Samstag, 12. Januar 2019

Lass Gott nur machen!

Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias, 13.1.2019, über Josua 3,5-11.17

Josua sprach zum Volk:
Macht euch bereit, denn morgen wird Gott mitten unter euch ein Wunder tun!
Und er sprach zu den Priestern:
Hebt die Bundeslade auf und geht dem Volk voran!
Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.

Gott sprach zu Josua:
Heute beginne ich damit, dich vor ganz Israel groß zu machen,
damit sie erkennen, dass ich mit dir sein werde, wie ich mit Mose war.
Jetzt weise die Priester, die die Bundeslade tragen, an:
Wenn ihr das Ufer des Jordan erreicht, dann bleibt im Jordan stehen!

Josua sprach zu den Israeliten:
Kommt her und hört die Worte des Herrn, eures Gottes!
Daran sollt ihr erkennen, dass ein lebendiger Gott in eurer Mitte ist:
Er wird gänzlich vertreiben
den Kanaaniter und den Hetiter und den Hiwwiter,
den Perisiter und den Girgasiter und den Ammoniter
und den Jebusiter.
Seht, die Bundeslade des Herrn über alle Welt geht vor euch her in den Jordan!

Und die Priester, die die Lades des Gottesbundes trugen,
blieben im Trockenen stehen, mitten im Jordan.
Und ganz Israel zog im Trockenen hindurch,
bis das ganze Volk vollzählig durch den Jordan gezogen war.


Liebe Schwestern und Brüder,

was willst du einmal werden, wenn du groß bist?,
wird man schon als kleines Kind gefragt.
Und irgendwann fragt man sich selbst: Was will ich werden?
Was fange ich mit meinem Leben an?
Was mache ich aus mir und meinem Leben?

Es ist ein gewisser Luxus, wenn man sich diese Frage stellen kann.
Es bedeutet, dass man eine Wahl hat.
Frühere Generationen hatten oft keine Wahl;
sie mussten den Hof oder den Betrieb der Eltern weiterführen.
Das war so selbstverständlich, dass niemand fragte, ob sie das auch wollten.
Sie selbst wagten nicht, sich dieser Tradition zu widersetzen:
der Hof, der Betrieb waren ja nun einmal da.

Auch heute noch ist es ein gewisser Luxus,
wenn man frei entscheiden kann, was man einmal werden will.
Vor noch gar nicht so langer Zeit gab es kaum Lehrstellen,
und nur wenige Jobs.
Mancher verschickte 50, 60 oder 80 Bewerbungen,
bevor er eine Zusage erhielt;
da konnte man nicht allzu wählerisch sein.

I. Nicht jeder kann das werden, was er will.
Trotzdem spürt man die Verpflichtung, etwas aus sich zu machen.
Es ist zu wenig, einfach nur dazusein;
man muss auch etwas wollen, etwas schaffen, etwas erreichen.
Heinrich Böll erzählt dazu eine Geschichte,
die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“:

Ein portugiesischer Fischer wird von einem deutschen Touristen angesprochen,
als er gerade dösend in der Sonne liegt.
Der Tourist fragt ihn, wann er zum Fischen ausfahre.
Er habe seinen Fang für heute schon gemacht, antwortet der Fischer.
Der sei so reichlich gewesen,
dass er morgen und übermorgen nicht auszufahren brauche.
Der Tourist fühlt sich von dieser Antwort herausgefordert.
Er malt dem Fischer aus, was er alles erreichen könnte,
wenn er, statt faul in der Sonne zu liegen, noch einmal ausfahren würde:
Bald könnte er sich ein Motorboot leisten,
mit dem er dann noch mehr Fische fangen könnte.
Von dem Erlös des größeren Fangs könnte er Mitarbeiter einstellen
und weitere Boote kaufen.
Er würde eine ganze Fangflotte besitzen, die für ihn fischen würde.
Dann könnte er ein Fischrestaurant eröffnen und eine Fischfabrik, und …
„… ja, und was dann?“, fragt der Fischer. -
„Dann sind Sie so reich, dass Sie es sich leisten können,
faul in der Sonne zu liegen!“, ruft der Tourist aufgeregt.
„Das kann ich doch jetzt auch schon“, antwortet der Fischer.

Unsere Gesellschaft erwartet, dass man etwas aus sich macht
und dass man die Möglichkeiten, die man hat, so gut wie möglich nutzt.
„Wachstum“, „Wohlstand“, „Profit“ sind die Stichworte.
Nach den Maßstäben unserer Wirtschaft gemessen, ist der Fischer dumm,
wenn er nur so viel fängt, wie er braucht.
Genauso dumm ist es, Steuern zu zahlen
oder einen finanziellen Vorteil nicht zu nutzen.
Es ist dumm, mehr Geld für eine Ware zu bezahlen,
die man anderswo viel billiger bekommen kann.
Wegen dieser Logik gibt es in den Dörfern keine Geschäfte mehr.

II. In der Geschichte von der wunderbaren Überquerung des Jordan
geht es auch darum, dass einer etwas aus sich macht:
„Heute beginne ich damit, dich vor ganz Israel groß zu machen“,
verspricht Gott dem Josua.
Wie Mose das rote Meer teilte, damit die Israeliten es trockenen Fußes überqueren
und den Soldaten des Pharao entkommen konnten,
so wird Gott den Jordan aufstauen,
damit das Volk Israel keine nassen Füße bekommt.
Damit kann Josua beweisen, dass er der wahre und würdige Nachfolger des Mose ist.
„Wie ich mit Mose war, werde ich mit dir sein“.
Und wie Gott das Wasser des Jordan verdrängt,
so wird er auch alle Gegner vertreiben,
die das Volk Israel daran hindern wollen,
im Land jenseits des Jordans Fuß zu fassen.

Im Unterschied zur Geschichte vom Fischer
und zu den Erwartungen unserer Gesellschaft
ist es nicht Josua, der etwas aus sich macht.
Gott macht etwas aus ihm; er macht ihn „groß“.

Etwas aus sich machen, das kann jeder -
den Willen und die nötigen Mittel vorausgesetzt.
Aber groß gemacht werden, das passiert nur wenigen.
Dazu muss man entweder ganz besonders begabt sein,
oder man muss jemanden kennen, der einem dabei hilft, groß zu werden.
Man braucht Beziehungen. „Vitamin B“.

III. Aber muss man denn überhaupt etwas werden,
muss man unbedingt etwas aus sich machen?
Was ist daran so toll, „groß“ zu sein?

Jeder, der einmal am Ende der Befehlskette stand,
kann sich vorstellen, worin der Vorteil liegt,
wenn man nicht der ist, der tun muss, was andere sagen,
sondern selbst die Anweisungen gibt.

Und wenn man, wie der portugiesische Fischer,
faul in der Sonne liegen möchte,
braucht man zumindest ein Grundstück,
auf dem man seinen Liegestuhl aufstellen kann.
Man braucht genug zu Essen im Kühlschrank
und ein Dach über dem Kopf,
wenn die Abendkühle oder ein Regenschauer kommen.
Auch ein einfaches Leben wie das des Fischers muss man sich leisten können.

Und dann gibt es immer noch den Nachbarn,
der sich gerade ein neues Auto gekauft hat;
die Mitschülerin, die das neueste Smartphone besitzt.
Man möchte auch haben, was der andere hat;
man möchte auch einmal eine große Urlaubsreise machen,
auch einmal so schicke Sachen tragen,
auch einmal jemand sein, nach der andere sich umdrehen,
auf die andere neidisch sind;
man möchte jemand sein, der auf der Straße erkannt und gegrüßt wird,
dem man Bewunderung zollt, öffentlich dankt oder applaudiert.
Man möchte gesehen werden.

IV. Am heutigen Sonntag geht es um die Taufe.
Man fragt sich, was die Geschichte von der wunderbaren Überquerung des Jordan damit zu tun hat.
Na klar, es ist das Stichwort „Wasser“!
Aber das Wasser ist in dieser Geschichte verschwunden,
das ist ja gerade das Wunder!
Der Grund, warum diese Geschichte mit der Taufe in Verbindung steht, ist ein anderer:
Es ist die Zusage Gottes, Josua groß zu machen.
Groß wird man, wenn man etwas Besonderes leistet,
oder wenn man sehr erfolgreich ist.
Groß wird man auch, wenn man jemanden kennt, der einen groß machen kann.

Durch die Taufe werden wir in das Volk Gottes aufgenommen.
Wir sind jetzt per Du mit Gott,
der in der Geschichte der „Herr über alle Welt“ genannt wird.
Wir sind mit dem Oberboss befreundet.
Besser kann man es nicht treffen.
Eine wichtigere, berühmtere, mächtigere Person kann man im Leben nicht kennen lernen.
Wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen,
es könnte nichts aus uns werden:
Wir sind schon wer, weil wir zu Gott gehören.

Und zugleich wird durch diese Zugehörigkeit zu Gott deutlich:
Es geht bei Größe nicht um Geld, Macht, Besitz oder besondere Begabungen.
All das bekommen wir nicht von Gott.
Die Taufe gibt uns überhaupt nichts, was man in Geld umtauschen könnte.
Geld und Besitz sind für das Leben notwendig.
Aber sie sind nichts, was uns groß macht.
Wer sich an die Taufe hält, verzichtet nicht auf Geld und Besitz -
er braucht sie nicht. Oder nur so, wie man sie eben braucht,
wenn man sich morgens Brötchen holen
oder wenn man eine Freundin anrufen will.

V. Man kann arbeiten oder faul in der Sonne liegen;
man kann sich ein neues Auto kaufen oder das alte fahren, bis es auseinanderfällt.
Es spielt keine Rolle.
Wirklich wichtig ist nur das Ansehen, das wir bei Gott haben.
Und da müssen wir uns, Gott sei Dank!, keine Sorgen machen:
Gott findet uns großartig!
Gott ist mit uns so zufrieden, wie wir es nur ganz selten sind.
Gott ist stolz auf uns - und das, ohne dass wir dafür etwas leisten müssten.
Denn es ist viel schwerer, zu sein, als zu haben oder zu tun.
Es ist viel schwerer, ein Mensch zu sein,
der auf Gottes Liebe vertraut und sich von Gott angesehen weiß,
als sich durch Leistung sein Ansehen zu erarbeiten.
Es ist unendlich schwer, Gott machen zu lassen,
statt selbst alles machen zu wollen.
Dabei wären wir die Größten, wenn wir Gott nur machen ließen!