Ansprache am Heiligen Abend, 24.12.2025, über EG 35, In dulci jubilo
Liebe Gemeinde des Heiligen Abends,
Jetzt ist es so weit.
Jetzt sind alle Vorbereitungen,
jetzt ist alles Warten ans Ziel gekommen:
Christus ist geboren und liegt als Kind in der Krippe -
hier, bei uns im Dom,
und zuhause in den Krippen,
die unter dem Weihnachtsbaum aufgebaut sind.
Alle Jahre wieder freuen wir uns
über die Geburt des Christus-Kindes,
als wäre es gerade eben erst zur Welt gekommen.
Hier, bei uns, und nicht schon vor 2.025 Jahren,
dem Beginn unserer Zeitrechnung,
in einem Stall in der Ortschaft Bethlehem.
Alle Jahre wieder freuen wir uns.
Und die Freude muss hinaus, will Gestalt gewinnen.
Wir singen die vertrauten Lieder.
Sie sind alt und ein bisschen angestaubt, diese Lieder.
Aber das stört uns heute nicht.
Heute müssen es gerade diese alten Lieder sein,
denn sie gehören seit Kindertagen
für uns zum Heiligen Abend dazu.
Eines der ältesten Weihnachtslieder im Gesangbuch
ist das Lied „In dulci jubilo;”
es stammt aus dem 14. Jahrhundert
und war ursprünglich in einem Mischmasch
aus Latein und Deutsch gedichtet:
„In duci jubilo nun singet und seid froh:
Unsers Herzens Wonne liegt in praesepio
und leuchtet wie die Sonne matris in gremio.
Alpha es et O, Alpha es et O.”
Im Gesangbuch ist es auf Deutsch abgedruckt:
„Nun singet und seid froh, jauchzt alle und sagt so:
Unsers Herzens Wonne liegt in der Krippen bloß
und leucht’ doch wie die Sonne in seiner Mutter Schoß.
Du bist A und O, du bist A und O.”
Dieses Lied bringt die Herzens-Freude zum Ausdruck,
die man erlebt, wenn man ein neu geborenes Kind in den Armen hält.
Ein Moment voller Glück, der eine:n für immer verwandelt.
Eine solche Verwandlung erleben wir auch an Weihnachten.
Eine solche Verwandlung erleben auch die,
die kein Kind in den Armen hielten.
Wir werden verwandelt zu Menschen,
die guten Willens sind.
Weil das Kind auf unserem Arm,
weil das Kind in der Krippe das Beste in uns weckt:
Die Fähigkeit und den Willen, Gut zu sein,
Gutes zu tun und anderen Gutes zu wollen.
Heute Abend wollen wir allen Menschen nur Gutes.
Dieses Wohl-Wollen, das uns alle bewegt -
das ist das Wunder von Weihnachten.
Wie schön, dass es hier in der Kirche beginnt!
Von hier aus geht es nach Hause,
zum festlichen Abendessen
oder zu Würstchen und Kartoffelsalat.
Danach kommt die Bescherung, die die Kinder herbeisehnen
und die auch manch Erwachsene:r ungeduldig erwartet.
Diese ungeduldige Erwartung greift die vierte Strophe
des Liedes „In dulci jubilo” auf:
„Wo ist der Freuden Ort? Nirgends mehr denn dort,
da die Engel singen mit den Heilgen all
und die Psalmen klingen im hohen Himmelssaal.
Eia, wärn wir da, eia, wärn wir da.”
„Eia, wärn wir da …” - lange hält man das Warten nicht aus.
Schon das Abendessen ist eine Geduldsprobe.
Man möchte endlich die Geschenke überreichen und auspacken!
Dabei geht es vielleicht gar nicht so sehr darum, etwas zu bekommen.
Wir haben ja eigentlich alles.
Manche:r würde sagen: Wir haben mehr als genug.
Es geht wohl eher um das Ende des Wartens,
um die Erfüllung der Erwartung.
Und dann? Was kommt danach?
Was kommt, wenn die Erwartung sich erfüllt hat,
was kommt nach der Bescherung?
Für die Kinder sind die nächsten Tage mit Spielen angefüllt,
mit dem Ausprobieren, dem Vergleichen der Geschenke.
Die Erwachsenen sind froh über die Ruhe,
die nach der Bescherung einkehrt.
Sie genießen das gute Essen,
die gemeinsame Zeit mit Eltern und Geschwistern,
mit Nichten und Neffen, Kindern und Enkeln.
Bis bei allen der Alltag einkehrt.
Dann muss man ein ganzes Jahr warten,
bis man wieder so singen und so froh sein kann
über das Kind, unsers Herzens Wonne,
das in der Krippe wie eine Sonne leuchtet,
auch in die Dunkelheiten unseres Lebens hinein.
Dieses Leuchten, das nehmen wir mit.
Hier und heute, aus diesem Gottesdienst,
nehmen wir ein Licht mit nach Hause.
Manche von Ihnen tun das vielleicht ganz real,
indem sie am Friedenslicht von Bethlehem
eine Kerze anzünden und mit nach Hause nehmen.
Wir alle nehmen noch ein anderes Licht mit nach Hause.
Das Licht, von dem das alte Lied singt.
Das Licht, das wie die Sonne leuchtet.
Dieses Licht ist Christus selbst, das Kind in der Krippe.
Als Erwachsener sagt er von sich:
„Ich bin das Licht der Welt.
Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht des Lebens haben.”
Alle Jahre wieder freuen wir uns
über die Geburt des Christus-Kindes,
als wäre es gerade eben erst zur Welt gekommen,
hier, mitten unter uns.
Und das ist es: Christus wird in uns geboren.
Wir spüren es daran,
dass wir erfüllt sind von seinem Licht;
wir spüren seine Wärme in uns. Sein Wohl-Wollen.
Dieses Wohl-Wollen leuchtet aus unseren Augen
und lässt es so auch für andere hell,
lässt es auch für andere Weihnachten werden.
Christus, das Licht, leuchtet uns auf unserem Weg.
In seinem Licht sehen wir, auf welchem Weg wir unterwegs sind:
Ob wir in seine Fusstapfen treten -
auch wenn sie vielleicht ein paar Nummern zu groß für uns sind.
Oder ob wir auf einem Weg sind, den Jesus nicht gegangen wäre
und von dem er auch nicht will, dass wir ihn gehen.
Christus, das Licht, weist uns den Weg.
Es ist sein Weg des Wohl-Wollens für alle Menschen.
Seine Liebe für uns und alle Menschen ist der Maßstab,
an dem sich unser Handeln messen lassen muss.
Auf dem Weg, den Christus uns weist, sind wir unterwegs,
dem Weg des Wohl-Wollens, das wir heute ganz besonders empfinden.
„Eia, wärn wir da”, seufzen wir manchmal,
wenn wir merken, wie schwer das ist,
anderen gegenüber guten Willens zu sein;
wie schwer es uns fällt, diesen Weg des Wohl-Wollens zu gehen.
Dann denken wir vielleicht an das Licht,
das wir heute mitnehmen und das in uns leuchtet.
Dieses Licht hält uns auf dem Weg,
gibt uns Orientierung,
tröstet uns und macht uns Mut,
auf dem Weg weiter zu gehen,
den Christus uns vorangegangen ist.
Denn das ist der Weg,
der uns, der die ganze Welt zum Frieden führt.