Ansprache zur Andacht an Epiphanias, 6.1.2025, über Mt 2,1-12
Liebe Schwestern und Brüder,
die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland
ist eine dieser herzzerreißenden Geschichten,
in denen sich am Ende das hässliche Entlein als Schwan entpuppt,
das Aschenbrödel den Prinzen heiratet
oder der kleine Junge aus ärmlichen Verhältnissen
der neue Lord Fauntleroy wird:
Ein Kind unbedeutender Eltern, geboren in einem Stall,
ist in Wahrheit ein König, den die Weisen anbeten.
Und nicht nur ein König, sondern der Christus;
der Messias, den die Propheten verheißen hatten.
Doch die Geschichte ist kompliziert.
Warum machen sich die Weisen für ein Baby auf den weiten Weg?
Sehen nicht alle Neugeborenen gleich aus?
Wenn man beide nebeneinander legen würde,
das Baby einer Königin und das Baby einer einfachen Frau,
ließe sich das eine nicht vom anderen unterscheiden.
Man sieht es dem Kind Jesus nicht an, dass es der Messias ist;
das muss er erst noch werden.
Dann gibt es auch bereits einen König in Jerusalem, Herodes.
Die Weisen gehen geradewegs zu ihm.
Das Kind eines Königs sucht man in einem Palast.
Aber die Weisen scheinen genau zu wissen,
dass sie den Messias nicht in Herodes’ Palast finden werden.
Ihre Frage, wo der Messias zur Welt kam,
ist Herodes gegenüber mindestens unhöflich,
wenn nicht sogar ein Affront, eine Kränkung,
die diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen könnte.
Und schließlich ist es die Nachricht von der Geburt des Königs selbst,
die in Jerusalem keineswegs Freude auslöst.
Dabei warten doch alle auf den Messias!
Doch dass er nun tatsächlich geboren sein soll,
was ein Blick in die Bibel bestätigt,
lässt die Jerusalemer Eliten erschrecken.
Herodes schmiedet sogar Mordpläne gegen das Neugeborene.
Die Weisen aus dem Morgenland
unternehmen eine weite, beschwerliche und gefährliche Reise,
um ein neu geborenes Kind anzubeten.
Normalerweise nimmt man eine solche Reise nur auf sich,
wenn das Kind ein Verwandter ist.
Selbst dann überlegt man, ob man den Besuch
nicht mit einem anderen Anlass verbinden kann -
einem runden Geburtstag zum Beispiel.
Auch zum Neugeborenen eines Königs würden sich nur
begeisterte Royalisten auf den Weg machen.
Allen anderen, Weisen zumal, wäre das nicht der Mühe wert.
Aber wenn der Messias endlich geboren wird,
auf den alle Gläubigen sehnsüchtig warteten
und den die Propheten schon vor Jahrhunderten verheißen hatten,
verlockt das auch die Weisen, sich auf den weiten Weg zu machen:
So etwas erlebt man nur einmal;
davon kann man noch seinen Urenkeln erzählen.
So begeistert die Weisen von der Geburt des Messias sind,
so wenig amused ist man im Palast.
Dabei könnte Herodes doch ganz gelassen bleiben:
Bis dieses Kind erwachsen geworden ist,
dass es ihm den Thron streitig machen könnte,
ist er als König längst in Rente.
Doch der Messias ist nicht einfach der König in Jerusalem.
Er ist der, der Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit bringt.
Frieden und Gerechtigkeit sind für einen Machthaber die größten Bedrohungen.
Er regiert mit Gewalt und festigt seine Macht durch Vetternwirtschaft.
Indem er einer Clique Vorteile verschafft,
die treu zu ihm hält und ihm nach dem Munde redet,
zieht er sich Unterstützer heran, die ihm helfen, seine Macht zu sichern.
Sie werden ihn verteidigen, weil sie damit ihre Pfründe verteidigen.
Gottes Frieden zeigt, dass Gewalt unmenschlich ist.
Gottes Gerechtigkeit gilt allen gleichermaßen
und nimmt sich besonders der Schwachen, Benachteiligten an.
Der Messias stellt den Machthaber bloß;
lässt das Unrecht erkennen, mit dem er seine Macht sichert.
Insofern kann man die Geburt des Messias
als Kampfansage an den Gewaltherrscher verstehen.
Herodes jedenfalls fasst die Geburt Jesu so auf
und schmiedet seinen Mordplan, um den Messias zu beseitigen.
Um seine Macht zu erhalten,
schreckt er nicht davor zurück, die Hoffnung zu zerstören,
die über Jahrhunderte wie ein wertvoller Schatz gehütet worden war.
Die Nachricht von der Geburt des Messias verursacht eine Krise in Jerusalem.
Eine Krise, die den Machthaber Herodes verunsichert
und ihn um seine Herrschaft bangen lässt.
Jesus, der Messias, löst diese Krise aus; er ist die Krise:
Er ist der Eckstein, an dem manche Anstoß nehmen,
und er wird es sein Leben lang bleiben.
Er legt sich mit Schriftgelehrten und Pharisäern an.
Er stürzt die Tische der Händler und Geldwechsler im Tempel um.
Er sagt, dass man nicht zwei Herren dienen kann,
sondern sich entscheiden muss zwischen Gott und dem Mammon.
Er lässt sich mit Leuten ein, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden
und lehrt, dass die Letzten die Ersten sein werden.
An Jesus scheiden sich die Geister.
Man muss sich entscheiden, für oder gegen ihn.
Der Glaube stellt uns immer wieder vor solche Entscheidungen,
ja, er ist die Entscheidung selbst.
Daran erkennen wir, dass wir eine Wahl haben.
Die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland
unterstreicht doppelt und dreifach,
dass Jesus der verheißene Messias ist.
Dieses Unterstreichen ist notwendig,
weil Jesus nicht so ohne weiteres als Messias zu erkennen ist.
Er hat nicht Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufgerichtet,
wie es die Propheten angekündigt hatten.
Statt dessen sprach er davon, dass dieses Reich Gottes
nahe herbeigekommen sei.
In ihm, Gottes Sohn, war es gegenwärtig - in ihm war Gott gegenwärtig.
Die Entscheidung für den Messias Jesus
bringt uns in den Machtbereich Gottes.
Gottes Machtbereich lässt uns die Mächte der Welt kritisch sehen.
Wir erkennen, dass wir nicht so handeln müssen,
wie wir es immer getan haben oder wie es alle tun,
sondern dass wir eine Wahl haben:
Wir entscheiden, wer wir sind und wer wir sein wollen.
In Gottes Machtbereich entdecken auch wir unsere besten Seiten
und werden sichtbar als die Prinzessinnen und die Prinzen,
als die Gott uns geschaffen hat.