Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis, 27. Juli 2025, über 1.Petrus 2,2-10
Liebe Schwestern und Brüder,
„ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum,
ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum.”
Fühlen Sie sich angesprochen?
Das sollten Sie. Denn Sie sind es. Sie sind gemeint.
Wir alle sind mit diesem Satz gemeint.
Wir alle sind „ein königliches Priestertum,” mit anderen Worten:
wir sind alle, jede und jeder Einzelne von uns, Priesterinnen und Priester.
Dieser Satz aus dem 1.Petrusbrief ist die Belegstelle
für das sogenannte „Priestertum aller Getauften.”
Wegen der großen Bedeutung,
die das „Priestertums aller Getauften” für unseren Glauben hat,
ist es nicht unwichtig, dass dieser Satz gerade in dem Brief steht,
der Petrus als seinen Absender nennt.
Von ihm sagt Jesus nämlich:
„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.
Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben:
Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein,
und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.”
Schauen Sie nach dem Gottesdienst mal in den Chorumgang,
in die „Vasenkapelle” auf der Südseite:
Dort finden Sie Petrus mit dem blauen Himmelsschlüssel im Fenster dargestellt.
Damit wird er vor allen anderen ausgezeichnet
und aus der Schar der Jünger herausgehoben.
In Rom, wo Petrus der erste Bischof gewesen sein soll,
wo er als Märtyrer starb und begraben wurde,
haben seine Nachfolger mit seiner Sonderstellung begründet,
dass der Bischof von Rom der erste unter allen Bischöfen
und das Oberhaupt der Kirche sei: Der Papst.
Petrus, der Briefautor, scheint davon nichts wissen zu wollen.
Er nimmt kein Privileg für sich in Anspruch, im Gegenteil:
Alle Gläubigen sind ohne Unterschied erwählt, heilig,
sind Gottes Eigentum und Priester oder Priesterinnen, schreibt er.
Alle Gläubigen haben den Schlüssel in der Hand,
mit dem sie sich und anderen den Weg zu Gott aufschließen können.
Weil Petrus das schreibt,
darum kennt und achtet auch die katholische Kirche
das „Priestertum aller Getauften.”
Trotzdem gibt es in der katholischen Kirche einen Unterschied
zwischen den Gläubigen und den geweihten Priestern.
Was ist denn nun eigentlich ein „Priester”, und wozu braucht man ihn?
Als das Telefon erfunden wurde - Sie erinnern sich -,
gab es noch keine Handapparate mit Tasten, wie wir sie heute kennen,
noch keine Telefone mit Wählscheibe und einer immer viel zu kurzen Strippe,
mit denen sich die Älteren unter uns herumplagten,
wenn sie in Ruhe ein privates Gespräch führen wollten,
ohne dass die ganze Familie mithören konnte.
Als das Telefon erfunden wurde, gab es nur einen Hörer und eine Sprechmuschel.
Wenn man den Hörer abnahm, bekam man das „Amt” - das Telegraphenamt.
In Schwerin befand es sich direkt gegenüber dem Dom; es wird gerade renoviert.
Am anderen Ende der Leitung, im „Amt”, saß eine Dame, das „Frollein vom Amt”,
der man seinen Gesprächspartner nennen musste.
Die sagte dann „Moment, ich verbinde”,
stöpselte Kabel auf einer großen Schalttafel um - und dann war man verbunden.
Er stellt die Verbindung her zwischen Mensch und Gott.
Uns ist diese Vorstellung fremd, weil wir -
eben: wegen des Priestertums aller Getauften -
einen unmittelbaren Zugang zu Gott haben.
Wir brauchen keine Vermittlung und keinen Vermittler mehr.
Die ersten Christinnen und Christen brauchten das auch nicht.
Jesus hatte Gott als „Vater” angesprochen
und gesagt: so sollt auch ihr Gott anreden.
Mit seinem Vater kann man direkt sprechen, ohne Umwege und Vermittler.
Sogar zu den Zeiten, als man seine Eltern noch mit „Sie”
und „Frau Mutter“ und „Herr Vater” anredete.
Aber als aus den Christinnen und Christen „das Christentum”
und aus den christlichen Gemeinden „die Kirche” wurde;
und als diese Kirche verstaatlicht und zur Staatskirche wurde,
da entstand parallel zum staatlichen auch ein kirchliches Beamtentum.
Wie man als einfache Bürgerin nicht einfach mit dem König reden konnte,
wenn man sich beschweren oder mal einen Schnack halten wollte,
sondern nur mit einem untergeordneten Beamten,
so gab es auch in der Kirchenbehörde Beamte, die Priester,
die zwischen einem weit, weit in den Himmel entrückten Gott
und den einfachen Gläubigen vermittelten.
Sie hatten den direkten Draht, den die Gläubigen nicht hatten.
Wer direkten Zugang zur Macht hat, verfügt selbst über Macht.
Die Kirche übte Macht über die Gläubigen aus,
indem sie sich zur Vermittlerin machte.
Sie bestimmte auch, was man zu glauben hatte
und was man auf gar keinen Fall denken und glauben durfte.
Es war die wohl größte und folgenschwerste Errungenschaft der Reformation,
dass sie die Gläubigen ermächtigte, selbst zu denken,
selbst zu beurteilen, was die Bibel über den Glauben sagt.
Wir können es heute, wo es Bibeln in Hülle und Fülle gibt,
nicht mehr ermessen, wie aufregend es für die Menschen zur Zeit Luthers war,
die Bibel in ihrer Muttersprache lesen
und miteinander darüber sprechen zu können, was es bedeutete, was sie da lasen.
Die Reformation ermächtigte die Gläubigen, indem sie ihnen die Bibel gab
und erklärte, dass alle Gläubigen Priesterinnen und Priester sind:
alle gleich unmittelbar zu Gott, alle gleichermaßen berufen,
alle gleich heilig, alle Kinder Gottes.
Schon 1520, drei Jahre nach seinem Thesenanschlag,
ging Martin Luther in zwei wichtigen Schriften auf das Allgemeine Priestertum ein.
Allerdings wäre Luther nicht Luther,
wenn er dabei nicht eine Einschränkung machte:
„Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen,
dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei,
obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben,”
heißt es in seiner „Adelsschrift”.
Um der Ordnung willen muss es dabei bleiben,
dass nicht jede und jeder Priester sein kann.
Bei Luther sind es wenigstens nicht die Kirche und der Bischof,
die einen Menschen zum Priester machen.
Vielmehr bestimmt die Gemeinde, wen sie für den Predigtdienst berufen will.
Wenn man vergisst - oder verschleiert -,
dass das Amt nur um der Ordnung wíllen eingerichtet ist,
bekommt man auch in der Kirche der Reformation
eine Priesterschaft, die Macht über die Gläubigen ausübt,
indem sie ihnen sagt, was sie zu glauben haben und was nicht,
und indem sie so tut, als könne sie das Heil vermitteln.
Wir alle sind Priesterinnen und Priester.
Dazu brauchen wir keine Erlaubnis, keine kirchliche Genehmigung.
Die Taufe hat uns dazu gemacht,
viele von uns, als wir noch Kinder waren.
Die Taufe ermächtigt uns dazu,
mit Gott wie mit einem Freund zu sprechen.
Sie ermächtigt uns dazu, selbst zu entscheiden,
was wir glauben wollen und was nicht.
Allerdings gibt es auch im 1.Petrusbrief das berühmt-berüchtigte Kleingedruckte.
In der Lutherübersetzung ist es nicht klein, sondern fett gedruckt:
„Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum,
ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum,
dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen,
der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht.”
Das Priestertum ist kein Selbstzweck.
Wir alle sind Priesterinnen und Priester,
weil wir tun sollen, was ein Priester tut:
Wir sollen verkündigen.
Das bedeutet nicht, dass jede und jeder von uns auf eine Kanzel steigen muss,
oder wahlweise auf eine Bananenkiste.
Man verkündigt nicht nur mit Worten,
sondern auch und viel eindrücklicher mit der Tat.
In der Art, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen,
wie wir ihnen begegnen, wie hilfsbereit, verständnisvoll,
freundlich und tolerant wir sind,
verkündigen wir „die Wohltaten dessen, der uns berufen hat.”
An unserer Freundlichkeit können Menschen sehen, wie freundlich Gott ist.
An unserem Glauben können Menschen erfahren, dass es sich lohnt, zu glauben.
Durch unsere Liebe führen wir den Beweis, dass es Gott gibt.
Es gibt noch ein zweites Kleingedrucktes, das ich nicht verschweigen darf.
Wir Priesterinnen und Priester sind zur Fortbildung verpflichtet.
Der 1.Petrusbrief sagt das so:
„seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein,
auf dass ihr durch sie wachset zum Heil.”
Die „vernünftige, lautere Milch” - das ist die Bibel,
die der Petrusbrief so ausgiebig zitiert.
Der Glaube verändert sich.
Er ist nicht derselbe, den wir als Kinder hatten oder als Jugendliche.
Er wird angefochten, er ist manchmal unsicher,
und manchmal kommt er einem abhanden.
Darum ist die Bibel das wichtigste Werkzeug jeder Priesterin, jedes Priesters.
Nur, wer sich mit Gottes Wort beschäftigt, kann im Glauben wachsen.
Die Taufe macht uns zu Priesterinnen und Priestern,
aber sie gibt uns nicht das Wissen, das man dafür braucht.
Das müssen wir uns erwerben.
Und wir hören nie auf, von Gottes Wort zu lernen.
„Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum,
ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum.”
Die Taufe macht uns zu dem, was wir sind.
Kein Pastor, keine Pastorin,
keine kirchliche Urkunde oder Bescheinigung.
Wir gehören zur Gemeinde, weil wir getauft sind.
Nicht, weil jemand so nett war, uns einzuladen.
Wir haben ein Recht, hier zu sein.
Und wir haben eine Stimme - wie alle anderen auch.
Das ist für mich die wichtigste Folgerung
aus dem Priestertum aller Getauften.
Und ich hoffe und wünsche mir, dass Sie das auch so sehen und empfinden können.
Dass Sie, jede und jeder von Ihnen, sich angesprochen und gemeint fühlen,
wenn Petrus schreibt:
„Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum,
ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum,
dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen,
der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht.”