Sonntag, 12. Januar 2025

gegen alle Widerstände

Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias, 12.1.2025, über Josua 3,5-11.17


Liebe Schwestern und Brüder,


die Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt

überschreitet man nicht ohne Gottes Segen:

- Wenn ein Kind geboren ist,

  bringt man es vor Gott und lässt es taufen.

- Wenn aus Kindern Leute werden,

  markiert die Konfirmation den Übergang

  zu Selbstbestimmung und Verantwortung 

  für das eigene Leben unter Gottes Segen.

- Wenn zwei eine Beziehung eingehen,

  erbitten und erhalten sie Gottes Segen,

  weil das Bleiben in einer Beziehung

  nicht allein in unserer Macht steht.

- Und wenn jemand gestorben ist,

  nimmt man Abschied vor Gott,

  um Trost zu finden und die Gewissheit,

  dass der oder die Gestorbene nun bei Gott geborgen ist

  und dass ihr wie uns ein neues Leben blüht

  in Gottes Gegenwart.


Es gibt diese Schwellen im Leben,

die wir alle einmal überschreiten müssen.

Und es gibt die vielen kleinen und großen Schwellen,

die jede und jeder für sich überqueren muss.

Allein, doch nicht ohne Gottes Segen:

- der erste Tag in der Schule;

- der Umzug an einen fremden Ort,

  in ein fremdes Land, wo Sprache und Kultur unbekannt sind;

- der Wechsel des Berufes,

  oder das Ende der beruflichen Tätigkeit;

- eine schwere körperliche oder seelische Erkrankung;

- das Eingeständnis eines Fehlers, einer Schuld;

- der Versuch der Versöhnung,

  des Neuanfanges einer Beziehung.


Manche Schwellen sind niedrig;

man geht hinüber und merkt es kaum.

Andere erscheinen riesig hoch, unüberwindlich.

Manche Schwellen sind tatsächlich Türschwellen,

aber meistens sieht man sie nicht.

Die Schwelle, die das Volk Israel überschreiten muss, 

ist ein Fluss: der Jordan.

Er führt gerade Hochwasser, als die Israeliten an sein Ufer kommen,

als sollte dadurch der Schritt, den sie gehen müssen,

noch größer und schwieriger erscheinen, als er ohnehin ist.


Was erwartet uns jenseits der Schwelle?

Ein neues Land. Das Land der Verheißung und der Träume.

Der Ort, wo ein neues Leben beginnen kann:

Wo man befreit ist von dem,

was zurückgehalten, behindert, gefesselt hat;

wo die Bedingungen und Voraussetzungen gegeben sind,

etwas Neues zu beginnen;

wo man endlich die Zeit hat, zu verwirklichen,

was man so lange ersehnte.


Hinter der Schwelle warten aber auch Widerstände:

Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, 

Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter.

Oder Krankheit, Einsamkeit, Armut, Feindschaft.

Oder Zweifel, Unsicherheit, Angst, Misstrauen.

Sie haben verschiedene Namen, die Widerstände;

für jede und jeden sind es andere.


Man wägt ab: Soll man hinübergehen, oder lieber nicht?

Wird das Neue die Widerstände aufwiegen,

die einem unweigerlich begegnen werden?

Wird man es schaffen, neu anzufangen?

Kann man sich selbst überwinden?


Das verheißene Land, in das die Israeliten ziehen,

ist schon besetzt.

Es ist besetzt mit Widerständen, die überwunden werden müssen,

wenn sie dort Fuß fassen wollen.

Auch wir finden keine tabula rasa vor,

kein weites Feld ohne Hindernisse,

keinen bestellten Acker, kein gemachtes Bett,

wenn wir etwas Neues beginnen.


Aber Gott verspricht Josua:

„Ich werde vor euch her vertreiben

die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, 

Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter.”

Wörtlich steht da: Ich werde sie enterben.

Sie verlieren ihre angestammten Rechte.


So will Gott auch dem seine angestammten,

angemaßten oder eingeräumten Rechte nehmen,

was uns vom Queren der Schwelle abhält:

Schlechte Erfahrungen, die wir gemacht haben,

Misserfolge oder Fehler;

die Angst vor Veränderung, Angst vor der Zukunft;

das mangelnde Vertrauen in unsere Fähigkeiten,

mangelndes Selbstvertrauen.

All das will Gott vertreiben

und Platz schaffen für Veränderungen,

für neue Erfahrungen.


Das klingt zu schön, um wahr zu sein.

Kann man das glauben?

Kann man sich darauf verlassen?

Das fragen sich die Israeliten,

die dies und das von den Leuten jenseits des Jordans gehört haben:

Stark und mächtig seien die, nicht zu bezwingen;

verschlagen seien die, denen sei nicht zu trauen;

unberechenbar seien die. Sie bringen einen vom Weg ab,

machen die besten Vorsätze zunichte.


Diese Zweifel sind nicht neu.

Auf der Wanderung durch die Wüste

haben sich die Kinder Israel wieder und wieder gefragt,

ob es klug war, alles aufzugeben für die Freiheit:

die Gewohnheiten, die regelmäßigen Mahlzeiten und festen Häuser.

Ob es nicht besser gewesen wäre,

die unerträglichen Verhältnisse weiter zu ertragen?

Man hatte sich schließlich daran gewöhnt.

Und im Rückblick fragt man sich,

warum sie einem damals eigentlich so unerträglich vorgekommen waren.

Was hatte sie nur dazu getrieben,

all das aufzugeben für das Unbekannte, das Unberechenbare,

für Unsicherheit, Ungewissheit und Gefahr?


Solch große Zweifel überwindet man nicht einfach so.

Die Sehnsucht nach dem Vertrauten meldet sich hartnäckig,

wieder und wieder.

Es bedarf eines Wunders,

sich auf das Unbekannte einzulassen,

den Schritt über die Schwelle zu wagen.


Dieses Wunder geschieht: Gott senkt die Schwelle für sein Volk,

indem er den Jordan versiegen lässt.

Sein Wasser bleibt im Oberlauf einfach stehen,

bildet einen Damm, wie bei der Flucht durchs Schilfmeer.

Gott lässt abfließen, was ihnen den Weg versperrt;

die Israeliten machen sich nicht einmal die Füße nass.


Dieses Wunder soll sie darin bestärken,

dass Gott auch alle Widerstände aus dem Weg räumen wird.

Wenn er den Jordan trocken legen kann,

wird er auch die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, 

Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter vertreiben.


Wo erleben wir das Wunder,

das uns die Angst vor dem Unbekannten nimmt?

Wie senkt Gott uns die Schwelle ab,

wie erleichtert er uns den nächsten Schritt?


Der Glaube bildet den Damm,

der den Widerständen Einhalt gebietet

und die, die da sind, abfließen lässt.

Er schafft sie nicht aus der Welt.

Neue Widerstände warten bereits:

die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, 

Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter -

oder welche Namen wir ihnen geben.

Aber im Moment des Übergangs sind wir frei von ihnen,

sodass wir den Schritt ins Unbekannte wagen können.


In der Begegnung mit Gott erleben wir,

dass Ängste kleiner werden,

Unsicherheit schwindet und Vertrauen wächst.

Gott vergewissert uns, dass er bei uns ist.

Er macht uns gewiss, weil er an uns glaubt,

weil er uns liebt, uns vertraut 

und uns den Schritt ins Unbekannte zutraut.

Das Wunder, mit dem er das bekräftigt,

ist die Auferstehung seines Sohnes.


Gottes Sohn hat in seiner Auferstehung 

alle Widerstände überwunden, sogar den Tod.

Der schwere Stein vor seinem Grab konnte ihn nicht zurückhalten:


„Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied;

wo sein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit.

Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not,

er reißet durch die Höll, ich bin stets sein Gesell.” (Paul Gerhardt, EG 112,6) 


Christus reißt uns unwiderstehlich mit sich.

Seine Auferstehung macht uns leichtsinnig, übermütig, risikofreudig.

Wir trauen uns was! und wissen, dass wir niemals allein sind,

wenn wir den nächsten Schritt gehen.

Gott begleitet uns. Er hält die Widerstände zurück.

Er hält uns und fängt uns auf, wenn wir fallen.


Die Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt 

überschreitet man nicht ohne Gottes Segen.


Darum feiern wir Gottesdienst an den Schwellen des Lebens.

Darauf feiern wir Gottesdienst an jedem Sonntag:

um Gottes Segen zu empfangen

für die kleinen und großen Schritte, die wir jeden Tag gehen.

Und um uns zu vergewissern, dass Gott bei uns ist in allem,

was uns Angst macht, uns zweifeln lässt vor dem nächsten Schritt,

und dass Gott allen Widerständen Einhalt gebieten wird.