Predigt am Sonntag Estomihi, 3. März 2019, über Lukas 10,38-42:
Auf der Wanderung mit seinen Jüngern ging Jesus in ein Dorf.
Eine Frau namens Martha nahm ihn gastfreundlich auf.
Sie hatte auch eine Schwester, die Maria hieß.
Die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte ihm zu.
Martha aber war von vielen Arbeiten in Anspruch genommen.
Sie trat an Jesus heran und sprach:
Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein arbeiten lässt?
Sag ihr doch, dass sie mir helfen soll!
Jesus antwortete ihr:
Martha, Martha, du machst dir Sorgen und Unruhe über so vieles; nötig aber ist nur eins.
Maria hat sich den guten Teil ausgesucht; den soll ihr niemand wegnehmen.
Liebe Schwestern und Brüder,
womit könnte man Ihnen eine Freude machen?
Bei einem Kleinkind ist die Antwort auf diese Frage noch recht einfach.
Es hat wenige Bedürfnisse: Schlafen, Essen und die Nähe von Mutter oder Vater.
Obwohl auch Kleinkinder ihre Momente haben, in denen sie todunglücklich sind und man sich verzweifelt fragt, was ihnen fehlt.
Manchmal reicht es, den Schnuller zurückzutun.
Manchmal versucht man gefühlte Stunden, das Kleine zu beruhigen.
Je älter man wird, desto komplexer und komplizierter scheinen die Bedürfnisse zu werden.
Eltern scheitern regelmäßig daran, es einem pubertierenden Jugendlichen recht zu machen und geben es irgendwann auf - zum Glück! In diesem Alter ist nichts lästiger und peinlicher, als von den Eltern ständig gefragt und betüdelt zu werden.
Zugleich sehnt man sich heimlich nach der Zeit zurück, als man noch einfach zu Mama oder Papa aufs Sofa krabbeln und sich ankuscheln konnte.
I. Womit könnte man Ihnen eine Freude machen?
Die Antwort auf diese Frage hängt ab vom Alter, vom Anlass und von dem, der fragt.
Geht es um ein Geburtstagsgeschenk? Will sich jemand bedanken?
Fragen die Eltern? Fragt eine Freundin oder Nachbarin?
Wie auch immer, als erstes denkt man wohl an materielle Dinge - je nach Frager und Alter des Gefragten von Süßigkeiten bis X-Box, von Blumenstrauß bis Diamantring oder von Bier bis Bohrmaschine.
Unsere wirklichen Wünsche, unsere wirklichen Bedürfnisse - die, über die man nicht offen spricht; die man höchstens der Partnerin oder dem Partner anvertraut - sind nicht materieller Natur.
Sie sind weitaus bescheidener, aber im Grunde viel anspruchsvoller und viel wertvoller:
Zeit mit Menschen, die man gern hat, die man liebt.
Zuhören, ohne dass der andere genervt oder abgelenkt ist; ohne dass im Hintergrund der Fernseher läuft und ohne dass der andere schon weiß, was man sagen wird.
Zärtlichkeit.
Zeit, Zuhören und Zärtlichkeit sind die Grundbedürfnisse jedes Menschen - neben Essen, Trinken und Schlafen.
Die einen bekommt man mehr oder weniger jeden Tag erfüllt, oder erfüllt sie sich selbst.
Auf die anderen muss man manchmal lange warten.
Manche warten wochen- oder monatelang.
Manche haben das Warten aufgegeben.
II. Jesus kommt bei Martha und Maria zu Besuch.
Ein Besuch ist immer eine Herausforderung.
Denn da stellt sich genau diese Frage: Womit kann man dem Gast eine Freude machen?
Auch hier gibt es keine Standardlösung. Es hängt davon ab, wie nah einem der Besucher steht, wie weit die Reise war und wie häufig man sich sieht. Als Faustregel kann gelten: je lieber, je weiter weg und je seltener Besuch, desto aufwändiger und umfangreicher die Vorbereitungen.
Der Gast soll an dem Aufwand, den man für ihn betreibt, ablesen können, wie gern man ihn hat, wie sehr er vermisst wurde.
Irgendwie ist das ja auch die Erwartung, die man als Besucher hat: Wenn man z.B. als Tochter oder Sohn nach längerer Zeit nach Hause kommt, wäre man schon enttäuscht, wenn einem nicht das Leibgericht aufgetischt würde.
Man kann gut verstehen, dass und warum Martha im Haushalt herumwirbelt.
Wahrscheinlich räumt sie schnell noch etwas auf, bezieht das Gästebett, legt Handtücher heraus, hat Essen auf dem Herd und überlegt, was es zum Nachtisch geben soll. Ein Kuchen zum Kaffee muss auch noch gebacken werden. Die Eier reichen nicht; jemand müsste zur Nachbarin, welche borgen - und wo steckt eigentlich Maria???
Maria kümmert sich um die Gäste.
Aber dazu ist jetzt keine Zeit. Die Gäste müssen sich einen Moment um sich selbst kümmern. Es sind ja genug, Jesus und seine Jünger; da fällt es nicht weiter auf, wenn die Gastgeberinnen einen Augenblick nicht dabei sind.
III. Martha in der Küche, Maria zu Jesu Füßen - da ist doch klar, auf wessen Seite man steht: Auf Marthas Seite. Wie Martha bringen auch wir unsere Freude über den Besuch, unsere Zuneigung und Liebe durch Geschäftigkeit zum Ausdruck. Unser Gast soll sich wohlfühlen. Er soll spüren, wie sehr er willkommen ist, wie lieb wir sie oder ihn haben - und Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.
Nach 12 Stunden Flug und 6 Stunden Autofahrt ist man wahrscheinlich auch froh und dankbar, wenn man erst einmal etwas zu essen bekommt, duschen und in ein frisch bezogenes Bett schlüpfen kann. Zum Erzählen ist morgen noch Zeit.
Aber man ist nicht nur Martha, wenn seltener und lieber Besuch aus der Ferne anreist.
Man ist immer Martha. „Kann ich dir etwas anbieten“ ist die erste Frage, die einem Gast gestellt wird. Oder, um es mit den drastischen Worten Bertold Brechts zu sagen: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“.
In unseren Breiten ist niemand so verhungert oder verdurstet, dass man sich zuerst um das leibliche Wohl kümmern müsste. Und doch ist es das erste - und oft auch das einzige - das man seinen Gästen anbietet. Mit Zeit, Zuhören und Zärtlichkeit tut man sich schwer, und zwar in aufsteigender Reihenfolge: Gelingt es meist noch, sich etwas Zeit für den Gast freizuschaufeln, wird es mit dem Zuhören - dem richtigen, zugewandten und einfühlsamen Zuhören - schon sehr viel schwerer. Von Zärtlichkeit ganz zu schweigen.
IV. Maria hat sich den guten Teil ausgesucht.
Während Martha in der Küche und im Haus wirbelt und schuftet, sitzt Maria bloß herum. Klar, dass ihr Teil der gute Teil ist, sie braucht keinen Finger zu rühren.
Aber Maria ist nicht faul, und sie ist auch nicht untätig. Sie bemüht sich ebenso um die Gäste wie Martha. Nur widmet sie sich nicht den materiellen Bedürfnissen der Gäste, sondern dem, was sie sich wirklich wünschen und womit sie ihnen eine Freude machen kann: Sie nimmt sich Zeit. Sie hört zu. Vielleicht spendet sie sogar Zärtlichkeit, indem sie die Füße Jesu berührt.
Man sieht es im Allgemeinen nicht als Arbeit an, sich für jemanden Zeit zu nehmen, ihr oder ihm zuzuhören.
Es ist aber Arbeit, wenn man sich dem anderen wirklich zuwendet und dabei darauf verzichtet, an sich zu denken, etwas für sich zu tun. Wer das einmal versucht, wird rasch merken, wie anstrengend es ist.
Was für die zwischenmenschlichen Beziehungen gilt, gilt auch für den Glauben.
Glaube umfasst auch all das, was man mit Martha in Verbindung bringt:
Sich für andere einzusetzen. Das Gemeindehaus, die Kirche in Ordnung und instand zu halten. Die Finanzen der Gemeinde im Auge zu behalten und nach Möglichkeit zu mehren.
Aber ebenso wichtig ist es, sich Zeit für Gott zu nehmen.
Gott zuzuhören, indem man betet, in der Bibel liest, den Gottesdienst besucht.
Und wie ist es mit der Zärtlichkeit?
Ich glaube, man kann auch zu Gott zärtlich sein,
wenn man behutsam mit seiner Schöpfung umgeht, mit Pflanzen, Insekten, Tieren und Menschen.
V. Martha und Maria - wir haben Anteil an beiden, wie beide ihren Platz und ihr Recht haben.
Es geht nicht darum, eine gegen die andere auszuspielen oder eine der anderen vorzuziehen.
Es geht darum, Prioritäten zu setzen: Ob erst das Fressen kommt und dann die Moral, oder ob an erster Stelle die Zuwendung zum Mitmenschen steht und dann die materiellen Dinge.
Man ist oft versucht, seine Unlust oder seine Schwierigkeiten damit, sich Zeit zu nehmen, richtig zuzuhören oder zärtlich zu sein, mit Betriebsamkeit zu überspielen. Wir hoffen, dass der andere trotzdem merkt, wie gut wir es mit ihm meinen, wie lieb wir ihn haben. Doch so sehr Liebe auch durch den Magen geht: Wichtiger ist, dass man sie zeigt, indem man sich für den anderen Zeit nimmt.