Montag, 29. September 2025

auf der guten Seite

Ansprache zu Michaelis, 29.9.2025, über Lukas 10,17-20


Die 72 kehrten voller Freude zurück:

„Herr, auch die Dämonen gehorchen uns,

wenn wir in deinem Namen reden!”

Jesus sprach zu ihnen:

„Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel schlagen.

Seht, ich gab euch Macht,

auf Schlangen und Skorpione zu treten

und über alle Gewalt des Feindes.

Niemand wird euch jemals schaden.

Aber freut euch nicht darüber,

dass euch die Dämonen untertan sind.

Freut euch vielmehr darüber,

dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.”


Liebe Schwestern und Brüder,


72 Jünger sendet Jesus aus -

sie stehen symbolisch für die Zahl aller Völker der damaligen Welt.

Heute sind 193 Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen,

dazu noch Palästina und der Vatikanstaat.


Die Aussendung der 72 Jünger, die Lukas hier beschreibt,

dient nicht dazu, den Völkern das Evangelium zu bringen -

davon erzählt Lukas in der Apostelgeschichte.

Hier steht nicht ihre Predigt im Vordergrund,

sondern ihre Macht über die Dämonen.


Die Aussendung der 72 ist damit, wenn man so will, ein politischer Akt:

an ihr scheiden sich die Geister.

Sie werden dazu gezwungen, Farbe zu bekennen;

zu zeigen, auf welcher Seite sie stehen.


Heute, an Michaelis, denken wir nicht nur an die guten Geister,

die Engel, die Boten Gottes.

Sondern auch an ihren Widerpart,

sozusagen „die dunkle Seite der Macht”: die Dämonen.


Im Mittelalter stellte man sie sich als teuflische Monster vor,

die für alles Böse verantwortlich waren, das Menschen einander antaten,

das sie der Schöpfung antaten

und den Tieren, ihren Mitgeschöpfen.


Auf dem Loste-Altar sind die kleinen und großen Teufel

sehr eindrücklich dargestellt.

Manche:n gruselt es bei ihrem Anblick,

vor allem, wenn es im Dom dunkel ist.

Wenn man sich diese Figuren lebensgroß und lebendig vorstellt,

kann einem Angst und Bange werden.


Viele Menschen hatten und haben Angst vor dem Teufel -

allen voran Martin Luther.

Auf der Wartburg warf er einmal mit einem Tintenfass nach ihm.


Aber die kleinen Teufelchen auf dem Altar haben auch etwas Komisches.

Das war schon damals die Absicht des Künstlers,

der dieses Altarrelief schuf:

Damit illustrierte er, was Jesus seinen Jüngern sagt:

„ich gab euch Macht, auf Schlangen und Skorpione zu treten

und über alle Gewalt des Feindes.

Niemand wird euch jemals schaden.”


Der Teufel, den wir uns in unserer Phantasie ausmalen

und der uns solche Angst macht,

kann uns nichts tun.

Der Teufel, den wir uns vorstellen, ist nicht real.

Der Tintenfleck auf der Wartburg,

wenn er denn tatsächlich von Martin Luther stammt,

erzählt eine andere Geschichte:


Der Teufel ist keine Person

und auch keine böse Macht, der wir ausgeliefert sind.

Das Teuflische steckt in uns.

Nicht als Dämon, von dem wir besessen wären.

Sondern als Möglichkeit, die wir besitzen.

So, wie wir die Möglichkeit zum Guten besitzen,

haben wir auch die Möglichkeit, Böses zu tun.

Dazu braucht es keinen Teufel.

Es ist ein Teil von uns.


Die Tinte, mit der Martin Luther schrieb,

war weder gut noch böse.

Aber Luther schrieb damit Gutes,

wie seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen”,

die Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche

oder eines seiner vielen schönen Lieder.


Und er schrieb damit Böses,

lieferte die aufständischen Bauern ans Messer

mit seiner Schrift „Wider die räuberischen
und mörderischen Rotten der Bauern”
;

zeichnete ein Zerrbild des Papstes

und verfasste gegen Ende seines Lebens

antisemitische Schriften,

in denen er seinen Zorn über die Juden ausgoss,

weil sie sein Evangelium nicht angenommen hatten.


Es gibt also nicht das Böse in Person,

sondern in jedem von uns

sind die Möglichkeiten zum Guten und Bösen angelegt;

wir haben manchmal einen guten

und manchmal einen bösen Geist.


Bei manchen überwiegt der gute Geist,

bei manchen der Böse,

und wie die Guten die Möglichkeit zum Bösen haben,

so haben die Bösen auch die Möglichkeit zum Guten.

Nur ergreifen sie sie meist nicht.


Durch Jesu Namen scheiden sich die Geister,

und wie es die gute Seite gibt,

so gibt es auch die dunkle Seite der Macht.

Wir gehören auf die gute Seite,

weil wir auf den Namen Jesu getauft sind.


Zugleich müssen wir uns immer wieder

für eine Seite entscheiden: wo wollen wir stehen?

Wie die 72 sind auch wir dazu berufen,

die Geister zu unterscheiden

und die Dämonen auszutreiben,

indem wir sie beim Namen nennen.


Doch ihre Namen sind nicht Luzifer,

Satan oder Beelzebub.

Sie heißen: Superbia, Avaritia, Luxuria,

Ira, Gula, Invidia und Acedia -

zu Deutsch: Hochmut, Geiz, Genusssucht,

Rachsucht, Maßlosigkeit, Neid und Trägheit.


Das sind keine gehörnten, bocksbeinigen Ungeheuer,

sondern Möglichkeiten, die in uns schlummern.

Wir entscheiden, ob wir sie wecken

oder weiter in uns schlafen lassen.


Ganz frei sind wir allerdings nicht in unseren Entscheidungen.

Oft handeln wir erst
und überlegen dann, ob es richtig war -
und stellen fest, dass wir uns für die falsche Seite entschieden haben.


Darum mahnt Jesus die 72 Jünger,

sich nicht darüber zu freuen,

dass ihnen die Geister untertan sind.

Denn das gelingt einem nicht auf Dauer.

Es führt zu Leid und Schmerz,

wenn man mit Gewalt immer das Richtige tun will.


Sondern darüber sollen wir uns und die Jünger sich freuen,

dass unsere und ihre Namen im Himmel aufgeschrieben sind.

Sie und wir, wir sind auf der guten Seite.

Und das bleiben wir, komme, was wolle.

Selbst, wenn wir uns bewusst für die andere Seite entscheiden sollten,

die gute Seite steht uns immer offen;

dort ist ein Platz auf unseren Namen reserviert.

Und das ist doch ein Grund zur Freude.