Predigt am 3. Advent, 15.12.2024, über Röm 15,7
Liebe Schwestern und Brüder,
ich möchte mit Ihnen über einen Satz aus der Epistel nachdenken:
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zum Lob Gottes.
Christus klingt wie ein Nachname:
Jesus Christus, Vorname und Nachname,
wie Erwin Meier oder Frauke Müller.
Aber natürlich ist Christus kein Name, sondern ein Titel:
Es ist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes Meschiách -
wir sagen: Messias.
Meschiách bedeutet: Gesalbter.
Damit wurde ursprünglich der König Israels bezeichnet.
Die Bibel erzählt, wie der Prophet Samuel dem jungen David
Öl aufs Haupt gießt, ihn damit salbt
und ihn so zum Gesalbten, zum König macht.
Zur Zeit Jesu gab es den Staat Israel nicht mehr und auch keinen König.
Viele hofften darauf, dass sich die Verheißungen der Propheten erfüllen würden,
dass eines Tages der Messias kommt, ein Nachkomme Davids,
der in Israel das Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufrichtet.
Ein Reich, das alle Völker mit einschließt
und so der ganzen Welt Frieden bringt: Das Reich Gottes.
Jesus von Nazaret ist der Christus, der Messias.
Er ist gekommen, und er ist zugleich der Kommende.
Die Adventszeit ist nicht nur ein Warten auf Weihnachten,
auf die Geburt des Kindes, das der Christus ist, eine Vorbereitungszeit.
Die Adventszeit ist auch eine Zeit der Erwartung, dass Jesus wiederkommt,
dass sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit unter uns Wirklichkeit wird.
Wenn Paulus dazu auffordert, dass wir einander annehmen sollen,
wie Christus uns angenommen hat,
dann ist Christus genau dieser gekommene Kommende der Adventszeit.
Will sagen: Als Gekommener hat Christus uns angenommen.
Wir gehören zu ihm wie seine Jüngerinnen und Jünger,
die ihn zu Lebzeiten begleiteten.
Weil wir von Christus angenommen wurden, sind wir seine Zeitgenossen,
obwohl uns zwei Jahrtausende von ihm trennen.
Wir sind gleichzeitig mit ihm.
Er geht neben uns her, und wir sprechen mit ihm wie mit einem Freund.
Das Angenommensein durch Christus bringt uns in die Gemeinschaft mit Gott.
Diese Gemeinschaft war ursprünglich exklusiv,
sie galt nur Gottes Volk Israel.
Es gab die, die zu Gottes Volk gehörten,
und es gab die anderen, die Heiden, die Gójim, die außen vor blieben.
Natürlich bestand immer die Möglichkeit,
dass die eine oder der andere zum Volk Gottes dazustoßen konnte.
Es gibt Juden in jedem Teil der Erde,
chinesische Juden, indische, afrikanische oder mexikanische Juden.
Um dazuzugehören, muss man in die Gemeinschaft aufgenommen werden.
Die Bedingung dafür ist das Befolgen der Gebote.
Das äußerliche Zeichen dafür ist die Beschneidung.
Christus als der gekommene Kommende
hat uns in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen,
in die man ursprünglich nur dadurch gelangte,
dass man die Gebote auf sich nahm: Erst die Gebote, dann die Gemeinschaft.
Christus kehrt diese Reihenfolge um: Erst die Gemeinschaft, dann die Gebote.
Die Gebote bleiben geboten.
Aber unsere Beziehung zu Gott hängt nicht davon ab, dass wir sie halten.
Vielmehr halten wir die Gebote, weil wir mit Gott in Beziehung sind.
So, wie wir unsere Partnerin, unseren Partner,
wie wir unsere Kinder, unsere Freundinnen und Freunde unterstützen und fördern,
ihnen helfen und Gutes tun, wie es auch die Gebote verlangen.
Wir tun es nicht, weil wir müssen,
sondern weil wir mit ihnen in einer Beziehung stehen:
Weil wir sie lieben.
Weil sie unsere Partner:innen, Freund:innen, Kinder sind.
Natürlich scheitern wir hin und wieder.
Wir tun den Menschen, mit denen wir in Beziehung sind, nicht nur Gutes.
Wir tun ihnen weh.
Wir gefährden, wir zerstören Beziehungen.
Trotzdem fallen wir nicht aus der Beziehung mit Gott,
trotzdem gibt Gott uns nicht auf.
Christus kam zur Welt, um für uns zu tragen, was uns unerträglich macht,
was für uns unerträglich ist.
Rechtfertigung nennt Paulus das.
Nun ist Christus nicht nicht nur gekommen, er ist auch der Kommende.
Wir warten, dass er wiederkommt,
dass die Worte des Propheten Wirklichkeit werden:
„Jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht,
und jeder Mantel, durch Blut geschleift,
wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.“
Noch ist es nicht so.
Noch fließt Blut, noch flößen das Dröhnen der Bomber, Panzer und Stiefel,
das Sirren der Drohnen, das Fauchen der Raketen Angst und Schrecken ein.
Wir warten ungeduldig, dass es anders wird.
Wir warten, dass Christus wiederkommt.
Während wir angstvoll und ungeduldig warten,
können wir die Hände in den Schoß legen
und aus dem Fenster schauen, wo er nur bleibt, der Christus;
uns Sorgen machen, warum er noch nicht da ist.
Wir können wütend werden, dass er uns so im Stich lässt.
Oder wir können einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat.
Nicht, dass wir dadurch sein Kommen beschleunigten
oder aus eigener Kraft das Reich Gottes auf Erden errichteten.
Sondern „zum Lob Gottes“.
Das Lob Gottes macht Lust auf eine Beziehung zu Gott.
Wir werben für unsere Freundinnen und Freunde,
indem wir sie loben, indem wir gut von ihnen sprechen.
Dann möchten auch andere sie kennen lernen.
Das Lob Gottes lädt andere dazu ein, eine Beziehung mit Gott zu suchen.
In einer Beziehung mit Gott zu stehen bedeutet, Gottes Gebote zu halten.
Da werden Waffen aus der Hand gelegt.
Da wird abgerüstet, auch mit Worten.
Da wird gelobt und Gutes getan.
Wenn wir andere annehmen, geben wir ihnen die Chance,
in einer Beziehung mit Gott zu sein, wie wir es sind.
Wir geben ihnen die Chance, zu Menschen zu werden.
Menschen, wie Gott sie haben will.
Die Beziehung zu Gott verwandelt sie, wie sie uns verwandelt hat.
Nicht, dass wir auf einmal Mustsrschüler:innen wären.
Wir bleiben, wer und wie wir sind.
Aber wir werden menschlicher.
Der gekommene Christus weckt in uns den Wunsch, gut zu sein:
Wir wollen nicht gemein sein, nicht unbarmherzig,
nicht bösartig, nicht unmenschlich.
Der gekommene Christus hilft uns dabei
und rechtfertigt uns, wenn es uns manchmal nicht gelingt.
Wir warten auf Christus.
Dabei warten wir auf den, der gekommen ist
und vor zweitausend Jahren im Stall von Bethlehem zur Welt kam.
Und wir warten auf den Kommenden,
der der Welt den Frieden bringen wird,
von dem die Engel den Hirten so herzergreifend singen.
Während wir warten, können wir tun, wozu Paulus uns auffordert:
Einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat, zum Lob Gottes.