Samstag, 20. Februar 2021

Leidensgeschichte

Gedanken zum Predigttext für den Sonntag Invocavit, 21. Februar 2021, über Johannes 13,21-30

„Da sprach Jesus zu Judas: Was du tust, das tue bald.” (Johannes 13,27)

Jesus wird von Judas verraten. Mit dieser Geschichte beginnt die Passionszeit. Damit beginnt auch die Leidensgeschichte, in der Jesus auf seinen Tod am Kreuz zugeht. Eine Leidensgeschichte ist etwas, was man erleidet, was als Schicksalsschlag über einen kommt, dem man machtlos ausgeliefert ist. Nicht so Jesus. Er wird nicht wie seine Jünger weglaufen, als man ihn verhaftet, wird Spott, Misshandlung und Demütigungen ertragen. Wird sich auch nicht wehren, als man ihn ans Kreuz schlägt und einen langsamen, qualvollen Tod sterben lässt. Jesus wehrt sich nicht, und dennoch - und das macht den ganzen Unterschied aus - erleidet er dieses Schicksal nicht. Er hat es selbst so gewählt. Er selbst reicht Judas den Bissen, durch den er zum Verräter wird. Er treibt ihn sogar an: „Was du tust, das tue bald”, als könne das Ende nicht schnell genug kommen.

Unsere Leidensgeschichte wählen wir nicht selbst. Krankheit oder Tod eines lieben Menschen kommen über uns als Schicksalsschläge und verändern unser Leben - manchmal so sehr, dass wir es nicht wiedererkennen. Auch die Corona-Pandemie ist ein solcher Schicksalsschlag, der unser aller Leben nachhaltig beeinträchtigt hat. Wir haben uns das nicht ausgesucht, und wir hätten uns das auch nicht ausgesucht, wenn wir die Wahl gehabt hätten.

Hätte - dieses kleine Wort macht den ganzen Unterschied aus. Weil wir wissen, wie es vorher war, wie es anders sein könnte, darum ist das Leiden so unerträglich, darum erscheint es so ungerecht. Wir könnten gesund sein, frei, unbeschwert, glücklich - aber wir sind es nicht. Der Verzicht auf das „Hätte” fällt schwer, ist vielleicht gar nicht möglich. Doch wo er gelingt, wo man akzeptieren kann, dass das Leben so ist, wie es nun einmal ist, gewinnt man Freiheit. Freiheit, die Möglichkeiten zu sehen, die man trotz allem immer noch hat. Man erleidet sein Schicksal nicht, sondern nimmt es an - und entdeckt, dass das Leben noch immer Möglichkeiten, noch immer Schönes bereit hält.

Jesus weiß, was ihn erwartet. Er sieht den Weg vor sich, den er gehen muss, und geht ihn. Er sorgt selbst dafür, dass sein Schicksal sich erfüllt, indem er Judas zum Verräter macht und ihn losschickt. Wir sind nicht wie Jesus, und müssen es auch nicht sein. Was wir aber von ihm lernen können, ist, dass wir auch in scheinbar ausweglosen Situationen, in Verzweiflung, Leid und Schmerz, Herren unseres Lebens sind und bleiben. Denn unser Leben steht in Gottes Hand. Es steht in Gottes Hand, das bedeutet: das Urteil über unser Leben ist längst gesprochen. Es ist das „Siehe, es war sehr gut”, das Gott über seine Schöpfung gesagt hat. Unser Leben ist gelungen, ist gut, auch wenn wir es nicht so leben können, wie wir oder andere es sich vorgestellt haben. Es kommt nicht darauf an, dass sich erfüllt, was wir uns wünschen, dass wir erfolgreich sind, reich und berühmt - so schön das vielleicht wäre. Vielmehr kommt es darauf an, dass wir verstehen, dass Gott uns unser Leben gab. Wenn wir beten „Dein Wille geschehe”, bitten wir darum, das Leben, das Gott uns gab, annehmen zu können und es nicht anders haben zu wollen. Wir bitten darum, vom „Hätte” wegzukommen, zu sehen und anzunehmen, was ist. Das gibt uns die innere Freiheit, unser Leben anzunehmen. Dann erleiden wir das Leben nicht, sondern nehmen unser Schicksal an und entdecken die Möglichkeiten, die das Leben für uns bereithält.