das beschreibt,
wie für manche Leute Pech oder Unglück anderer
Grund zu Schadenfreude und Erheiterung sind.
Andere finden das ziemlich gemein
- vor allem jene, die vom Spott betroffen sind.

Manche solcher spöttischen Bemerkungen,
oft gedankenlos dahergesagt, tun weh, richtig weh:
Die Frage der Schwiegermutter an ihre Schwiegertochter,
was sie denn mitgebracht habe in ihre Ehe;
die Bemerkung über eine jungen Frau,
sie sei aber ganz schön pummelig;
die barsche Auskunft des Vaters an den Sohn,
dass er dazu zu dumm sei und es nie lernen werde.
Solche Bemerkungen verletzten wie Messerstiche.
Sie schneiden manchmal sogar Lebenschancen ab.
Man vergisst sie nie und leidet ein Leben lang darunter.

I. Worte können Waffen sein, und sie können verletzen.
Wer sollte das nicht besser wissen als Paulus!
Er selbst wurde Opfer solcher Worte:
Die Verleumdung seiner Gegner,
er wolle den Tempel entweihen und einen Aufstand anzetteln, brachte ihn ins Gefängnis.
Aber das scheint seinen Gegnern nicht zu reichen,
sie trietzen ihn weiter:
Während Paulus im Gefängnis auf seine Verhandlung wartet,
werden Gerüchte über ihn verbreitet,
werden er und sein Lebenswerk schlecht gemacht.

Es ist interessant zu sehen, wie Paulus auf die Versuche seiner Gegner, ihn zu kränken, reagiert.
Es gibt zwei Stellen im Brieftext,
die ich mir dazu mit Ihnen genauer anschauen möchte.
Beide Stellen handeln von einem Paradox.
Ein Paradox ist etwas, das den allgemeinen Erwartungen widerspricht.
Es ist ein Gedanke, der einem unlogisch vorkommt,
der aber, wenn man sich überwindet, ihn zu denken,
den eigenen Horizont erweitern kann.

II. Das erste Paradox ist,
dass Paulus von sich behauptet,
er sitze zur Verteidung des Evangeliums ein.
Paulus verteidigt also nicht sich selbst,
sondern das Evangelium.
Aber ein Gefangener verteidigt nicht etwas anderes, sondern sich selbst -
er will ja freikommen.

Paulus benutzt die Haft für sein Anliegen.
Er handelt wie ein politischer Gefangener,
der sein Unglück als Gelegenheit betrachtet,
seine Botschaft zu verbreiten.
Paulus nutzt seine unglückliche Situation zu seinen Gunsten.
Er lässt nicht das Gefängnis über ihn bestimmen,
sondern er entscheidet, was das Gefängnis bedeutet.

Wenn man diesen Gedanken auf unsere Zeit überträgt,
könnte man sagen:
Nicht die anderen bestimmen darüber,
wer und wie ich bin, was ich kann oder nicht kann.
Ich muss keinem Modeideal folgen, um schön zu sein.
Ich muss nicht so sein wie alle anderen,
um der oder die zu sein, die ich bin.

III. Wie kommt man zu solch einer Haltung?
Und wie hält man sie durch,
wenn einem die anderen ständig sagen und zeigen,
dass man nicht richtig ist,
wenn man nicht so ist wie sie?
Wer immer hört, dass er etwas nicht kann,
glaubt es am Ende selbst.
Wer immer hört, er sei zu dick,
kann sich selbst bald nicht mehr anders wahrnehmen,
kann die eigene Schönheit nicht wahrnehmen.
So werden Leben beschnitten, Chancen kaputtgemacht.

Paulus beruft sich für seine Haltung auf Christus.
Hier kommt das zweite Paradox,
der zweite scheinbar unsinnige Satz ins Spiel,
wenn Paulus schreibt:
„Ich werde keineswegs scheitern,
sondern Christus wird in aller Freiheit an meinem Körper verherrlicht“.
Wie kann Paulus von Freiheit sprechen, wenn er doch ein Gefangener ist?
Wohl darf er Besuch empfangen oder Briefe schreiben,
aber er sitzt in der Zelle, er ist nicht frei.
Und doch empfindet Paulus sich als frei.

Er ist frei, weil er selbst darüber bestimmt, wozu sein Leben dient.
Er hat sein Leben Jesus gewidmet:
„Christus ist mein Leben“, schreibt er.
Darum dient alles, was er tut
und ebenso alles, was ihm angetan wird,
seinem Lebensinhalt: Die gute Nachricht von Jesus zu verbreiten.
Und darum können die äußeren Umstände - wie zum Beispiel das Gefängnis
- nicht über sein Leben bestimmen.

IV. Kann Paulus ein Vorbild für uns sein?
Auf den ersten Blick würde man sagen: Nein.
Wer will schon sein Leben der Verkündigung widmen?
Na gut, Pfarrerinnen und Pfarrer machen das.
Aber für ein „einfaches Gemeindeglied“ ist das nichts.

Verkündigung ist aber nicht nur Predigt
und sie ist nicht nur Aufgabe der Pfarrerinnen und Pfarrer.
Alle Christinnen und Christen sind aufgefordert, Christus zu verkündigen.
Als Christinnen und Christen verkündigen wir mit unserem Leben, mit unserem Verhalten.
Daran, wie wir miteinander und mit anderen umgehen,
können andere Menschen etwas über unseren Glauben erfahren.
Wenn wir nicht mitmachen beim großen Kesseltreiben
oder beim kleinen Mobbing zwischendurch;
wenn wir Menschen nicht auf ein Bild festlegen,
dem sie zu entsprechen haben;
wenn wir Worte nicht benutzen,
um zu sticheln und andere damit zu verletzen,
sondern um zu ermutigen, zu loben, anzuerkennen:
Dann könnte das auf andere schon eine Wirkung haben.
Da könnte die eine oder der andere sich fragen,
ob das nicht auch etwas für sie wäre
und woher sie kommen,
unsere Freundlichkeit, unser Respekt, unsere Selbstsicherheit.

Sie kommen von Jesus.
Sie kommen davon, wie er uns ansieht.
Sie kommen davon, dass wir ihm recht sind so, wie wir sind.
Weil er uns nicht anders haben will.
Weil wir keine anderen werden müssen, um ihm recht zu sein.
Das ist mehr, als man unter seinen Mitmenschen erlebt.
Das ist sogar mehr, als Mutter und Vater,
Freund oder Freundin einem geben können.

V. Deshalb hat Paulus sich entschieden,
Jesus zu seinem Lebensinhalt zu machen.
Denn - hier kommt ein letztes Paradox -:
indem Paulus sein Leben ganz Jesus hingibt,
wird er frei, immer und unter allen Umständen er selbst zu sein.
Er muss niemandem gefallen.
Er muss es niemandem recht machen.
Er muss sich weder bücken noch verbiegen.
Das könnte doch vielleicht auch für uns ein Anreiz sein …