Predigt am 4. Advent, 21.12.2025, über Lukas 1,38
„Siehe, ich bin des Herrn Magd;
mir geschehe nach deinem Wort.”
Liebe Schwestern und Brüder,
die Antwort Marias hat es in sich,
und das in mehrfacher Weise.
Sie werden vielleicht, wie ich,
am Wort „Magd” Anstoß nehmen.
Umso mehr, weil man das griechische Wort δούλη
auch mit „Sklavin” übersetzen kann.
Dann würde Maria dem Engel antworten:
”Ich bin Gottes Sklavin …” -
eine Antwort, die man kaum ertragen könnte.
Warum? Weil eine Sklavin nicht sich selbst gehört,
sondern ihrem Herrn, und das im Wortsinn.
Ohne seine Zustimmung kann sie nichts tun,
während ihr Herr mit ihr tun und lassen kann,
was er will, als sei sie ein Gegenstand.
Kein Wunder, dass man auf das Wort „Sklavin” mit Abwehr reagiert.
Die „Magd” ist aber auch nicht viel besser dran.
Sie gehört zwar nicht ihrem Herrn,
aber sie ist von ihm abhängig
und darf wenig bis nichts allein entscheiden.
Außerdem muss sie Arbeiten verrichten,
die als „niedrig” angesehen werden,
wie putzen, Wäsche waschen oder kochen.
Das alles sind keine niederen Arbeiten -
nicht umsonst gilt Kochen als eine Kunst,
die als „haute cuisine” bezeichnenderweise
in der Regel von Männern ausgeübt wird.
In der Bibel, vor allem im Hebräischen Testament,
werden die Gläubigen häufig als „Knechte” oder „Sklaven” bezeichnet
und bezeichnen sich auch selbst so,
in den Psalmen zum Beispiel.
Dieses Verhältnis von Herr und Knecht
liegt Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers Definition
des Glaubens als einem
„Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit” zugrunde.
Bei diesem Gefühl handelt es sich nicht nur
um die Abhängigkeit eines Kindes von seinen Eltern,
die endet, wenn das Kind auf eigenen Füßen steht.
Nicht nur um die Abhängigkeit einer Magd von ihrem Herrn,
die weglaufen kann,
wenn sie es bei ihrem Herrn nicht mehr aushält.
Der Glaube ist nach Schleiermacher
ein Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit.
Das will sagen: Ein Leben ohne Gott
ist für eine Gläubige nicht vorstellbar,
es erscheint ihr unmöglich und sinnlos.
Im Gegensatz zur Magd oder zur Sklavin
hat die Gläubige dabei ein Mitspracherecht.
Sie kann nicht ohne Gott sein,
sie will es aber auch nicht.
Es war ihre Entscheidung,
und sie entscheidet sich immer wieder neu
für dieses Leben mit Gott.
So verstehe ich es,
dass Maria sich als „des Herren Magd” bezeichnet.
Sie sagt damit:
Ich kann nicht ohne Gott leben,
und ich will es auch nicht.
Ein Leben mit Gott bedeutet,
dass man Gott als Herrn über sich anerkennt.
Insofern ist man doch Magd oder sogar Sklavin.
Wir mögen diese Vorstellung nicht.
Wir sind der Meinung, wir seien unsere eigenen Herren
und könnten selbst über uns und unser Leben entscheiden.
Tatsächlich betrügen wir uns damit selbst.
Natürlich haben wir in unserer Gesellschaft
als Erwachsene das Recht,
selbst über unser Leben zu bestimmen.
Aber diese Selbstbestimmung ist eingeschränkt
und kann jederzeit weiter eingeschränkt werden,
wie die Debatte um die Wehrpflicht zeigt.
Wir können auch nicht einfach auswandern,
wenn es uns hier nicht mehr gefällt.
Außerhalb der EU wird es schwierig,
die Erlaubnis zur Einwanderung in ein anderes Land zu bekommen -
und auch dort gibt es einen Staat,
der den Spielraum seiner Bürgerinnen und Bürger
mehr oder weniger einschränkt.
Vor allem aber sind wir Zwängen unterworfen,
inneren und äußeren, die unser Leben bestimmen
und von denen wir meist nichts ahnen oder wissen.
Wir haben sie von unserer Familie,
unseren Eltern und Großeltern übernommen;
von Menschen und Einrichtungen,
die uns erzogen und dadurch geprägt haben.
Was wir gelernt haben, wie wir erzogen wurden,
beeinflusst unser Denken, Handeln und unsere Entscheidungen -
oft ein Leben lang.
Wenn aber Gott unser Herr ist,
tritt er an die Stelle dessen, was Macht über uns hat.
Dann wird all das, was Macht über uns beansprucht, zweitrangig.
Gottes Wille, Gottes Liebe steht über dem,
was uns an Werten und Normen überkommen ist.
Dadurch erlangen wir Handlungsspielräume,
gewinnen wir die Freiheit, uns zu entscheiden.
Wir sind also paradoxerweise gerade dann frei,
wenn Gott unser Herr ist.
In dieser Freiheit entscheidet sich Maria,
Gottes Sohn zur Welt zu bringen.
Man kann fragen,
wie frei Maria in ihrer Entscheidung wirklich war.
Bestimmt war sie überwältigt von der Begegnung mit dem Engel,
von der Aussicht, dass sie Gottes Sohn zur Welt bringen sollte,
was ihre Fähigkeit, frei zu entscheiden, einschränkte.
Sicherlich konnte sie sich als junge Frau noch nicht vorstellen,
was eine Schwangerschaft bedeutet
und wieviel Arbeit, Verantwortung und Sorgen
die Mutterschaft mit sich bringt.
Aber sie traf diese Entscheidung,
und darauf kam es an:
Ohne Marias Ja wäre Christus nicht zur Welt gekommen.
Ich meine nicht, dass Maria die Geburt Jesu
hätte verhindern wollen oder können.
Das ist hier nicht die Frage.
Sondern ich meine, dass Gott den Willen Marias respektierte,
dass er nicht gegen ihren Willen handeln wollte.
Hatte Maria denn eine Wahl?
Nein, die hatte sie nicht.
Sonst wären wir heute womöglich nicht hier.
Auch Jesus hatte keine Wahl,
als sein Weg ihn an das Kreuz führte.
Und doch entschied auch er sich dafür, diesen Weg zu gehen:
„Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir;
doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!” (Lukas 22,42)
Warum kommt es darauf an, dass Maria zustimmt,
wenn sie sich doch gar nicht anders entscheiden kann?
Wir haben unterschiedliche Vorstellungen davon,
ob und wie Gott in unser Leben eingreift.
Einig sind wir uns wohl darin,
dass wir uns manchmal wünschen,
Gott würde in unser Leben eingreifen
oder in das Leben eines anderen -
rettend oder helfend, strafend oder korrigierend.
Einig können wir uns wohl auch darin werden,
dass, wenn Gott handelt,
dann nicht so, wie wir es uns wünschen,
sondern auf eine Weise, die wir nicht erwarten.
So erging es auch Maria.
Maria hatte wahrscheinlich noch keinen Kinderwunsch,
als der Engel Gabriel sie besuchte.
Ganz sicher dachte sie nicht daran,
Gottes Sohn zur Welt zu bringen.
Auch wir erleben immer wieder etwas,
was wir uns nicht gewünscht haben -
Gutes, vor allem aber Schweres, Unangenehmes, Leidvolles.
Die wenigsten von uns würden sagen,
dieses Schwere, Unangenehme, Leidvolle in ihrem Leben
sei von Gott gekommen.
Ich glaube auch nicht, dass Gott uns Böses antut.
Uns wehtut, um uns damit zu bestrafen
oder auf die Probe zu stellen.
Im Gegenteil:
Gott möchte, dass wir heil und glücklich sind und werden.
Aber was wäre, wenn wir, wie Maria,
zu dem, was uns widerfährt, Ja sagen könnten?
Wohlgemerkt, nicht Ja sagen,
weil hinter dem Bösen, das wir erleiden oder erdulden müssen,
irgendwie doch ein guter Wille Gottes steht,
den wir nur noch nicht begreifen oder sehen können.
Gott will nichts Böses für uns.
Gott benutzt auch nicht das Böse,
um Gutes für uns zu erreichen.
Aber was wäre, wenn wir zu dem, was uns widerfährt,
Ja sagen könnten, weil es zu unserem Leben,
zu unserem Menschsein dazugehört,
dass wir auch Enttäuschungen, Kummer und Leid erfahren?
Kein Leben ist frei von Leid,
auch wenn es manchmal scheint,
dass manche mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurden,
dass manchen alles zufällt, alles gelingt,
während man selbst es schwer hat,
kämpfen und vieles entbehren muss.
Aber das ist kein realistischer Blick auf das Leben,
sondern ein von Neid oder von Illusionen verstellter Blick.
Wenn es uns gelingt, zu erkennen,
dass Enttäuschungen, Kummer und Leid
ein unvermeidlicher Teil des Lebens sind,
und wenn es uns gelingt, das nicht abzuwehren,
weil wir meinen,
wir hätten ein Recht auf Glück und Unversehrtheit,
sondern es annehmen und dazu Ja sagen können,
auch wenn es nichts Gutes und Erstrebenswertes ist -
ich glaube, dann könnten wir erleben,
wie Gott in unser Leben eingreift.
Gott greift ein, indem er uns hilft,
Schweres zu tragen. Dem Bösen standzuhalten.
Ihm zu widerstehen. Ihm die Stirn zu bieten.
Gott hilft uns zu leben und glücklich zu sein
trotz eines Kummers, trotz unserer Feinde,
trotz einer Behinderung, trotz des Alters.
Gott schickt uns nicht das Leid.
Gott schickt uns die Kraft, die Hoffnung und den Humor,
es mit dem Leid aufzunehmen und es zu überstehen.
In solchem Glauben können wir mit Maria sagen:
„Siehe, ich bin des Herrn Magd;
mir geschehe nach deinem Wort.”