Freitag, 18. Januar 2019

Wie's geht

Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias, 20.1.2019, über Römer 12,9-16:

Liebe Schwestern und Brüder,

wann ist man eine* gute* Christin*?
Ich denke, darüber gibt es fast so viele Meinungen, wie Leute hier im Raum sind.
Das liegt zu einem nicht geringen Teil daran,
dass wohl jeder selbst eine* gute* Christin* zu sein meint.
Dann ist natürlich das, was man selbst am Glauben für wichtig oder entscheidend hält,
auch das, was eine* gute* Christin* ausmacht.

Für die* eine* mag das der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes und die Teilnahme am Leben der Gemeinde sein,
wozu auch die Mitarbeit in der Gemeinde und die Bereitschaft, etwas zu spenden, gehören.
Eine* andere* hält sich vom Gottesdienst und der Gemeinde fern, weil sie den Glauben der anderen als Heuchelei empfindet.
Sie* glaubt lieber für sich, und wie sie* das tut, geht niemanden etwas an.
Eine* dritte* sucht und findet Gott in der Stille, Weite und Erhabenheit der Natur.
Ihr* Gebet besteht nicht in Worten, sondern im Schauen und Staunen.
Einer* vierten ist das, was die anderen für Glauben halten, viel zu wenig;
sind die Gottesdienste nicht feierlich, nicht lebendig oder nicht modern genug.
Sie* sucht nach größerem Ernst, größerer Verbindlichkeit, tieferem Glauben.
Sie* sucht nach Gleichgesinnten, die ihren Glauben mit ihr zusammen fröhlich bekennen wollen.

Finden Sie sich in einem der vier Typen wieder?
Oder leben und erfahren Sie Ihren Glauben noch einmal ganz anders?
Wie gesagt, ich denke, es gibt fast so viele Meinungen, was „richtiger“ Glaube ist, wie Leute hier im Raum sind.

Aber wie glaubt man denn nun richtig?
Auf diese Frage gibt es, fürchte ich, keine Antwort.
Mit dem Glauben ist es wie mit der Liebe:
Da kann Ihnen auch niemand sagen, wie es richtig geht.
Deshalb ist es schrecklich aufregend, sich zu verlieben.
Weil man sich so unsicher ist und glaubt, alles falsch zu machen;
weil man nichts wissen, nur fühlen und vermuten kann -
und manchmal furchtbar daneben liegt.
Und zugleich ist es so schön, sich zu verlieben,
dass man es am liebsten immer wieder tun würde -
wenn es nicht noch schöner wäre, einen Menschen zu haben,
den man liebt und von dem man geliebt wird.

Weil man in Liebesdingen so unsicher ist, beobachtet man, wie die anderen es machen.
Man holt sich Rat bei der* Freundin*, guckt Liebesfilme oder liest Romane.
In Glaubensdingen macht man es nicht anders.
Man orientiert sich anfangs an jemandem, von der* man annimmt, dass sie* weiß, wie‘s geht.
Bis man selbst ein Gefühl dafür entwickelt hat, wie Glauben funktioniert.
Oder bis man von seinem Vorbild enttäuscht wird, weil es etwas tut, das im Widerspruch zum Glauben steht.
Auf der Suche nach Antworten in Glaubensfragen kann man auch Filme schauen oder Bücher lesen.
Die Bibel bietet sich da natürlich ganz besonders an.
Und da finden wir heute einen Text von Paulus, in dem er uns schreibt,
wie er meint, dass Glauben geht, und wie man in seinen Augen eine* gute* Christin* ist:
„Macht euch, was die Liebe angeht, keine Illusionen.
Verabscheut das Schlechte, indem ihr
- das Gute anstrebt;
- euch lieb habt wie Geschwister;
- euch gegenseitig an Respekt übertrefft;
- euch nicht zurückhaltet, wenn euer Einsatz gefragt ist;
- euch begeistern lasst;
- das, was ihr tut, für den Herrn tut;
- voller Hoffnung seid;
- Kummer ertragt;
- beharrlich betet;
- Anteil nehmt an der Not eurer Mitchristen;
- euch um Gastfreundschaft bemüht.
Segnet, die euch übelwollen. Verflucht sie nicht, sondern segnet sie.
Freut euch mit den Fröhlichen.
Weint mit den Weinenden.
Strebt miteinander nach einem Konsens.
Seid nicht hochnäsig, sondern lasst euch mit denen ein, die unter euch stehen.
Werdet keine Besserwisser.“

Sieht man sich die Liste der Dinge an, die nach Paulus eine* gute* Christin* ausmachen,
fällt neben der Länge dieser Liste auf, dass Paulus sie mit der Liebe beginnt.
Liebe ist nicht gleich Liebe, auch wenn wir im Deutschen nur ein Wort dafür haben.
Es ist etwas anderes, die Partnerin zu lieben oder seine Eltern;
Nächstenliebe unterscheidet sich völlig vom Verliebtsein,
und sogar sich selbst kann man auf unterschiedliche Weise lieben.
Die christliche Liebe ist die Liebe, über die man sich, Paulus zufolge, keine Illusionen machen soll.
Das könnte eine Szene aus einem französischen Spielfilm sein,
in der eine vom Leben und von der Liebe enttäuschte Mutter ihrer Tochter sagt:
„Mach dir über die Liebe keine Illusionen!“.

Paulus geht es nicht darum, uns Enttäuschungen zu ersparen.
Er möchte uns eine Spur, auf die seiner Meinung nach richtige Spur, setzen:
Wir sollen die Liebe zu Gott nicht als Schwärmerei verstehen,
oder gar als Ersatz oder Überbietung der irdischen Liebe,
- wie Nonnen im Kloster einen Ring tragen, weil sie mit Christus verheiratet sind.
Die christliche Liebe, wie Paulus sie darstellt, ist eine nüchterne Art der Liebe,
mehr Haltung als Gefühl.
Tatsächlich ist für die Nächstenliebe nicht einmal Sympathie nötig.
Mann muss seinen Mitmenschen nicht mögen,
um ihm zu helfen und freundlich zu ihm zu sein.

Die Liebe, die Paulus meint und die auch Jesus gepredigt hat,
ist also im Wesentlichen ein Dasein für andere.
Ein Glaube, dessen Fundament diese Art der Liebe ist, äußert sich im Dasein für andere,
im Miteinander, in Gemeinschaft: in der Gemeinde.
Damit macht Paulus deutlich, dass Glaube keine Privatsache ist.
Auch wenn ich es bin, die* glaubt,
ist mein Glaube nicht wie eine Kerze,
mit der ich mir zuhause im stillen Kämmerlein eine anheimelnde Stimmung schaffe.
Sondern Glaube ist wie ein Licht, das auf einen Leuchter gehört,
damit es für mich und andere hell wird.

Dieses Licht vertreibt die Dunkelheit - das Schlechte, wie Paulus schreibt.
Gegen dieses Schlechte geht der Glaube an.
Er ist also nicht nur ein Gefühl, ein Träumen von einer besseren Welt,
eine Flucht aus dieser Welt in die himmlische, ein Versinken oder eine Versenkung in Gott.
Sondern er ist Arbeit: ein tatkräftiges Angehen gegen das Schlechte.
Dieses Schlechte ist nicht irgendwo auf der Welt.
Es ist auch nicht eine einzelne Person, wie der Teufel.
Das Schlechte geschieht unter uns, in unserem Zusammenleben, in unserer Gemeinde.
Es geschieht, wie Paulus schreibt, immer dann, wenn man sich nicht anstrengt.
Das Schlechte passiert sozusagen von selbst.
Das Gute muss man wollen und dafür richtig hart arbeiten.

Der Glaube, wie Paulus ihn beschreibt,
hat so gar nichts von der Ergriffenheit, die einen in manchen Kirchen befällt,
bei einem Orgelstück oder einem besonders gelungenen Gottesdienst.
Er hat nichts Ekstatisches, ist kein Flug über die Unbilden des Alltags, hinauf in himmlische Gefilde.
Der Glaube, den Paulus beschreibt, ist anstrengend.
Er ist richtige Arbeit. Und nicht einmal Arbeit, die mir zugute kommt,
sondern Arbeit für andere. Dasein für andere.

Warum sollte man sich das antun?
Warum sollte man so glauben wollen?

Glaube ist, wie die Liebe, etwas, das man nicht beherrschen kann.
Wie man sich plötzlich verliebt, so kommt man auch unversehens zum Glauben.
Man kann den Glauben auch verlieren, wie einem die Liebe abhanden kommen kann.
Und wie man sich der Liebe der* Partnerin* nie sicher sein kann,
sondern immer wieder Zeichen der Liebe braucht,
so braucht auch der Glaube Vergewisserung.
Diese Vergewisserung kann man sich nicht selbst geben.
Sie kommt von der* anderen.
Die Vergewisserung durch die* andere* ist der Lohn dafür,
dass der Glaube ein Dasein für andere ist.

Und noch etwas bekommt man, wenn der Glaube ein Dasein für andere ist:
Man verliert sich selbst.
„Wer mir nachfolgen will,
der verleugne sich selbst“, 
sagt Jesus (Mt 16,24 parr). Und Paulus schreibt:
„Nun aber lebe nicht mehr ich,
sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20).
Der Glaube als Dasein für andere führt zur Selbstvergessenheit.
Man geht sich verloren, damit Gott eine* erfüllen kann.
So, wie ein Kind selbstvergessen im Sand spielt,
vergisst man als Erwachsene* sich selbst, wenn man für andere da ist.

Paulus hat uns gezeigt, wie er den Glauben versteht,
Ob wir seine Sicht auf den Glauben annehmen und für uns übernehmen wollen,
muss jede* selbst entscheiden.
Mit dem Glauben ist es wie mit der Liebe:
Da muss jeder seinen eigenen Weg finden und gehen.

Anders als in der Liebe aber geht man im Glauben nicht zu zweit, sondern in einer Gemeinschaft.
Und weil wir nun einmal besser darin sind, etwas Gutes zu zerstören als aufzubauen,
sollten wir Paulus‘ Worte bedenken.
Sie könnten uns dabei helfen, Gemeinde zu sein und zu bleiben
und unser Licht leuchten zu lassen in der Welt.

Amen.